Image
Die libysche Küstenwache sabotiert am 21. Oktober 2016 eine Rettungsmission der Sea Watch. Mehrere Menschen ertrinken. Foto: Christian Ditsch

200 Mio. Euro für Flüchtlingsabwehr: Am 3. Februar finden sich die europäischen Staats- & Regierungschefs zu einem informellen Treffen auf Malta zusammen. Afrikanische Staaten sollen als Fluchtverhinderer eingekauft, im Mittelmeer gerettete Bootsflüchtlinge nach Libyen ausgeschifft werden – ungeachtet von grausamen Menschenrechtsverletzungen dort.

Bei dem Tref­fen wird die Situa­ti­on im zen­tra­len Mit­tel­meer im Fokus ste­hen. Unter der Über­schrift »Steue­rung der Migra­ti­ons­strö­me ent­lang der zen­tra­len Mit­tel­mee­rou­te« wird über einen Vor­schlag der Kom­mis­si­on bera­ten, mit dem der Zugang zu Schutz in Euro­pa wei­ter erschwert wer­den soll. Zen­tra­ler Punkt ist dabei der Rück­trans­port von im Mit­tel­meer Geret­te­ten ins zer­rüt­te­te Libyen.

Die EU setzt damit ein­mal mehr auf Liby­en als Part­ner, wo es einem aktu­el­len Bericht des Aus­wär­ti­gen Amts zufol­ge zu »aller­schwers­ten, sys­te­ma­ti­schen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen« kommt. Kon­kret: »Exe­ku­tio­nen nicht zah­lungs­fä­hi­ger Migran­ten, Fol­ter, Ver­ge­wal­ti­gun­gen, Erpres­sun­gen sowie Aus­set­zun­gen in der Wüs­te sind dort an der Tagesordnung«.

Eine am 25. Janu­ar 2017 ver­öf­fent­lich­te Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on zeigt unver­blümt, was die Stoß­rich­tung der euro­päi­schen Verantwortungsträger*innen ist: Wenn kei­ne wei­te­ren Maß­nah­men ergrif­fen wür­den, droh­ten ab Früh­ling 2017 »unkon­trol­lier­te irre­gu­lä­re Migra­ti­ons­strö­me über die zen­tra­le Mit­tel­meer­rou­te auf dem glei­chen hohen Niveau wie 2016«.

»Doppelmauer« gegen Flüchtlinge in Libyen

Über den EU-Treu­hand­fonds für Afri­ka sol­len nun also ins­ge­samt 200 Mil­lio­nen Euro für 2017 zur Ver­fü­gung gestellt wer­den, wobei die Prio­ri­tät auf »migra­ti­ons­be­zo­ge­nen Pro­jek­ten in Bezug auf Liby­en« liegt. Im Klar­text heißt das:

Die EU will Geld und Tech­nik lie­fern, um eine Art Dop­pel­mau­er gegen Flücht­lin­ge zu bau­en – für Flücht­lings­ab­wehr im Mit­tel­meer und für Grenz­an­la­gen an der süd­li­chen Gren­ze Liby­ens. Liby­sche Grenz­be­hör­den, Küs­ten­wa­che und Mari­ne sol­len von der Euro­päi­schen Uni­on aus­ge­bil­det und finan­ziert wer­den, um sowohl die liby­sche Süd­gren­ze als auch die See­gren­ze nach Euro­pa abzuriegeln.

Pull-Back-Ope­ra­tio­nen liby­scher Schif­fe auf Geheiß der EU inner­halb afri­ka­ni­scher Gewäs­ser wür­den Flücht­lin­ge schwers­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen aussetzen.

In der Fol­ge wären Zehn­tau­sen­de von Schutz­su­chen­den dazu gezwun­gen, in einem Land zu ver­har­ren, wel­ches die Men­schen­rech­te die­ser beson­ders schutz­be­dürf­ti­gen Men­schen ekla­tant verletzt.

Zurückschicken von Flüchtlingen im Mittelmeer

Die Todes­ra­te im Mit­tel­meer ist mit all den erdach­ten Abschot­tungs­maß­nah­men stets wei­ter gestie­gen. Auch 2017 hat­te einen töd­li­chen Auf­takt: 221 Men­schen sind im ers­ten Monat die­ses Jah­res im zen­tra­len Mit­tel­meer ums Leben gekom­men – das sind rund 200 Tote mehr als im sel­ben Zeit­raum 2016, obwohl die Gesamt­zahl der Ankünf­te in Ita­li­en im Vor­jahr höher war.

Offen­sicht­lich zielt auch der vor­lie­gen­de Kom­mis­si­ons­vor­schlag nicht in ers­ter Linie auf die Ret­tung von Men­schen­le­ben ab, son­dern stellt einen wei­te­ren Ver­such Euro­pas dar, sich sei­ner Ver­ant­wor­tung zu entziehen.

Mit der Auf­rüs­tung der liby­schen Küs­ten­wa­che wird das Ziel ver­folgt, Flücht­lings­boo­te noch in liby­schen Gewäs­sern abzu­fan­gen, von wo die Schutz­su­chen­den nach Liby­en zurück­ver­bracht wer­den, wo sie – fern­ab der euro­päi­schen Öffent­lich­keit – unhalt­ba­ren Zustän­den aus­ge­setzt sind. Ein sol­ches Abfan­gen von Men­schen auf dem Mit­tel­meer, um sie sodann nach Nord­afri­ka zurück­zu­brin­gen, ist nicht mit der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) zu vereinbaren.

Auch für die Ver­ein­ten Natio­nen ist Liby­en »not a safe coun­try for return«. Laut aktu­el­lem UNHCR-Bericht dro­hen den in See­not Geret­te­ten bei der Rück­kehr in Liby­en die unmensch­lichs­ten Zustän­de in den Lagern. Zugang zum Asyl­ver­fah­ren oder zu Anwäl­tin­nen und Anwäl­ten haben Schutz­su­chen­de nicht. In Liby­en exis­tiert kein Asyl­sys­tem, weder in der Gesetz­ge­bung noch in der Praxis.

Abschottung der Südgrenze: Vorverlagerung bis in die Sahel-Zone

Nicht nur die See­gren­ze soll dicht­ge­macht wer­den, auch die liby­sche Land­gren­ze im Süden soll – so die Phan­ta­sien aus Brüs­sel – unpas­sier­bar wer­den. Die liby­sche Poli­zei soll gestärkt und das Grenz­ma­nage­ment ver­bes­sert wer­den. Auch die Lie­fe­rung von Tech­no­lo­gie, Fahr­zeu­gen und ande­rem Mate­ri­al soll erfol­gen, um »die Kon­trol­le der Land­gren­ze zwi­schen Liby­en und den angren­zen­den Staa­ten zu verbessern«.

Die Vor­ver­la­ge­rung des euro­päi­schen Grenz­re­gimes in die Sahel-Zone wird mit Nach­druck for­ciert. Opfer die­ser geplan­ten Flücht­lings­ab­wehr­po­li­tik der EU sind unter ande­rem Flücht­lin­ge aus Eri­trea, die oft den Flucht­weg über den Sudan nach Liby­en nehmen.

Über die Plä­ne zum Mau­er­bau des US-ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Trump echauf­fiert man sich hier ger­ne – doch Euro­pa geht mit wohl­fei­len Wor­ten einen ähn­li­chen Weg. 

»Adäquate Bedingungen und lokale Integration«: Luftschlösser und Zynismus

Zwar stellt die Kom­mis­si­on selbst fest, dass die »Bedin­gun­gen in den Zen­tren, in denen Migran­ten fest­ge­hal­ten wer­den inak­zep­ta­bel (sind) und inter­na­tio­na­le Men­schen­rechts­stan­dards nicht erfül­len«. Die Rede ist von Miss­hand­lun­gen, Fol­ter, Erpres­sung und unmensch­li­cher Behandlung.

Doch jen­seits jedes Rea­li­täts­be­zugs fabu­liert die Kom­mis­si­on davon, gemein­sam mit den liby­schen Behör­den und inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen wie der IOM oder UNHCR sicher­stel­len zu wol­len, dass adäqua­te Bedin­gun­gen geschaf­fen wer­den. Außer­dem sol­len für Migrant*innen in Liby­en loka­le Inte­gra­ti­ons­mög­lich­kei­ten geschaf­fen und frei­wil­li­ge Rück­kehr­pro­gram­me zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Der Zynis­mus ist ange­sichts der tat­säch­li­chen Lage im zer­rüt­te­ten Land kaum zu übertreffen.

Kooperation mit Libyen stoppen!

Die Koope­ra­ti­on mit Liby­en muss sofort gestoppt wer­den. Aus See­not Geret­te­te nach Liby­en aus­zu­schif­fen, ver­letzt fun­da­men­ta­les Flücht­lings­recht. Über die Plä­ne zum Mau­er­bau des US-ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Trump echauf­fiert man sich hier ger­ne – doch Euro­pa geht mit wohl­fei­len Wor­ten einen ähn­li­chen Weg. Die Poli­tik der EU ist im Kern die­sel­be und opfert den Flücht­lings­schutz der Illu­si­on der Abschot­tung. Der Unter­schied: Mexi­ko soll für die Mau­er bezah­len, Euro­pa finan­ziert das Boll­werk selbst.