27.11.2015
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Familiennachzug auf die lange Bank geschoben: Die neuen Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Foto: Flickr / Caruso Pinguin

Schnellverfahren in besonderen Aufnahmezentren, erschwerte Familienzusammenführung für subsidiär Geschützte, Abschiebung von Traumatisierten und Erkrankten: Das Asylpaket, das Mitte Dezember im Eiltempo durchgewunken werden soll, bedeutet weitere massive Einschnitte in die Rechte der Flüchtlinge.

Was die Gro­ße Koali­ti­on am 5. Novem­ber 2015 beschlos­sen hat­te, soll jetzt in ein Gesetz umge­münzt wer­den, das soge­nann­te Gesetz zu beschleu­nig­ten Asyl­ver­fah­ren. Was das Gesetz aller­dings beschleu­nigt, ist die Aus­höh­lung von Men­schen­rech­ten und rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en. Der über­ar­bei­te­te Refe­ren­ten­ent­wurf vom 19. Novem­ber liest sich wie ein Sam­mel­su­ri­um an Abschreckungsmaßnahmen.

Asy­l­ent­scheid in nur einer Woche

Statt fai­rer Asyl­ver­fah­ren dro­hen vie­len Schutz­su­chen­den künf­tig Schnell­ver­fah­ren in beson­de­ren Auf­nah­me­zen­tren (BAE). Zwei sol­cher Auf­nah­me­zen­tren, im baye­ri­schen Man­ching und Bam­berg, sind bis­lang eigens für Bal­kan-Flücht­lin­ge in Betrieb: Asyl­ge­su­che wer­den dort inner­halb weni­ger Tage in einem Schnell­ver­fah­ren abge­fer­tigt, ein Schutz­an­spruch auf­grund des Her­kunfts­lan­des vor­ab pau­schal ange­zwei­felt.  Nach einem ähn­li­chen Vor­bild sol­len drei wei­te­re Zen­tren ent­ste­hen, die künf­tig aber eine weit­aus grö­ße­re Grup­pe an Schutz­su­chen­den abwi­ckeln sol­len. Über ihr Asyl­ge­such ent­schei­det das BAMF in nur einer Woche. Für Trau­ma­ti­sier­te ist dies bei­spiels­wei­se viel zu kurz. Sie benö­ti­gen viel mehr Zeit als eine Woche um sta­bil genug für eine Anhö­rung zu sein.

Asyl­ver­fah­ren ohne Beratung

Recht­lich bera­ten wer­den Asyl­su­chen­de vor ihrer Anhö­rung nicht, in den Auf­nah­me­zen­tren ist kei­ne kos­ten­lo­se Rechts­be­ra­tung vor­ge­se­hen. Das steht ihnen aber zu: Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat in sei­nem Urteil zum Flug­ha­fen­ver­fah­ren von 1996 klar­ge­stellt, dass die Schutz­su­chen­den bei beschleu­nig­ten Son­der­ver­fah­ren Anspruch auf eine kos­ten­lo­se asyl­recht­li­che Bera­tung und gege­be­nen­falls anwalt­li­che Unter­stüt­zung haben müs­sen. Es ist voll­kom­men unklar, wie die­se Bera­tung in den BAE fern­ab der Städ­te und Bal­lungs­zen­tren gewähr­leis­tet wer­den soll. Da die Antrag­stel­le­rIn­nen in die­ser Zeit zusätz­lich anstel­le von Geld- nur Sach­leis­tun­gen bezie­hen, kön­nen sie die Kos­ten für einen Anwalt gar nicht tragen.

Vie­le Flücht­lin­ge poten­ti­ell betroffen

Die Kri­te­ri­en, wer das Schnell­ver­fah­ren in den BAE durch­lau­fen muss, sind nach dem geplan­ten neu­en §30a AsylG breit gefä­chert. Sie kön­nen so ange­legt wer­den, dass sie nahe­zu jeden Flücht­ling betref­fen. Bei­spiel Rei­se­do­ku­men­te: Wer mut­wil­lig sei­nen Pass besei­tigt oder dies von den Behör­den unter­stellt bekommt, muss ins Schnell­ver­fah­ren. Igno­riert wird, dass der über­wie­gen­de Teil der Schutz­su­chen­den schlicht gezwun­gen ist, ohne Rei­se­do­ku­men­te nach Deutsch­land zu kom­men, weil ihnen die Ver­fol­ger­staa­ten kei­ne Doku­men­te ausstellen.

Stren­ge Resi­denz­pflicht und Aus­set­zung des Asylverfahrens

Auch Fol­ge­an­trä­ge sol­len im Schnell­ver­fah­ren abge­wi­ckelt wer­den. In der Pra­xis kann dies Men­schen tref­fen, die nach jah­re­lan­ger Inte­gra­ti­on in Deutsch­land in die Auf­nah­me­zen­tren ver­bracht wer­den um dort erneut einen Asyl­an­trag zu stel­len, weil sich die Situa­ti­on in ihren Her­kunfts­län­dern ver­än­dert hat. Der Auf­ent­halt in die­sen Zen­tren ist wäh­rend des Schnell­ver­fah­rens Pflicht. Wer in die­ser Zeit bei­spiels­wei­se sei­ne Freun­de oder Bekann­te in der nächs­ten Ort­schaft besucht, ris­kiert die Ein­stel­lung sei­nes Asyl­ver­fah­rens. Eine völ­lig unver­hält­nis­mä­ßi­ge Sank­ti­on. Schafft der Betrof­fe­ne es nicht, die Wie­der­ein­set­zung in den vori­gen Stand zu bean­tra­gen – weil er bei­spiels­wei­se kei­ne Bera­tung erhält – droht im schlimms­ten Fal­le die Abschie­bung in den Verfolgerstaat.

The­ra­pien im Ziel­land oft unerreichbar

Der neue Gesetz­ent­wurf regelt auch Abschie­bun­gen bei Krank­heits­fäl­len. Nur wenn der Betrof­fe­ne lebens­ge­fähr­lich oder schwer­wie­gend erkrankt ist, ist sei­ne Abschie­bung nicht erlaubt. Bei Post­trau­ma­ti­scher Belas­tungs­stö­rung (PTBS) soll laut Geset­zes­be­grün­dung künf­tig auch dann abge­scho­ben wer­den, wenn bei­spiels­wei­se eine „medi­ka­men­tö­se Behand­lung“ mög­lich ist. Dass PTBS eine schwer­wie­gen­de Krank­heit ist, bei der eine rein medi­ka­men­tö­se Behand­lung gar nicht vor­ge­se­hen ist, wird ver­kannt. Gene­rell – also bei allen denk­ba­ren Krank­hei­ten – soll künf­tig auch dann abge­scho­ben wer­den, wenn eine The­ra­pie im Ziel­staat der Abschie­bung exis­tiert, unge­ach­tet der Fra­ge, ob sie für den Betrof­fe­nen erreich­bar ist. Laut Gesetz­ent­wurf lie­ge eine „aus­rei­chen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung“ auch dann vor, „wenn die­se in einem Teil des Ziel­staats gewähr­leis­tet ist“ (§ 60 Abs. 7 Auf­enthG). Abge­scho­be­ne Flücht­lin­ge wer­den jedoch oft nur mit wenig Geld in ihr Her­kunfts­land ver­bracht, die Mög­lich­keit in einen ande­ren Teil des Lan­des zu rei­sen, um medi­zi­ni­sche Behand­lun­gen in Anspruch zu neh­men, sind finan­zi­ell und prak­tisch nicht möglich.

Miss­trau­ens­kul­tur gegen­über Ärzten

Nicht nur die Behand­lungs­mög­lich­keit von Krank­hei­ten im Her­kunfts­land kann jedoch gegen eine Abschie­bung spre­chen. Es gilt: Wird durch die Abschie­bung selbst der Betrof­fe­ne in  sei­ner Gesund­heit schwer­wie­gend gefähr­det, darf die­se nicht voll­zo­gen wer­den. In die­sen Fäl­len sieht der Gesetz­ent­wurf eben­falls eine här­te­re Gang­art vor. Den Betrof­fe­nen soll künf­tig die vol­le Beweis­last tref­fen. Laut Gesetz gilt dem­nach die Ver­mu­tung, dass er gesund ist. Dann muss der Betrof­fe­ne mit detail­lier­ten Attes­ten nach­wei­sen, war­um eine Erkran­kung gegen die Abschie­bung spricht. Reicht er das Attest nicht unver­züg­lich ein, bleibt die­ses unbe­rück­sich­tigt. Im Klar­text heißt dies: Im Zwei­fel wird abge­scho­ben. Ins­be­son­de­re trau­ma­ti­sier­te Men­schen wird die­se Vor­ge­hens­wei­se gefähr­den. Das von Aus­län­der­be­hör­den gesä­te Miss­trau­en gegen auf post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen spe­zia­li­sier­te Ärz­te wird so ins Gesetz geschrie­ben. Der Gesetz­ge­ber spielt mit dem Leben der Betroffenen.

Fami­li­en­tren­nung auf Jahre

Das zwei­te Asyl­pa­ket trifft auch Fami­li­en von sub­si­di­är Geschütz­ten. Ihr Anspruch auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung wird für zwei Jah­re aus­ge­setzt. In der Pra­xis kön­nen Fami­li­en so auf bis zu vier bis fünf Jah­re aus­ein­an­der­ge­ris­sen wer­den. Bis zum posi­ti­ven Asy­l­ent­scheid kann bei­spiels­wei­se ein Jahr ver­ge­hen. Dar­auf folgt die zwei­jäh­ri­ge Sperr­frist. Bis die Ange­hö­ri­gen einen Ter­min in der deut­schen Bot­schaft bekom­men, kann es eben­falls bis zu einem Jahr dau­ern. Im Anschluss wer­den die Rei­se­do­ku­men­te meh­re­re Mona­te lang geprüft. In die­ser Zeit sind Fami­li­en von sub­si­di­är Geschütz­ten wei­ter­hin Gefah­ren in den Ver­fol­ger­staa­ten aus­ge­setzt. Vie­le Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, auch Kin­der, wer­den die Lebens­ge­fahr der Flucht über die Ägä­is und die Bal­kan-Rou­te auf sich nehmen.

BAMF-Büro­kra­tie: Beschleu­nig­ter Kol­laps statt beschleu­nig­ter Ver­fah­ren  (07.12.15)

Zum geplan­ten Gesetz zur Ein­füh­rung beschleu­nig­ter Asyl­ver­fah­ren (26.11.15)

PRO ASYL zum neu­en Gesetz­ent­wurf des BMI (20.11.15)

Asyl­pa­ket II: Fron­tal­an­griff auf das indi­vi­du­el­le Asyl­recht (18.11.15)

Asyl­pa­ket I: Asyl­recht­li­che Ände­run­gen seit dem 23.10.2015 in Kraft (17.11.15)