Hintergrund
Asylrechtsverschärfungen: Soziale Entrechtung der Unerwünschten
Immer mehr Asylsuchenden wird vorab und pauschal unterstellt, sie hätten keine legitimen Asylgründe. Sie werden nicht nur im Asylverfahren abgelehnt, sondern immer stärker durch Sonderrecht diskriminiert und von sozialer Teilhabe ausgeschlossen.
Mitte 2015 hatte die Große Koalition in Berlin ihre asylpolitische Agenda aus dem Koalitionsvertrag weitgehend abgearbeitet. Doch dann setzte eine Welle von Asylrechtsverschärfungen ein, in der die Bundesregierung immer blindwütiger in die Rechte von Schutzsuchenden eingriff. Am 24. September 2015 kam es zu der Einigung auf dem Bund-Länder Flüchtlingsgipfel über das Asylpaket I. Nach nur einem Monat war das umfassende Gesetzespaket bereits verabschiedet – inklusive Zustimmung durch den Bundesrat. Allein das Verfahren vor der Länderkammer beträgt normalerweise mindestens sechs Wochen.
Der Druck zum schnellen Handeln wurde aufgrund der seit dem Spätsommer bekannt gewordenen Prognosen von einer Million Flüchtlingen für das Jahr 2015 erzeugt. Für die Länder standen die fiskalischen Interessen im Vordergrund: Sie drangen auf die überfällige Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Flüchtlingsaufnahme. Der Bund sicherte zu, ab 2016 für jeden Flüchtling eine Pauschale von 670 Euro pro Monat zu übernehmen. Die sinnvolle finanzielle Entlastung wurde flankiert durch einen Katalog an Verschärfungen.
Unter dem Deckmantel der angeblichen Verfahrensbeschleunigung wurden massive Eingriffe in die Rechte von Asylsuchenden beschlossen. Besonders hart sind Asylsuchende aus den so genannten sicheren Herkunftsländern betroffen. Dabei setzt der Gesetzgeber auf eine umfassende soziale Ausgrenzung, die die Betroffenen zum Verlassen des Landes bewegen soll.
Lagerunterbringung bis zur Abschiebung
Eine der Maßnahmen stellt die dauerhafte Lagerunterbringung dar. Während für alle Asylsuchenden die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen von maximal drei Monaten auf sechs Monate erhöht wurde, müssen Flüchtlinge aus „sicheren Herkunftsstaaten“ auch noch nach ihrer Ablehnung bis zur faktischen Ausreise oder Abschiebung in diesen Einrichtungen leben. Sie sollen kein Recht haben, jemals aus den Sammellagern ausziehen zu dürfen. Dies ist inhuman. Denn viele werden – trotz ihrer Ablehnung im Asylverfahren – in Deutschland bleiben. Wenn etwa Personen schwer erkrankt sind, dürfen sie nicht abgeschoben werden. Auch aus anderen humanitären Gründen kann es zu einer längerfristigen Duldung des Aufenthalts kommen. Ihre Lebensumstände sollen jedoch möglichst provisorisch bleiben. Dies stellt eine Form psychischer Zermürbungstaktik dar, die an den Menschen nicht spurlos vorübergehen wird.
Inhuman: Flüchtlinge aus „sicheren Herkunftsstaaten“ sollen kein Recht haben, jemals aus den Sammellagern ausziehen zu dürfen.
Eine Verfahrensbeschleunigung wird durch diese Rechtsänderungen allerdings nicht erreicht. Selbst die Einführung neuer „sicherer Herkunftsstaaten“ bringt laut Bundesregierung nur einen Zeitgewinn von 10 Minuten pro Fall. Für eine tatsächliche Beschleunigung von Asylverfahren wären eine sehr viel frühere Aufstockung von Personal und neue Strukturen im BAMF nötig gewesen. Über Jahre hatte die Bundesregierung die Forderung des BAMF nach mehr Stellen ignoriert und erst viel zu spät eine Erhöhung der Mittel für die oberste Asylbehörde beschlossen. Dass es im Jahr 2015 zu einem Rückstau von Hunderttausenden offenen Asylverfahren kam, ist also in erster Linie das Ergebnis einer schlechten Ressourcen-Planung.
Die lange Bearbeitungszeit der Asylverfahren ist besonders schlimm für die Flüchtlinge selbst. Sie warten Monate oder Jahre, bis sie endlich Gewissheit über ihre Zukunft haben und sich ein neues Leben in Deutschland aufbauen können.
Politik der fortgesetzten Desintegration
Für die Dauer des Verbleibs in Erstaufnahmeeinrichtungen wird die Residenzpflicht auf bis zu sechs Monate erhöht. Noch ein Jahr zuvor hatte man sich auf eine maximale Dauer der Residenzpflicht von drei Monaten geeinigt. Diese Verbesserung, die ab 1. Januar 2015 in Kraft war, war Teil des so genannten Kretschmann-Deals, mit dem die Zustimmung Baden-Württembergs und anderer grün mitregierter Länder im Bundesrat zur „Sicheren-Herkunftsländer-Regelung“ 2014 erstmals erkauft worden war.
Ganze zehn Monate hatte die liberalisierte Residenzpflicht-Regelung Bestand – ganz im Unterschied zur Liste der sicheren Herkunftsländer, die sich, seit die Politik sie als Steuerungsinstrument entdeckt hat, aus Sicht vieler Politiker offenbar beliebig verlängern lässt: Nach den Balkanstaaten sollen Marokko, Tunesien und Algerien hinzukommen – obwohl Todesstrafe, Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung von Homosexuellen und anderes in diesen Ländern durchaus Grund genug zur Flucht bieten. Doch im Bestreben, die Flüchtlingszahl zu drücken, sinkt die Schamgrenze. Weitere Absurditäten sind nicht ausgeschlossen, brachte doch Sigmar Gabriel schon die Türkei als „sicheres Herkunftsland“ in die Debatte und die CSU gleich eine ganze Reihe weiterer, alles andere als friedvoller, demokratischer Staaten. Mit der Frage von Verfolgungsfreiheit hat die Liste wenig zu tun, dafür umso mehr mit kalter Abschreckungslogik.
Wiederkehr der Sachleistungen?
Während der Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung können nun zu 100 Prozent Sachleistungen gewährt werden. Das heißt, dass auch der Betrag, der bislang zur Deckung persönlicher Bedürfnisse vorgesehen war, nicht mehr in bar ausgezahlt wird. Auf diesen bürokratischen Irrsinn hatte vor allem Bayern gedrungen. Einzelne Busfahrkarten oder Telefonkarten auszuhändigen, vergrößert den Aufwand für die Behördenmitarbeiter vor Ort. Während die bayerische Landesregierung diese Schikane nutzen will, um abschreckende Signale zu setzen, haben andere Landesregierungen – wie Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Bremen und Schleswig-Holstein – dies bereits als zu bürokratisch abgelehnt. Wie in früheren Jahren droht ein bundesweiter Flickenteppich im sozialrechtlichen Umgang mit Asylsuchenden.
Während der Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung gilt ein absolutes Arbeitsverbot.
Hinzu kommt: Während der Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung gilt ein absolutes Arbeitsverbot. Da die Menschen aus den so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ auch nach Ablauf von sechs Monaten nicht aus der Erstaufnahme herauskommen, dürfen sie folglich dauerhaft nicht arbeiten – selbst dann nicht, wenn sie als Geduldete in Deutschland bleiben werden. Dies zwingt die Betroffenen, dauerhaft in Abhängigkeit und Armut zu leben.
Das Sozialrecht darf nicht zur Abschreckung dienen
Die Große Koalition verfolgt eine Politik der gezielten Desintegration. Ausgrenzung und Verelendung sind Teil einer Abschreckungspolitik, damit die Betroffenen das Land verlassen. Dies ist zynisch. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Grundsatzurteil zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) 2012 klargestellt, dass das Sozialrecht nicht zur Abschreckung missbraucht werden darf. Ein Verfassungsrichter fragte während der mündlichen Verhandlung die Bundesregierung empört, was diese sich denken würde: „Ein bisschen hungern und dann gehen die wieder?“.
Die Menschenwürde gilt nach dem Grundgesetz für alle Menschen – und sie ist nicht relativierbar!
Marei Pelzer
(Dieser Beitrag erschien im Juni 2016 im Heft zum Tag des Flüchtlings 2016.)