Obwohl das Recht auf Familiennachzug für anerkannte Flüchtlinge unumstritten ist, wird Flüchtlingen aus Eritrea dieses Recht systematisch verwehrt. Die deutschen Botschaften verlangen die Vorlage von staatlichen Heiratsdokumenten, die die meisten nicht haben und in vielen Fällen nicht beschaffen können.

Nicht nur durch schär­fe­re Geset­ze, wie für sub­si­di­är Geschütz­te, son­dern auch durch büro­kra­ti­sche Hür­den wird der Fami­li­en­nach­zug erschwert. Ins­be­son­de­re Flücht­lin­ge aus Eri­trea sind davon betrof­fen. Seit 2017 for­dern die deut­schen Bot­schaf­ten bei der Bean­tra­gung eines Visums zum Ehe­gat­ten­nach­zug einen Nach­weis der amt­li­chen Regis­trie­rung der Ehe. Die­se Anfor­de­rung hat den Fami­li­en­nach­zug für die meis­ten Eritreer*innen zum jah­re­lan­gen Still­stand gebracht. Denn sie kön­nen gewöhn­lich nur eine reli­giö­se Eheur­kun­de vor­le­gen. So auch im Fall von Fami­lie K.:

Religiöse Eheurkunde & DNA-Test reichen offenbar nicht aus

Tes­fom K.* aus Eri­trea wird im Novem­ber 2015 als Flücht­ling in Deutsch­land aner­kannt. Sei­ne Frau Mebrah­ti schafft es mit den bei­den Kin­dern nach Äthio­pi­en, um dort den Fami­li­en­nach­zug bei der deut­schen Bot­schaft in Addis Abe­ba zu bean­tra­gen. Beim Vor­spra­che­ter­min legt Mebrah­ti K. alle not­wen­di­gen Doku­men­te vor – dar­un­ter auch die reli­giö­se Eheur­kun­de. Das Paar hat­te in Eri­trea im Janu­ar 2010 kirch­lich gehei­ra­tet, so wie es für ortho­do­xe Christ*innen in Eri­trea üblich ist. Die Bot­schaft erbit­tet noch ein DNA-Gut­ach­ten, um die Iden­ti­tät der Kin­der zu bestä­ti­gen – wei­ter wird nichts gefordert.

Weder Tes­fom noch Mebrah­ti ken­nen bis zu die­sem Tag solch eine Regis­trie­rung, die zen­tral für ihr wei­te­res Leben sein soll.

Dass ein Nach­weis der fami­liä­ren Bin­dung gefor­dert wird, ist beim Fami­li­en­nach­zug nor­mal. Doch Anfang 2017 kommt der Schock: Die Bot­schaft erkennt die reli­giö­se Eheur­kun­de nicht als Nach­weis der fami­liä­ren Bin­dung an. Sie bezwei­felt die Rechts­wir­kung der reli­gi­ös geschlos­se­nen Ehe. Sie for­dert Fami­lie K. auf, einen Nach­weis der Regis­trie­rung der Ehe im eri­tre­ischen Zivil­re­gis­ter vor­zu­le­gen. Weder Tes­fom noch Mebrah­ti ken­nen bis zu die­sem Tag solch eine Regis­trie­rung, die zen­tral für ihr wei­te­res Leben sein soll.

Botschaft verlangt Kontaktaufnahme mit Verfolgerstaat

Die Beschaf­fung einer sol­chen Regis­trie­rung wür­de die Bevoll­mäch­ti­gung einer Per­son in Eri­trea erfor­dern. Dies wie­der­um ist nur über eine eri­tre­ische Bot­schaft aus dem Aus­land mög­lich. Für aner­kann­te Flücht­lin­ge ist der Kon­takt zur Bot­schaft des Ver­fol­ger­staats indes in den meis­ten Fäl­len nicht zumut­bar, wie auch bei Tes­fom. Er hat Angst und lehnt den Bot­schafts­be­such ab. Auch hat er nie­mand, den er bevoll­mäch­ti­gen könn­te. In Eri­trea leben nur noch sei­ne alten Eltern, die den Regis­trie­rungs­pro­zess unmög­lich für ihn durch­füh­ren konn­ten. All dies wird bei der deut­schen Bot­schaft aus­führ­lich vor­ge­tra­gen. Doch die Bot­schaft bleibt hart.

Sind religiöse Eheschließungen plötzlich ungültig?

Lan­ge Zeit haben die deut­schen Bot­schaf­ten die reli­giö­se Eheur­kun­de als Nach­weis einer rechts­kräf­ti­gen Ehe aner­kannt. Doch Anfang 2017 stell­ten sie sich plötz­lich auf den Stand­punkt, die Ehe ent­fal­te ohne Regis­trie­rung kei­ne Rechts­kraft – und wo kei­ne rechts­kräf­ti­ge Ehe, da kei­ne Grund­la­ge für den Familiennachzug.

Die Annah­me, reli­gi­ös geschlos­se­ne Ehen sei­en in Eri­trea nicht rechts­wirk­sam, hat sich in der Zwi­schen­zeit als falsch erwie­sen. Dies wur­de bestä­tigt von einem lan­des­kund­li­chen Bericht, der Stel­lung­nah­me eines Exper­ten, einem Fach­ar­ti­kel und nicht zuletzt einem Gerichts­ur­teil in ande­rer Sache. Reli­gi­ös geschlos­se­ne Ehen sind in Eri­trea – anders als bei­spiels­wei­se in Deutsch­land – auch ohne, dass sie in ein amt­li­ches Regis­ter ein­ge­tra­gen wer­den, recht­lich bin­dend. Somit steht die Eheur­kun­de dem Nach­weis der Regis­trie­rung im Ehe­re­gis­ter gleich­wer­tig gegenüber.

Fragwürdige Praxis: weiterhin Registrierungsnachweis gefordert

Das Aus­wär­ti­ge Amt und die Bot­schaf­ten sind inzwi­schen zurück­ge­ru­dert. Sie erken­nen die Rechts­kraft reli­giö­ser Ehen an. Doch trotz die­ses Ein­ge­ständ­nis­ses ver­lan­gen sie wei­ter­hin den Regis­trie­rungs­nach­weis. Allein die Begrün­dung hat sich geän­dert. Nicht mehr die Rechts­kraft, son­dern die Echt­heit der reli­giö­sen Eheur­kun­de soll damit bestä­tigt wer­den. Denn die­se kön­ne im Bot­schafts­pro­zess nicht ein­deu­tig über­prüft werden.

Das Aus­wär­ti­ge Amt und die Bot­schaf­ten sind inzwi­schen zurück­ge­ru­dert. Sie erken­nen die Rechts­kraft reli­giö­ser Ehen an. Doch trotz die­ses Ein­ge­ständ­nis­ses ver­lan­gen sie wei­ter­hin den Registrierungsnachweis.

Die deut­schen Bot­schaf­ten haben die Pflicht, alle Nach­wei­se gründ­lich zu prü­fen. Hier­bei müs­sen sie sich an die Vor­ga­ben aus der EU-Richt­li­nie zur Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung hal­ten: Wenn amt­li­che Doku­men­te nicht erbracht wer­den kön­nen, darf der Fami­li­en­nach­zug bei Flücht­lin­gen nicht allein des­we­gen ver­wehrt wer­den. Dann müs­sen ande­re Nach­wei­se für das Bestehen der Bin­dung geprüft werden.

In der Pra­xis aber zeigt sich: Wei­ter­hin wird rei­hen­wei­se abge­lehnt und dar­auf spe­ku­liert, dass Betrof­fe­ne einen Wider­spruch (Remons­tra­ti­on) ein­le­gen – oder eben auch nicht. Laut einem Bot­schafts­lei­ter wird näm­lich im Remons­tra­ti­ons­ver­fah­ren tat­säch­lich der Ein­zel­fall geprüft und indi­vi­du­el­le Bewei­se des Bestehens der Ehe zugelassen.

Nicht entmutigen lassen: Remonstrieren oder Klage einlegen!

Die Ver­sor­gungs­si­tua­ti­on der Fami­lie K. in Addis Abe­ba ist der­weil schlecht. Län­ge­re Zeit sind Mut­ter und Kin­der ohne Obdach. Die Kin­der erkran­ken an Mala­ria und kön­nen nur unzu­rei­chend ver­sorgt wer­den. Tes­fom lei­det unter die­ser Situa­ti­on, die ihn ohne Mög­lich­keit lässt, sei­ne Fami­lie zu unter­stüt­zen. Er fühlt sich macht­los und kann sei­ner Frau und sei­nen Kin­dern nichts mehr ver­spre­chen. Wie soll er sich unter die­sen Umstän­den um sein neu­es Leben in Deutsch­land küm­mern? Er schläft schlecht und kann sich nicht mehr gut kon­zen­trie­ren. Doch auf­ge­ben will er nicht.

Im Dezem­ber 2018 ist es schließ­lich soweit: Mebrah­ti und die Kin­der kön­nen nach Deutsch­land einreisen.

Im Mai 2017 reicht Tes­fom gegen die Visums­ab­leh­nung Kla­ge ein. PRO ASYL unter­stützt ihn über den Rechts­hil­fe­fonds. Es dau­ert ein­ein­halb Jah­re – dann lässt sich das Aus­wär­ti­ge Amt zu einem außer­ge­richt­li­chen Ver­gleich bewe­gen, allein auf Grund­la­ge der reli­giö­sen Eheur­kun­de und des DNA-Tests, das sei­ne Vater­schaft bestätigt.

Im Dezem­ber 2018 ist es schließ­lich soweit: Mebrah­ti und die Kin­der kön­nen nach Deutsch­land ein­rei­sen. Nach qual­vol­len vier Jah­ren der Tren­nung ist die Fami­lie end­lich wie­der vereint.

Das Ver­fah­ren von Fami­lie K. zeigt, dass Men­schen trotz ihres Anspruchs auf Zusam­men­füh­rung durch büro­kra­ti­sche Hür­den unnö­tig lan­ge getrennt und so in ihren Rech­ten ver­letzt wer­den. Auch in ande­ren Fäl­len konn­ten außer­ge­richt­li­che Ver­glei­che geschlos­sen wer­den. Eine Visum­ser­tei­lung zum Fami­li­en­nach­zug zu eri­tre­ischen Flücht­lin­gen ist also mit­un­ter auch ohne den gefürch­te­ten Gang zur Bot­schaft in Ber­lin möglich.

Wichtig: schlüssige Beweismittel vorlegen!

Wich­tig ist, mög­lichst vie­le, schlüs­si­ge Beweis­mit­tel des Bestehens der Ehe – neben einer reli­giö­sen Eheur­kun­de – vor­zu­le­gen. Dies gilt sowohl für die Remons­tra­ti­on bei der Bot­schaft als auch im Kla­ge­ver­fah­ren. Als Bele­ge über die fami­liä­re Bin­dung kön­nen ein DNA-Gut­ach­ten der gemein­sa­men Kin­der, aber auch Fotos der Ehe­schlie­ßung, über­ein­stim­men­de Aus­sa­gen der Betrof­fe­nen und Zeu­gen, Nach­wei­se zu Unter­halts­zah­lun­gen durch den Flücht­ling in Deutsch­land sowie Nach­wei­se von fort­wäh­ren­dem Kon­takt und Besu­chen bei der Fami­lie im Aus­land gel­tend gemacht wer­den. Zudem wird geprüft, ob die reli­giö­se Urkun­de Fäl­schungs- oder Mani­pu­la­ti­ons­merk­ma­le aufweist.

Der Fall zeigt, dass eine Visum­ser­tei­lung zum Fami­li­en­nach­zug juris­tisch in eini­gen Fäl­len durch­aus erkämpft wer­den kann.

Auch im Kla­ge- oder Remons­tra­ti­ons­ver­fah­ren kann abge­lehnt wer­den –  mit­un­ter kön­nen nicht genü­gend schlüs­si­ge Bewei­se pro­du­ziert wer­den, wenn die Eheur­kun­den als gefälscht befun­den wer­den. Den­noch lohnt es sich für Betrof­fe­ne, den Kampf nicht bei der Ableh­nung des Visums­an­trags auf­zu­ge­ben. Denn erst nach der Ableh­nung beginnt die wah­re Prü­fung des Fami­li­en­nach­zugs – auch ohne Regis­trie­rung, rein auf Grund­la­ge der reli­giö­sen Eheschließung.

Im Fall von Fami­lie K. hat allein das Gerichts­ver­fah­ren ein­ein­halb Jah­re gedau­ert. Die sorg­fäl­ti­ge Prü­fung aller Nach­wei­se soll­te nicht auf das Remons­tra­ti­ons- oder Kla­ge­ver­fah­ren ver­scho­ben wer­den. Die lan­ge Tren­nung der Fami­lie und die jah­re­lan­ge Unge­wiss­heit waren ver­meid­bar und ver­let­zen die­se Fami­lie wie vie­le ande­re in ähn­li­cher Situa­ti­on in ihren Rech­ten. Der Fall zeigt aber auch, dass eine Visum­ser­tei­lung zum Fami­li­en­nach­zug juris­tisch in eini­gen Fäl­len durch­aus erkämpft wer­den kann.

Sophia Eckert, die Autorin ist asyl- und migra­ti­ons­po­li­ti­sche Refe­ren­tin bei Save the Child­ren Deutsch­land, zu ihren Schwer­punkt­be­rei­chen gehört u.a. Fami­li­en­nach­zug. Zudem ist sie in der Kanz­lei Val­de­nebro im Bereich Asyl- und Auf­ent­halts­recht tätig. Die­ser Arti­kel ent­hält ihre per­sön­li­chen Ansichten.

*Name geändert