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Abschiebepolitik setzt Flüchtlingsschutz und Willkommenskultur unter Druck
Mit dem gestern beschlossenen Maßnahmenpaket für eine verschärfte »Rückkehrpolitik« soll Deutschland von einem Aufnahmeland zu einem Abschiebeland werden. Doch die Willkommenskultur kann nicht mit Beschlüssen von oben beendet werden.
Das beschlossene Maßnahmenpaket für eine schärfere Abschiebepolitik ist ein Programm, das Asylsuchenden die Hoffnung auf Schutz in Deutschland nehmen und sie entmutigen soll. Noch während der Asylverfahren soll eine flächendeckende staatliche Rückkehrberatung künftig freiwillige Rückreisen auch in die Hauptherkunftsländer forcieren. Obwohl die Lage beispielsweise in Afghanistan so schlimm ist, wie lange nicht, setzt die Bundesregierung verstärkt auf Rückführungen.
Statt fairer und gründlicher Asylverfahren schnelle Ablehnungen
Die Ministerpräsidenten vieler Bundesländer scheinen mitmachen zu wollen. Im Beschluss formulieren sie: »In den nächsten Monaten wird das BAMF fortlaufend eine hohe Zahl von Asylanträgen von Personen ablehnen, die keines Schutzes in Deutschland bedürfen«. Dies liest sich nicht wie ein Bekenntnis zu fairen und qualitativ hochwertigen Asylverfahren, sondern wie die programmatische Ankündigung einer verschärften Ablehnungspolitik.
Willkommenskultur soll abgeschafft werden
Die Schnelligkeit, mit der die Willkommenskultur beendet und die Abschiebemaschinerie in Deutschland qua Beschluss in Gang gesetzt werden soll, ist irritierend. Der gestrige weitereichende Beschluss der Ministerpräsidenten wurde ohne ausführliche öffentliche Diskussion und ohne Beteiligung der gewählten Abgeordneten in Bund und Ländern gefasst.
Die Schnelligkeit, mit der die Willkommenskultur beendet und die Abschiebemaschinerie in in Gang gesetzt werden soll, ist irritierend.
Es bleibt zu hoffen, dass sich Länderkoalitionen, der Bundesrat und der Bundestag intensiv mit diesen politischen Beschlüssen befassen und sich der Abschiebemaschinerie, die menschliche Folgen außer Acht lässt, entgegenstellen.
Aktionstag gegen Abschiebungen nach Afghanistan
Ebenso kommt es auf die Zivilgesellschaft an, Asylsuchenden zur Seite zu stehen, sie in ihren Asylverfahren zu begleiten und behördliches Handeln von unabhängigen Gerichten überprüfen zu lassen. Abschiebungen und erzwungene freiwillige Ausreisen in Kriegs- und Krisengebiete wie zum Beispiel nach Afghanistan sind inakzeptabel.
Der bevorstehende Aktionstag gegen Abschiebungen nach Afghanistan, der am 11. Februar bundesweit in mehr als 20 Städten stattfinden soll, wird ein wichtiges Signal der Unterstützer*innen und Initiativen vor Ort sein, sich der Abschiebeprogrammatik der Bundesregierung entgegenzustellen.
Erste Bewertung von zentralen Elementen des beschlossenen Maßnahmenpakets
Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchführung der Ausreisepflicht
Der Bund möchte noch vor der Bundestagswahl ein neues Gesetz zur besseren Durchführung der Ausreisepflicht in den Bundestag einbringen. Ein neuer Abschiebehaftgrund soll eingeführt werden, um Personen, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, in Abschiebehaft zu nehmen. Doch was unter sog. Gefährdern zu verstehen ist, ist auch strafrechtlich höchst umstritten. Eine präventive Inhaftierung von Personen ohne hinreichenden Grund ist rechtsstaatlich unzulässig.
Zudem werden Ausländerrecht und Strafrecht hier vermischt. Die Abschiebehaft darf nur zur Sicherstellung des Vollzugs der Abschiebung angeordnet werden. Die Abschiebehaft ist keine effektive und rechtlich zulässige Maßnahme zur Abwehr terroristischer Gefahren. Diesen muss mit Mitteln der Strafverfolgung und des Strafrechts begegnet werden.
Ebenso ist die vorgesehene Verlängerung der Höchstdauer des Ausreisegewahrsams auf 10 Tage rechtsstaatlich höchst problematisch. PRO ASYL hat die Einführung des § 62b AufenthG bereits im letzten Jahr scharf kritisiert. Mit dem Ausreisegewahrsam wird ohne die übliche rechtsstaatliche Prüfung einzelner Haftgründe eine Abschiebungshaft angeordnet.
Nach der EU-Rückführungsrichtlinie ist Fluchtgefahr der wesentliche Grund, aus dem ein Drittstaatsangehöriger zur Sicherung der Abschiebung inhaftiert werden darf (Art. 15 Abs. 1). Unter welchen Umständen von Fluchtgefahr ausgegangen werden kann, muss aber gesetzlich klar definiert sein. Wichtig ist dabei, dass Auffangtatbestände nach der Rückführungsrichtlinie nicht erlaubt sind (Art. 3 Nr. 7).
Der Ausreisegewahrsam stellt einen solchen nicht definierten Haftgrund dar, der jetzt auch noch auf zehn Tage ausgeweitet wird. Eine derart lange Dauer ist überdies unverhältnismäßig und daher sowohl verfassungs- als auch europarechtlich unzulässig.
Besonders gravierend ist das Vorhaben, die einmonatige Widerrufsfrist bei Abschiebungen nach über einjähriger Duldung für bestimmte Personengruppen ersatzlos abzuschaffen (§ 60a Abs. 5 AufenthG). Im Kern heißt das, dass Personen, die sich über einen längeren Zeitraum in Deutschland aufhalten, überraschend abgeschoben werden können – ganz ohne vorherige Ankündigung. Für langjährig Geduldete bedeutet dies eine ständige Ungewissheit und den darauffolgenden Schock bei einer überraschenden Rückführung.
Schon bei den beiden vorangegangenen Sammelcharter-Abschiebungen nach Afghanistan wurden auch langjährig Geduldete abgeschoben. Die Regelung soll für Personen gelten, die angeblich durch Täuschung über ihre Identität oder durch Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung ihre Aufenthaltsbeendigung verhindert oder verzögert haben.
In der Praxis wird Flüchtlingen immer wieder ohne belastbare Begründung vorgeworfen, ihre Abschiebung selbstverschuldet verhindert zu haben. Die Regelung ist so unscharf formuliert, dass sie ein Einfallstor für Willkür sein kann. Zusätzlich soll diese Personengruppe noch mit einer Residenzpflicht belastet werden, um sie noch stärker durch den Staat kontrollieren zu können.
Das geplante Gesetz sieht auch vor, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits im Asylverfahren zur Überprüfung der Identität von Asylsuchenden auf Daten aus ihren mobilen Endgeräten und auf SIM-Karten Zugriff haben soll. Außerdem soll geprüft werden, ob weitere Datenauswertungen vorgenommen werden können, wenn dies angeblich der Überprüfung der »für die Entscheidung über den Asylantrag maßgeblichen Angaben« dient. Gerade dieser Passus ist sehr unbestimmt gehalten.
Im Datenschutzrecht gilt das Gebot der Zweckbindung, so dass Daten nur für den Zweck verarbeitet werden dürfen, für den sie erhoben wurden. Die Regelung ermöglicht en passant einen umfassenden Zugriff des BAMF auf private Daten von Geflüchteten, die möglicherweise zu sachfremden Zwecken verwendet werden könnten.
Aus der Perspektive von Geflüchteten, die aus autoritären Regimen geflohen sind, dürfte es zusätzlich irritierend sein, wenn von ihnen in Deutschland umfassend private Daten herausverlangt werden.
Freiwillige Rückkehrberatung
Viele Maßnahmen des 15-Punkte-Plans sollen außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens auf den Weg gebracht werden. Zentral ist dabei die angeblich »freiwillige« Rückkehrberatung. Eine tatsächliche Rückkehrberatung, die auf Freiwilligkeit setzt, kann aber nur ergebnisoffen und von unabhängigen Akteuren durchgeführt werden. Die Rückkehrberatung soll bereits früh im Asylverfahren ansetzen, Asylsuchende entmutigen und offenkundig unter Rückkehrdruck setzen.
Schon das Programm »Starthilfe Plus« der Bundesregierung hat selbst Zielstaaten wie Syrien, Eritrea oder Afghanistan gelistet. PRO ASYL lehnt die Idee einer de-facto-Zwangsrückkehrberatung von Staats wegen ab (siehe dazu Thesenpapier von PRO ASYL). Die Bundesregierung lässt sich das Ganze einiges kosten und will dazu insgesamt 90 Millionen Euro in 2017 investieren.
Ein rechtsstaatliches Verfahren über Asylgründe darf nicht von der Idee einer baldigen Rückkehr überwölbt werden. Für die Flüchtlinge dürfte es zu erheblichen Irritationen führen, wenn sie von der gleichen Behörde, die über ihren Asylantrag entscheidet, zugleich zu einer Rückkehr in das Herkunftsland animiert wird.
Rückkehrzentrum
Weiterhin soll innerhalb der nächsten drei Monate ein Gemeinsames Zentrum zur Rückkehr geschaffen werden, um Sammelabschiebungen zu koordinieren. Offensichtlich zielt der Plan u.a. darauf ab, Abschiebungen nach Afghanistan noch stärker zu forcieren.
Bei den beiden vergangenen Sammelcharter-Flügen zeigte sich, dass einige Bundesländer nicht mit der Linie des Bundesinnenministeriums einverstanden sind und unter Verweis auf Berichte von UNHCR und der UN-Mission UNAMA an der längst überholten Sicherheitsbeurteilung des Bundes zu Afghanistan erhebliche Zweifel haben.
Das neue Gemeinsame Zentrum stellt den Versuch dar, die Bedenken der Bundesländer zu umgehen und Abschiebungen zentral umzusetzen. Die Ermessensspielräume der Länder sollen zusätzlich deutlich beschnitten werden, indem das Bundesinnenministerium demnächst Leitsätze herausgeben soll, wie die Anwendung von Duldungen in den Bundesländern zu regeln ist.
In höchstem Maße problematisch ist auch die gesetzliche Ermächtigung der Länder, die Befristung der Verpflichtung für Asylsuchende ohne Bleibeperspektive in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, zu verlängern. Über den gesetzlich nicht definierten Begriff der »Bleibeperspektive« soll die Dauerkasernierung von Asylsuchenden gerechtfertigt werden. Es sollen Zentren der »organisierten Hoffnungslosigkeit« werden.
Bundesausreisezentren
Die Einrichtung von Bundesausreisezentren ist noch umstritten. Sie gehen auf den Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière zurück. Sie sollen in Flughafennähe dazu genutzt werden, abgelehnte Asylsuchende dort bis zur Abschiebung unterzubringen. Die Zuständigkeit der Länder für Abschiebungen würde aufgeweicht. Die Ermessensspielräume für humanitäre Lösungen im Einzelfall könnten nicht mehr genutzt werden können.
Amtsärztliche Begutachtungen
Geplant ist, ohnehin schon scharfe Regelungen weiter zu verschärfen. Die ärztliche Begutachtung der Reisefähigkeit bei Rückführungen soll beschleunigt (in der Praxis: auch in der Sache verkürzt) werden. Die Länder sollen mehr Amtsärzte oder vergleichbares ärztliches Personal einsetzen.
Schon heute werden als vergleichbares Personal auch zur Begleitung von Rückführungen zum Teil willfährige Honorarärzte eingesetzt, die in der Vergangenheit bereits treffend als »Fachärzte für Abschiebungen« kritisiert wurden.
Ärztliches Handeln hat sich am Patientenwohl und dem Hippokratischen Eid zu orientieren, wozu die Reduktion des ärztlichen Selbstverständnisses auf Abschiebungsbegleitung nicht gehört.
Schnelle Bearbeitung von Folgeanträgen
Aufgrund der sich stetig verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan stellen derzeit viele Geduldete sog. Folgeanträge. Der Beschluss sieht nun vor, dass die Folgeanträge beim BAMF schnell entschieden werden, um Verzögerungen bei der Rückführung zu minimieren.
Faire und sachgerechte Asylverfahren dürfen aber nicht nur schnell sein, sondern ebenso sorgfältig in Sachen Anhörung und Entscheidungsbegründung sein. Die massenhaft durchgeführten Schnellverfahren des Bundesamtes im letzten Jahr haben gezeigt, dass Schnelligkeit zu Lasten der Qualität ging. Deshalb ist zu befürchten, dass mit diesem Beschluss dieses Problem auf die Folgeanträge übertragen wird.