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Ankommende aus der Türkei im Aufnahmezentrum Evros. Foto: UNHCR/Socrates Baltagiannis

Griechenlands Praxis, Asylanträge systematisch als unzulässig abzulehnen und Schutzsuchende auf die Türkei zu verweisen, verstößt eklatant gegen EU-Recht. Zu diesem Schluss kommen RSA und PRO ASYL in einer aktuellen Stellungnahme und fordern die EU-Kommission auf, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland einzuleiten.

Grie­chen­land hat in den letz­ten Jah­ren eine gan­ze Rei­he an Maß­nah­men ergrif­fen, um Schutz­su­chen­den den Zugang zu einem Asyl­ver­fah­ren mit inhalt­li­cher Prü­fung ihrer Flucht­grün­de zu ver­weh­ren. Grie­chi­sche Grenz­be­hör­den machen dabei auch nicht Halt vor dem sys­te­ma­ti­schen und immer bru­ta­le­ren Zurück­drän­gen von Schutz­su­chen­den in die Tür­kei und neh­men sogar Tote in Kauf.

Ein Groß­teil der Schutz­su­chen­den, die es den­noch nach Grie­chen­land schaf­fen, sehen sich mit dem recht­li­chen Kon­strukt des »siche­ren Dritt­staats« kon­fron­tiert. Das bedeu­tet, dass von grie­chi­schen Behör­den aus­schließ­lich geprüft wird, ob sie in der Tür­kei aus­rei­chend »sicher« waren. PRO ASYL und Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA) haben bereits mehr­fach dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Tür­kei für Schutz­su­chen­de alles ande­re als sicher ist.

EU-Kommission muss Einhaltung von EU-Recht in Griechenland gewährleisten

RSA ver­tritt in Grie­chen­land einen syri­schen Flücht­ling, der seit mehr als zwei­ein­halb Jah­ren in Grie­chen­land lebt und des­sen Asyl­an­trag wie­der­holt von den grie­chi­schen Behör­den als unzu­läs­sig abge­lehnt wur­de. In sei­nem Namen haben RSA und PRO ASYL Beschwer­de bei der EU-Kom­mis­si­on ein­ge­legt mit dem Ziel, dass die Kom­mis­si­on end­lich ein Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Grie­chen­land einleitet.

Zusätz­lich for­dern wir gemein­sam mit 25 ande­ren euro­päi­schen und grie­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen die zustän­di­ge EU-Kom­mis­sa­rin Ylva Johans­son in einem gemein­sa­men Brief  auf, wegen Ver­stö­ßen gegen die Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie ein Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Grie­chen­land einzuleiten.

Systematischer Ausschluss vom Asylverfahren

Das Kon­zept des »siche­ren Dritt­staats« kam seit dem EU-Tür­kei-Deal im März 2016 zunächst nur in den Hot­spots auf den ägäi­schen Inseln und in ers­ter Linie bei Asyl­an­trä­gen von syri­schen Schutz­su­chen­den zur Anwen­dung. Im ver­gan­ge­nen Som­mer ging die grie­chi­sche Regie­rung als will­fäh­ri­ger Tür­ste­her der EU noch einen Schritt wei­ter. Per Minis­te­ri­al­ent­schei­dung wur­de die Tür­kei pau­schal für alle schutz­su­chen­den Men­schen aus Afgha­ni­stan, Syri­en, Soma­lia, Paki­stan und Ban­gla­desch für sicher erklärt. Und zwar nicht nur für neu­an­kom­men­de Asyl­su­chen­de, son­dern rück­wir­kend für alle Men­schen aus die­sen Her­kunfts­län­dern, die in Grie­chen­land einen Asyl­an­trag gestellt haben.

Seit­dem bleibt dem Groß­teil der Schutz­su­chen­den in Grie­chen­land der Zugang zum Asyl­ver­fah­ren ver­wehrt. Asyl­an­trä­ge von Staats­an­ge­hö­ri­gen aus die­sen fünf Län­dern wer­den sys­te­ma­tisch als unzu­läs­sig abge­lehnt. Für die Schutz­su­chen­den hat das gra­vie­ren­de Fol­gen: Sie erhal­ten nicht den Schutz, der ihnen zusteht, statt­des­sen droht ihnen ein Leben auf dem Abstell­gleis und poten­ti­ell die Abschie­bung in die Tür­kei. Die Anzahl der Asyl­an­trä­ge, die von der grie­chi­schen Asyl­be­hör­de als unzu­läs­sig abge­lehnt wur­de, hat sich 2021 im Ver­gleich zum Vor­jahr ver­dop­pelt.

Abschie­bun­gen von Grie­chen­land in die Tür­kei gab es in den ver­gan­ge­nen Jah­ren den­noch ver­gleichs­wei­se weni­ge. Laut UNHCR-Sta­tis­ti­ken wur­den zwi­schen April 2016 und März 2020 auf Grund­la­ge des EU-Tür­kei-Deals 2.140 Men­schen von den grie­chi­schen Inseln in die Tür­kei abge­scho­ben.

Seit rund zwei Jah­ren wer­den von Grie­chen­land aus über­haupt kei­ne Abschie­bun­gen mehr in die Tür­kei durch­ge­führt. Bereits 2018 wur­de ein bila­te­ra­les Rück­über­nah­me­ab­kom­men zwi­schen Grie­chen­land und der Tür­kei von der tür­ki­schen Sei­te aus­ge­setzt (vgl. KOM 2021: Tur­key Report, S. 48). Im März 2020 setz­te die Tür­kei schließ­lich auch Abschie­bun­gen im Rah­men des EU-Tür­kei-Deals aus – offi­zi­ell unter Ver­weis auf die Covid-19-Pan­de­mie (ebd.).

Eklatanter Verstoß gegen europäisches Recht

Wenn eine Abschie­bung in den ver­meint­lich »siche­ren Dritt­staat« nicht mög­lich ist, ver­pflich­tet die euro­päi­sche Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie die Mit­glied­staa­ten in Arti­kel 38 Absatz 4, Zugang zum Asyl­ver­fah­ren zu gewäh­ren und eine inhalt­li­che Prü­fung im Hin­blick auf die Flucht­grün­de durch­zu­füh­ren. Grie­chen­land hat die­se Norm in natio­na­les Recht umge­setzt und öffent­lich längst aner­kannt, dass Abschie­bun­gen in die Tür­kei seit März 2020 nicht mehr mög­lich sind.

Den­noch lehnt die grie­chi­sche Asyl­be­hör­de wei­ter­hin Asyl­an­trä­ge von afgha­ni­schen, syri­schen, soma­li­schen, paki­sta­ni­schen und ban­gla­de­schi­schen Asyl­su­chen­den sys­te­ma­tisch als unzu­läs­sig ab. Und nicht nur das: Schutz­su­chen­de, deren Asyl­an­trag von der grie­chi­schen Asyl­be­hör­de als unzu­läs­sig abge­lehnt wur­de, wer­den von grie­chi­schen Behör­den regel­mä­ßig in Abschie­bungs­haft genom­men, obwohl voll­kom­men klar ist, dass eine Abschie­bung in die Tür­kei nicht mög­lich ist.

Mit die­ser Pra­xis ver­stößt Grie­chen­land sys­te­ma­tisch gegen EU-Recht. RSA und PRO ASYL haben die diver­sen Rechts­ver­let­zun­gen Grie­chen­lands in einer gemein­sa­men Stel­lung­nah­me  analysiert.

In den ver­gan­ge­nen Mona­ten sind bei der EU-Kom­mis­si­on meh­re­re Beschwer­den von betrof­fe­nen Asyl­su­chen­den sowie schrift­li­che Nach­fra­gen von Abge­ord­ne­ten des Euro­pa­par­la­ments ein­ge­gan­gen. Eine Ant­wort, wel­che kon­kre­ten Maß­nah­men sie ergrei­fen wird, um sicher­zu­stel­len, dass sich grie­chi­sche Behör­den an EU-Recht hal­ten, ist die Kom­mis­si­on bis heu­te schul­dig geblieben.

(am/ rsa)