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»Eritrea funktioniert nicht wie ein normales Land« – Gespräch mit einem eritreischen Flüchtling
Seit Juli blickt man hoffnungsvoll auf die Situation am Horn von Afrika, vor der deutsche & europäische Politiker sonst gern die Augen verschließen. Dort nähern sich Eritrea und Äthiopien nach jahrzehntelangen Konflikten wieder an, schlossen vor kurzem sogar ein Friedensabkommen. Aus diesem Grund schon über Rückkehr nachzudenken, ist aber verfrüht.
Zwar ist der Konflikt mit dem Nachbarstaat einer der Hauptgründe für die Flucht aus Eritrea, denn mit diesem rechtfertigt das Regime den unbefristeten Nationaldienst seiner Bürgerinnen und Bürger. Doch mit dem Friedensvertrag ist noch keine Änderung der dortigen Verhältnisse in Sicht. Eritrea ist und bleibt ein autoritär regierter Einparteienstaat, in dem Präsident Isayas Afewerki die gesamte Macht in Händen hält. In dem ostafrikanischen Land wurden seit 1993 keine Wahlen mehr durchgeführt und die im Jahr 1997 verabschiedete Verfassung ist bis heute nicht in Kraft. Insgesamt hat Eritrea bisher keinerlei interne Demokratisierungsanstrengungen unternommen; es ist also davon auszugehen, dass Rückkehrer als Gegner des Regimes angesehen und verfolgt würden.
PRO ASYL hat mit Filmon Debru, einem von weltweit fast 500.000 eritreischen Flüchtlingen, über die Lage in Eritrea gesprochen.
PRO ASYL: Wie siehst du die aktuellen Entwicklungen zwischen Eritrea und Äthiopien? Was sind die Auswirkungen auf Eritrea?
Filmon Debru: Ich habe keine Hoffnungen, dass das gut ausgehen wird. Es ist alles sehr konfus, niemand weiß wirklich, was vor sich geht. Es gibt Verschwörungstheorien und hierher gelangen Informationen nur aus zweiter Hand. Ich habe kaum Kontakt nach Eritrea. Wer zurückkehrt wird als Verräter gebrandmarkt.
Das heißt du hast bisher nie darüber nachgedacht zurückzukehren?
Eritrea funktioniert nicht wie ein normales Land. Ein krimineller Boss sitzt an der Spitze und es wird gemacht, was er sagt. Vergiss ein kleines Licht wie mich, nicht mal ein General oder ein Oberstleutnant sind sicher. Du könntest ein paar Monate lang sein bester Buddy sein, aber nächstes Jahr sitzt du im Gefängnis. Es gab 2012 oder 2013 – ich erinnere mich nicht mehr genau – einen Putschversuch, aber er ist gescheitert. Die Situation ist nicht stabil. Es gibt keine Anzeichen, dass das Regime sich von seiner brutalen Linie abwendet.
Die Leute werden verfolgt, aber bisher ist die Opposition friedlich geblieben. Das könnte sich aus verständlicher Frustration ändern. Es macht mir Angst, dass es einen Bürgerkrieg geben könnte. Das wäre eine Katastrophe. Ein Bürgerkrieg ist schon schlimm genug in einem Land, in dem nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung in der Armee ist. Aber wir reden hier über ein Land, dessen ganze erwachsene Bevölkerung faktisch trainierte Soldaten sind. Ich kann mir das Desaster nicht vorstellen, das passieren würde.
Seitens der EU gibt es Pläne, die politische Situation in Eritrea zu re-evaluieren. Die Frage ist, ob man das Land als sicher einstufen soll, was in der Möglichkeit resultieren würde, eritreische Flüchtlinge abschieben zu können. Was denkst du darüber?
Es scheint wie ein Verrat dessen, für was die EU jahrzehntelang stand. Wenn nicht viele Flüchtlinge kommen, dann kann man natürlich behaupten, dass man Flüchtlinge willkommen heißt. Aber sobald die Zahlen größer werden, dreht man sich um und versucht Ausreden zu finden, um Flüchtlinge zurück in die Gefahr zu schicken. Es scheint mir, dass diese sogenannten „Werte“ nur oberflächlich sind und dem Lauf der Dinge nicht standhalten. Das gleiche ist doch mit Afghanistan passiert. Attentate und Kämpfe in vielen Regionen und die Anwesenheit von ausländischen Truppen zeigen, dass das Land nicht sicher ist. Trotzdem schiebt man ab. Was sollte man entsprechend zu Eritrea sagen? Es gibt keinen Grund, dem eritreischen Regime zu vertrauen, selbst wenn es zum Beispiel eine Verkürzung des Nationaldienstes ankündigen würde – solange gleichzeitig die Willkür des Regimes weitergeht und niemand sich trauen kann, sich zu beschweren, wenn seine Rechte verletzt werden.
»Die Situation in Eritrea ist grausam, aber in der EU denkt man, die Flüchtlinge sind
Immigranten, die für ein besseres Leben, für Geld, hierherkommen. Ganz ehrlich: Ich hatte genug Geld, dort wo ich war«
Die Situation in Eritrea, die ich persönlich erlebt habe, ist grausam, aber in der EU denkt man, die Flüchtlinge sind Immigranten, die für ein besseres Leben, für Geld, hierherkommen. Ganz ehrlich: Ich hatte genug Geld, dort wo ich war, ich arbeitete als Programmierer. Ich hatte genug, um mich selbst zu versorgen und um meinen Freunden auszuhelfen. Geld war nicht der Grund, warum ich mein Land verlassen habe. Meine persönliche Freiheit war ein Grund. Ich wollte sicher sein, dass ich am nächsten Tag noch aufwache und zur Arbeit gehen kann, ohne mir Sorgen zu machen, dass es der letzte meines Lebens sein wird oder dass ein Van mich auf dem Nachhauseweg stoppt und dann – Überraschung – war’s das gewesen. Meine Familie würde dann nicht mal erfahren, ob ich noch am Leben bin, denn sie würden sich nicht trauen, nach mir zu fragen. Wenn der Geheimdienst dich schnappt, kann es für deine Familie gefährlich werden, bei der Polizei nach der falschen Person zu fragen. Es ist ein furchtbarer Ort. Die Regierung machte das Land zu einem furchtbaren Ort. Ich habe miterlebt, wie einige meiner Kommilitonen weggesperrt wurden wegen ihres Glaubens oder wegen ihrer politischen Einstellung. Das ist doch lächerlich! Ich hatte eine Klassenkameradin, die bei der Pfingstler-Gemeinde war. Ich glaube sie ist jetzt seit acht Jahren im Gefängnis. Jedes Jahr hört man von einem neuen Gefängnis, weil die alten schon voll sind.
Könntest du uns den eritreischen Militärdienst erklären? Die Menschen hier kennen ja nur den deutschen Wehrdienst. Das in Eritrea scheint etwas anderes zu sein.
Dieser Nationaldienst wurde in den Neunzigern eingeführt, zu der Zeit war ich im Sudan. Ich bin nämlich im Sudan geboren worden – wie die meisten meiner Geschwister. Wir sind erst als ich ein kleines Kind war nach Eritrea gezogen. Ungefähr 1996–1997, als der Krieg gegen Äthiopien begann.
Am Anfang wurde der Nationaldienst nicht als etwas Schlechtes gesehen, weil er zeitlich begrenzt war: Entweder sechs Monate Training oder eineinhalb Jahre Dienst und danach konnte man machen was man wollte. Man konnte seine Familie unterstützen, weiter studieren, ein Unternehmen gründen, ins Ausland gehen. Du erfüllst deine Verpflichtung und das war’s. Aber als der Krieg begann, wurden alle vorherigen Jahrgänge eingezogen. Während eines Krieges ist das ja verständlich. Aber als der Krieg vorbei war, hat sich nichts geändert. Ein paar Beamte in den Ministerien haben versucht sich zu beschweren, mit einem offenen Brief – sie wurden „Gruppe 15“ genannt. Die sind größtenteils im Gefängnis, keiner weiß ob tot oder lebendig.
Danach sind alle Zeitungen eingestellt worden, selbst die, die nur Liebesgeschichten veröffentlicht haben. Die einzige Ausnahme war die Zeitung, die der Regierung gehörte. Sie haben die Uni dichtgemacht, nachdem die Studenten protestiert hatten. Die Studierenden wurden bestraft. Dann haben sie Soldaten in den Colleges eingeführt, um noch mehr Kontrolle zu haben. Als ich in der Schule war, war das wie eine Militärschule. Wir mussten jeden Morgen vor dem Frühstück Lauftraining absolvieren und dann Unterricht. Wir mussten drei oder viermal am Tag zum Appell. Wenn man einen verpasst hat, gab es drakonische Strafen. Im Grunde sieht so das Leben aus.
»Dein Leben gehört nicht mehr dir selbst, es steht deinen Vorgesetzten zur freien Verfügung«
Es gibt kein Privatleben. Sobald du deinen Abschluss gemacht hast, sammelt die Regierung dich ein und schickt dich dahin, wo sie will. Früher hat man eineinhalb Jahre Wehrdienst geleistet – für dein Land. Sogar wenn der Wehrdienst lang, aber befristet, wäre und niemand für seine Religionszugehörigkeit oder Weltsicht ins Gefängnis gesteckt werden würde, wäre alles ok. Aber das Problem ist: Erstens, es gibt kein Ende, keine zeitliche Begrenzung. Zweitens merkst du, dass du überhaupt nicht deinem Land dienst, sondern ein paar Typen. Zum Beispiel wirst du beordert irgendwo ein Haus zu bauen für einen General oder einen Leutnant. Das ist, wie man seine Zeit verbringt.
Am Anfang gab es noch schöne Aktivitäten, wie die Unterstützung älterer Menschen – ihnen beim Hausbau oder bei der Landwirtschaft zu helfen. Das war wirklich etwas Nettes und Schönes, aber jetzt … gibt es das alles nicht mehr. Dein Leben gehört nicht mehr dir selbst, es steht deinen Vorgesetzten zur freien Verfügung. Und es geht nicht nur um die körperliche Anstrengung. Das kann man überstehen. Aber man bricht mental zusammen. Ich kannte die Nachbarsjungen, das waren kreative, ehrgeizige Leute. Dann haben sie nach der Schule zehn Jahre in der Armee verbracht. Als ich sie wieder traf, waren sie Schatten ihrer selbst. Das ist, was mir Angst macht – so zu enden, wie ein Schatten. Dann bist du an einem Punkt angekommen, an dem du für dich selbst nichts mehr wert bist. Aber nützlich für sie, weil es noch eine Sache gibt, die du gut kannst: „Yes sir“ sagen und das war’s.
Wenn Eritreer Wirtschaftsflüchtlinge genannt werden, antworte ich, dass ich selbst für eine Million Euro nicht nach Eritrea zurückgehen würde. Ich würde lieber hier unter der Brücke leben, wo ich weiß, dass ich nicht ohne Grund hinter Gittern landen kann, als ein Millionär in Eritrea zu sein.
(Fragen stellte akr, Text & Übersetzung tz)