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Angriffskrieg auf die Ukraine: Rassismus auf der Flucht
Ukrainer*innen auf der Flucht werden mit offenen Armen und grenzenloser Solidarität in den europäischen Nachbarstaaten empfangen. Das ist ein sehr Mut machendes Signal. Aber es gibt auch eine erschütternde Seite. Schwarzen Fliehenden wird die Ausreise aus dem Kriegsgebiet massiv erschwert.
Bereits über 2 Millionen Menschen sind seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohen. In überwältigender Solidarität werden sie in den europäischen Nachbarländern willkommen geheißen. Jedoch: zahlreiche Bilder, Videos und Erfahrungsberichte aus der Ukraine verdeutlichen, wie Menschen aus verschiedenen Drittstaaten der Zugang zu Zügen nach Polen verwehrt wird.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) zeigt sich alarmiert: Männer, Frauen und Kinder aus Dutzenden von Ländern, darunter Migrant innen und Studierende, die in der Ukraine leben, so die UN- Organisation, stehen vor akuten Herausforderungen, wenn sie versuchen, die vom Konflikt betroffenen Gebiete zu verlassen, die Grenzen zu den Nachbarländern zu überqueren und lebensrettende Hilfe zu suchen. IOM mahnt: »Nachbarstaaten müssen sicherstellen, dass alle Menschen, die aus der Ukraine fliehen, im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht ungehinderten Zugang zum Hoheitsgebiet erhalten.«
»Nachbarstaaten müssen sicherstellen, dass alle Menschen, die aus der Ukraine fliehen, im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht ungehinderten Zugang zum Hoheitsgebiet erhalten.«
Schwarze Flüchtende werden aus den Zügen gedrängt und verbleiben auf den Gleisen. Ein Mann aus einer Gruppe Schwarzer Schutzsuchender(Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine »Eigenschaft«, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist), erzählt in einem Interview mit der Welt, dass selbst Haustiere vorgezogen werden.
In den sozialen Netzwerken berichten Menschen unter Hashtags wie #AfricansinUkraine und #BlackInUkraine von der auffälligen Andersbehandlung Schwarzer Fliehender und anderer nicht-weißer Schutzsuchender an den europäischen Grenzen. Auch Journalist*innen von deutschen und europäischen Medien berichten von Diskriminierungen im Zuge des Krieges in der Ukraine.
Während ukrainische Schutzsuchende mit der Deutschen Bahn kostenfrei und unbürokratisch von Polen nach Deutschland gebracht werden, was wichtig und richtig ist, sitzen immer noch über 1000 Geflüchtete aus Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen, Somalia und Iran in polnischen Abschiebungsgefängnissen fest, wird Schutzsuchenden in den belarussisch-polnischen Grenzwäldern der Zutritt nach Polen gewaltsam verwehrt. Dort werden Mauern errichtet, um Menschen abzuschrecken. Diese Schutzsuchende fliehen auch vor Krieg – sie haben ebenso ein Recht auf Schutz.
Alle Menschen, die derzeit vor den russischen Angriffen in der Ukraine flüchten, brauchen schnell und unkomplizierten Schutz und Sicherheit, egal welchen Pass sie besitzen. Das fordert PRO ASYL seit Beginn des Krieges immer wieder öffentlich, ebenso wie unsere Partner, etwa der Berliner Flüchtlingsrat.
Dass Schwarzen Menschen und People of Color auf der Flucht die Schutzwürdigkeit abgesprochen wird, gleicht einer Entmenschlichung. So funktioniert Rassismus.
Der frühere georgische Parlamentarier David Sakvarelidze sagte in einem Interview mit der BBC, er sei von dem Krieg in der Ukraine besonders betroffen, »weil ich sehe, wie Europäer mit blauen Augen und blonden Haaren getötet werden.« Die Aussage war zunächst unkommentiert stehen geblieben – vermutlich weil Sakvarelidze nur offen aussprach, was viele empfinden. »Die Geflüchteten aus der Ukraine seien im positiven Sinne »anders«. Sie seien hellhäutig oder weiß, christlich, »wie wir« und deshalb »zivilisierter« als jene, die in den vergangenen Jahren nach Europa gezogen sind, sprich, Menschen aus Afghanistan, Syrien oder Somalia«, fasst der Journalist Emran Feroz diese Wahrnehmung kritisch zusammen.
Die Wahrnehmung ist das eine, doch dass diese Ungleichbehandlung selbst von führenden europäischen Politiker*innen nicht selbstkritisch hinterfragt wird, sondern zu schamloser Politik wird, ist erschreckend. Während europäische Staaten, die USA und Kanada, sich dazu bereiterklären, schutzsuchende Ukrainer*innen aufzunehmen, sind auch am 1. März wieder sechs leblose Körper von Geflüchteten in Lesbos angespült worden. Abgesehen davon, dass diese Verluste nicht-weißen Lebens Europa nicht mehr bestürzen, stellt auch Migrationsminister Notis Mitarachi im griechischen Parlament die besondere Schutzwürdigkeit ukrainischer Schutzsuchender heraus und kündigt an, dass Griechenland bereit sei, Schutzsuchende aus der Ukraine aufzunehmen: »Die Flüchtlinge aus der Ukraine sind wirkliche Flüchtlinge im Sinn des Völkerrechts«. Und die Ertrunkenen sind es nicht?
Solidarität ist unteilbar.
Solidarität ist unteilbar. Die Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine endet nicht, wo die Solidarität mit Schwarzen Menschen und Schutzsuchenden aus anderen Ländern beginnt. Im Umkehrschluss bedeutet die Anerkennung aller Menschen als schutzwürdig mehr Gerechtigkeit für die Marginalisierten in unseren Gesellschaften.
Die Leben Schwarzer Schutzsuchender und People of Color zählen!
Heute, morgen, immer.
(sj)