10.03.2022
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Ankunft von Flüchtlingen am Bahnhof Zahony an der ungarischen Grenze. Sie fliehen vor dem Krieg in der Ukraine. Foto: picture alliance / Photoshot /Nicola Marfisi

Ukrainer*innen auf der Flucht werden mit offenen Armen und grenzenloser Solidarität in den europäischen Nachbarstaaten empfangen. Das ist ein sehr Mut machendes Signal. Aber es gibt auch eine erschütternde Seite. Schwarzen Fliehenden wird die Ausreise aus dem Kriegsgebiet massiv erschwert.

Bereits über 2 Mil­lio­nen Men­schen sind seit Kriegs­be­ginn aus der Ukrai­ne geflo­hen. In über­wäl­ti­gen­der Soli­da­ri­tät wer­den sie in den euro­päi­schen Nach­bar­län­dern will­kom­men gehei­ßen. Jedoch: zahl­rei­che Bil­der, Vide­os und Erfah­rungs­be­rich­te aus der Ukrai­ne ver­deut­li­chen, wie Men­schen aus ver­schie­de­nen Dritt­staa­ten der Zugang zu Zügen nach Polen ver­wehrt wird.

Die Inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on (IOM) zeigt sich alar­miert:  Män­ner, Frau­en und Kin­der aus Dut­zen­den von Län­dern, dar­un­ter Migrant innen und Stu­die­ren­de, die in der Ukrai­ne leben, so die UN- Orga­ni­sa­ti­on, ste­hen vor aku­ten Her­aus­for­de­run­gen, wenn sie ver­su­chen, die vom Kon­flikt betrof­fe­nen Gebie­te zu ver­las­sen, die Gren­zen zu den Nach­bar­län­dern zu über­que­ren und lebens­ret­ten­de Hil­fe zu suchen. IOM mahnt: »Nach­bar­staa­ten müs­sen sicher­stel­len, dass alle Men­schen, die aus der Ukrai­ne flie­hen, im Ein­klang mit dem huma­ni­tä­ren Völ­ker­recht unge­hin­der­ten Zugang zum Hoheits­ge­biet erhalten.«

»Nach­bar­staa­ten müs­sen sicher­stel­len, dass alle Men­schen, die aus der Ukrai­ne flie­hen, im Ein­klang mit dem huma­ni­tä­ren Völ­ker­recht unge­hin­der­ten Zugang zum Hoheits­ge­biet erhalten.«

Schwar­ze Flüch­ten­de wer­den aus den Zügen gedrängt und ver­blei­ben auf den Glei­sen. Ein Mann aus einer Grup­pe Schwar­zer Schutz­su­chen­der(Schwarz wird groß­ge­schrie­ben, um zu ver­deut­li­chen, dass es sich um ein kon­stru­ier­tes Zuord­nungs­mus­ter han­delt und kei­ne »Eigen­schaft«, die auf die Far­be der Haut zurück­zu­füh­ren ist), erzählt in einem Inter­view mit der Welt, dass selbst Haus­tie­re vor­ge­zo­gen werden.

In den sozia­len Netz­wer­ken berich­ten Men­schen unter Hash­tags wie #Afri­can­si­n­Ukrai­ne und #Black­I­n­Ukrai­ne von der auf­fäl­li­gen Anders­be­hand­lung Schwar­zer Flie­hen­der und ande­rer nicht-wei­ßer Schutz­su­chen­der an den euro­päi­schen Gren­zen. Auch Journalist*innen von deut­schen und euro­päi­schen Medi­en berich­ten von Dis­kri­mi­nie­run­gen im Zuge des Krie­ges in der Ukraine.

Wäh­rend ukrai­ni­sche Schutz­su­chen­de mit der Deut­schen Bahn kos­ten­frei und unbü­ro­kra­tisch von Polen nach Deutsch­land gebracht wer­den, was wich­tig und rich­tig ist, sit­zen immer noch über 1000  Geflüch­te­te  aus Afgha­ni­stan, Irak, Syri­en, Jemen, Soma­lia und Iran in pol­ni­schen Abschie­bungs­ge­fäng­nis­sen fest, wird Schutz­su­chen­den in den bela­rus­sisch-pol­ni­schen Grenz­wäl­dern der Zutritt nach Polen gewalt­sam ver­wehrt. Dort wer­den Mau­ern errich­tet, um Men­schen abzu­schre­cken. Die­se Schutz­su­chen­de flie­hen auch vor Krieg – sie haben eben­so ein Recht auf Schutz.

Alle Men­schen, die der­zeit vor den rus­si­schen Angrif­fen in der Ukrai­ne flüch­ten, brau­chen schnell und unkom­pli­zier­ten Schutz und Sicher­heit, egal wel­chen Pass sie besit­zen. Das for­dert PRO ASYL seit Beginn des Krie­ges immer wie­der öffent­lich, eben­so wie unse­re Part­ner, etwa der Ber­li­ner Flücht­lings­rat.

Dass Schwar­zen Men­schen und Peo­p­le of Color auf der Flucht die Schutz­wür­dig­keit abge­spro­chen wird, gleicht einer Ent­mensch­li­chung. So funk­tio­niert Rassismus.

Der frü­he­re geor­gi­sche  Par­la­men­ta­ri­er David Sak­va­relid­ze sag­te in einem Inter­view mit der BBC, er sei von dem Krieg in der Ukrai­ne beson­ders betrof­fen, »weil ich sehe, wie Euro­pä­er mit blau­en Augen und blon­den Haa­ren getö­tet wer­den.« Die Aus­sa­ge war zunächst unkom­men­tiert ste­hen geblie­ben – ver­mut­lich weil Sak­va­relid­ze nur offen aus­sprach, was  vie­le emp­fin­den. »Die Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne sei­en im posi­ti­ven Sin­ne »anders«. Sie sei­en hell­häu­tig oder weiß, christ­lich, »wie wir« und des­halb »zivi­li­sier­ter« als jene, die in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nach  Euro­pa gezo­gen sind, sprich, Men­schen aus Afgha­ni­stan, Syri­en oder Soma­lia«, fasst der Jour­na­list Emran Feroz die­se Wahr­neh­mung kri­tisch zusammen.

Die Wahr­neh­mung ist das eine, doch dass die­se Ungleich­be­hand­lung selbst von füh­ren­den euro­päi­schen Politiker*innen nicht selbst­kri­tisch hin­ter­fragt wird, son­dern zu scham­lo­ser Poli­tik wird, ist erschre­ckend. Wäh­rend euro­päi­sche Staa­ten, die USA und Kana­da, sich dazu bereit­erklä­ren, schutz­su­chen­de Ukrainer*innen auf­zu­neh­men, sind auch am 1. März wie­der sechs leb­lo­se Kör­per von Geflüch­te­ten in Les­bos ange­spült wor­den. Abge­se­hen davon, dass die­se Ver­lus­te nicht-wei­ßen Lebens Euro­pa nicht mehr bestür­zen, stellt auch Migra­ti­onsminis­ter Notis Mit­a­ra­chi im grie­chi­schen Par­la­ment die beson­de­re Schutz­wür­dig­keit ukrai­ni­scher Schutz­su­chen­der her­aus und kün­digt an, dass Grie­chen­land bereit sei, Schutz­su­chen­de aus der Ukrai­ne auf­zu­neh­men: »Die Flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne sind wirk­li­che Flücht­lin­ge im Sinn des Völ­ker­rechts«. Und die Ertrun­ke­nen sind es nicht?

Soli­da­ri­tät ist unteilbar.

Soli­da­ri­tät ist unteil­bar. Die Soli­da­ri­tät mit den Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne endet nicht, wo die Soli­da­ri­tät mit Schwar­zen Men­schen und Schutz­su­chen­den aus ande­ren Län­dern beginnt. Im Umkehr­schluss bedeu­tet die Aner­ken­nung aller Men­schen als schutz­wür­dig mehr Gerech­tig­keit für die Mar­gi­na­li­sier­ten in unse­ren Gesellschaften.

Die Leben Schwar­zer Schutz­su­chen­der und Peo­p­le of Color zählen!

Heu­te, mor­gen, immer.

(sj)