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Obdachlose Flüchtlinge im Hotspot Moria, Lesbos. Foto: Salinia Stroux

Aus Deutschland abgeschobene afghanische Schutzsuchende sind oft erneut zur Flucht gezwungen. Mitarbeiter*innen von Refugee Support Aegean (RSA), Partnerorganisation von PRO ASYL in Griechenland, haben vier der abgeschobenen Flüchtlinge getroffen, die in den Flüchtlingslagern der Ägäis-Inseln und in Athen gestrandet sind.

Abschiebungen in den Bürgerkrieg

Über ein Jahr nach­dem der ers­te Abschie­be­flug von Deutsch­land aus nach Kabul star­te­te, wur­den am 23. Janu­ar 2018 erneut 19 Schutz­su­chen­de zwangs­wei­se nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben. Bis heu­te sind es ins­ge­samt 174 Per­so­nen, die in neun Char­ter-Flü­gen abge­scho­ben wur­den – trotz zuneh­men­der Anschlä­ge in dem seit Jahr­zehn­ten von gewalt­sa­men Kon­flik­ten und Krieg erschüt­ter­ten Land.

Zwi­schen Janu­ar und Ende Sep­tem­ber 2017 doku­men­tier­te die UN Unter­stüt­zungs­mis­si­on für Afgha­ni­stan (UNAMA) 2.640 zivi­le Opfer (sie­he auch hier und hier). Wäh­rend­des­sen warnt das Aus­wär­ti­ge Amt eige­ne Staatsbürger*innen wei­ter­hin vor Rei­sen nach Afgha­ni­stan auf­grund der deso­la­ten Sicher­heits­la­ge und der fort­be­stehen­den Gefah­ren. Deutsch­land ist einer von elf euro­päi­schen Staa­ten, die der­zeit kol­lek­ti­ve Char­ter-Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan durch­füh­ren oder planen.

Der ers­te Char­ter-Flug nach Kabul star­te­te im Dezem­ber 2016 von Deutsch­land aus – zwei Mona­te nach Ver­ab­schie­dung des „Joint Way For­ward“, einer poli­ti­schen Ver­ein­ba­rung zwi­schen der EU und Afgha­ni­stan zur for­cier­ten Abschie­bung afgha­ni­scher Schutz­su­chen­der aus Euro­pa. Am sel­ben Tag, an dem die Ver­ein­ba­rung unter­zeich­net wur­de, schlos­sen auch Deutsch­land und Afgha­ni­stan ein bila­te­ra­les Rück­füh­rungs­ab­kom­men ab. Nach einem Bom­ben­an­schlag nahe der deut­schen Bot­schaft in Kabul im Mai 2017 wur­den Abschie­bun­gen kurz­fris­tig aus­ge­setzt, aller­dings im Okto­ber bereits wie­der aufgenommen.

Auch um Akzep­tanz in der deut­schen Öffent­lich­keit für die Afgha­ni­stan-Abschie­bun­gen zu schaf­fen, ver­wies die Bun­des­re­gie­rung von Anfang an auf äußerst vage Kate­go­rien: Die meis­ten Abge­scho­be­nen sei­en „Kri­mi­nel­le“, Per­so­nen, die als „Gefähr­der“ eine Bedro­hung dar­stell­ten oder nicht bei der Fest­stel­lung ihrer Iden­ti­tät und der Beschaf­fung von Doku­men­ten koope­rier­ten. Man wer­de im Ein­zel­fall prü­fen, ob eine Abschie­bung vor­ge­nom­men wer­den könne.

Kaum abgeschoben, wieder auf der Flucht 

Vie­le Abge­scho­be­ne machen sich ver­zwei­felt erneut auf den Weg nach Euro­pa, um der Bedro­hungs­si­tua­ti­on in Afgha­ni­stan zu ent­kom­men und Schutz zu suchen. Vier jun­ge Män­ner, die erneut unter Lebens­ge­fahr nach Euro­pa gelang­ten, berich­ten über ihre schreck­li­chen Erfah­run­gen wäh­rend der Abschie­bung aus Deutsch­land, auf der erneu­ten Flucht aus Afgha­ni­stan und über die inhu­ma­nen Lebens­be­din­gun­gen, unter denen sie aktu­ell in Grie­chen­land fest­sit­zen.[1] Kei­ner von ihnen war in Deutsch­land straf­recht­lich belangt wor­den, alle vier waren hier ange­kom­men und gut integriert.

»Ich war nicht von staat­li­cher Unter­stüt­zung abhän­gig. Ich hat­te ein fes­tes Ein­kom­men. Ich weiß nicht, war­um ich abge­scho­ben wurde.«

Hassan Jan, 29-jäh­ri­ger afgha­ni­scher Flücht­ling, beschreibt sein Leben vor der Abschiebung

Hassan Jan* (29), Mos­ta­fa* (24), Ali Moham­mad* (27) und Jafar* (25) haben vie­le Din­ge gemein.[2] Wir tra­fen sie im August und Okto­ber 2017 in Athen und auf einer Ägä­is-Insel. Wäh­rend wir über ihre Erleb­nis­se der letz­ten Mona­te spre­chen wir­ken sie müde, was sie erzäh­len ist ihnen unan­ge­nehm. Ihr größ­ter Wunsch ist die Rück­kehr nach Deutsch­land und dort eine zwei­te Chan­ce zu bekom­men um zu blei­ben – die­ses Mal eine ech­te Chance.

Deutschland: Abschiebung im Morgengrauen

Die vier jun­gen Män­ner waren aus Afgha­ni­stan geflo­hen, als sie noch sehr jung waren. Sie bean­trag­ten Asyl in Deutsch­land, jedoch ohne einen siche­ren Sta­tus und damit eine Blei­be­per­spek­ti­ve zu erhal­ten. Trotz des pre­kä­ren Sta­tus einer Dul­dung gelang es ihnen, in Deutsch­land Fuß zu fas­sen. Sie lern­ten Deutsch. Drei von ihnen gin­gen zur Schu­le. Wäh­rend einer wei­ter dem Bil­dungs­weg folg­te, fan­den die drei übri­gen einen Job und konn­ten so ihren Lebens­un­ter­halt sichern – bis ihr Leben durch die Ableh­nung ihres Asyl­an­trags eine dra­ma­ti­sche Wen­dung nahm.

„Sie gaben mir nur zehn Minu­ten Zeit, ich konn­te nur die Klei­der mit­neh­men, die ich anhat­te. Vor lau­ter Auf­re­gung ver­gaß ich, mein Schul­zeug­nis ein­zu­pa­cken. Dann war ich auf ein­mal in Kabul, nach sechs Jah­ren in Deutsch­land. Was ich dort sah, war für mich sehr schwie­rig. In den ers­ten Tagen hat­te ich zu viel Angst, um raus zu gehen.“

(Ali Moham­mad, 27-jäh­ri­ger afgha­ni­scher Flücht­ling, erin­nert sich an den Alp­traum sei­ner Abschiebung)

Drei von ihnen ver­lo­ren auf­grund der Dul­dung ihre Arbeits­be­wil­li­gung, alle waren von nun an per­ma­nent von Abschie­bung bedroht. Mona­te­lang hat­ten sie Angst. Nach fünf bis sechs Jah­ren in Deutsch­land, berich­ten die vier jun­gen Män­ner, wie sie mit­ten in der Nacht von der Poli­zei fest­ge­nom­men und auf einen Char­ter-Flug nach Afgha­ni­stan ver­bracht wur­den. Sie waren auf den ers­ten drei Flü­gen, die von Deutsch­land aus in Rich­tung Kabul starteten.

Afghanistan: Zu gefährlich, um zu bleiben

Zurück in Kabul stan­den die Abge­scho­be­nen unter Schock. Nicht ein­mal ihre per­sön­li­chen Gegen­stän­de hat­ten sie in der Nacht- und Nebel­ak­ti­on mit­neh­men kön­nen. Drei von ihnen fan­den eine pro­vi­so­ri­sche Unter­kunft im Gäs­te­haus für Abge­scho­be­ne der Inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on (IOM), aber nur für drei Wochen. Vor lau­ter Angst vor Bedro­hun­gen und Ver­fol­gung ver­bar­gen sie ihre Iden­ti­tät. Durch die per­ma­nen­te Gefahr gewalt­sa­mer Anschlä­ge in der Haupt­stadt trau­ten sie sich nicht auf die Straße.

»Als ich in Afgha­ni­stan war, explo­dier­te drei Mal eine Bom­be in mei­ner unmit­tel­ba­ren Nähe…«

Mos­ta­fa, 24-jäh­ri­ger afgha­ni­scher Flücht­ling, beschreibt die Gefah­ren, mit denen er sich nach sei­ner Abschie­bung kon­fron­tiert sah.

Nach sechs wei­te­ren Wochen in einer Unter­kunft der Afgha­ni­stan Migrants Advice & Sup­port Orga­ni­sa­ti­on (AMASO)[3] waren die drei schließ­lich obdach­los. Ali Moham­mad wur­de mehr­mals von Frem­den auf der Stra­ße ange­hal­ten. Sie hat­ten ihn im Fern­se­hen gese­hen, als er am Flug­ha­fen in Kabul aus dem Abschie­be­flug­zeug gestie­gen war. Sie hät­ten Geld von ihm ver­langt und ihn als „Kefir“ (Athe­ist, Got­tes­läs­te­rer) beschimpft, berich­tet er. Mos­ta­fa wur­de bei­na­he Opfer eines Selbstmordanschlages.

Ein Freund, mit dem er unter­wegs war, erlitt dabei Ver­let­zun­gen und wur­de ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert. Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge in Afgha­ni­stan, ohne jeg­li­che Unter­stüt­zung oder Kon­tak­te war es ihnen allen unmög­lich eine Unter­kunft zu fin­den und ihr Über­le­ben zu sichern. Wäh­rend ihres Auf­ent­halts in Afgha­ni­stan leb­ten sie von dem weni­gen Geld, das sie aus Deutsch­land mit­ge­bracht hat­ten oder von Über­wei­sun­gen von Freund*innen aus Euro­pa. Das Land, aus dem sie geflo­hen waren, erkann­ten sie kaum wie­der und berei­te­ten die erneu­te Flucht nach Euro­pa vor – um end­lich Schutz zu finden.

Türkei: Flucht unter Lebensgefahr

Mos­ta­fa und Hassan Jan gelang­ten nur unter gro­ßer Gefahr erneut nach Euro­pa. An der tür­kisch-grie­chi­schen Gren­ze wur­den sie Opfer von völ­ker­rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sun­gen, soge­nann­ten Push Backs, und Inhaf­tie­rung. Mos­ta­fa wur­de erneut nach Afgha­ni­stan abgeschoben.

»Die grie­chi­schen Beam­ten ver­brach­ten uns in einen fens­ter­lo­sen Lie­fer­wa­gen und fuh­ren mich und ande­re Flücht­lin­ge, dar­un­ter Fami­li­en, an das Ufer des Evros-Flus­ses. Sie zwan­gen uns auf ein Boot. Sie lie­ßen uns auf einer klei­nen Insel mit­ten im Fluss zurück. Wir wur­den gezwun­gen, durch den Fluss bis an das tür­ki­sche Ufer zu laufen«

Hassan Jan beschreibt einen kol­lek­ti­ven Push Back aus Grie­chen­land im Juni 2017

Mos­ta­fa wur­de im August 2017 von der tür­ki­schen Poli­zei fest­ge­nom­men, als er eines Nachts ver­such­te, von der tür­ki­schen Küs­te aus auf die grie­chi­schen Inseln über­zu­set­zen.[4]

„Ich ver­brach­te 15 Tage in Cha­n­ak­ka­le in Haft. Sie nah­men die gan­ze Grup­pe fest, mit der ich unter­wegs war, und brach­ten uns in die Poli­zei­sta­ti­on. Sie durch­such­ten uns und sperr­ten uns in Zel­len. Erst nach einer Woche nah­men sie uns die Fin­ger­ab­drü­cke ab und stell­ten uns eini­ge Fra­gen. Ich berich­te­te von all mei­nen Pro­ble­men. Wie ich aus Deutsch­land abge­scho­ben wur­de und von der Gefahr, der ich in Afgha­ni­stan aus­ge­setzt bin. Sie leg­ten mir Hand­schel­len an und brach­ten mich zum afgha­ni­schen Kon­su­lat in Istan­bul. Dort wur­de mir unter­stellt, dass ich mich in Deutsch­land straf­bar gemacht hät­te, weil es in den Nach­rich­ten immer hieß, nur Kri­mi­nel­le wür­den abge­scho­ben. Dar­auf­hin wur­de ich zum zwei­ten Mal nach Afgha­ni­stan abgeschoben.“

Kaum zurück, floh Mos­ta­fa schon nach einem Tag wie­der in die Türkei.

Hassan Jan wur­de Opfer eines Push Backs an der tür­kisch-grie­chi­schen Land­gren­ze, als er im Juni 2017 ver­such­te nach Grie­chen­land zu gelan­gen. Es war nach sei­ner Abschie­bung nach Afgha­ni­stan sein ers­ter Ver­such Euro­pa zu erreichen.

„Kurz nach­dem er Grie­chen­land erreicht hat­te, wur­de er wäh­rend einer Poli­zei­kon­trol­le in einem Bus fest­ge­nom­men. „Ich wur­de mit­ge­nom­men und von der Poli­zei in einem gro­ßen Raum inhaf­tiert, in dem auch vie­le (ande­re) Men­schen unter­schied­li­cher Natio­na­li­tä­ten waren – Syrer*innen, Afghan*innen und ande­re. Sie unter­zo­gen uns einer Lei­bes­vi­si­ta­ti­on und nah­men uns allen die Mobil­te­le­fo­ne weg… Mir wur­den kei­ne Fin­ger­ab­drü­cke abge­nom­men und ich muss­te kein Doku­ment unter­zeich­nen… Sie [die grie­chi­schen Beam­ten] ver­brach­ten uns in einen fens­ter­lo­sen Lie­fer­wa­gen und fuh­ren mich und ande­re Flücht­lin­ge, dar­un­ter Fami­li­en, an das Ufer des Evros-Flus­ses. Sie zwan­gen uns auf ein Boot. Sie lie­ßen uns auf einer klei­nen Insel mit­ten im Fluss zurück. Wir wur­den gezwun­gen, durch den Fluss bis an das tür­ki­sche Ufer zu laufen…“

Hassan Jan kam schließ­lich weni­ge Tage spä­ter auf dem glei­chen Weg in Grie­chen­land an.

Griechenland: Gestrandet unter miserablen Bedingungen

Unter gro­ßen Schwie­rig­kei­ten gelang­ten die vier jun­gen Män­ner im Som­mer 2017 nach Grie­chen­land. Jetzt sit­zen sie dort unter ernied­ri­gen­den Bedin­gun­gen fest. Wie sie ihr Über­le­gen sichern sol­len, wis­sen sie nicht. Drei von ihnen ver­su­chen den Win­ter in Som­mer­zel­ten in einem der berüch­tig­ten Insel-Hot­spots zu über­ste­hen. Hassan Jan, der über die Land­gren­ze ein­ge­reist war, lebt obdach­los in Athen. Sie alle befin­den sich nun im grie­chi­schen Asyl­ver­fah­ren. Eine Schutz­per­spek­ti­ve haben sie damit nicht.

„… Alle hier kön­nen die­se Bedin­gun­gen nicht mehr ertra­gen und die Unsi­cher­heit, wie es für sie wei­ter­geht. Immer wie­der kommt es zu Hand­greif­lich­kei­ten und Kon­flik­ten. Im Dezem­ber 2017 wur­den unse­re Zel­te auf­grund von Unru­hen erneut zer­stört. Alle unse­re Sachen sind ver­lo­ren gegan­gen, wur­den gestoh­len oder zer­stört. Wir haben nichts mehr und müs­sen wie­der von Null beginnen.“

(Jafar beschreibt die unmensch­li­chen Bedin­gun­gen in einem der Flücht­lings­la­ger der Ägäis-Inseln)

Obwohl die grie­chi­sche Regie­rung bis­her kei­ne Abschie­bun­gen direkt nach Afgha­ni­stan durch­führt, wird auf eine Poli­tik der Abschre­ckung gesetzt. Seit dem Inkraft­tre­ten des EU-Tür­kei Deals im März 2016 bis Ende Janu­ar 2018 kehr­ten 1.516 Afgha­nen[5] aus ganz Grie­chen­land „frei­wil­lig“ nach Hau­se zurück.

Im glei­chen Zeit­raum wur­den ins­ge­samt 88 afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de von den ägäi­schen Inseln in die Tür­kei abge­scho­ben – ent­we­der weil sie kein Asyl bean­tragt, ihren Antrag zurück­zo­gen hat­ten oder weil ihr Asyl­an­trag abge­lehnt wor­den war.

Vie­le wei­te­re wur­den bereits vor dem Grenz­über­tritt nach Grie­chen­land gestoppt: Sie wur­den an der grie­chisch-tür­ki­schen Land­gren­ze fest­ge­nom­men, zurück­ge­scho­ben oder von tür­ki­schen Beam­ten am Grenz­über­tritt gehin­dert. Es ist unklar, wie vie­le es nicht ein­mal ver­such­ten, euro­päi­schen Boden zu errei­chen. Aus Furcht fest­ge­nom­men und unter ernied­ri­gen­den Bedin­gun­gen für eine unbe­stimm­te Zeit auf den Inseln fest­ge­hal­ten zu werden.

Im Dezem­ber 2017 eröff­ne­te die afgha­ni­sche Regie­rung eine Bot­schaft in Grie­chen­land. Damit könn­ten nicht nur büro­kra­ti­sche Ver­fah­ren für afgha­ni­sche Flücht­lin­ge in Grie­chen­land erleich­tert, son­dern gleich­zei­tig zwangs­wei­se Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan mög­lich werden.

„Ich fühl­te mich in Deutsch­land zu Hau­se und sicher“, sagt Mos­ta­fa – trotz all der belas­ten­den und schwie­ri­gen Momen­te, die er durch­ma­chen muss­te. Zur­zeit ist er froh, dass er flie­hen und der Ver­fol­gung in Afgha­ni­stan ent­kom­men konnte.

Doch je län­ger er in Grie­chen­land bleibt, umso ver­un­si­cher­ter ist er: Was soll er tun, wo kann er hin­ge­hen, um wirk­lich sicher zu sein? „Ich habe Angst hier­zu­blei­ben. Hier fin­de ich kei­nen Schutz. Alles kann mir hier pas­sie­ren. Ich habe Angst, in die Tür­kei zurück­ge­schickt oder sogar nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben zu wer­den“, sagt er.

Die vier Geschichten

Hassan Jan ist im Alter von Anfang 20 aus Afgha­ni­stan nach Deutsch­land geflo­hen, nach­dem er mit dem Tod bedroht wor­den war. Zunächst floh sein Vater aus Afgha­ni­stan, nach­dem er eini­gen Muj­ja­hed­din die Koope­ra­ti­on ver­wei­gert hat­te und ihnen kei­ne Infor­ma­ti­on über sei­ne aus­län­di­schen Kun­den geben woll­te. Hassan Jan wur­de gezwun­gen, die Schu­le zu ver­las­sen, um zu arbei­ten und die Fami­lie schon in sei­nem jun­gen Alter zu ver­sor­gen. Als er spä­ter den Laden sei­nes Vaters über­nahm, sah er sich bald den glei­chen Gefah­ren ausgesetzt.

Er war Anfang 20, als er in Deutsch­land ankam. Fünf Jah­re lang leb­te er in Deutsch­land, arbei­te­te und hat­te eine eige­ne Woh­nung. Nach­dem sein Asyl­an­trag zum zwei­ten Mal abge­lehnt wur­de, erhielt er eine Dul­dung und blieb wei­te­re acht Mona­te. Sein Anwalt beru­hig­te ihn: Da er kei­nen afgha­ni­schen Pass habe, kön­ne er auch nicht zwangs­wei­se nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wer­den. Trotz­dem wur­de er plötz­lich fest­ge­nom­men, für drei Tage inhaf­tiert und anschlie­ßend abge­scho­ben. „Ich war nicht von staat­li­cher Unter­stüt­zung abhän­gig. Ich hat­te ein fes­tes Ein­kom­men. Ich weiß nicht, war­um ich abge­scho­ben wurde.“

Zurück in Kabul stand Hassan Jan unter Schock. „Ich habe es dort nicht aus­ge­hal­ten. Nach sechs Tagen in Kabul bin ich wie­der nach Euro­pa auf­ge­bro­chen. In Kabul habe ich gese­hen, wie sich die Men­schen ver­än­dert haben. Sie schie­nen zu mer­ken, dass ich aus Euro­pa kam. Frem­de nann­ten mich ´Kefir´. Sogar mein Onkel ist inzwi­schen aus Afgha­ni­stan geflo­hen, weil er Angst um sein Leben hatte.“

Hassan Jan kam Anfang Juni 2017 nach einem zwei­ten Ver­such schließ­lich in Grie­chen­land an. Beim ers­ten Mal war er durch grie­chi­sche Beam­te ille­gal in die Tür­kei zurück­ge­wie­sen wor­den, berich­tet er. Seit er in Grie­chen­land ist, kämpft er um sein Über­le­ben. „Ich habe zwei­mal ver­sucht, nach Grie­chen­land zu gelan­gen. Ich habe die Land­gren­ze über­quert und bin nach Athen gegan­gen. Ich hat­te kein Geld mehr und muss­te auf der Stra­ße leben. Manch­mal haben mich ande­re Afgha­nen für eine Nacht bei sich auf­ge­nom­men. Hin und wie­der habe ich drau­ßen geschla­fen. Manch­mal hat­te ich zu essen, manch­mal nicht. Gera­de habe ich wie­der einen Unter­schlupf für ein paar Tage gefun­den, aber ich weiß nicht, wann sie mich raus­schmei­ßen wer­den. Mein Über­le­ben hängt von der Soli­da­ri­tät und Hil­fe ande­rer ab. Ich habe einen Asyl­an­trag gestellt. Mei­ne Anhö­rung im Asyl­ver­fah­ren wur­de ver­scho­ben, da die grie­chi­schen Behör­den zuerst ein Über­nah­me­ersu­chen an Deutsch­land schi­cken woll­ten, um die Zustän­dig­keit für mein Asyl­ver­fah­ren zu klä­ren. Ich habe sol­che Angst, nach Afgha­ni­stan zurück zu müs­sen. Ich kann nicht zurück. Ich habe ver­sucht, einen Platz in einem Camp oder einer Woh­nung zu bekom­men, aber alle Orga­ni­sa­tio­nen haben mir gesagt, ich müss­te war­ten. Auch die Cash-Kar­te bekom­me ich nicht, weil ich kei­nen fes­ten Wohn­ort habe. Und ich habe kein Geld. Zur­zeit habe ich gar nichts.“

Mos­ta­fa kommt aus dem Nor­den Afgha­ni­stans. Er ist auf einem Auge fast blind. Er erin­ne­re sich nicht dar­an, wie das pas­siert sei. Nur, dass er als Teen­ager auf ein­mal fest­stell­te, ein Pro­blem mit sei­nem Seh­ver­mö­gen zu haben. „Ich war 17 Jah­re alt, als ich aus Afgha­ni­stan geflo­hen bin. Als ich ein Kind war, wur­de ich von den Ver­wand­ten, bei denen ich auf­ge­wach­sen bin, miss­han­delt und gezwun­gen meh­re­re Stun­den am Tag zu arbei­ten, ohne dafür Geld zu bekom­men. Sie schlu­gen mich mit allem, was sie zur Hand hat­ten. Auf­grund der Miss­hand­lung mit einem Holz­knüp­pel habe ich immer noch Nar­ben am Kopf. Seit­her kann ich mei­nen Arm nicht mehr ganz aus­stre­cken. Ich habe Pro­ble­me mich zu kon­zen­trie­ren und kann mei­ne Gefüh­le nicht kon­trol­lie­ren. Wenn ich gestresst und ange­spannt bin, fan­ge ich an zu zittern.“

In Deutsch­land arbei­te­te er als Koch. In den letz­ten zwei Mona­ten vor sei­ner Abschie­bung hat­te er ledig­lich eine Dul­dung, weil sein Asyl­an­trag in bei­den Instan­zen abge­lehnt wor­den war. „Ich habe sechs Jah­re in Deutsch­land gelebt und dort vier Jah­re lang unun­ter­bro­chen gear­bei­tet. Ich habe 50 Lohn­ab­rech­nun­gen. Ich kann sie euch zei­gen. Nur wäh­rend der letz­ten zwei Mona­te war ich arbeits­los, weil mit mei­nem Sta­tus eine wei­te­re Beschäf­ti­gung nicht mög­lich war.“

In Afgha­ni­stan sei er nicht sicher, berich­tet Mos­ta­fa, weil er sich von sei­nem Glau­ben distan­ziert habe. Außer­dem habe er weder Ver­wand­te noch Freun­de in Afgha­ni­stan und kön­ne nir­gend­wo hin. „Als ich zurück in Afgha­ni­stan war, explo­dier­te drei­mal eine Bom­be in mei­ner unmit­tel­ba­ren Nähe. Das ers­te Mal töte­te ein Selbst­mord­at­ten­tä­ter dut­zen­de Men­schen. Wir woll­ten gera­de irgend­wo Geld abho­len als wir die Explo­si­on hör­ten. In der Panik ver­lo­ren wir unse­ren Freund A. aus den Augen, der mit uns abge­scho­ben wor­den war und mit dem wir unter­wegs waren. Spä­ter erfuh­ren wir, dass er ver­letzt ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert wor­den war. Das war am 7. Febru­ar 2017.

Im Fern­se­hen wur­de wöchent­lich von drei bis vier Anschlä­gen berich­tet. Ich erfuhr von Freun­den, dass eine Per­son, die mit uns abge­scho­ben wor­den war, von den Tali­ban ent­führt und getö­tet wor­den sei. Von den 35 Per­so­nen, die abge­scho­ben wur­den in unse­rem Flug­zeug, haben nur sie­ben bis acht von uns für eini­ge Zeit Auf­nah­me in einer Unter­kunft für Abge­scho­be­ne gefun­den. Ich hat­te zu Beginn Glück, dass ich dadurch ein biss­chen siche­rer war. Sobald ich kei­nen Ort mehr zum Blei­ben hat­te, muss­te ich zum zwei­ten Mal aus Afgha­ni­stan fliehen.“

Mos­ta­fa lei­det unter Depres­sio­nen. Er lei­det unter Sym­pto­men wie Schlaf­stö­run­gen, zit­tern­den Hän­den, davon, Din­ge zu ver­ges­sen und von plötz­li­chen Schwin­del­an­fäl­len. Es wur­den auch neu­ro­lo­gi­sche Pro­ble­me dia­gnos­ti­ziert. Wenn er über die Zeit in Grie­chen­land spricht, seufzt er tief: „Als ich in Grie­chen­land ankam und erzähl­te, dass ich aus Deutsch­land abge­scho­ben wor­den sei, sag­ten sie mir zunächst, ich kön­ne kei­nen Asyl­an­trag stel­len. Aber ich erklär­te ihnen, dass mein Leben in Gefahr sei in mei­nem Her­kunfts­land.“ Die Regis­trie­rung sei­nes Asyl­an­tra­ges muss­te aller­dings ver­scho­ben wer­den, da an dem Ter­min Unru­hen und Kon­flik­te unter den Flücht­lin­gen aus­ge­bro­chen waren und das Asyl­bü­ro vor­über­ge­hend geschlos­sen wur­de. Er erhielt einen Ter­min für Ende Janu­ar 2018. „Stän­dig drän­gen sich die Mas­sen an die Zäu­ne des Asyl­bü­ros im Lager. Die Beam­ten sagen allen ´mor­gen, mor­gen!´ – Tag für Tag. Häu­fig lie­ßen sie Fami­li­en rein, aber kei­ne allein­ste­hen­den Män­ner. Jetzt habe ich end­lich einen neu­en Ter­min bekom­men, um mei­nen Asyl­an­trag zu stellen.“

Ali Moham­mad ist Haza­ra aus Afgha­ni­stan. Als er sechs Jah­re alt war, floh er mit sei­ner Fami­lie in den Iran. Die Lebens­be­din­gun­gen waren hart, wes­halb die Fami­lie schließ­lich zurück­kehr­te nach Afgha­ni­stan, in der Hoff­nung dort ein neu­es Leben zu begin­nen. Als sie zu ihrem Haus und ihrem Feld kamen, erfuh­ren sie, dass ande­re Men­schen dort ein­ge­zo­gen waren. Schein­bar han­del­te es sich um Unter­stüt­zer der loka­len Taliban.

„Sie grif­fen uns an und ver­such­ten, mei­nen Vater umzu­brin­gen. Wir ver­such­ten einen ande­ren Wohn­ort zu fin­den, aber mei­ne Eltern konn­ten die Mie­te nicht bezah­len und hat­ten Angst, Pro­ble­me mit den Tali­ban zu bekom­men. Wir kehr­ten also nach Tehe­ran in den Iran zurück. Wir hat­ten das weni­ge ver­lo­ren, was uns geblie­ben war. Ich arbei­te­te wie­der als Metall­ar­bei­ter, litt täg­lich unter Dis­kri­mi­nie­rung und war dau­ernd von der Abschie­bung nach Afgha­ni­stan bedroht. In der Zwi­schen­zeit wur­de mein Cou­sin in Afgha­ni­stan getö­tet. Es ist zu gefähr­lich dort. Mei­ne gan­ze Fami­lie ist geflüch­tet. Ich habe nie­man­den mehr in Afgha­ni­stan. Ich ken­ne das Land noch nicht ein­mal. Ich kann nir­gend­wo hin­ge­hen und auch im Iran habe ich kei­ne Papiere.“

In Deutsch­land leb­te Ali Moham­mad in einer Klein­stadt. Ein Leben, das er nun ver­lo­ren hat. Doch auch in Deutsch­land hat er viel Schwie­ri­ges erlebt, erin­nert er sich. Fünf Jah­re lang leb­te Ali Moham­mad mit einer Dul­dung und hat­te stän­dig Angst, abge­scho­ben zu wer­den. Aus Ver­zweif­lung ver­letz­te er sich selbst lebens­ge­fähr­lich und muss­te ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert wer­den. „Ich konn­te wegen mei­nes unsi­che­ren Sta­tus kei­ne Arbeit fin­den. Ich hat­te mit der Schu­le ange­fan­gen und ein Prak­ti­kum begon­nen. Aber psy­chisch ging es mir so schlecht, dass ich nicht wei­ter­ma­chen konn­te. Ich habe mich die gan­ze Zeit über gefragt, war­um ich nicht arbei­ten darf, um mein eige­nes Geld zu ver­die­nen. Nach sechs Mona­ten habe ich mein Prak­ti­kum been­det. Ich habe nur noch geschla­fen und geges­sen, ich hat­te kei­ne Moti­va­ti­on mehr irgend­et­was zu tun. Es schien mir alles sinn­los. Ich habe jede Hoff­nung ver­lo­ren, es war wie ein Teufelskreis.“

Wider­wil­lig ver­sucht er sich an den Tag sei­ner Abschie­bung zu erin­nern: “Bei Tages­an­bruch stan­den plötz­lich Poli­zis­ten in mei­nem Zim­mer. Es war etwa vier Uhr. Sie gaben mir nur zehn Minu­ten Zeit, ich konn­te nur die Klei­der mit­neh­men, die ich an hat­te. Vor lau­ter Auf­re­gung ver­gaß ich, mein Schul­zeug­nis ein­zu­pa­cken. Dann war ich auf ein­mal in Kabul, nach sechs Jah­ren in Deutsch­land. Was ich dort sah, war für mich sehr schwie­rig. In den ers­ten Tagen hat­te ich zu viel Angst, um raus zu gehen. Man sag­te zu mir:´Hey, ich ken­ne euch, ich habe euch im Fern­se­hen gese­hen. Ihr seid aus Deutsch­land abge­scho­ben wor­den.´ Sie haben uns beläs­tigt und uns so behan­delt als wären wir reich. Als hät­ten wir Geld, nur weil wir aus Deutsch­land kamen. Ich trug die­sel­be Jacke und die­sel­ben Schu­he, die ich wäh­rend der Abschie­bung getra­gen hat­te und die im Fern­se­hen zu sehen waren als ich inter­viewt wur­de. Ich hat­te kei­ne ande­re Klei­dung, um mich umzu­zie­hen. Danach hat­te ich gro­ße Angst. Wir sind nicht mehr raus gegan­gen, nur wenn wir uns etwas zu essen holen mussten.“

Seit er auf der Ägä­is-Insel ange­kom­men ist, möch­te Ali Moham­mad sein Zelt nicht ver­las­sen. Die Ärz­te haben ihm Depres­sio­nen attes­tiert und ihn zur wei­te­ren Behand­lung an Ärz­te ohne Gren­zen (MSF) ver­wie­sen. Er berich­tet von Schlaf­lo­sig­keit, Angst­zu­stän­den und dass sei­ne Hand zit­te­re. „Wir alle haben erst Ende Novem­ber eine Cash-Card bekom­men, aber ohne Gut­ha­ben dar­auf. Wir haben also gar kein Geld. Sie haben uns ver­spro­chen, dass die Kar­ten kurz vor Weih­nach­ten auf­ge­la­den wer­den. Manch­mal bekom­men wir kein rich­ti­ges Essen. Wir stel­len uns lan­ge an und manch­mal ist das Essen unge­nieß­bar. Manch­mal schla­gen sich die Men­schen hier um das Essen.“

Ali Moham­mad scheint sich zu schä­men, über die Bedin­gun­gen im Camp zu spre­chen. „Wir leben alle in Som­mer­zel­ten, weil es kei­nen Platz gibt in den Con­tai­ner­un­ter­künf­ten oder den grö­ße­ren Zel­ten. Es ist kalt und nass. Manch­mal reg­net es zwei Tage lang unun­ter­bro­chen. Die Zel­te ste­hen auf Beton­bo­den. Wir haben Decken über die Zel­te gespannt, um die dün­nen Plas­tik­wän­de zu ver­stär­ken.“ Ali Moham­mad* konn­te sei­nen Asyl­an­trag erst Anfang Dezem­ber 2017 regis­trie­ren las­sen. Sei­ne Anhö­rung soll Ende Febru­ar 2018 stattfinden.

Jafar ist Haza­ra und arbei­te­te auf einer Farm bevor er als 17-Jäh­ri­ger zum ers­ten Mal aus Afgha­ni­stan flüch­te­te. Er habe sich damals in ein Mäd­chen ver­liebt. Doch sie konn­ten nicht hei­ra­ten, weil sie einem mäch­ti­gen Clan ange­hör­te. Die ver­bo­te­ne Lie­bes­be­zie­hung des unver­hei­ra­te­ten Paa­res habe zur Ermor­dung sei­nes Vaters geführt. Jafar muss­te flie­hen, als er noch min­der­jäh­rig war.

Die letz­ten Jah­re ver­brach­te er mit einer Dul­dung in Deutsch­land. „Nach mei­nem Haupt­schul­ab­schluss woll­te ich arbei­ten. Ich hat­te gera­de einen Aus­bil­dungs­platz bekom­men, als ich abge­scho­ben wur­de. Ich hat­te bereits einen Ter­min, um mit der Aus­bil­dung zu begin­nen und wenn ich bereits in der Aus­bil­dung gewe­sen wäre, hät­ten sie mich nicht abschie­ben kön­nen.“[6]

Er muss­te län­ger als die ande­ren in Afgha­ni­stan blei­ben, da er kein Geld hat­te, um erneut auf­zu­bre­chen. „Letz­ten Juli muss­te ich in mei­ne Hei­mat­pro­vinz rei­sen, um eine Taz­ki­ra (afgha­ni­scher Iden­ti­täts­aus­weis) zu bekom­men. Auf dem Rück­weg wur­de ich von den Tali­ban kon­trol­liert. Einer von ihnen sag­te: ´Er ist ein Abge­scho­be­ner aus Euro­pa´. Sie woll­ten mich zwin­gen aus dem Bus aus­zu­stei­gen, aber ein ande­rer Pas­sa­gier ging dazwi­schen. Er sag­te, er ken­ne mich und dass ich gera­de erst aus dem Iran abge­scho­ben wor­den sei, nicht aus Euro­pa. Ich zit­ter­te vor Angst und zeig­te ihnen mei­ne Taz­ki­ra. Sie lie­ßen mich gehen. Ich ken­ne ande­re, die aus Euro­pa abge­scho­ben wur­den und nicht so viel Glück hat­ten. Sie ver­schwan­den. Ich weiß nicht, ob sie noch am Leben sind. Nach­dem ich in die Haupt­stadt zurück­ge­kehrt war, war ich obdach­los in Kabul. Ich weiß nicht mehr, wie ich dort über­lebt habe. An die Tage kann ich mich kaum erin­nern, ich habe ver­sucht sie zu vergessen.“

Jafar möch­te nicht viel erzäh­len. Man sieht, wie er lei­det. Sein Asyl­an­trag wur­de erst Ende Janu­ar 2018 regis­triert. Er habe es nicht geschafft, zu einem Arzt zu gehen. Nicht ein­mal dazu kön­ne er sich moti­vie­ren, sagt er. „Es gibt kei­ne funk­tio­nie­ren­den Toi­let­ten hier. Wir ver­su­chen Erlaub­nis­se von den Bewohner*innen der vor­ge­fer­tig­ten Con­tai­ner­un­ter­künf­te zu bekom­men, um ihre Bade­zim­mer zu nut­zen. Aber die meis­ten von ihnen sind Fami­li­en und sie wol­len nicht, dass wir das tun. Ich erin­ne­re mich nicht, wann ich zuletzt geduscht habe. Es gibt kein war­mes Was­ser. Manch­mal stel­len sie das Was­ser für drei bis vier Tage ab. Die Duschen sind so schmut­zig, dass wir krank wer­den wenn wir sie nut­zen. Es ist dre­ckig und riecht schlecht. Weil die Toi­let­ten kaputt sind, nut­zen man­che statt­des­sen die Duschen. Das könnt ihr euch nicht vor­stel­len. Alle hier kön­nen die­se Bedin­gun­gen nicht mehr ertra­gen und die Unsi­cher­heit, wie es für sie wei­ter­geht. Immer wie­der kommt es zu Hand­greif­lich­kei­ten und Kon­flik­ten. Im Dezem­ber 2017 wur­den unse­re Zel­te auf­grund von Unru­hen erneut zer­stört. Alle unse­re Habe wur­den geklaut, zer­stört oder gestoh­len. Wir haben nichts mehr. Auch die klei­nen Din­ge, die wir wie Schät­ze hüten gehen jedes Mal von neu­em ver­lo­ren und wir begin­nen wie­der bei Null.“

Sali­nia Stroux

[1] Die umfassendsten Interviews wurden am 4. und 10. August 2017 sowie am 23. und 24. Oktober 2017 geführt. In späteren Gesprächen wurden Aktualisierungen vorgenommen.
[2] Alle Namen wurden zum Schutz der Interviewten anonymisiert.
[3] AMASO bietet einen Monat Unterbringung an, die maximal um 45 weitere Tage erweitert werden kann. Die Abgeschobenen müssen sich selbst um ihre Nahrungsmittel kümmern.
[4] Mit Hilfe von Refugee Support Aegean (RSA) reichte er beim griechischen Ombudsmann einen Bericht über den Vorfall ein.
[5] Schriftliche Antwort der Internationalen Organisation für Migration (IOM) an RSA vom 6. Februar 2018. Statistische Informationen umfassen den Zeitraum vom 22. März 2016 bis zum 29. Januar 2018. Die Rückkehrprogramme nach Afghanistan im Rahmen dieses Projektes wurden für den Zeitraum vom 20. März 2016 bis 1. Juni 2016 ausgesetzt.
[6] Nach der sogenannten „3+2“ – Regel des deutschen Rechts ist eine Person mit einer Ausbildungsduldung in den Berufsausbildungsjahren vor der Abschiebung geschützt (AufenthG, § 60a, Abs. 2, Satz 4 ff.). Sie erhält zudem eine sichere Aufenthaltserlaubnis, wenn sie innerhalb der nächsten zwei Jahre nach Bestehen der Abschlussprüfungen eine feste Anstellung findet.

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