22.02.2017
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Künftig kann laut neuem Gesetzentwurf der Ausreisegewahrsam bis zu zehn Tage dauern - und das ohne einen genau definierten Haftgrund. Foto: Reiner Frey. Im Bild: Abschiebungshaftanstalt Ingelheim.

Während am heutigen Mittwoch erneut eine Sammelabschiebung nach Afghanistan stattfinden soll, hat das Bundeskabinett ein weiteres Regelungspaket für eine härtere Abschiebepraxis beschlossen.

Das »Gesetz zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« soll unter ande­rem den Weg für über­fall­ar­ti­ge Abschie­bun­gen ebnen. Zu befürch­ten ist außer­dem ein Lausch­an­griff auf Flücht­lin­ge durch das sys­te­ma­ti­sche Aus­le­sen pri­va­ter Han­dy-Daten durch BAMF-Mitarbeiter.

Verschärfung im Eiltempo beschlossen

Wie bei den ver­gan­ge­nen Asyl­ge­setz­ver­schär­fun­gen soll der Gesetz­ent­wurf im Eil­tem­po den Gesetz­ge­bungs­pro­zess durch­lau­fen. Ver­gan­ge­ne Woche hat­ten Fach­ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen zum Teil weni­ger als einen Arbeits­tag Zeit, Stel­lung zu bezie­hen. Nach dem heu­ti­gen Kabi­nett­be­schluss soll Anfang März die ers­te Lesung im Bun­des­tag statt­fin­den. Das Gesetz ist so kon­stru­iert, dass eine Zustim­mung durch den Bun­des­rat nicht erfor­der­lich sein soll.

Vom Aufnahmeland zum Abschiebeland

Trotz der unzu­mut­bar kur­zen Frist für Stel­lung­nah­men gibt es eine brei­te Kri­tik von in der Flücht­lings­ar­beit akti­ven Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen. Mit die­ser wei­te­ren Ver­schär­fung soll Deutsch­land sich qua Beschluss von oben immer mehr vom Auf­nah­me­land zum Abschie­be­land ent­wi­ckeln. Es ist zu befürch­ten, dass das geplan­te Gesetz weit­rei­chen­de­re Fol­gen haben wird, als in der Öffent­lich­keit beteu­ert wird.

Gesetz mit weitreichenden Folgen

Es muss dar­an erin­nert wer­den, dass zunächst auch die Wir­kung des Asyl­pa­kets II (da vor allem Ein­schrän­kung des Fami­li­en­nach­zugs zu sub­si­di­är Geschütz­ten) klein­ge­re­det wur­de – wor­auf­hin die SPD dem Geset­zes­pa­ket zuge­stimmt hat­te, mit der Fol­ge, dass Zehn­tau­sen­de Flücht­lin­ge davon betrof­fen waren. Glei­che Wir­kun­gen dro­hen nun mit den neu­en Mög­lich­kei­ten des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge und der Aus­län­der­be­hör­den, wenn deren Zugriffs­be­fug­nis­se aus­ge­baut und die Rech­te der Flücht­lin­ge ein­ge­schränkt werden.

Zur aus­führ­li­chen Stel­lung­nah­me von PRO ASYL zum Refe­ren­ten­ent­wurf eines »Geset­zes zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« geht es hier.

Breite Kritik aus der Zivilgesellschaft

Vie­le ver­schie­de­ne Orga­ni­sa­tio­nen stel­len sich gegen die neu­en Vor­ha­ben und ihre weit­rei­chen­den Aus­wir­kun­gen, ihre Stel­lung­nah­men müs­sen ernst genom­men wer­den. Mehr als 20 Orga­ni­sa­tio­nen, dar­un­ter PRO ASYL, haben in einer gemein­sa­men Stel­lung­nah­me kri­ti­siert, dass Maß­nah­men des geplan­ten Geset­zes das Kin­des­wohl beein­träch­ti­gen. Zur gemein­sa­men Stel­lung­nah­me geht es hier. 

Wei­te­re Stellungnahmen:

Dia­ko­nie

Pari­tä­ti­scher Wohlfahrtsverband

Amnes­ty

UNICEF

Bun­des­fach­ver­band unbe­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Flüchtlinge

Jesui­ten-Flücht­lings­dienst

Zur Kri­tik von PRO ASYL im Einzelnen:

Aus­le­sen von per­sön­li­chen Han­dy-Daten. PRO ASYL befürch­tet, dass das Aus­le­sen per­sön­li­cher Daten aus Han­dys sys­te­ma­tisch erfol­gen wird und sich kei­nes­wegs allein auf die Fest­stel­lung von Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit von Schutz­su­chen­den beschränkt. Ob auch Rei­se­weg­san­ga­ben von Asyl­su­chen­den davon umfasst sind, lässt sich der­zeit nicht völ­lig aus­schlie­ßen. Der Refe­ren­ten­ent­wurf des BMI hat­te deren Prü­fung noch mit ein­ge­schlos­sen. Auch prak­tisch erscheint eine Tren­nung schwer vor­stell­bar. Die Über­prü­fung des Rei­se­wegs ist aber ein ganz ande­rer Zweck als die Über­prü­fung der Iden­ti­tät. Das Innen­mi­nis­te­ri­um unter­stellt, dass bei 50 bis 60 % der Asyl­su­chen­den eine Aus­wer­tung der Daten­trä­ger ange­zeigt sei, was rund 150.000 betrof­fe­nen Per­so­nen ent­spricht. Mit der Rei­se­wegs-Ana­ly­se ver­folgt das BMI das Ziel, in gro­ßem Stil wie­der Dub­lin-Abschie­bun­gen in die Erst­ein­rei­se­staa­ten der EU vorzunehmen.

Der Gesetz­ent­wurf kann sich zum »Gro­ßen Lausch­an­griff« gegen Flücht­lin­ge ent­wi­ckeln. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat in sei­nem weg­wei­sen­den Urteil 2004 fest­ge­stellt, dass eine akus­ti­sche Wohn­raum­über­wa­chung abge­bro­chen wer­den muss, wenn Daten aus dem abso­lut geschütz­ten Kern­be­reich pri­va­ter Lebens­ge­stal­tung erho­ben wer­den (BVerfGE 109, 279). Die­ser Grund­satz lässt sich auf das Grund­recht der Gewähr­leis­tung der Ver­trau­lich­keit und Inte­gri­tät infor­ma­ti­ons­tech­ni­scher Sys­te­me über­tra­gen. Das Aus­le­sen der Han­dys hält PRO ASYL für nicht ver­ein­bar mit der Recht­spre­chung des BVerfGE. Gera­de Smart­phones fun­gie­ren als Spei­cher abso­lut pri­va­ter Daten, sei­en es pri­va­te Fotos oder inti­me Kon­ver­sa­tio­nen. Mit der Spei­che­rung und dem Aus­le­sen der Smart­phone-Daten wür­de das BAMF auch an Kon­takt­da­ten von Unter­stüt­ze­rIn­nen oder an den Schrift­ver­kehr zwi­schen Schutz­su­chen­den und ihren Anwäl­tIn­nen kom­men – ohne dass die­se vor­ab eine per­sön­li­che Zustim­mung zur Spei­che­rung erteilt haben. Prak­tisch wird es für das Bun­des­amt kaum mög­lich sein eine Über­prü­fung von Smart­phones vor­zu­neh­men, ohne direkt auf höchst­per­sön­li­che Daten von Schutz­su­chen­den zu sto­ßen. Sogar der für die Maß­nah­me in jedem Fall not­wen­di­ge rich­ter­li­che Beschluss fällt weg – ein Ver­stoß gegen das Urteil des BVerfGE vom 4. Febru­ar 2005.

Schaf­fung der Rechts­grund­la­ge für über­fall­ar­ti­ge Abschie­bun­gen. Per­so­nen, die sich über einen län­ge­ren Zeit­raum gedul­det in Deutsch­land auf­hal­ten, sol­len über­ra­schend abge­scho­ben wer­den kön­nen – ohne vor­he­ri­ge Ankün­di­gung. Bis­lang muss­te bei Dul­dun­gen von län­ger als einem Jahr die Dul­dung zunächst wider­ru­fen und die Abschie­bung min­des­tens einen Monat vor­her ange­kün­digt wer­den (ein­mo­na­ti­ge Wider­rufs­frist bei Abschie­bun­gen nach § 60a Abs. 5 Auf­enthG). Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um will die­se Rege­lung im Auf­ent­halts­ge­setz für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen ersatz­los strei­chen. Schon bei den bei­den vor­an­ge­gan­ge­nen Sam­mel­char­ter-Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan im Dezem­ber 2016 und Janu­ar 2017 wur­den auch lang­jäh­rig Gedul­de­te abge­scho­ben. Die Rege­lung soll für Per­so­nen gel­ten, die angeb­lich durch Iden­ti­täts­täu­schung oder durch Nicht­er­fül­lung zumut­ba­rer Anfor­de­run­gen an die Mit­wir­kung ihre Auf­ent­halts­be­en­di­gung ver­hin­dert oder – laut Geset­zes­be­grün­dung – »ver­zö­gert« haben (S.21). Es bleibt ins­be­son­de­re offen, ob es sich um eine aktu­el­le Täu­schungs­hand­lung han­deln muss oder nicht. Auch der Begriff der »zumut­ba­ren« Anfor­de­run­gen ist nicht wei­ter kon­kre­ti­siert. In der Pra­xis wird Flücht­lin­gen immer wie­der ohne belast­ba­re Begrün­dung vor­ge­wor­fen, ihre Abschie­bung selbst­ver­schul­det ver­hin­dert zu haben. Die Rege­lung ist so unscharf for­mu­liert, dass sie ein Ein­falls­tor für Will­kür sein kann.

Wohn­ver­pflich­tung in (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen. Bis zum Voll­zug der Abschie­bung sol­len Schutz­su­chen­de gezwun­gen wer­den, in der Erst­auf­nah­me zu ver­blei­ben. Die Län­der wer­den ermäch­tigt, in Län­der­ge­set­zen eine ent­spre­chen­de Geset­zes­grund­la­ge zu schaf­fen. Ent­ge­gen der öffent­li­chen Dar­stel­lung ist dies nach Geset­zes­text gene­rell mög­lich. Zwar ist in der Ein­lei­tung, nicht aber im Geset­zes­text selbst die Rede von Asyl­su­chen­den »ohne Blei­be­per­spek­ti­ve«. Damit sind ent­ge­gen den öffent­li­chen Ver­laut­ba­run­gen poten­ti­ell alle betrof­fen, zumin­dest bis zur Ent­schei­dung über den Asyl­an­trag. Unge­ach­tet des­sen: Die Kate­go­ri­sie­rung in Men­schen »ohne Blei­be­per­spek­ti­ve« ist ohne­hin recht­lich nicht fass­bar, da sie erst am Ende eines fai­ren Asyl­ver­fah­rens feststeht.

Die Wohn­ver­pflich­tung in einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung führt außer­dem weit­rei­chen­den Fol­ge­pro­ble­men, weil dort stren­ge­re Regeln gel­ten: Durch die dau­er­haf­te Sach­leis­tungs­ver­sor­gung und Bar­geld­ent­zug, durch die Resi­denz­pflicht­be­schrän­kung auf den Land­kreis sowie ein dau­er­haf­tes Arbeits- und Berufs­aus­bil­dungs­ver­bot erfolgt eine umfas­sen­de Aus­gren­zung und Ent­mün­di­gung der Betrof­fe­nen – und das auch für Jah­re. Die Erleich­te­run­gen der letz­ten Jah­re bei Arbeits­markt­zu­gang, Berufs­aus­bil­dung und Resi­denz­pflicht kön­nen die Län­der nach Belie­ben rückabwickeln.

Miss­ach­tung des Kin­des­wohls. Die Wohn­ver­pflich­tung wür­de auch dazu füh­ren, dass Bun­des­län­der die Mög­lich­keit bekä­men, eben­so Kin­der und Jugend­li­che, die mit ihren Fami­li­en in Deutsch­land Asyl suchen, zeit­lich unbe­grenzt in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen unter­zu­brin­gen. Damit wäre zum Bei­spiel einer gro­ßen Zahl von Kin­dern dau­er­haft der Zugang zu Schu­len ver­wehrt, befürch­ten PRO ASYL, UNICEF, BumF und wei­te­re Organisationen.

Aus­wei­tung des Aus­rei­se­ge­wahr­sams auf bis zu zehn Tage. Mit dem Aus­rei­se­ge­wahr­sam wird ohne die übli­che rechts­staat­li­che Prü­fung ein­zel­ner Haft­grün­de eine Abschie­bungs­haft ange­ord­net. Nach der EU-Rück­füh­rungs­richt­li­nie ist Flucht­ge­fahr der wesent­li­che Grund, aus dem ein Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ger zur Siche­rung der Abschie­bung inhaf­tiert wer­den darf (Art. 15 Abs. 1). Unter wel­chen Umstän­den von Flucht­ge­fahr aus­ge­gan­gen wer­den kann, muss aber gesetz­lich klar defi­niert sein. Wich­tig ist dabei, dass Auf­fang­tat­be­stän­de nach der Rück­füh­rungs­richt­li­nie nicht erlaubt sind (Art. 3 Nr. 7). Der Aus­rei­se­ge­wahr­sam stellt einen sol­chen nicht defi­nier­ten Haft­grund dar, der jetzt auch noch auf zehn Tage aus­ge­wei­tet wird. Eine der­art lan­ge Dau­er ist über­dies unver­hält­nis­mä­ßig und daher sowohl ver­fas­sungs- als auch euro­pa­recht­lich unzulässig.

Abschie­bungs­haft. Ein neu­er Abschie­bungs­haft­grund soll ein­ge­führt wer­den, um Per­so­nen, von denen eine erheb­li­che Gefahr für Leib und Leben Drit­ter oder bedeu­ten­de Rechts­gü­ter der inne­ren Sicher­heit aus­geht, in Abschie­bungs­haft zu neh­men. Doch was unter sog. Gefähr­dern zu ver­ste­hen ist, ist auch straf­recht­lich höchst umstrit­ten. Eine prä­ven­ti­ve Inhaf­tie­rung von Per­so­nen ohne hin­rei­chen­den Grund ist rechts­staat­lich unzu­läs­sig. Zudem wer­den Aus­län­der­recht und Straf­recht hier ver­mischt. Die Abschie­be­haft darf nur zur Sicher­stel­lung des Voll­zugs der Abschie­bung ange­ord­net wer­den. Die Abschie­be­haft ist kei­ne effek­ti­ve und recht­lich zuläs­si­ge Maß­nah­me zur Abwehr ter­ro­ris­ti­sche Gefah­ren. Die­sen muss mit Mit­teln der Straf­ver­fol­gung und des Straf­rechts begeg­net werden.

»Frei­wil­li­ge Aus­rei­se«. Sys­te­ma­ti­scher Druck wird auf Asyl­su­chen­de auf­ge­baut zur Rück­nah­me des Asyl­an­trags und des Ver­zichts auf Rechts­mit­tel mit dem Ziel der »frei­wil­li­gen Aus­rei­se«. Die­se Maß­nah­me soll die recht­li­chen Ände­run­gen begleiten.