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„Wir wollen zeigen, dass man mit Flüchtlingen auch anders umgehen kann.“
Im „Bellevue di Monaco“ in München sollen Flüchtlinge wohnen, Kulturräume und ein Infocafe entstehen sowie die Selbstorganisation unterstützt werden. Ein Gegenmodell zur Isolation und Bevormundung in Flüchtlingsheimen. Darüber sprachen wir mit Mitinitiator Matthias Weinzierl.
„Bellevue di Monaco“ – das klingt auf den ersten Blick nicht nach einem Projekt für Flüchtlinge. Wie kamt ihr auf diesen Namen und was ist die Idee dahinter?
„Bellevue“ heißt „schöne Aussicht“. Unser Projekt ist noch in der Startphase, aber die Aussicht, es zu verwirklich, finden wir bereits schön. Aber natürlich spielen wir auch damit, dass Bellevue normalerweise ein Name für teure Hotels ist. Wir wollen selbstverständlich kein Luxushotel errichten, aber wir wollen zeigen, dass man mit Flüchtlingen anders umgehen kann, dass sie auch ganz anders leben und wohnen können als bislang.
Was genau wollt ihr mit dem Projekt alles verwirklichen?
Wir wollen, dass im Zentrum der Stadt München ein Projekt entsteht, das Wohnungen für Flüchtlinge und noch vieles mehr bietet.
Die Häuser, um die es geht, sind nicht besonders groß, es gibt Wohnraum für vielleicht 30–40 Personen. Angesichts des allgemeinen Bedarfs ist das natürlich in diesem Punkt ein klitzekleines Projekt. Es ist schön, wenn wir einigen Menschen ermöglichen, unter besseren Bedingungen zu wohnen, das ist aber nur eine unserer drei Säulen.
Wir möchten ein Infocafé aufbauen, in dem Flüchtlinge Beratung finden, sich vernetzen können, Kontakte knüpfen. In München gab es in der letzten Zeit große Flüchtlingsproteste. Auch diesem Engagement von Flüchtlingen möchten wir einen Raum bieten, damit der Protest nicht mehr unter prekären Bedingungen und unter freiem Himmel stattfinden muss.
Gleichzeitig soll dort auch eine Plattform für die Verknüpfung von geflüchteten Menschen und der Münchener Stadtbevölkerung entstehen. In den Häusern gibt es genügend Platz für Kulturräume, da wollen wir einige Veranstaltungen realisieren und haben auch schon beispielsweise die Münchener Kammerspiele als Partner.
Als dritte Säule möchten wir mit unseren Kontakten zur Handelskammer für Flüchtlinge und Stadtgesellschaft auch Arbeitsmarktprojekte oder ähnliches auf unserem Gelände organisieren.
Für euer Projekt habt ihr euch einen leerstehenden Gebäudekomplex in der Innenstadt ausgeguckt?
Die Geschichte ging ein bisschen anders: In München gibt es im Stadtzentrum drei Häuser, die ursprünglich abgerissen werden sollten. Schon bevor es unser Projekt gab, gab es dort eine Initiative, die sich dafür stark gemacht hat, die Gebäude und den dazugehörigen Bolzplatz zu erhalten.
Die Stadt hat dann, salopp gesagt, damit gedroht, dass in die Häuser Flüchtlinge gesteckt werden, wenn die Proteste gegen den Abriss nicht aufhören. Das fanden wir eine prima Idee, daraus hat sich dann „Bellevue di Monaco“, ein Bündnis aus verschiedenen Gruppen und Initiativen gegründet.
Wie ist die Unterkunftssituation von Flüchtlingen in München bisher?
Im letzten Sommer hatten wir katastrophale Zustände in der Erstaufnahmeeinrichtung in München. Leute, die hier frisch angekommen sind, mussten teilweise in Maschinenhallen, in Zelten oder sogar unter freiem Himmel nächtigen. Das war ein ziemliches Chaos. Ansonsten ist es in München wie im Rest von Bayern: Die meisten Flüchtlinge sind genötigt, in Flüchtlingslagern zu wohnen. Die Lager liegen meistens nicht im Stadtzentrum, sondern am Rand von Gewerbegebieten. Die Leute leben dort abseits von der Bevölkerung in einer gewissen Unfreiheit. Gleichzeitig fehlt es an Privatsphäre, die Zustände sind da in München nicht anders als im Rest von Deutschland.
Wie weit seid ihr auf eurem Weg zur Realisierung? Vor welchen Hürden steht ihr noch?
Die ersten Erfolge haben wir schon erreicht. Die Stadt hat im Januar ihren Abrissbeschluss zurückgenommen. Das passiert wirklich nicht oft, normalerweise werden solche Beschlüsse durchgezogen. Diese Häuser bleiben nun aber und der Stadtrat hat auch beschlossen, dass er dort ein Flüchtlingsprojekt realisiert sehen möchte.
Jetzt ist unser Problem, dass es dafür eine Ausschreibung geben wird. Um dabei eine Chance zu haben, haben wir eine Sozialgenossenschaft gegründet. Jeder kann dort mit der Zahlung einer Einlage einsteigen. Aktuell haben wir schon rund 100 Genossinnen und Genossen. Damit wird gewährleistet, dass das Projekt nicht von einem einzelnen Verein oder einer Gruppierung betrieben wird, sondern es ein buntes, bürgerschaftliches Projekt bleibt. Dafür gibt es in München eine breite Basis. Als beispielsweise im Herbst letzten Jahres die Pegida-Demonstrationen begonnen haben, wollten wir mit unserem Bündnis „Bellevue di Monaco“ ein Zeichen setzen, schon bevor die Bewegung nach München kam. Die erste Kundgebung war für 300 Leute angemeldet, schließlich kamen 20.000 Menschen. Nach den Katastrophen der letzten Wochen im Mittelmeer haben wir auch gesehen, dass die Leute bereit sind, sich mit dem Thema weitergehender und tiefer befassen. Darauf wollen wir aufbauen.
Als letzte Hürde bleibt jetzt die Ausschreibung für das Projekt durch die Stadt, auf die wir uns aktuell vorbereiten.
Wisst ihr schon, wann die Ausschreibung startet?
Im Juni dieses Jahres. Nachdem das Projekt ausgeschrieben ist, bleiben 43 Tage für die Bewerbung. Anschließend entscheidet der Stadtrat.
Gibt es vergleichbare Projekte in anderen Städten?
Unser großes Vorbild ist das Grand Hotel Cosmopolis in Augsburg. Dort gibt es zusätzlich noch einen Hotelbetrieb, es ist also quasi Flüchtlingsunterkunft und Hotel in einem Gebäude. Das bietet natürlich ganz andere Möglichkeiten, dazu ist unser Objekt leider zu klein.
Wie kann man euch bei eurem Vorhaben unterstützen?
Es ist natürlich jeder eingeladen, in die Sozialgenossenschaft einzutreten. Das ist mit einer finanziellen Einlage verbunden, weitere Infos dazu gibt es auf unserem Internetauftritt.
Ansonsten freuen wir uns über Spenden. Wer in München ist, kann auch sehr gerne aktiv bei uns mithelfen. Solange es unser Projekt noch nicht wirklich gibt, versuchen wir Leute, die sich einbringen möchten, in bereits bestehende Strukturen zu vermitteln.
Mehr Informationen zu „Bellevue di Monaco“ gibt es auf der Webseite des Projekts.
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