09.04.2013

Als im Herbst 2012 die Zahl der Asyl­su­chen­den aus Ser­bi­en und Maze­do­ni­en in Deutsch­land zunahm, bewer­te­te Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Hans-Peter Fried­rich dies pau­schal als Resul­tat eines rechts­miss­bräuch­li­chen Ver­hal­tens. Dies war der Beginn einer „Roma-Raus-Stra­te­gie“ mit ras­sis­ti­schen Unter­tö­nen. Dazu gehört auch die Dro­hung, die Visa­frei­heit für die Staats­an­ge­hö­ri­gen meh­re­rer Bal­kan­staa­ten aus­zu­set­zen. Die offi­zi­el­le Dok­trin, Roma wür­den in Ser­bi­en und Maze­do­ni­en nicht ver­folgt, wur­de vom Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge in einer Null­aner­ken­nungs­po­li­tik im Asyl­ver­fah­ren umge­setzt. Weder die Men­schen­rechts­la­ge in die­sen Staa­ten noch die indi­vi­du­el­len Flucht­schick­sa­le interessierten.

Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Fried­rich ging wei­ter. Er kün­dig­te an, Ser­bi­en und Maze­do­ni­en per Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren als siche­re Her­kunfts­staa­ten ein­stu­fen zu wol­len. Prak­tisch hät­te dies etwa zur Fol­ge, dass Asyl­ge­su­che aus so ein­ge­stuf­ten Län­dern nach gesetz­li­cher Vor­ga­be als „offen­sicht­lich unbe­grün­det“ abzu­leh­nen wären. Aus die­sem Anlass gab PRO ASYL eine heu­te ver­öf­fent­lich­te Unter­su­chung in Auftrag:

Die aktu­el­le Aus­wer­tung von Quel­len zur Men­schen­rechts­la­ge in Ser­bi­en ver­deut­licht: Die Plä­ne des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters ent­spre­chen nicht den Vor­ga­ben der Ver­fas­sung. Die­se ver­langt, dass bei der Ein­stu­fung  als siche­rer Her­kunfts­staat gewähr­leis­tet sein muss, dass in die­sen Staa­ten auf­grund der Rechts­la­ge, der Rechts­an­wen­dung und der all­ge­mei­nen poli­ti­schen Ver­hält­nis­se gewähr­leis­tet ist, dass dort weder poli­ti­sche Ver­fol­gung noch unmensch­li­che oder ernied­ri­gen­de Bestra­fung oder Behand­lung statt­fin­det. Dabei geht es nicht nur um Geset­zes­tex­te, son­dern um prak­ti­sche Fra­gen: Wer­den Geset­ze, die men­schen­recht­li­che Aspek­te betref­fen, ange­wen­det und wirksam.

Die Autorin der jetzt ver­öf­fent­lich­ten Doku­men­ta­ti­on „Ser­bi­en – ein siche­rer Her­kunfts­staat von Asyl­su­chen­den in Deutsch­land?“, Dr. Karin Warin­go, hat eine Viel­zahl von Quel­len aus­ge­wer­tet, die bele­gen, dass Men­schen- und Min­der­hei­ten­rech­te in Ser­bi­en oft ledig­lich auf dem Papier gewähr­leis­tet sind. Dies betrifft poli­ti­sche Rech­te wie Medien‑, Mei­nungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit, aber auch wei­te­re Berei­che. Von staat­li­cher Sei­te wird gegen ras­sis­ti­sche und rechts­extre­me Gewalt, der ins­be­son­de­re Roma in beson­de­rem Maße aus­ge­setzt sind, nur unzu­rei­chend vor­ge­gan­gen. Nicht nur bei der Zwangs­räu­mung von Roma­sied­lun­gen ist der ser­bi­sche Staat selbst Urhe­ber von Menschenrechtsverletzungen.

Inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen stel­len über­ein­stim­mend fest, dass die Situa­ti­on der Roma in Ser­bi­en unver­än­dert kata­stro­phal ist. Sie sind einer umfas­sen­den gesell­schaft­li­chen Dis­kri­mi­nie­rung und Aus­gren­zung aus­ge­setzt, die zur Fol­ge hat, dass sie ihre Rech­te nur sehr bedingt in Anspruch neh­men kön­nen. Vor die­sem Hin­ter­grund müss­ten die Asyl­an­trä­ge von ser­bi­schen Antrag­stel­lern indi­vi­du­ell und sorg­fäl­tig geprüft werden.

 Auf Druck der Euro­päi­schen Uni­on und ein­zel­ner ihrer Mit­glieds­staa­ten hat die ser­bi­sche Regie­rung in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren Maß­nah­men ergrif­fen mit dem Ziel, die Zahl der Asyl­an­trag­stel­ler zu redu­zie­ren. Die Doku­men­ta­ti­on beschreibt ein­dring­lich, dass dabei gegen das Recht auf Frei­zü­gig­keit ver­sto­ßen wird, das unter ande­rem durch die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on geschützt ist.

Nach­dem die Kri­tik bereits Ende 2011 vom dama­li­gen Men­schen­rechts­kom­mis­sar des Euro­pa­rats for­mu­liert und die Prak­ti­ken der Aus­rei­se­ver­hin­de­rung inzwi­schen beschrie­ben wor­den sind, ist der EU vor­zu­wer­fen, die­se Pra­xis initi­iert zu haben und wei­ter hinzunehmen.

Die Doku­men­ta­ti­on „Ser­bi­en – ein siche­rer Her­kunfts­staat von Asyl­su­chen­den in Deutsch­land? – Eine Aus­wer­tung von Quel­len zur Men­schen­rechts­si­tua­ti­on“ von Dr. Karin Warin­go fin­den Sie hier.

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