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Demonstration gegen Abschiebungen nach Afghanistan in Frankfurt am Main. Am 11. Februar wird erneut in mehreren deutschen Städten protestiert. Foto: Protestfotografie Frankfurt

Mit dem gestern beschlossenen Maßnahmenpaket für eine verschärfte »Rückkehrpolitik« soll Deutschland von einem Aufnahmeland zu einem Abschiebeland werden. Doch die Willkommenskultur kann nicht mit Beschlüssen von oben beendet werden.

Das beschlos­se­ne Maß­nah­men­pa­ket für eine schär­fe­re Abschie­be­po­li­tik ist ein Pro­gramm, das Asyl­su­chen­den die Hoff­nung auf Schutz in Deutsch­land neh­men und sie ent­mu­ti­gen soll. Noch wäh­rend der Asyl­ver­fah­ren soll eine flä­chen­de­cken­de staat­li­che Rück­kehr­be­ra­tung künf­tig frei­wil­li­ge Rück­rei­sen auch in die Haupt­her­kunfts­län­der for­cie­ren. Obwohl die Lage bei­spiels­wei­se in Afgha­ni­stan so schlimm ist, wie lan­ge nicht, setzt die Bun­des­re­gie­rung ver­stärkt auf Rückführungen.

Statt fairer und gründlicher Asylverfahren schnelle Ablehnungen

Die Minis­ter­prä­si­den­ten vie­ler Bun­des­län­der schei­nen mit­ma­chen zu wol­len. Im Beschluss for­mu­lie­ren sie: »In den nächs­ten Mona­ten wird das BAMF fort­lau­fend eine hohe Zahl von Asyl­an­trä­gen von Per­so­nen ableh­nen, die kei­nes Schut­zes in Deutsch­land bedür­fen«. Dies liest sich nicht wie ein Bekennt­nis zu fai­ren und qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Asyl­ver­fah­ren, son­dern wie die pro­gram­ma­ti­sche Ankün­di­gung einer ver­schärf­ten Ablehnungspolitik.

Willkommenskultur soll abgeschafft werden

Die Schnel­lig­keit, mit der die Will­kom­mens­kul­tur been­det und die Abschie­be­ma­schi­ne­rie in Deutsch­land qua Beschluss in Gang gesetzt wer­den soll, ist irri­tie­rend. Der gest­ri­ge wei­te­rei­chen­de Beschluss der Minis­ter­prä­si­den­ten wur­de ohne aus­führ­li­che öffent­li­che Dis­kus­si­on und ohne Betei­li­gung der gewähl­ten Abge­ord­ne­ten in Bund und Län­dern gefasst.

Die Schnel­lig­keit, mit der die Will­kom­mens­kul­tur been­det und die Abschie­be­ma­schi­ne­rie in in Gang gesetzt wer­den soll, ist irritierend.

Es bleibt zu hof­fen, dass sich Län­der­ko­ali­tio­nen, der Bun­des­rat und der Bun­des­tag inten­siv mit die­sen poli­ti­schen Beschlüs­sen befas­sen und sich der Abschie­be­ma­schi­ne­rie, die mensch­li­che Fol­gen außer Acht lässt, entgegenstellen.

Aktionstag gegen Abschiebungen nach Afghanistan

Eben­so kommt es auf die Zivil­ge­sell­schaft an, Asyl­su­chen­den zur Sei­te zu ste­hen, sie in ihren Asyl­ver­fah­ren zu beglei­ten und behörd­li­ches Han­deln von unab­hän­gi­gen Gerich­ten über­prü­fen zu las­sen. Abschie­bun­gen und erzwun­ge­ne frei­wil­li­ge Aus­rei­sen in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­te wie zum Bei­spiel nach Afgha­ni­stan sind inakzeptabel.

Der bevor­ste­hen­de Akti­ons­tag gegen Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan, der am 11. Febru­ar bun­des­weit in mehr als 20 Städ­ten statt­fin­den soll, wird ein wich­ti­ges Signal der Unterstützer*innen und Initia­ti­ven vor Ort sein, sich der Abschie­be­pro­gram­ma­tik der Bun­des­re­gie­rung entgegenzustellen.

Übersicht: Veranstaltungen am Aktionstag

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Erste Bewertung von zentralen Elementen des beschlossenen Maßnahmenpakets

Ent­wurf eines Geset­zes zur bes­se­ren Durch­füh­rung der Ausreisepflicht

Der Bund möch­te noch vor der Bun­des­tags­wahl ein neu­es Gesetz zur bes­se­ren Durch­füh­rung der Aus­rei­se­pflicht in den Bun­des­tag ein­brin­gen. Ein neu­er Abschie­be­haft­grund soll ein­ge­führt wer­den, um Per­so­nen, von denen eine erheb­li­che Gefahr für Leib und Leben Drit­ter oder bedeu­ten­de Rechts­gü­ter der inne­ren Sicher­heit aus­geht, in Abschie­be­haft zu neh­men. Doch was unter sog. Gefähr­dern zu ver­ste­hen ist, ist auch straf­recht­lich höchst umstrit­ten. Eine prä­ven­ti­ve Inhaf­tie­rung von Per­so­nen ohne hin­rei­chen­den Grund ist rechts­staat­lich unzulässig.

Zudem wer­den Aus­län­der­recht und Straf­recht hier ver­mischt. Die Abschie­be­haft darf nur zur Sicher­stel­lung des Voll­zugs der Abschie­bung ange­ord­net wer­den. Die Abschie­be­haft ist kei­ne effek­ti­ve und recht­lich zuläs­si­ge Maß­nah­me zur Abwehr ter­ro­ris­ti­scher Gefah­ren. Die­sen muss mit Mit­teln der Straf­ver­fol­gung und des Straf­rechts begeg­net werden.

Eben­so ist die vor­ge­se­he­ne Ver­län­ge­rung der Höchst­dau­er des Aus­rei­se­ge­wahr­sams auf 10 Tage rechts­staat­lich höchst pro­ble­ma­tisch. PRO ASYL hat die Ein­füh­rung des § 62b Auf­enthG bereits im letz­ten Jahr scharf kri­ti­siert. Mit dem Aus­rei­se­ge­wahr­sam wird ohne die übli­che rechts­staat­li­che Prü­fung ein­zel­ner Haft­grün­de eine Abschie­bungs­haft angeordnet.

Nach der EU-Rück­füh­rungs­richt­li­nie ist Flucht­ge­fahr der wesent­li­che Grund, aus dem ein Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ger zur Siche­rung der Abschie­bung inhaf­tiert wer­den darf (Art. 15 Abs. 1). Unter wel­chen Umstän­den von Flucht­ge­fahr aus­ge­gan­gen wer­den kann, muss aber gesetz­lich klar defi­niert sein. Wich­tig ist dabei, dass Auf­fang­tat­be­stän­de nach der Rück­füh­rungs­richt­li­nie nicht erlaubt sind (Art. 3 Nr. 7).

Der Aus­rei­se­ge­wahr­sam stellt einen sol­chen nicht defi­nier­ten Haft­grund dar, der jetzt auch noch auf zehn Tage aus­ge­wei­tet wird. Eine der­art lan­ge Dau­er ist über­dies unver­hält­nis­mä­ßig und daher sowohl ver­fas­sungs- als auch euro­pa­recht­lich unzulässig.

Beson­ders gra­vie­rend ist das Vor­ha­ben, die ein­mo­na­ti­ge Wider­rufs­frist bei Abschie­bun­gen nach über ein­jäh­ri­ger Dul­dung für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen ersatz­los abzu­schaf­fen (§ 60a Abs. 5 Auf­enthG). Im Kern heißt das, dass Per­so­nen, die sich über einen län­ge­ren Zeit­raum in Deutsch­land auf­hal­ten, über­ra­schend abge­scho­ben wer­den kön­nen – ganz ohne vor­he­ri­ge Ankün­di­gung. Für lang­jäh­rig Gedul­de­te bedeu­tet dies eine stän­di­ge Unge­wiss­heit und den dar­auf­fol­gen­den Schock bei einer über­ra­schen­den Rückführung.

Schon bei den bei­den vor­an­ge­gan­ge­nen Sam­mel­char­ter-Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan wur­den auch lang­jäh­rig Gedul­de­te abge­scho­ben. Die Rege­lung soll für Per­so­nen gel­ten, die angeb­lich durch Täu­schung über ihre Iden­ti­tät oder durch Nicht­er­fül­lung zumut­ba­rer Anfor­de­run­gen an die Mit­wir­kung ihre Auf­ent­halts­be­en­di­gung ver­hin­dert oder ver­zö­gert haben.

In der Pra­xis wird Flücht­lin­gen immer wie­der ohne belast­ba­re Begrün­dung vor­ge­wor­fen, ihre Abschie­bung selbst­ver­schul­det ver­hin­dert zu haben. Die Rege­lung ist so unscharf for­mu­liert, dass sie ein Ein­falls­tor für Will­kür sein kann. Zusätz­lich soll die­se Per­so­nen­grup­pe noch mit einer Resi­denz­pflicht belas­tet wer­den, um sie noch stär­ker durch den Staat kon­trol­lie­ren zu können.

Das geplan­te Gesetz sieht auch vor, dass das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge bereits im Asyl­ver­fah­ren zur Über­prü­fung der Iden­ti­tät von Asyl­su­chen­den auf Daten aus ihren mobi­len End­ge­rä­ten und auf SIM-Kar­ten Zugriff haben soll. Außer­dem soll geprüft wer­den, ob wei­te­re Daten­aus­wer­tun­gen vor­ge­nom­men wer­den kön­nen, wenn dies angeb­lich der Über­prü­fung der »für die Ent­schei­dung über den Asyl­an­trag maß­geb­li­chen Anga­ben« dient. Gera­de die­ser Pas­sus ist sehr unbe­stimmt gehalten.

Im Daten­schutz­recht gilt das Gebot der Zweck­bin­dung, so dass Daten nur für den Zweck ver­ar­bei­tet wer­den dür­fen, für den sie erho­ben wur­den. Die Rege­lung ermög­licht en pas­sant einen umfas­sen­den Zugriff des BAMF auf pri­va­te Daten von Geflüch­te­ten, die mög­li­cher­wei­se zu sach­frem­den Zwe­cken ver­wen­det wer­den könnten.

Aus der Per­spek­ti­ve von Geflüch­te­ten, die aus auto­ri­tä­ren Regi­men geflo­hen sind, dürf­te es zusätz­lich irri­tie­rend sein, wenn von ihnen in Deutsch­land umfas­send pri­va­te Daten her­aus­ver­langt werden.

Frei­wil­li­ge Rückkehrberatung

Vie­le Maß­nah­men des 15-Punk­te-Plans sol­len außer­halb des Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens auf den Weg gebracht wer­den. Zen­tral ist dabei die angeb­lich »frei­wil­li­ge« Rück­kehr­be­ra­tung. Eine tat­säch­li­che Rück­kehr­be­ra­tung, die auf Frei­wil­lig­keit setzt, kann aber nur ergeb­nis­of­fen und von unab­hän­gi­gen Akteu­ren durch­ge­führt wer­den. Die Rück­kehr­be­ra­tung soll bereits früh im Asyl­ver­fah­ren anset­zen, Asyl­su­chen­de ent­mu­ti­gen und offen­kun­dig unter Rück­kehr­druck setzen.

Schon das Pro­gramm »Start­hil­fe Plus« der Bun­des­re­gie­rung hat selbst Ziel­staa­ten wie Syri­en, Eri­trea oder Afgha­ni­stan gelis­tet. PRO ASYL lehnt die Idee einer de-fac­to-Zwangs­rück­kehr­be­ra­tung von Staats wegen ab (sie­he dazu The­sen­pa­pier von PRO ASYL). Die Bun­des­re­gie­rung lässt sich das Gan­ze eini­ges kos­ten und will dazu ins­ge­samt 90 Mil­lio­nen Euro in 2017 investieren.

Ein rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren über Asyl­grün­de darf nicht von der Idee einer bal­di­gen Rück­kehr über­wölbt wer­den. Für die Flücht­lin­ge dürf­te es zu erheb­li­chen Irri­ta­tio­nen füh­ren, wenn sie von der glei­chen Behör­de, die über ihren Asyl­an­trag ent­schei­det, zugleich zu einer Rück­kehr in das Her­kunfts­land ani­miert wird.

Rück­kehr­zen­trum

Wei­ter­hin soll inner­halb der nächs­ten drei Mona­te ein Gemein­sa­mes Zen­trum zur Rück­kehr geschaf­fen wer­den, um Sam­mel­ab­schie­bun­gen zu koor­di­nie­ren. Offen­sicht­lich zielt der Plan u.a. dar­auf ab, Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan noch stär­ker zu forcieren.

Bei den bei­den ver­gan­ge­nen Sam­mel­char­ter-Flü­gen zeig­te sich, dass eini­ge Bun­des­län­der nicht mit der Linie des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums ein­ver­stan­den sind und unter Ver­weis auf Berich­te von UNHCR und der UN-Mis­si­on UNAMA an der längst über­hol­ten Sicher­heits­be­ur­tei­lung des Bun­des zu Afgha­ni­stan erheb­li­che Zwei­fel haben.

Das neue Gemein­sa­me Zen­trum stellt den Ver­such dar, die Beden­ken der Bun­des­län­der zu umge­hen und Abschie­bun­gen zen­tral umzu­set­zen. Die Ermes­sens­spiel­räu­me der Län­der sol­len zusätz­lich deut­lich beschnit­ten wer­den, indem das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um dem­nächst Leit­sät­ze her­aus­ge­ben soll, wie die Anwen­dung von Dul­dun­gen in den Bun­des­län­dern zu regeln ist.

In höchs­tem Maße pro­ble­ma­tisch ist auch die gesetz­li­che Ermäch­ti­gung der Län­der, die Befris­tung der Ver­pflich­tung für Asyl­su­chen­de ohne Blei­be­per­spek­ti­ve in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen zu woh­nen, zu ver­län­gern. Über den gesetz­lich nicht defi­nier­ten Begriff der »Blei­be­per­spek­ti­ve« soll die Dau­er­ka­ser­nie­rung von Asyl­su­chen­den gerecht­fer­tigt wer­den. Es sol­len Zen­tren der »orga­ni­sier­ten Hoff­nungs­lo­sig­keit« werden.

Bun­des­aus­rei­se­zen­tren

Die Ein­rich­tung von Bun­des­aus­rei­se­zen­tren ist noch umstrit­ten. Sie gehen auf den Vor­schlag von Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re zurück. Sie sol­len in Flug­ha­fen­nä­he dazu genutzt wer­den, abge­lehn­te Asyl­su­chen­de dort bis zur Abschie­bung unter­zu­brin­gen. Die Zustän­dig­keit der Län­der für Abschie­bun­gen wür­de auf­ge­weicht. Die Ermes­sens­spiel­räu­me für huma­ni­tä­re Lösun­gen im Ein­zel­fall könn­ten nicht mehr genutzt wer­den können.

Amts­ärzt­li­che Begutachtungen 

Geplant ist, ohne­hin schon schar­fe Rege­lun­gen wei­ter zu ver­schär­fen. Die ärzt­li­che Begut­ach­tung der Rei­se­fä­hig­keit bei Rück­füh­run­gen soll beschleu­nigt (in der Pra­xis: auch in der Sache ver­kürzt) wer­den. Die Län­der sol­len mehr Amts­ärz­te oder ver­gleich­ba­res ärzt­li­ches Per­so­nal einsetzen.

Schon heu­te wer­den als ver­gleich­ba­res Per­so­nal auch zur Beglei­tung von Rück­füh­run­gen zum Teil will­fäh­ri­ge Hono­rar­ärz­te ein­ge­setzt, die in der Ver­gan­gen­heit bereits tref­fend als »Fach­ärz­te für Abschie­bun­gen« kri­ti­siert wurden.

Ärzt­li­ches Han­deln hat sich am Pati­en­ten­wohl und dem Hip­po­kra­ti­schen Eid zu ori­en­tie­ren, wozu die Reduk­ti­on des ärzt­li­chen Selbst­ver­ständ­nis­ses auf Abschie­bungs­be­glei­tung nicht gehört.

Schnel­le Bear­bei­tung von Folgeanträgen

Auf­grund der sich ste­tig ver­schlech­tern­den Sicher­heits­la­ge in Afgha­ni­stan stel­len der­zeit vie­le Gedul­de­te sog. Fol­ge­an­trä­ge. Der Beschluss sieht nun vor, dass die Fol­ge­an­trä­ge beim BAMF schnell ent­schie­den wer­den, um Ver­zö­ge­run­gen bei der Rück­füh­rung zu minimieren.

Fai­re und sach­ge­rech­te Asyl­ver­fah­ren dür­fen aber nicht nur schnell sein, son­dern eben­so sorg­fäl­tig in Sachen Anhö­rung und Ent­schei­dungs­be­grün­dung sein. Die mas­sen­haft durch­ge­führ­ten Schnell­ver­fah­ren des Bun­des­am­tes im letz­ten Jahr haben gezeigt, dass Schnel­lig­keit zu Las­ten der Qua­li­tät ging. Des­halb ist zu befürch­ten, dass mit die­sem Beschluss die­ses Pro­blem auf die Fol­ge­an­trä­ge über­tra­gen wird.