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Beim Schießbefehl angekommen: Der Überbietungswettbewerb in der Flüchtlingsdebatte
Fast täglich gibt es neue Vorstöße deutscher Politiker. In der Debatte um Flüchtlinge herrscht mittlerweile ein Überbietungswettbewerb, wer die schärferen Töne anschlägt. Wie gefährlich das ist, zeigt die Schießbefehl-Forderung der AfD.
Kaum ist das Asylpaket II, das u.a. den Familiennachzug von Flüchtlingen einschränkt, Abschiebungen von psychisch Traumatisierten ermöglicht und auf rechtsstaatlich problematische Schnellverfahren setzt, von der Bundesregierung beschlossen worden, geht es prompt mit politischen Vorstößen weiter. Jeden Tag fordern diverse Politiker weitere Verschärfungen – die Bilanz allein der letzten Tage:
Seehofer folgt der Maxime „keine Partei rechts der CSU“
An vorderster Front befindet sich wie so oft CSU-Chef Horst Seehofer. Seit Monaten befeuert er die Debatte mit rechtspopulistischen Tönen, nun droht er bereits für Februar mit einer Klage gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Gemäß der alten Strauß-Devise, dass für eine Partei rechts von der CSU kein Platz im demokratischen System sein dürfe, versucht Seehofer sich die zur AfD abgewanderten Wähler zurückzuholen – indem er immer schärfere Forderungen stellt.
Der Beitrag der SPD: Leistungskürzungen und Residenzpflicht
Auch die SPD beteiligt sich munter am Wettbewerb. Die neuesten Vorstöße: Arbeitsministerin Nahles fordert Leistungskürzungen für „Integrationsunwillige“, berücksichtigt dabei aber nicht, dass Flüchtlinge aktuell bereits monatelang auf Integrations- oder Deutschkurse warten müssen. NRW-Ministerpräsidentin Kraft erneuert derweil die Forderung von Parteichef Gabriel nach einer Residenzpflicht auch für anerkannte Asylbewerber – integrationspolitisch kontraproduktiv, aber ein deutliches Signal dafür, dass man jeden Tag über neue Schikanen nachdenkt.
Rückkehr nach Syrien in drei Jahren?
Wer sich jedoch getreu den Vorstellungen von Andrea Nahles integriert, dem droht neues Ungemach: Angela Merkel betont nun, es handele sich ohnehin nur um eine temporäre Aufnahme, der Schutz sei auf drei Jahre befristet. Danach erwarte sie eine Rückkehr in die befriedeten Gebiete in Syrien und dem Irak. Wie der syrische Bürgerkrieg in drei Jahren beendet sein und die Region stabilisiert werden soll, bleibt dabei ebenso offen wie die Frage, wie die jetzt ohne Not begonnene Rückkehrdebatte sich auf das Gelingen der Integration auswirken wird.
Jeden Tag ein neues „sicheres Herkunftsland“
Bei der Einstufung von Staaten als „sicheres Herkunftsland“ Vorschlag an Vorschlag: Nachdem in den Verhandlungen zum Asylpaket II – ungeachtet der Menschenrechtssituation dort – schon die Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko als solche benannt wurden, will Sigmar Gabriel nun noch die Türkei dementsprechend einstufen, obwohl in den Kurdengebieten seit Monaten bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen und die Pressefreiheit stark eingeschränkt ist. Die CSU hat derweil eine ganze Palette an angeblich „sicheren Herkunftsländern“ parat: Neben Mali, wo 650 Bundeswehr-Soldaten im Rahmen „einer der gefährlichsten Missionen der Vereinten Nationen“ (Verteidigungsministerin von der Leyen) stationiert sind, sind auch noch Armenien, Bangladesch, Benin, Gambia, Georgien, Indien, die Mongolei, Nigeria, die Republik Moldau und die Ukraine vorgesehen. Bei dieser Ansammlung von friedvollen und demokratischen Staaten scheint es nur eine Frage der Zeit, bis auch Nordkorea auf Aufnahme in die Vorschlagsliste hoffen darf.
Altmaier: Einfach abschieben, egal wohin
Auch Kanzleramtschef Altmaier, von der Kanzlerin ernannter Flüchtlingskoordinator, will da beim allgemeinen öffentlichen Fordern von diesem und jenem offenbar nicht zurückstehen und möchte straffällige Asylbewerber nun – wenn sie nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können, weil dort Menschenrechtsverletzungen drohen – einfach in Drittstaaten wie die Türkei zurückschicken. Auch hier ist nicht klar, wie das funktionieren soll, zu befürchten bleibt aber, dass man, wie schon beim EU-Türkei-Deal, auf die Dienste des autoritär regierenden Präsidenten Erdogan zurückgreifen möchte – wohlwissend, dass dieser es mit den Menschenrechten auch nicht so genau nimmt.
Umfragewerte der AfD: Rechtspopulismus salonfähig gemacht
Nachdem die Anti-Flüchtlings-Rhetorik nun also vollends im politischen Diskurs angekommen ist, verschärft die AfD ihren Ton immer weiter. Mit ihren hilflosen Versuchen, die Wählergunst zurückzugewinnen, indem sie selbst nach rechts rücken, haben die anderen Parteien den Rechtspopulismus salonfähig gemacht. Beflügelt von den guten Umfragewerten sprechen nun die AfD-Vorstände Beatrix von Storch und Frauke Petry kurz nacheinander vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge zur Sicherung der deutschen Grenze – während die alten Positionen nach und nach von den etablierten Parteien übernommen werden, radikalisiert die Partei sich immer weiter.
Die Übernahme rechtspopulistischer Positionen führt nicht dazu, dass die AfD verschwindet, sie führt im Gegenteil dazu, dass sie mehr Zulauf erhält, da ihre menschenverachtenden Äußerungen plötzlich akzeptierter Teil des politischen Diskurses sind. Die Politik muss den Überbietungswettbewerb, wer die schärferen Töne in der Debatte um Flüchtlinge anschlägt, daher endlich beenden und sich auf die Grundwerte unserer Gesellschaft besinnen. Menschenverachtung gehört nicht dazu.
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