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Geflüchtete aus Afghanistan auf dem Flughafen von Mytilene vor ihrer Abreise nach Deutschland. Foto: UNHCR/ Achilleas Zavallis

Nach monatelangem Entscheidungsstopp kündigt das BAMF an, dass bei Asylsuchenden, die in Griechenland schon anerkannt sind, ein reguläres Asylverfahren durchgeführt werden soll. Das Problem: An die Entscheidung aus Griechenland fühlt sich die Behörde nicht gebunden.

Wer in den letz­ten zwei Jah­ren mit einem Schutz­sta­tus aus Grie­chen­land nach Deutsch­land gekom­men ist und hier einen Asyl­an­trag gestellt hat, brauch­te vor allem eins: Ganz viel Geduld. Seit Dezem­ber 2019 hat das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) Asyl­an­trä­ge von Asyl­su­chen­den, die bereits in Grie­chen­land als Flücht­lin­ge aner­kannt wur­den oder sub­si­diä­ren Schutz erhal­ten haben, lie­gen gelas­sen und nicht wei­ter bearbeitet.

Zur Erin­ne­rung: Auf­grund der kata­stro­pha­len Zustän­de in Grie­chen­land, die PRO ASYL immer wie­der ange­pran­gert hat, flie­hen vie­le Flücht­lin­ge nach ihrer Aner­ken­nung in Grie­chen­land wei­ter in ande­re euro­päi­sche Län­der – dar­un­ter auch nach Deutsch­land. Wenn ihr Asyl­an­trag hier – wie bis­her üblich – nicht bear­bei­tet wird,  leben sie in der Schwe­be. Die lan­ge War­te­zeit bedeu­tet eine gro­ße Unsi­cher­heit und zer­mürbt vie­le Men­schen. Die deut­sche Recht­spre­chung ist sich seit letz­tem Jahr weit­ge­hend einig, dass die Men­schen nicht ins Elend nach Grie­chen­land zurück­ge­schickt wer­den dürfen.

Die lan­ge War­te­zeit bedeu­tet eine gro­ße Unsi­cher­heit und zer­mürbt vie­le Menschen.

Entscheidungsstopp: 43.041 nicht bearbeitete Asylanträge

Nichts­des­to­trotz hat das BAMF in der Durch­set­zung sei­nes Ent­schei­dungs­stopps sogar ver­fügt, gericht­li­che Ent­schei­dun­gen zu igno­rie­ren. So wird in einem inter­nen Rund­schrei­ben von Mai 2021 ange­ord­net, dass in Fäl­len, in denen ein Gericht das BAMF ver­pflich­tet hat, end­lich über einen Asyl­an­trag zu ent­schei­den, das Urteil nicht umge­setzt wer­den soll. Eine Ent­schei­dung – sprich eine Ableh­nung des Asyl­an­trags als unzu­läs­sig und die Andro­hung der Abschie­bung nach Grie­chen­land – soll­te erst erge­hen, wenn beim Gericht ein Antrag auf Anord­nung eines Zwangs­gel­des gegen das BAMF gestellt wor­den war.

Ins­ge­samt hat sich bei den soge­nann­ten »Aner­kann­ten« aus Grie­chen­land in den letz­ten 27 Mona­ten durch die­sen Ent­schei­dungs­stopp ein Rück­stau von 43.041 nicht bear­bei­te­ten Asyl­an­trä­gen gebil­det (Druck­sa­che 20/1221, S. 3). Bei der mit Abstand größ­ten Grup­pe die­ser Men­schen han­delt es sich um Syrer*innen (20.197), gefolgt von Geflüch­te­ten aus Afgha­ni­stan (12.712) und dem Irak (5.150).

April 2022: Bundesamt entscheidet wieder 

Kürz­lich wur­de bekannt, dass das BAMF sich nun mit die­sen Fäl­len befas­sen wird. In einem aktu­el­len Rund­schrei­ben  infor­miert das BAMF die Gerich­te, dass »seit 1. April 2022 die Ent­schei­dungs­tä­tig­keit in die­sen Ver­fah­ren wie­der auf­ge­nom­men [wur­de]«. Neben »sicher­heits­re­le­van­ten« Fäl­len sol­len zunächst Anträ­ge von vul­ner­ablen oder beson­ders schutz­be­dürf­ti­gen Men­schen bear­bei­tet wer­den. Die Hoff­nung, dass sich die Situa­ti­on für Aner­kann­te in Grie­chen­land zumin­dest soweit ver­bes­sert, dass Abschie­bun­gen dort­hin von deut­schen Ver­wal­tungs­ge­rich­ten nicht mehr grund­sätz­lich unter­sagt wer­den, scheint das BAMF zumin­dest für den Moment auf­ge­ge­ben zu haben.

Abschiebung nach Griechenland in aller Regel vom Tisch

Auf Nach­fra­ge von PRO ASYL teilt das BAMF mit, dass bei die­sen Fäl­len »im Regel­fall eine inhalt­li­che Prü­fung der Asyl­an­trä­ge« erfol­gen wer­de, auch wenn »Unzu­läs­sig­keits­ent­schei­dun­gen in begründ­ba­ren Ein­zel­fäl­len […] nicht aus­ge­schlos­sen« sei­en. Im Klar­text: Die Asyl­an­trä­ge sol­len in aller Regel nicht als unzu­läs­sig abge­lehnt wer­den. Das Damo­kles­schwert einer dro­hen­den Abschie­bung nach Grie­chen­land dürf­te damit in den meis­ten Fäl­len vom Tisch sein.

Kein Erfolg auf ganzer Linie

Was zunächst nach einem Erfolg auf gan­zer Linie klingt, ent­puppt sich bei genaue­rer Betrach­tung lei­der nur als Teil­erfolg. Ja, das BAMF sieht sich ange­sichts der erdrü­cken­den Sach­la­ge und der ein­deu­ti­gen Recht­spre­chung gezwun­gen, die betrof­fe­nen Men­schen nicht mehr auf Grie­chen­land zu ver­wei­sen und ihnen die Abschie­bung dort­hin nicht län­ger  anzu­dro­hen. Dies ist auch das Ver­dienst von unse­rem Team von Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA) in Grie­chen­land, das seit Jah­ren die Situa­ti­on von Aner­kann­ten in Grie­chen­land doku­men­tiert und des­sen Stel­lung­nah­men eine zen­tra­le Erkennt­nis­quel­le für deut­sche und euro­päi­sche Gerich­te sind.

BAMF fühlt sich an griechische Asylentscheidung nicht gebunden

Das Pro­blem ist jedoch, dass das BAMF die Asyl­an­trä­ge nun inhalt­lich im Hin­blick auf die Flucht­grün­de aus dem Her­kunfts­land prü­fen möch­te und sich dabei nicht an die Sta­tus­ent­schei­dung aus Grie­chen­land gebun­den fühlt. Statt den Schutz­sta­tus aus Grie­chen­land zu über­neh­men, soll ein kom­plett neu­es Asyl­ver­fah­ren mit offe­nem Aus­gang durch­ge­führt wer­den. Ob das über­haupt zuläs­sig ist, ist recht­lich umstritten.

Was bedeu­tet das für die betrof­fe­nen Men­schen? Ihr Schutz­be­darf wur­de in einem Asyl­ver­fah­ren in Grie­chen­land bereits fest­ge­stellt. Da sich das BAMF jedoch nicht an die­se Ent­schei­dung gebun­den fühlt, son­dern ein ergeb­nis­of­fe­nes Asyl­ver­fah­ren durch­füh­ren möch­te, kann es pas­sie­ren, dass sie am Ende einen schlech­te­ren Sta­tus als in Grie­chen­land erhal­ten oder im schlimms­ten Fall sogar kom­plett abge­lehnt werden.

Men­schen mit Flücht­lings­an­er­ken­nung in Grie­chen­land wären im Fall einer Kom­plett­ab­leh­nung durch das BAMF auf­grund der aus­län­di­schen Flücht­lings­an­er­ken­nung vor einer Abschie­bung ins Her­kunfts­land geschützt (§60 Abs. 1 Satz 2 Auf­enthG). Bei ihnen ist es unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen auch mög­lich, die Ver­ant­wor­tung für die Aus­stel­lung des Flücht­lings­pas­ses von Grie­chen­land auf Deutsch­land zu über­tra­gen, sodass sie als aner­kann­te Flücht­lin­ge in Deutsch­land leben kön­nen (vgl. bspw. VG Min­den, Urteil vom 07.12.2021 – 7 K 2885/20 – asyl.net: M30345).

Bei jenen, die in Grie­chen­land als sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te aner­kannt wur­den, ist hin­ge­gen zu befürch­ten, dass das BAMF davon aus­ge­hen wird, dass sogar eine Abschie­bung ins Her­kunfts­land nicht aus­ge­schlos­sen ist.

Anerkennung in Griechenland, Ablehnung in Deutschland?

Letzt­lich bleibt abzu­war­ten, wie das BAMF nun inhalt­lich über die Asyl­an­trä­ge ent­schei­den wird. Ein Blick auf die aktu­el­le Ent­schei­dungs­pra­xis der Behör­de bei den bei­den größ­ten Flücht­lings­grup­pen unter den Aner­kann­ten aus Grie­chen­land ver­deut­licht exem­pla­risch, zu was für absur­den Kon­stel­la­tio­nen die Durch­füh­rung eines ergeb­nis­of­fe­nen Asyl­ver­fah­rens füh­ren könnte.

Syrer*innen mit Schutz­sta­tus in Grie­chen­land sind dort fast aus­nahms­los als Flücht­lin­ge nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on aner­kannt wor­den (2019–2021: 99,7% GFK-Sta­tus, 0,3% sub­si­diä­rer Schutz; eige­ne Berech­nung anhand von EUROSTAT). In Deutsch­land hin­ge­gen erhal­ten sie über­wie­gend sub­si­diä­ren Schutz. Es ist des­halb davon aus­zu­ge­hen, dass es zahl­rei­che Syrer*innen geben wird, die trotz Flücht­lings­an­er­ken­nung in Grie­chen­land hier in Deutsch­land nur sub­si­diä­ren Schutz erhal­ten. Das hat Aus­wir­kun­gen etwa auf den Fami­li­en­nach­zug. Zwar hat die Ampel-Regie­rung ange­kün­digt, bei sub­si­di­är Geschütz­ten die Ein­schrän­kun­gen auf­zu­he­ben, die sie bis­lang gegen­über Flücht­lin­gen nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on beim Fami­li­en­nach­zug hat­ten, jedoch ist die­ses Ver­spre­chen noch nicht in die Tat umgesetzt.

In Grie­chen­land aner­kann­te Afghan*innen haben in den letz­ten Jah­ren dort in der Mehr­zahl sub­si­diä­ren Schutz erhal­ten (2019–2021: 47% GFK-Sta­tus, 53% sub­si­diä­rer Schutz; eige­ne Berech­nung anhand von EUROSTAT). In Deutsch­land stellt das BAMF aktu­ell über­wie­gend fest, dass wegen der kata­stro­pha­len huma­ni­tä­ren Lage in Afgha­ni­stan ein natio­na­les Abschie­bungs­ver­bot vor­liegt. In gerin­ge­rem Maße wer­den Afghan*innen auch als Flücht­lin­ge aner­kannt, sub­si­diä­rer Schutz wird hin­ge­gen kaum gewährt. Ver­ein­zelt sind auch Kom­plett­ab­leh­nun­gen mög­lich; Ent­schei­dun­gen zu jun­gen, gesun­den und arbeits­fä­hi­gen Män­nern sind wei­ter­hin zurück­ge­stellt (Druck­sa­che 20/765, S. 18).

Vor die­sem Hin­ter­grund ist zu befürch­ten, dass vie­le der in Grie­chen­land aner­kann­ten Afghan*innen in Deutsch­land am Ende nur mit einem natio­na­len Abschie­bungs­ver­bot daste­hen, in ver­ein­zel­ten Fäl­len mög­li­cher­wei­se sogar kom­plett abge­lehnt wer­den. Soll­te es tat­säch­lich zu Kom­plett­ab­leh­nun­gen kom­men, könn­te es bei all jenen, die in Grie­chen­land »nur« sub­si­diä­ren Schutz haben, sogar pas­sie­ren, dass das BAMF die Abschie­bung nach Afgha­ni­stan androht.

Das unwürdige Schauspiel muss ein Ende haben!

Die Aner­kann­ten aus Grie­chen­land haben ein Recht dar­auf, end­lich in Sicher­heit und Wür­de leben und all jene Rech­te wahr­neh­men zu kön­nen, die ihnen als inter­na­tio­nal Schutz­be­rech­tig­ten zuste­hen. Ihr Schutz­be­darf wur­de längst fest­ge­stellt. Es mag ver­fah­rens­recht­lich gebo­ten sein, nach der Fest­stel­lung, dass eine Rück­kehr nach Grie­chen­land aus­schei­det, pro for­ma ein neu­es Asyl­ver­fah­ren durch­zu­füh­ren. Dabei muss jedoch die Ent­schei­dung aus Grie­chen­land über­nom­men wer­den, zumin­dest darf es kei­ne Schlech­ter­stel­lung geben. Alles ande­re ver­län­gert nicht nur unnö­tig den uner­träg­li­chen Schwe­be­zu­stand, in dem sich die betrof­fe­nen Geflüch­te­ten seit Jah­ren befin­den, son­dern läuft auch der Idee eines »Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems« kom­plett zuwider.

(ame)