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Flüchtlingskinder hungern in Griechenland
Kein Essen, keine Medikamente, keine warme Kleidung: Tausende Schutzsuchende in Griechenland bekommen seit Wochen kein Geld mehr vom Staat und leiden unter Hunger. Der Grund: Die griechische Regierung verzögert die Auszahlung von EU-Hilfsgeldern.
»Jetzt gibt es Nächte, in denen unsere Kinder mit leeren Mägen und Tränen in den Augen schlafen gehen. Alles, was wir tun können, ist, ihnen zu sagen: Das ist nicht schlimm. Es geht vorbei.« Das berichtet eine Mutter, die mit ihrer Familie, darunter einem Baby, im Lager Malakasa in der Nähe von Athen lebt. Zunächst hätten sie von dem wenigen gesparten Geld leben können, erzählt sie weiter in einem Bericht von Refugee Support Aegean (RSA), der griechischen Partnerorganisation von PRO ASYL. Doch nun hätten sie nicht mal Geld, um nach Athen zu fahren, um dort bei Hilfsorganisationen nach Lebensmitteln zu fragen.
»Jetzt gibt es Nächte, in denen unsere Kinder mit leeren Mägen und Tränen in den Augen schlafen gehen.«
RSA berichtet auch von einer Mutter im Rollstuhl, die von Kirche zu Kirche fährt und dort verzweifelt nach etwas Nahrung und Babywindeln fragt. Und von einem Familienvater, der mit seinem vierjährigen Sohn im Flüchtlingslager Eleonas in Athen festsitzt. Seine Frau sei in Deutschland, aber er könne den Visumsantrag für die Familienzusammenführung nicht abschließen, da ihm das Geld fehle, das die Botschaft für die Gebühren verlange. »Ich leihe mir Geld, um meinen Jungen zu ernähren. Und jetzt kann ich nicht einmal den Visumsantrag ausfüllen, um mit der Mutter meines Kindes zusammenzukommen«, berichtet er.
Regierung löst das Problem nicht
Diese erschreckende Situation hält seit Wochen an in Griechenland, tausende Flüchtlinge und Asylsuchende leiden unter Hunger. Und trotz ständiger Appelle von Hilfsorganisationen, dutzender Medienberichte über die wirtschaftliche Notlage und Protesten der Betroffenen selbst hat die griechische Regierung das Problem nicht gelöst. Obwohl sie dafür zuständig ist. Denn seit dem 1. Oktober ist die griechische Regierung zuständig für das monatliche Guthaben auf Bankkarten, dass die Schutzsuchenden im Rahmen eines von der EU finanzierten Programms bekommen. Zuständig für die Verteilung der Gelder war bisher das UN-Flüchtlingshilfswerk, doch zum 1. Oktober wurde das Verfahren an die griechische Regierung übergeben. Seitdem spitzt sich die Lage für Geflüchtete zu, wie auch Tagesschau.de berichtete.
Somit haben seit dem Übergang des Bargeldhilfeprogramms vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) auf die griechische Regierung schätzungsweise 36.000 Menschen kein Geld erhalten.
Solidarität unter den Geflüchteten
Für hunderte von Menschen, die keinen Anspruch auf diese Zuwendung haben und nicht über andere Mittel verfügen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, wurde zudem die Ernährung in den Lagern eingestellt. Nun versuchen humanitäre Organisationen und Solidaritätsgruppen sowie Flüchtlinge, die sich gegenseitig helfen, die Lücken bei der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern zu schließen.
Asylbewerber haben nach europäischem und griechischem Recht Anspruch auf „im Rahmen der Aufnahme gewährte materielle Leistungen“, die einen angemessenen Lebensstandard garantieren, bis die Prüfung ihres Asylantrags abgeschlossen ist. Zu diesen Bedingungen gehören Unterkunft, Nahrung, Kleidung und finanzielle Unterstützung zur Deckung des täglichen Bedarfs. Griechenland gewährt den Asylbewerbern diese finanzielle Unterstützung im Rahmen des von der Europäischen Union finanzierten Programms.
Auch Familien leben in extremer Armut
Nach Beschwerden hatte das Ministerium für Migration und Asyl Mitte Oktober zugesichert, dass die finanzielle Unterstützung Ende Oktober ausgezahlt und von da an fristgerecht gezahlt werden würde. Doch auch kurz vor Weihnachten haben die Menschen die finanzielle Unterstützung immer noch nicht erhalten. Das hat sich auch auf die lokalen Geschäfte ausgewirkt, in denen sie normalerweise eingekauft haben.
Refugee Support Aegean (RSA) steht in Kontakt mit Dutzenden von besonders schutzbedürftigen Asylbewerbern und Flüchtlingen, die nun gezwungen sind, in extremer Armut zu leben, ohne ihre grundlegenden Lebensbedürfnisse decken zu können. Im Dezember verteilte die Organisation Supermarktgutscheine an Flüchtlinge und an bedürftige Familien, die in ESTIA-Wohnungen leben und mit ernsten gesundheitlichen Problemen und nun auch noch mit Hunger zu kämpfen haben. Darunter sind Menschen, die wegen chronischer Krankheiten auf spezielle Diäten angewiesen sind, sowie viele kleine Kinder.
Mahlzeiten in den Lagern nicht essbar
Weil sie derzeit die Beihilfe nicht bekommen, erhalten die Geflüchteten, die in Lagern leben, nun vorgekochte Mahlzeiten. Diese sind aber häufig von schlechter Qualität und nicht vollständig durchgegart, berichten Hilfsorganisationen und Bewohner*innen. Menschen, die keinen Anspruch auf materielle Zuwendungen haben, weil sie entweder noch nicht registriert sind, ihr Asylantrag abgelehnt wurde oder ihnen internationaler Schutz gewährt wurde, sind jedoch von der Versorgung mit Lebensmitteln in den Lagern ausgeschlossen.
In den letzten Monaten haben die Flüchtlinge gegen diesen Zustand protestiert. »Wir essen die Mahlzeiten, die sie an uns verteilen, nicht. Aber wir haben keine Wahl. Ob wir sie essen oder nicht, unser Magen tut weh», sagt die Mutter einer Großfamilie, die auch ein Baby hat und im Lager Malakasa lebt. »Wir haben nicht einmal Geld für ein Zugticket, um nach Athen zu fahren und auf den Wochenmärkten oder bei humanitären Organisationen nach Lebensmitteln zu suchen. Wir versuchen, uns hier im Lager gegenseitig zu helfen, uns Geld von Verwandten im Ausland zu leihen. Aber bis wann?«
Kein Geld für Visumsantrag
Ein Vater im Lager Elaionas mit einem vierjährigen Jungen sagt, er könne den Visumsantrag für die Familienzusammenführung mit seiner Frau in Deutschland nicht abschließen, weil ihm das Geld fehlt, das die Botschaft für die Gebühren verlangt. »Wir nehmen nur das Wasser aus der Verpflegung. Das Essen ist nicht genießbar. Ich leihe mir Geld, um meinen Jungen zu ernähren. Und jetzt kann ich nicht einmal den Visumsantrag ausfüllen, um mit der Mutter meines Kindes zusammenzukommen.«
Gleichzeitig lebten Ende November rund 14.500 besonders schutzbedürftige Asylbewerber in ESTIA-Wohnungen, einem Programm, dessen Organisationen das Ministerium für Migration und Asyl im Jahr 2020 ebenfalls übernommen hatte: Emergency Support to Integration and Accommodation – ein Programm des UNHCR. Diese Menschen haben nicht einmal Zugang zur Lebensmittelverteilung, da diese nur für Lager gilt. Die im Rahmen des Programms untergebrachten Asylbewerber wurden Berichten zufolge von ihren Aufnahmeorganisationen darüber informiert, dass sie die Unterstützung zu Beginn des neuen Jahres erhalten werden.
Verzweifelte Fragen
Die Mitarbeiter der verschiedenen Organisationen, die das Wohnungsprogramm durchführen, sehen sich mit den stetigen und verzweifelten Fragen konfrontiert, wann die finanzielle Unterstützung endlich kommt. In einigen Fällen gaben einige die Adressen anderer humanitärer Organisationen weiter, bei denen die Menschen Lebensmittel erhalten können, während andere einmalig kleine Lebensmittelpakete verteilten. In den meisten Fällen wurden die Asylbewerber jedoch Berichten zufolge hilflos zurückgelassen.
Zum Beispiel die alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, die in einer ESTIA-Wohnung lebt. Sie hat mehrere gesundheitliche Probleme und kann sich nicht einmal die von ihrem Psychiater verschriebenen Medikamente leisten. »Mein Sohn ist sechs Jahre alt. Er ist seit diesem Jahr im Kindergarten. Er weint, wenn ich ihn dorthin bringen will. Wir haben kein Geld, also kann ich ihm kein Essen für die Schule geben. Ich kann auch keine Schulsachen kaufen. Und wenn ich ihn nicht zur Schule bringe, fragen sie mich, warum ich ihn nicht hinbringe«, sagt die Frau.
»Wir haben kein Geld für Essen oder für die Schule.«
Kein Geld für Schulhefte
Eine Familie mit sechs Kindern, die ebenfalls in einer ESTIA-Wohnung lebt, beschreibt ihre Situation so: »Unsere Tochter hat sich bei einem Verkehrsunfall, der ihr in Griechenland passiert ist, schwere Verletzungen zugezogen. Die Ärzte sagen uns, dass sie jetzt sehr schwach ist. Wir haben seit zwei Monaten kein Geld mehr, seit sie die Geldleistung eingestellt haben. Wir haben kein Geld für Essen oder für die Schule. Eine Frau hat uns ein paar Schulhefte gespendet. Unsere Kinder haben sie geteilt. In der Schule benutzen sie das gleiche Heft für verschiedene Klassen. Wir haben keine Windeln. Unsere Kinder haben keine warme Kleidung.«
Gleichzeitig erklärt das Ministerium für Migration und Asyl, dass »die Migranten, die einen endgültigen negativen Bescheid erhalten haben, verpflichtet sind, das Land zu verlassen. Alternativ können sie auf Anordnung der griechischen Polizei in Abschiebehaftanstalten gebracht werden.« Unter den Abgelehnten befinden sich viele Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan, deren Anträge mit der Begründung abgelehnt wurden, dass die Türkei ein »sicheres Drittland« für sie sei. Die Türkei hat jedoch bis heute keine Rückübernahme aus Griechenland ab März 2020 akzeptiert, so dass diese Menschen in einem rechtlichen Schwebezustand ohne Rechte und ohne Unterstützung enden.
Für anerkannte Flüchtlinge, die noch in Lagern leben, verweist das Ministerium auf das Recht auf Zugang zum HELIOS-Integrationsprogramm, das unter anderem Unterstützung für eine unabhängige Unterkunft für 6 bis 12 Monate ab der Zuerkennung des Status bietet. Es verweist auch auf die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden und auf Leistungen, die die Menschen beantragen können. Um das HELIOS-Programm in Anspruch nehmen zu können, müssen Flüchtlinge jedoch erhebliche Schwierigkeiten überwinden, nämlich eine Wohnung aus eigenen Mitteln anmieten, da ein Mietvertrag Voraussetzung für Mietzuschüsse ist. Und so machen anerkannte Flüchtlinge inzwischen den größten Teil der rund 3.000 informellen Bewohner in den Lagern aus, da sie sonst obdachlos auf der Straße leben müssten.
Auch anerkannte Flüchtlinge haben zu wenig
Auch für anerkannte Flüchtlinge, die in ESTIA-Wohungen leben, ist die Situation nicht besser, Ende November waren es rund 2.500. Die Zahl derjenigen, die nach dem Bescheid über das Ende der Unterbringungszeit, einen Monat nach der positiven Entscheidung über ihren Asylantrag, weiterhin dort wohnen, ist jedoch unbekannt. Diese Menschen hungern in vielen Fällen über einen längeren Zeitraum, da ihre Leistungen nach Erhalt eines positiven Asylbescheids früher gestrichen wurden.
»Wir waren monatelang obdachlos, während ich schwanger war, weil ich es nicht geschafft habe, einen Asylantrag über Skype zu stellen«, sagt die Mutter eines einjährigen Säuglings, die im Rollstuhl sitzt. »Sobald wir Asyl bekamen, wurden uns die Leistungen wieder gestrichen, und man begann, uns unter Druck zu setzen, damit wir die Wohnung verlassen, die wir erst vor ein paar Monaten bekommen hatten. Wir sind sehr verängstigt, weil wir einerseits nirgendwo anders unterkommen können, andererseits haben wir gesehen, wie Freunde Räumungsbescheide erhalten haben und nun mit einem Gerichtsverfahren bedroht werden. Unsere Situation in Griechenland ist wieder einmal tragisch. Wieder haben wir kein Geld zum Essen. Woher können wir das Geld nehmen, um ein Haus für HELIOS zu mieten? Ich fahre in meinem Rollstuhl von einer Kirche zur anderen, von einer humanitären Organisation zur anderen, um Lebensmittel und Windeln zu sammeln.«
Eine fünfköpfige Familie aus Afghanistan zum Beispiel, der 2019 Asyl gewährt wurde, als sie im Hotspot Moria (Lesbos) lebte, wohnt seit anderthalb Jahren in Zelten und Behelfsunterkünften im Lager Elaionas. Vor kurzem zogen sie in einen Container, der von den früheren Bewohnern aufgegeben worden war: »In den ersten Monaten hier im Lager wurden wir mit einigen Lebensmitteln versorgt. Unsere Geldkarte wurde vor langer Zeit abgeschafft. Wir hatten uns für das HELIOS-Programm angemeldet, als wir noch in Moria waren, aber es hat sich nichts getan. Als wir hier in Elaionas erneut um eine Anmeldung baten, sagte man uns, es sei zu spät, uns zu registrieren. Mein Mann sammelt Kartons für fünf bis zehn Euro am Tag, damit wir uns etwas zu essen kaufen können. Manchmal sind wir hungrig, aber wir haben einfach nichts zu essen«, sagt die Mutter.
Schwangere und chronisch Kranke ohne Unterstützung
Wie 28 Organisationen der Zivilgesellschaft bereits Mitte Oktober in einer gemeinsamen Erklärung erklärt haben, erhalten 60 Prozent der Menschen, die in Lagern auf dem Festland leben, keine Lebensmittel. Darunter befinden sich schwangere Frauen, Alleinerziehende, Kinder, chronisch Kranke und Patienten mit besonderen medizinischen und ernährungsbedingten Bedürfnissen. In einigen Gebieten erhalten nach Angaben der Organisationen nicht einmal diejenigen Lebensmittel, die aufgrund von COVID-19 unter Quarantäne gestellt wurden.
In ihrer Antwort von Anfang Dezember auf ein gemeinsames Schreiben von Organisationen der Zivilgesellschaft betonte die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, unter anderem, dass sie die griechischen Behörden wiederholt auf die Unterbrechung der materiellen Leistungen angesprochen habe. Sie betonte auch die Notwendigkeit, nachhaltige Integrationssysteme einzuführen, die den anerkannten Flüchtlingen den Übergang zu einem unabhängigen Leben und den Zugang zu Sozialleistungen unter den gleichen Bedingungen wie griechischen Bürgern erleichtern.
In den letzten Wochen haben Solidaritätsinitiativen in den sozialen Medien Aufrufe gestartet, um lebensnotwendige Dinge für die betroffenen Menschen zu sammeln. Die gesammelten Artikel reichen jedoch nicht, um den Bedarf zu decken.
(wr)