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Flüchtlinge an Bord der libyschen Küstenwache nahe Tripolis, September 2015. ©REUTERS/Ismail Zitouny

Die europäische Externalisierungspolitik läuft auf Hochtouren. Das libysche Grenzmanagement wird aufgerüstet, um den Fluchtweg nach Italien zu blockieren, neben der Sahel-Region stehen die Herkunfts- und Transitstaaten am Horn von Afrika im Fokus. Eine Strategie auf Kosten der Menschenrechte.

Allein in den ers­ten drei Mona­ten 2017 kamen 595 Men­schen bei der Über­fahrt über das zen­tra­le Mit­tel­meer ums Leben, rund 24.200 Schutz­su­chen­de gelang­ten nach Italien.

Bereits 2016 hat­te die Zahl der lebens­ge­fähr­li­chen Über­fahr­ten mit mehr als 181.000 Ankünf­ten in Ita­li­en einen neu­en Höchst­stand erreicht, fast 4.600 Geflüch­te­te kamen allein auf die­ser Rou­te ums Leben.

ca. 4.600

Geflüch­te­te kamen 2016 im zen­tra­len Mit­tel­meer ums Leben

Der Flucht­weg von Liby­en nach Ita­li­en stand 2016 ganz oben auf der Agen­da der EU-Mit­glied­staa­ten. Wäh­rend die Hoff­nung auf einen soli­da­ri­schen Umgang mit Flücht­lin­gen schwin­det, schwört man sich mit der Exter­na­li­sie­rung auf den kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner ein: Unbe­que­me Fra­gen nach Flücht­lings­schutz in und lega­len Wegen nach Euro­pa erüb­ri­gen sich, wenn Schutz­su­chen­de euro­päi­sches Ter­ri­to­ri­um nicht mehr erreichen.

Was es für Schutz­su­chen­de bedeu­tet an der (Weiter)flucht gehin­dert zu wer­den, wird tot­ge­schwie­gen: In Eri­trea treibt die Mili­tär­dik­ta­tur meh­re­re Tau­send Men­schen monat­lich in die Flucht, an Zuflucht und Schutz ist für sie in Staa­ten wie Sudan nicht zu den­ken, Flücht­lin­gen in Liby­en dro­hen schwers­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und mit EU-Gel­dern ver­bes­ser­te Grenz­kon­trol­len schaf­fen immer gefähr­li­che­re Flucht­rou­ten durch die Saha­ra und über das Mittelmeer.

Libyen: Rehabilitierung eines »Türstehers«

Am 3. Febru­ar 2017 stell­ten die euro­päi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs mit einem Zehn-Punk­te-Plan die Wei­chen für eine Neu­auf­la­ge der Koope­ra­ti­on mit Liby­en. Am Vor­tag hat­te bereits die ita­lie­ni­sche Regie­rung ein bila­te­ra­les Memo­ran­dum of Under­stan­ding zur Bekämp­fung »irre­gu­lä­rer Migra­ti­on« nach Euro­pa unterzeichnet.

In dem von Bür­ger­krieg zer­rüt­te­ten Liby­en rin­gen Mili­zen um die Macht, die inter­na­tio­nal aner­kann­te Regie­rung der Natio­na­len Ein­heit kon­trol­liert nur klei­ne Tei­le des Lan­des, Schutz­su­chen­de und Migrant*innen wer­den Ziel­schei­be von Gewalt und Ernied­ri­gung: Es lie­gen Berich­te über Erschie­ßun­gen, Fol­ter, Miss­hand­lun­gen und Ver­ge­wal­ti­gun­gen in liby­schen Gefäng­nis­sen und Lagern vor. Als »völ­lig men­schen­un­wür­dig« bezeich­ne­te Mar­tin Kobler, UN-Koor­di­na­tor für Liby­en, die Zustän­de in den Flücht­lings­la­gern. Den­noch umwirbt die EU das nord­afri­ka­ni­sche Land als »Tür­ste­her«.

Bis zu 200 Mil­lio­nen Euro sol­len unter ande­rem in das Grenz­ma­nage­ment ent­lang der süd­li­chen Gren­ze (v.a. Rich­tung Niger) flie­ßen sowie in die Aus­bil­dung und Aus­rüs­tung der liby­schen Küs­ten­wa­che, die Flücht­lings­boo­te in liby­schen Gewäs­sern »ret­ten« und zurück nach Liby­en schaf­fen soll. Knapp 90 Beam­te der liby­schen Küs­ten­wa­che, die wie­der­holt bru­tal gegen Flücht­lin­ge vor­ge­gan­gen ist, wur­den bis­her im Rah­men der EU-Mili­tär­ope­ra­ti­on EUNAVFOR Med geschult.

Am 20. März 2017 tra­fen sich die Innen­mi­nis­ter von Deutsch­land, Frank­reich, Öster­reich, Slo­we­ni­en, Mal­ta und der Schweiz mit den Regie­rungs­chefs von Tune­si­en und Liby­en in Rom. Im Vor­feld war in der ita­lie­ni­schen Pres­se eine Lis­te mit For­de­run­gen der liby­schen Regie­rung ver­öf­fent­licht wor­den: dar­un­ter 20 Schif­fe, 24 Schlauch­boo­te, 30 Jeeps, vier Hub­schrau­ber, zehn Ambu­lanz­wa­gen, Radar­ein­rich­tun­gen, Satel­li­ten­te­le­fo­ne und Tauch­an­zü­ge. Klar ist: See- und Land­gren­zen Liby­ens sol­len mit­hil­fe tech­ni­scher Aus­rüs­tung mög­lichst unpas­sier­bar gemacht werden.

Zudem zielt die Koope­ra­ti­on dar­auf, Abschie­bun­gen aus Liby­en zu for­cie­ren. Mit­hil­fe der Inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on sol­len »frei­wil­li­ge Rück­füh­run­gen« in die Her­kunfts­län­der vor­an­ge­trie­ben und »bes­se­re Bedin­gun­gen« in den Flücht­lings­la­gern erreicht werden.

Auch die For­de­rung, »Auf­nah­me­zen­tren« für Asyl­su­chen­de in Liby­en ein­zu­rich­ten, bleibt aktu­ell und wur­de bei­spiels­wei­se im Febru­ar vor­ge­bracht von Anto­nio Taja­ni, dem neu­en Prä­si­den­ten des EU-Par­la­ments. Andern­falls, so Taja­ni, könn­ten bis zu 20 Mil­lio­nen  Men­schen aus Afri­ka in den nächs­ten Jah­ren nach Euro­pa gelangen.

So manche*r in Brüs­sel scheint sich die Zusam­men­ar­beit mit dem Gad­da­fi-Regime zurück­zu­wün­schen: Man hat­te einen ver­läss­li­chen Part­ner in Tri­po­lis, der bei ent­spre­chen­den Gegen­leis­tun­gen bereit war, als aus­füh­ren­der Arm der euro­päi­schen Migra­ti­ons­kon­troll­po­li­tik zu fun­gie­ren. Die Rech­te von Geflüch­te­ten spiel­ten schon damals kei­ne Rolle.

Fluchtverhinderung am Horn von Afrika: Von Skrupeln keine Spur

Auch am Horn von Afri­ka sol­len die Kon­troll­me­cha­nis­men grei­fen. Der im Novem­ber 2014 lan­cier­te Khar­to­um-Pro­zess bil­det hier­für den Rah­men. In Her­kunfts­län­dern wie Eri­trea sol­len »Flucht­ur­sa­chen« und »Schlep­per­netz­wer­ke« bekämpft wer­den, Staa­ten wie der Sudan wer­den beim Grenz­ma­nage­ment unter­stützt und dabei, Flücht­lin­gen eine »Blei­be­per­spek­ti­ve in der Regi­on« zu bie­ten – fern­ab von Europa.

Län­der wie Sudan und Eri­trea im Bereich Grenz­schutz zu unter­stüt­zen, gibt nicht nur Unrechts­re­gi­men Mit­tel an die Hand, bru­tal gegen die eige­ne Bevöl­ke­rung und Flücht­lin­ge im Land vor­zu­ge­hen. Es ver­leiht ihnen auch Legi­ti­mi­tät und Stabilität.

Gegen den suda­ne­si­schen Prä­si­den­ten Omar al Bas­hir liegt seit 2009 ein inter­na­tio­na­ler Haft­be­fehl vor. Amnes­ty Inter­na­tio­nal hat rund 30 Gift­gas­an­grif­fe der Regie­rung auf die Zivil­be­völ­ke­rung von Janu­ar bis Sep­tem­ber 2016 dokumentiert.

Allein 2015 flo­hen UNHCR zufol­ge rund 11.000 Men­schen aus dem Sudan, es gibt mehr als drei Mil­lio­nen Bin­nen­flücht­lin­ge im Land. Den­noch ist der Sudan auch Zufluchts­land. Flücht­lin­ge sind Will­kür und Gewalt aus­ge­setzt, immer wie­der kommt es zu rechts­wid­ri­gen Abschie­bun­gen. Im Febru­ar wur­den 65 eri­tre­ische und äthio­pi­sche Schutz­su­chen­de nach fried­li­chen Pro­tes­ten aus­ge­peitscht, zur Zah­lung von Buß­gel­dern ver­ur­teilt, inhaf­tiert und 40 von ihnen direkt abgeschoben.

Den­noch will man mit dem suda­ne­si­schen Regime zusam­men­ar­bei­ten. Über den Treu­hand­fonds für Afri­ka sol­len ver­bes­ser­te Auf­nah­me­be­din­gun­gen für intern Ver­trie­be­ne und Flücht­lin­ge geschaf­fen werden.

So wich­tig eine huma­ni­tä­re Unter­stüt­zung ist, so heuch­le­risch erscheint das Ansin­nen ange­sichts der dahin­ter ste­hen­den Inten­ti­on der EU: Die Ver­ant­wor­tung für den Schutz von Flücht­lin­gen aus­zu­la­gern auf Staa­ten, in denen gro­ße Tei­le der Bevöl­ke­rung unter Unter­drü­ckung, mas­si­ver Armut und Per­spek­tiv­lo­sig­keit leiden.

Wer sich auf den Weg macht, soll spä­tes­tens an der Gren­ze gestoppt wer­den: So zielt das von der Deut­schen Gesell­schaft für Inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit (GIZ) durch­ge­führ­te Pro­gramm »Bet­ter Migra­ti­on Manage­ment« auf die Aus­bil­dung und Aus­rüs­tung der suda­ne­si­schen Grenz­po­li­zei. Beden­ken, eine Koope­ra­ti­on mit der suda­ne­si­schen Regie­rung kön­ne dem Ruf der EU scha­den, schei­nen ver­flo­gen. Von Skru­peln kei­ne Spur.

»Europa ist nicht euer Paradies, sondern vielleicht euer Tod«

Die Orga­ni­sa­ti­on Ärz­te ohne Gren­zen hat die dra­ma­ti­schen Fol­gen der EU- Exter­na­li­sie­rungs­po­li­tik am Bei­spiel eri­tre­ischer Flücht­lin­ge aufgezeigt.

Ein Bericht vom Febru­ar mit Inter­views, die in Äthio­pi­en, Liby­en und nach See­not­ret­tungs­ein­sät­zen geführt wur­den, doku­men­tiert das Grau­en der Flucht. Jede*r auf Ret­tungs­boo­ten befrag­te Schutz­su­chen­de ist wäh­rend der Flucht Opfer schwe­rer Gewalt ein­schließ­lich Fol­ter gewor­den oder hat mit­er­lebt, wie ande­re Gewalt erlit­ten, häu­fig mit Todesfolge.

Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel ist im Okto­ber 2016 in den Niger, nach Äthio­pi­en und Mali gereist. Zuvor mel­de­te sich Ent­wick­lungs­mi­nis­ter Gerd Mül­ler zu Wort. Um die Flücht­lin­ge davon abzu­hal­ten, in Liby­en in die Boo­te zu stei­gen, müs­se man ihnen sagen: »Euro­pa ist nicht euer Para­dies, son­dern viel­leicht euer Tod.« Die Aus­sa­ge ist blan­ker Zynis­mus: Tat­säch­lich bedeu­tet das euro­päi­sche Grenz­re­gime für Tau­sen­de Geflüch­te­te Leid, Gewalt und Tod.

»In mei­nen Augen ist es ent­schei­dend, dass die Mit­glied­staa­ten, in Zei­ten, in denen die Gren­zen sich schlie­ßen oder Mau­ern gebaut wer­den, nicht vor ihrer Ver­ant­wor­tung fliehen.«

Pao­lo Men­goz­zi, gene­ral­an­walt am Euro­päi­schen Gerichts­hofs (EuGH)

Ruf nach legalen Wegen »in Zeiten, in denen Mauern gebaut werden«

Die EU setzt auf Ent­rech­tung und Abwehr. Zwar will man auch über Resett­le­ment-Pro­gram­me Flücht­lin­ge aus Dritt­staa­ten in Euro­pa auf­neh­men – doch bit­te kon­trol­liert und je nach Auf­nah­me­be­reit­schaft der EU Mit­glied­staa­ten, die bekannt­lich in den meis­ten Län­dern eher dahinvegetiert.

»In mei­nen Augen ist es ent­schei­dend, dass die Mit­glied­staa­ten, in Zei­ten, in denen die Gren­zen sich schlie­ßen oder Mau­ern gebaut wer­den, nicht vor ihrer Ver­ant­wor­tung flie­hen.« Pao­lo Men­goz­zi, Gene­ral­an­walt des Euro­päi­schen Gerichts­hofs, plä­dier­te in einer Stel­lung­nah­me im Febru­ar 2017 dafür, Schutz­su­chen­den huma­ni­tä­re Visa im Rah­men des EU-Rechts zu ertei­len, wenn ihnen Fol­ter oder unmensch­li­che Behand­lung drohen.

Der EuGH erklär­te sich in sei­nem Urteil vom 7. März 2017 für nicht zustän­dig. Den­noch bleibt die­ser vor­sich­ti­ge Ruf nach lega­len Wegen ein wich­ti­ger Appell inmit­ten von Abwehr­sze­na­ri­en. Er fin­det Reso­nanz im uner­müd­li­chen Enga­ge­ment zivi­ler See­not­ret­tungs­in­itia­ti­ven, migran­ti­scher Selbst­or­ga­ni­sa­tio­nen, und zahl­rei­cher Menschenrechtsaktivist*innen und Unter­stüt­zer* innen quer durch Europa.

Judith Kopp, PRO ASYL

(Die­ser Arti­kel erschien zuerst im Juni 2017 im »Heft zum Tag des Flücht­lings 2017«)


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