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Filmon Debru im Gespräch mit Anđelka Križanović von PRO ASYL. Foto: Tina Zapf/PRO ASYL

Seit Juli blickt man hoffnungsvoll auf die Situation am Horn von Afrika, vor der deutsche & europäische Politiker sonst gern die Augen verschließen. Dort nähern sich Eritrea und Äthiopien nach jahrzehntelangen Konflikten wieder an, schlossen vor kurzem sogar ein Friedensabkommen. Aus diesem Grund schon über Rückkehr nachzudenken, ist aber verfrüht.

486.200

eri­tre­ische Flücht­lin­ge gab es bis Ende 2017 weltweit

70.000

von ihnen hal­ten sich aktu­ell laut AZR in Deutsch­land auf

Zwar ist der Kon­flikt mit dem Nach­bar­staat einer der Haupt­grün­de für die Flucht aus Eri­trea, denn mit die­sem recht­fer­tigt das Regime den unbe­fris­te­ten Natio­nal­dienst sei­ner Bür­ge­rin­nen und Bür­ger. Doch mit dem Frie­dens­ver­trag ist noch kei­ne Ände­rung der dor­ti­gen Ver­hält­nis­se in Sicht. Eri­trea ist und bleibt ein auto­ri­tär regier­ter Ein­par­tei­en­staat, in dem Prä­si­dent Isay­as Afe­werki die gesam­te Macht in Hän­den hält. In dem ost­afri­ka­ni­schen Land wur­den seit 1993 kei­ne Wah­len mehr durch­ge­führt und die im Jahr 1997 ver­ab­schie­de­te Ver­fas­sung ist bis heu­te nicht in Kraft. Ins­ge­samt hat Eri­trea bis­her kei­ner­lei inter­ne Demo­kra­ti­sie­rungs­an­stren­gun­gen unter­nom­men; es ist also davon aus­zu­ge­hen, dass Rück­keh­rer als Geg­ner des Regimes ange­se­hen und ver­folgt würden.

95 %

beträgt die aktu­el­le berei­nig­te Schutz­quo­te bei eri­tre­ischen Geflüchteten

PRO ASYL hat mit Fil­mon Debru, einem von welt­weit fast 500.000 eri­tre­ischen Flücht­lin­gen, über die Lage in Eri­trea gesprochen.

PRO ASYL: Wie siehst du die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen zwi­schen Eri­trea und Äthio­pi­en? Was sind die Aus­wir­kun­gen auf Eritrea? 

Fil­mon Debru: Ich habe kei­ne Hoff­nun­gen, dass das gut aus­ge­hen wird. Es ist alles sehr kon­fus, nie­mand weiß wirk­lich, was vor sich geht. Es gibt Ver­schwö­rungs­theo­rien und hier­her gelan­gen Infor­ma­tio­nen nur aus zwei­ter Hand. Ich habe kaum Kon­takt nach Eri­trea. Wer zurück­kehrt wird als Ver­rä­ter gebrandmarkt.

Das heißt du hast bis­her nie dar­über nach­ge­dacht zurückzukehren? 

Eri­trea funk­tio­niert nicht wie ein nor­ma­les Land. Ein kri­mi­nel­ler Boss sitzt an der Spit­ze und es wird gemacht, was er sagt. Ver­giss ein klei­nes Licht wie mich, nicht mal ein Gene­ral oder ein Oberst­leut­nant sind sicher. Du könn­test ein paar Mona­te lang sein bes­ter Bud­dy sein, aber nächs­tes Jahr sitzt du im Gefäng­nis. Es gab 2012 oder 2013 – ich erin­ne­re mich nicht mehr genau – einen Putsch­ver­such, aber er ist geschei­tert. Die Situa­ti­on ist nicht sta­bil. Es gibt kei­ne Anzei­chen, dass das Regime sich von sei­ner bru­ta­len Linie abwendet.

Die Leu­te wer­den ver­folgt, aber bis­her ist die Oppo­si­ti­on fried­lich geblie­ben. Das könn­te sich aus ver­ständ­li­cher Frus­tra­ti­on ändern. Es macht mir Angst, dass es einen Bür­ger­krieg geben könn­te. Das wäre eine Kata­stro­phe. Ein Bür­ger­krieg ist schon schlimm genug in einem Land, in dem nur ein klei­ner Pro­zent­satz der Bevöl­ke­rung in der Armee ist. Aber wir reden hier über ein Land, des­sen gan­ze erwach­se­ne Bevöl­ke­rung fak­tisch trai­nier­te Sol­da­ten sind. Ich kann mir das Desas­ter nicht vor­stel­len, das pas­sie­ren würde.

Sei­tens der EU gibt es Plä­ne, die poli­ti­sche Situa­ti­on in Eri­trea zu re-eva­lu­ie­ren. Die Fra­ge ist, ob man das Land als sicher ein­stu­fen soll, was in der Mög­lich­keit resul­tie­ren wür­de, eri­tre­ische Flücht­lin­ge abschie­ben zu kön­nen. Was denkst du darüber? 

Es scheint wie ein Ver­rat des­sen, für was die EU jahr­zehn­te­lang stand. Wenn nicht vie­le Flücht­lin­ge kom­men, dann kann man natür­lich behaup­ten, dass man Flücht­lin­ge will­kom­men heißt. Aber sobald die Zah­len grö­ßer wer­den, dreht man sich um und ver­sucht Aus­re­den zu fin­den, um Flücht­lin­ge zurück in die Gefahr zu schi­cken. Es scheint mir, dass die­se soge­nann­ten „Wer­te“ nur ober­fläch­lich sind und dem Lauf der Din­ge nicht stand­hal­ten. Das glei­che ist doch mit Afgha­ni­stan pas­siert. Atten­ta­te und Kämp­fe in vie­len Regio­nen und die Anwe­sen­heit von aus­län­di­schen Trup­pen zei­gen, dass das Land nicht sicher ist. Trotz­dem schiebt man ab. Was soll­te man ent­spre­chend zu Eri­trea sagen? Es gibt kei­nen Grund, dem eri­tre­ischen Regime zu ver­trau­en, selbst wenn es zum Bei­spiel eine Ver­kür­zung des Natio­nal­diens­tes ankün­di­gen wür­de – solan­ge gleich­zei­tig die Will­kür des Regimes wei­ter­geht und nie­mand sich trau­en kann, sich zu beschwe­ren, wenn sei­ne Rech­te ver­letzt werden.

»Die Situa­ti­on in Eri­trea ist grau­sam, aber in der EU denkt man, die Flücht­lin­ge sind
Immi­gran­ten, die für ein bes­se­res Leben, für Geld, hier­her­kom­men. Ganz ehr­lich: Ich hat­te genug Geld, dort wo ich war«

Fil­mon Debru

Die Situa­ti­on in Eri­trea, die ich per­sön­lich erlebt habe, ist grau­sam, aber in der EU denkt man, die Flücht­lin­ge sind Immi­gran­ten, die für ein bes­se­res Leben, für Geld, hier­her­kom­men. Ganz ehr­lich: Ich hat­te genug Geld, dort wo ich war, ich arbei­te­te als Pro­gram­mie­rer. Ich hat­te genug, um mich selbst zu ver­sor­gen und um mei­nen Freun­den aus­zu­hel­fen. Geld war nicht der Grund, war­um ich mein Land ver­las­sen habe. Mei­ne per­sön­li­che Frei­heit war ein Grund. Ich woll­te sicher sein, dass ich am nächs­ten Tag noch auf­wa­che und zur Arbeit gehen kann, ohne mir Sor­gen zu machen, dass es der letz­te mei­nes Lebens sein wird oder dass ein Van mich auf dem Nach­hau­se­weg stoppt und dann – Über­ra­schung – war’s das gewe­sen. Mei­ne Fami­lie wür­de dann nicht mal erfah­ren, ob ich noch am Leben bin, denn sie wür­den sich nicht trau­en, nach mir zu fra­gen. Wenn der Geheim­dienst dich schnappt, kann es für dei­ne Fami­lie gefähr­lich wer­den, bei der Poli­zei nach der fal­schen Per­son zu fra­gen. Es ist ein furcht­ba­rer Ort. Die Regie­rung mach­te das Land zu einem furcht­ba­ren Ort. Ich habe mit­er­lebt, wie eini­ge mei­ner Kom­mi­li­to­nen weg­ge­sperrt wur­den wegen ihres Glau­bens oder wegen ihrer poli­ti­schen Ein­stel­lung. Das ist doch lächer­lich! Ich hat­te eine Klas­sen­ka­me­ra­din, die bei der Pfingst­ler-Gemein­de war. Ich glau­be sie ist jetzt seit acht Jah­ren im Gefäng­nis. Jedes Jahr hört man von einem neu­en Gefäng­nis, weil die alten schon voll sind.

Könn­test du uns den eri­tre­ischen Mili­tär­dienst erklä­ren? Die Men­schen hier ken­nen ja nur den deut­schen Wehr­dienst. Das in Eri­trea scheint etwas ande­res zu sein. 

Die­ser Natio­nal­dienst wur­de in den Neun­zi­gern ein­ge­führt, zu der Zeit war ich im Sudan. Ich bin näm­lich im Sudan gebo­ren wor­den – wie die meis­ten mei­ner Geschwis­ter. Wir sind erst als ich ein klei­nes Kind war nach Eri­trea gezo­gen. Unge­fähr 1996–1997, als der Krieg gegen Äthio­pi­en begann.

Am Anfang wur­de der Natio­nal­dienst nicht als etwas Schlech­tes gese­hen, weil er zeit­lich begrenzt war: Ent­we­der sechs Mona­te Trai­ning oder ein­ein­halb Jah­re Dienst und danach konn­te man machen was man woll­te. Man konn­te sei­ne Fami­lie unter­stüt­zen, wei­ter stu­die­ren, ein Unter­neh­men grün­den, ins Aus­land gehen. Du erfüllst dei­ne Ver­pflich­tung und das war’s. Aber als der Krieg begann, wur­den alle vor­he­ri­gen Jahr­gän­ge ein­ge­zo­gen. Wäh­rend eines Krie­ges ist das ja ver­ständ­lich. Aber als der Krieg vor­bei war, hat sich nichts geän­dert. Ein paar Beam­te in den Minis­te­ri­en haben ver­sucht sich zu beschwe­ren, mit einem offe­nen Brief – sie wur­den „Grup­pe 15“ genannt. Die sind größ­ten­teils im Gefäng­nis, kei­ner weiß ob tot oder lebendig.

Danach sind alle Zei­tun­gen ein­ge­stellt wor­den, selbst die, die nur Lie­bes­ge­schich­ten ver­öf­fent­licht haben. Die ein­zi­ge Aus­nah­me war die Zei­tung, die der Regie­rung gehör­te. Sie haben die Uni dicht­ge­macht, nach­dem die Stu­den­ten pro­tes­tiert hat­ten. Die Stu­die­ren­den wur­den bestraft. Dann haben sie Sol­da­ten in den Col­leges ein­ge­führt, um noch mehr Kon­trol­le zu haben. Als ich in der Schu­le war, war das wie eine Mili­tär­schu­le. Wir muss­ten jeden Mor­gen vor dem Früh­stück Lauf­trai­ning absol­vie­ren und dann Unter­richt. Wir muss­ten drei oder vier­mal am Tag zum Appell. Wenn man einen ver­passt hat, gab es dra­ko­ni­sche Stra­fen. Im Grun­de sieht so das Leben aus.

»Dein Leben gehört nicht mehr dir selbst, es steht dei­nen Vor­ge­setz­ten zur frei­en Verfügung«

Fil­mon Debru

Es gibt kein Pri­vat­le­ben. Sobald du dei­nen Abschluss gemacht hast, sam­melt die Regie­rung dich ein und schickt dich dahin, wo sie will. Frü­her hat man ein­ein­halb Jah­re Wehr­dienst geleis­tet – für dein Land. Sogar wenn der Wehr­dienst lang, aber befris­tet, wäre und nie­mand für sei­ne Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit oder Welt­sicht ins Gefäng­nis gesteckt wer­den wür­de, wäre alles ok. Aber das Pro­blem ist: Ers­tens, es gibt kein Ende, kei­ne zeit­li­che Begren­zung. Zwei­tens merkst du, dass du über­haupt nicht dei­nem Land dienst, son­dern ein paar Typen. Zum Bei­spiel wirst du beor­dert irgend­wo ein Haus zu bau­en für einen Gene­ral oder einen Leut­nant. Das ist, wie man sei­ne Zeit verbringt.

Am Anfang gab es noch schö­ne Akti­vi­tä­ten, wie die Unter­stüt­zung älte­rer Men­schen – ihnen beim Haus­bau oder bei der Land­wirt­schaft zu hel­fen. Das war wirk­lich etwas Net­tes und Schö­nes, aber jetzt … gibt es das alles nicht mehr. Dein Leben gehört nicht mehr dir selbst, es steht dei­nen Vor­ge­setz­ten zur frei­en Ver­fü­gung. Und es geht nicht nur um die kör­per­li­che Anstren­gung. Das kann man über­ste­hen. Aber man bricht men­tal zusam­men. Ich kann­te die Nach­bars­jun­gen, das waren krea­ti­ve, ehr­gei­zi­ge Leu­te. Dann haben sie nach der Schu­le zehn Jah­re in der Armee ver­bracht. Als ich sie wie­der traf, waren sie Schat­ten ihrer selbst. Das ist, was mir Angst macht – so zu enden, wie ein Schat­ten. Dann bist du an einem Punkt ange­kom­men, an dem du für dich selbst nichts mehr wert bist. Aber nütz­lich für sie, weil es noch eine Sache gibt, die du gut kannst: „Yes sir“ sagen und das war’s.

Wenn Eri­tre­er Wirt­schafts­flücht­lin­ge genannt wer­den, ant­wor­te ich, dass ich selbst für eine Mil­li­on Euro nicht nach Eri­trea zurück­ge­hen wür­de. Ich wür­de lie­ber hier unter der Brü­cke leben, wo ich weiß, dass ich nicht ohne Grund hin­ter Git­tern lan­den kann, als ein Mil­lio­när in Eri­trea zu sein.

(Fra­gen stell­te akr, Text & Über­set­zung tz)