Seit dem 24. Oktober wird im Rahmen der EU-Militäroperation EUNAVFOR Med die libysche Küstenwache ausgebildet – drei Tage nachdem die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch schwerste Vorwürfe gegen die Küstenwache erhoben hat. Durch den Eingriff einer libyschen Einheit in eine Rettungsoperation seien bis zu 30 Bootsflüchtlinge Tode gekommen.

Das Trai­ning von 78 Beam­ten der liby­schen Küs­ten­wa­che sei nun auf zwei Schif­fen der EU-Mili­tär­ope­ra­ti­on EUNAVFOR Med/Sophia ange­lau­fen, ver­kün­de­te der Euro­päi­sche Aus­wär­ti­ge Dienst (EAD) Ende ver­gan­ge­ner Woche. Das ita­lie­ni­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um leg­te nach: Nach Been­di­gung des EU-Aus­bil­dungs­pro­gramms wol­le Ita­li­en der liby­schen Mari­ne elf Boo­te lie­fern – um die Über­wa­chung der liby­schen Küs­ten wei­ter zu verbessern.

Das ers­te EU-Aus­bil­dungs­pa­ket soll grund­le­gen­de See­fahrts­kennt­nis­se, spe­zia­li­sier­te Kom­pe­ten­zen und einen »sub­stan­ti­el­len Fokus auf Men­schen­rech­te und inter­na­tio­na­les Recht« umfas­sen. Ange­sichts fast zeit­gleich geäu­ßer­ter mas­si­ver Vor­wür­fe gegen die liby­sche Küs­ten­wa­che liest sich die­ser Hin­weis als rei­ner Hohn.

Schwerste Vorwürfe gegen libysche Küstenwache: 30 Tote nach Übergriff

Nur drei Tage zuvor hat­te die deut­sche See­not­ret­tungs­in­itia­ti­ve Sea-Watch schwers­te Vor­wür­fe gegen die liby­sche Küs­ten­wa­che erho­ben. In der Nacht zum 21. Okto­ber 2016 habe eine offen­sicht­lich der liby­schen Küs­ten­wa­che ange­hö­ri­ge Ein­heit gewalt­sam in eine Ret­tungs­ak­ti­on der Sea-Watch in inter­na­tio­na­len Gewäs­sern ein­ge­grif­fen und damit den Tod von bis zu 30 Flücht­lin­gen verursacht.

Das Pro­to­koll eines Über­griffs mit Todes­fol­ge: Die „Sea-Watch 2“ folgt am 21. Okto­ber der Anwei­sung der ita­lie­ni­schen Ret­tungs­leit­stel­le in Rom, einen Ret­tungs­ein­satz rund 14,5 See­mei­len vor der liby­schen Küs­te zu über­neh­men – etwa 150 Men­schen har­ren in einem manö­vrier­un­fä­hi­gen Boot aus. Wäh­rend die Besat­zung der Sea-Watch mit der Ret­tungs­ope­ra­ti­on beginnt und die Aus­ga­be von Ret­tungs­wes­ten vor­be­rei­tet, nähert sich ein Schnell­boot der liby­schen Küs­ten­wa­che und drängt die Helfer*innen ab. Sea-Watch Mitarbeiter*innen berich­ten, wie ein Besat­zungs­mit­glied der Küs­ten­wa­che auf das Flücht­lings­boot steigt und mit einem Stock auf die Geflüch­te­ten ein­schlägt. Es kommt zu Panik, das Boot ken­tert und 150 Flücht­lin­ge gehen über Bord. Der Besat­zung der Sea-Watch gelingt es, 124 Men­schen zu ret­ten – für fast 30 Geflüch­te­te kommt jede Hil­fe zu spät.

Die liby­sche Mari­ne wies die Vor­wür­fe der Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on zurück. Ein Spre­cher gab an, dass in der Nacht zum Frei­tag Sol­da­ten einer Patrouil­le an Bord eines Hilfs­schiffs gegan­gen sei­en, um zu über­prü­fen, war­um das Schiff in liby­sche Hoheits­ge­wäs­ser vor­ge­drun­gen sei. Auf­grund von Satel­li­ten­da­ten las­se sich die­ser Vor­wurf zwei­fels­frei wider­le­gen, so Ruben Neu­ge­bau­er von der Sea-Watch. Die Orga­ni­sa­ti­on leg­te in einer Pres­se­kon­fe­renz am 25. Okto­ber Beweis­ma­te­ria­li­en – dar­un­ter Bild­ma­te­ri­al und wei­te­re Details zum Vor­fall – vor.

Kooperation stoppen!

Die mas­si­ven Anschul­di­gun­gen gegen die liby­sche Küs­ten­wa­che sind nur die Spit­ze des Eis­bergs an Men­schen­rechts­ver­stö­ßen in Liby­en gegen Schutz­su­chen­de und Migrant*innen. Nach den Berich­ten von Amnes­ty Inter­na­tio­nal wer­den Schutz­su­chen­de will­kür­lich unter Miss­ach­tung der Men­schen­rech­te in Liby­en inhaf­tiert. Flücht­lin­ge wer­den miss­han­delt und gefol­tert, etli­che Haft­zen­tren wer­den von Mili­zen kon­trol­liert. Die liby­schen Ein­satz­kräf­te durch Aus­bil­dungs­pro­gram­me im Rah­men der EU-Mili­tär­ope­ra­ti­on wei­ter zu stär­ken ist vor die­sem Hin­ter­grund blan­ker Zynis­mus. PRO ASYL hat von Anfang an deut­li­che Kri­tik an dem Vor­ha­ben geäu­ßert und dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich die EU durch die Koope­ra­ti­on mit Liby­en zur Hand­lan­ge­rin schwers­ter Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen gegen Flücht­lin­ge macht.

Das Ziel der euro­päi­schen Abschot­tungs­ar­chi­tek­ten: mög­lichst lücken­lo­se Patrouil­len ent­lang der liby­schen Küs­te und das Abfan­gen der Flücht­lings­boo­te – vor errei­chen inter­na­tio­na­ler oder euro­päi­scher Gewäs­ser. Sol­che Pull-Back-Ope­ra­tio­nen von Flücht­lings­boo­ten auf Geheiß der EU inner­halb afri­ka­ni­scher Gewäs­ser kämen einer mas­si­ven Umge­hung des Hir­si-Urteils gleich. Sie ver­hin­dern dass Flücht­lin­ge in Euro­pa Asyl bean­tra­gen kön­nen. Das Recht auf Asyl bleibt für sie uner­reich­bar, die Schutz­wir­kung der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on wird ausgehebelt.