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Für eine Solidarität ohne Grenzen
#offengeht lautet das Motto der diesjährigen Interkulturellen Woche. Und #offengeht ist auch die Hauptbotschaft der Erklärung, die die Interkulturelle Woche im Jahr der Bundestagswahl 2021 begleitet.
PRO ASYL, der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat, die Diakonie Hessen und der Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz plädieren in ihrem Positionspapier »Solidarität entgrenzen« für eine offene und solidarische Gesellschaft und Solidarität ohne Grenzen –unterstützt von rund 45 weiteren Organisationen und Initiativen wie zum Beispiel Diakonie Deutschland, zahlreichen Landesflüchtlingsräten, der deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, der AWO Nordrhein-Westfalen und der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltsverein.
Verfasst wurde der Appell schon, bevor sich die Lage in Afghanistan zuspitzte – und hat leider nichts von seiner Aktualität verloren. Denn in diesen Tagen und Wochen erleben wir Flüchtlingspolitik wieder einmal im Krisenmodus: Weil nicht vorausschauend gehandelt wurde. Weil die Politiker*innen vor allem auf Abschottung und Ausgrenzung setzten. Weil sie auf die Stimmen von rechts bei bevorstehende Bundestagswahl schielen, statt auf die Nöte und Rechte von Menschen zu schauen. Die Folge: Zehntausende Menschen in Afghanistan leben in Todesangst vor der Rache der Taliban, darunter die Ortskräfte ebenso wie Männer, Frauen und Kinder, die schon seit Jahren auf ihre Visa für den Familiennachzug nach Deutschland warten und nun noch mehr als zuvor in Lebensgefahr sind.
Das alles hätte nicht passieren müssen. Eine andere Flüchtlings- und Migrationspolitik ist möglich: Wie wollen wir leben und unsere Zukunft gestalten? Als weltoffene, inklusive, gerechtigkeits- und menschenrechtsbasierte Gesellschaft? Oder aber als Gesellschaft, die auf Nationalismus, Ausgrenzung, Abschottung und autoritäre Strukturen setzt?
Die Antwort von PRO ASYL und den anderen Organisationen im Positionspapier ist klar: #offengeht, für eine Solidarität ohne Grenzen. Nichts kann so bleiben, wie es ist. Die Art, wie wir leben, wirtschaften, arbeiten, konsumieren und die ungerechte Verteilung des Reichtums müssen sich ändern.
Aus vielen Geflüchteten, die damals nach Deutschland kamen, sind längst Kolleg*innen, Freund*innen, engagierte Ehrenamtliche und Nachbar*innen geworden, die Deutschland jünger, bunter, stärker und klüger gemacht haben
Klimawandel, Gerechtigkeitskrise, Pandemie und jetzt auch die Afghanistan-Krise machen deutlicher denn je: Mit geschlossenen Augen, geschlossenen Grenzen und nationalen Alleingängen wird es keine Lösungen geben. Konzepte, die nur einen Teil der Menschheit im Blick haben und Sicherheit und Wohlstand für nur wenige verheißen, einem anderen Teil der Menschheit aber Unsicherheit, Armut, Verelendung und Perspektivlosigkeit zumuten – solche Konzepte werden scheitern. Das gilt sowohl innerhalb der Gesellschaft eines Landes als auch in einer globalisierten Welt. »Es geht nur miteinander und füreinander. Es geht nur, indem wir Solidarität entgrenzen« heißt es in dem Positionspapier.
Doch in der Politik ist seitdem wenig passiert: Statt dieses Engagement (ausreichend) mit Strukturen und Geld zu unterstützen, hat sie stattdessen immer wieder neue gesetzliche Restriktionen beschlossen, und immer wieder, gerade auch in der Afghanistan-Krise im August 2021, wird das rechtspopulistische Mantra wiederholt, »dass sich 2015 nicht wiederholen darf«. Doch das dient nur dazu, Ängste zu schüren. Denn: Aus vielen Geflüchteten, die damals nach Deutschland kamen, sind längst Kolleg*innen, Freund*innen, engagierte Ehrenamtliche und Nachbar*innen geworden, die Deutschland jünger, bunter, stärker und klüger gemacht haben: #offengeht gut! Doch Tausende stehen heute im Unterschied zu 2015 vor geschlossenen Grenzen!
Derzeit entscheidet sich auch am Hindukusch, wie wir als Gesellschaft in Deutschland, Europa und der Welt leben wollen. Deshalb sind wir überzeugt; #offengeht!
Und dass es auch in der Migrations- und Flüchtlingspolitik nur #offengeht, haben Millionen von Menschen 2015 im »Sommer und Herbst der Flucht« praktisch vorgelebt, als sie sich bei der Aufnahme von fast einer Million Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten engagierten. Menschen, die in Deutschland den Schutz suchten, trafen auf eine lebendige, humane, empathische und an der Idee der universell gültigen Menschenrechte orientierte Zivilgesellschaft.
Derzeit entscheidet sich auch am Hindukusch, wie wir als Gesellschaft in Deutschland, Europa und der Welt leben wollen. Deshalb sind wir überzeugt; #offengeht!
Die diesjährige Interkulturelle Woche beginnt am Tag der Bundestagswahl – und bietet nicht nur deshalb die Möglichkeit, über eine neue Flüchtlings- und Migrationspolitik zu diskutieren. Und auch schon vorher können die deutlichen Forderungen des Positionspapier mit den Kandidat*innen demokratischer Parteien diskutiert werden:
Von einer menschenrechtsbasierten Migrations- und Flüchtlingspolitik erwarten wir umgehend:
- die Schaffung sicherer und legaler Zugangswege und die Gewährleistung eines fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahrens in Europa;
- die dezentrale Unterbringung von Schutzsuchenden, ihre Umverteilung in die Kommunen nach spätestens drei Monaten sowie die Unterstützung der Kommunen bei der Integrationsförderung vom ersten Tag an;
- die umfassende und zeitnahe Gewährleistung der Familienzusammenführung in Deutschland für alle Flüchtlinge und damit die rechtliche Gleichstellung von subsidiär Geschützten;
- die Änderung humanitärer Bleiberechtsregelungen, um Kettenduldungen wirksam zu verhindern und i.d.R. nach spätestens fünf Jahren dauerhafte Aufenthaltssicherheit herzustellen;
- die Gewährung gleicher politischer Beteiligungsrechte (Wahlrecht auf allen Ebenen) nach fünf Jahren Aufenthalt;
- Sicherstellung des gleichberechtigten Schutzes sozial benachteiligter Personengruppen vor (pandemiebedingten) Gesundheitsrisiken. Hierzu bedarf es der dezentralen Unterbringung, der notwendigen medizinische Versorgung entsprechend dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen und dem gleichberechtigten Zugang zu Bildungs- und Teilhabeangeboten;
- die Bekämpfung von Rassismus in all seinen Erscheinungsformen – von Alltagsrassismus bis zu struktureller Diskriminierung und rassistischer Gewalt – und in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dazu gehören u.a. die konsequente Ermittlung und Ahndung rassistischer Straf- und Gewalttaten, eine diskriminierungsfreie Polizeiarbeit insbesondere bei sogenannten »verdachtsunabhängigen Kontrollen«, die Ausweitung des rechtlichen Diskriminierungsschutzes sowie eine aktive und (selbst)kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen und Folgen von Rassismus;
- eine regelhafte und kontinuierliche inhaltliche und finanzielle Förderung der Arbeit für und mit Schutzsuchenden und Eingewanderten sowie die dauerhafte Förderung des Engagements für demokratische Werte und gegen jede Form von rassistischer Diskriminierung. Weil Demokratie die Zivilgesellschaft dringend braucht!
(wr)