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Verschärfte Abschiebungspolitik: Breite Kritik am neuen Gesetzentwurf

Während am heutigen Mittwoch erneut eine Sammelabschiebung nach Afghanistan stattfinden soll, hat das Bundeskabinett ein weiteres Regelungspaket für eine härtere Abschiebepraxis beschlossen.
Das »Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« soll unter anderem den Weg für überfallartige Abschiebungen ebnen. Zu befürchten ist außerdem ein Lauschangriff auf Flüchtlinge durch das systematische Auslesen privater Handy-Daten durch BAMF-Mitarbeiter.
Verschärfung im Eiltempo beschlossen
Wie bei den vergangenen Asylgesetzverschärfungen soll der Gesetzentwurf im Eiltempo den Gesetzgebungsprozess durchlaufen. Vergangene Woche hatten Fachverbände und Organisationen zum Teil weniger als einen Arbeitstag Zeit, Stellung zu beziehen. Nach dem heutigen Kabinettbeschluss soll Anfang März die erste Lesung im Bundestag stattfinden. Das Gesetz ist so konstruiert, dass eine Zustimmung durch den Bundesrat nicht erforderlich sein soll.
Vom Aufnahmeland zum Abschiebeland
Trotz der unzumutbar kurzen Frist für Stellungnahmen gibt es eine breite Kritik von in der Flüchtlingsarbeit aktiven Verbände und Organisationen. Mit dieser weiteren Verschärfung soll Deutschland sich qua Beschluss von oben immer mehr vom Aufnahmeland zum Abschiebeland entwickeln. Es ist zu befürchten, dass das geplante Gesetz weitreichendere Folgen haben wird, als in der Öffentlichkeit beteuert wird.
Gesetz mit weitreichenden Folgen
Es muss daran erinnert werden, dass zunächst auch die Wirkung des Asylpakets II (da vor allem Einschränkung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten) kleingeredet wurde – woraufhin die SPD dem Gesetzespaket zugestimmt hatte, mit der Folge, dass Zehntausende Flüchtlinge davon betroffen waren. Gleiche Wirkungen drohen nun mit den neuen Möglichkeiten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Ausländerbehörden, wenn deren Zugriffsbefugnisse ausgebaut und die Rechte der Flüchtlinge eingeschränkt werden.
Breite Kritik aus der Zivilgesellschaft
Viele verschiedene Organisationen stellen sich gegen die neuen Vorhaben und ihre weitreichenden Auswirkungen, ihre Stellungnahmen müssen ernst genommen werden. Mehr als 20 Organisationen, darunter PRO ASYL, haben in einer gemeinsamen Stellungnahme kritisiert, dass Maßnahmen des geplanten Gesetzes das Kindeswohl beeinträchtigen. Zur gemeinsamen Stellungnahme geht es hier.
Weitere Stellungnahmen:
Paritätischer Wohlfahrtsverband
Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Zur Kritik von PRO ASYL im Einzelnen:
Auslesen von persönlichen Handy-Daten. PRO ASYL befürchtet, dass das Auslesen persönlicher Daten aus Handys systematisch erfolgen wird und sich keineswegs allein auf die Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit von Schutzsuchenden beschränkt. Ob auch Reisewegsangaben von Asylsuchenden davon umfasst sind, lässt sich derzeit nicht völlig ausschließen. Der Referentenentwurf des BMI hatte deren Prüfung noch mit eingeschlossen. Auch praktisch erscheint eine Trennung schwer vorstellbar. Die Überprüfung des Reisewegs ist aber ein ganz anderer Zweck als die Überprüfung der Identität. Das Innenministerium unterstellt, dass bei 50 bis 60 % der Asylsuchenden eine Auswertung der Datenträger angezeigt sei, was rund 150.000 betroffenen Personen entspricht. Mit der Reisewegs-Analyse verfolgt das BMI das Ziel, in großem Stil wieder Dublin-Abschiebungen in die Ersteinreisestaaten der EU vorzunehmen.
Der Gesetzentwurf kann sich zum »Großen Lauschangriff« gegen Flüchtlinge entwickeln. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem wegweisenden Urteil 2004 festgestellt, dass eine akustische Wohnraumüberwachung abgebrochen werden muss, wenn Daten aus dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben werden (BVerfGE 109, 279). Dieser Grundsatz lässt sich auf das Grundrecht der Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme übertragen. Das Auslesen der Handys hält PRO ASYL für nicht vereinbar mit der Rechtsprechung des BVerfGE. Gerade Smartphones fungieren als Speicher absolut privater Daten, seien es private Fotos oder intime Konversationen. Mit der Speicherung und dem Auslesen der Smartphone-Daten würde das BAMF auch an Kontaktdaten von UnterstützerInnen oder an den Schriftverkehr zwischen Schutzsuchenden und ihren AnwältInnen kommen – ohne dass diese vorab eine persönliche Zustimmung zur Speicherung erteilt haben. Praktisch wird es für das Bundesamt kaum möglich sein eine Überprüfung von Smartphones vorzunehmen, ohne direkt auf höchstpersönliche Daten von Schutzsuchenden zu stoßen. Sogar der für die Maßnahme in jedem Fall notwendige richterliche Beschluss fällt weg – ein Verstoß gegen das Urteil des BVerfGE vom 4. Februar 2005.
Schaffung der Rechtsgrundlage für überfallartige Abschiebungen. Personen, die sich über einen längeren Zeitraum geduldet in Deutschland aufhalten, sollen überraschend abgeschoben werden können – ohne vorherige Ankündigung. Bislang musste bei Duldungen von länger als einem Jahr die Duldung zunächst widerrufen und die Abschiebung mindestens einen Monat vorher angekündigt werden (einmonatige Widerrufsfrist bei Abschiebungen nach § 60a Abs. 5 AufenthG). Das Bundesinnenministerium will diese Regelung im Aufenthaltsgesetz für bestimmte Personengruppen ersatzlos streichen. Schon bei den beiden vorangegangenen Sammelcharter-Abschiebungen nach Afghanistan im Dezember 2016 und Januar 2017 wurden auch langjährig Geduldete abgeschoben. Die Regelung soll für Personen gelten, die angeblich durch Identitätstäuschung oder durch Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung ihre Aufenthaltsbeendigung verhindert oder – laut Gesetzesbegründung – »verzögert« haben (S.21). Es bleibt insbesondere offen, ob es sich um eine aktuelle Täuschungshandlung handeln muss oder nicht. Auch der Begriff der »zumutbaren« Anforderungen ist nicht weiter konkretisiert. In der Praxis wird Flüchtlingen immer wieder ohne belastbare Begründung vorgeworfen, ihre Abschiebung selbstverschuldet verhindert zu haben. Die Regelung ist so unscharf formuliert, dass sie ein Einfallstor für Willkür sein kann.
Wohnverpflichtung in (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen. Bis zum Vollzug der Abschiebung sollen Schutzsuchende gezwungen werden, in der Erstaufnahme zu verbleiben. Die Länder werden ermächtigt, in Ländergesetzen eine entsprechende Gesetzesgrundlage zu schaffen. Entgegen der öffentlichen Darstellung ist dies nach Gesetzestext generell möglich. Zwar ist in der Einleitung, nicht aber im Gesetzestext selbst die Rede von Asylsuchenden »ohne Bleibeperspektive«. Damit sind entgegen den öffentlichen Verlautbarungen potentiell alle betroffen, zumindest bis zur Entscheidung über den Asylantrag. Ungeachtet dessen: Die Kategorisierung in Menschen »ohne Bleibeperspektive« ist ohnehin rechtlich nicht fassbar, da sie erst am Ende eines fairen Asylverfahrens feststeht.
Die Wohnverpflichtung in einer Erstaufnahmeeinrichtung führt außerdem weitreichenden Folgeproblemen, weil dort strengere Regeln gelten: Durch die dauerhafte Sachleistungsversorgung und Bargeldentzug, durch die Residenzpflichtbeschränkung auf den Landkreis sowie ein dauerhaftes Arbeits- und Berufsausbildungsverbot erfolgt eine umfassende Ausgrenzung und Entmündigung der Betroffenen – und das auch für Jahre. Die Erleichterungen der letzten Jahre bei Arbeitsmarktzugang, Berufsausbildung und Residenzpflicht können die Länder nach Belieben rückabwickeln.
Missachtung des Kindeswohls. Die Wohnverpflichtung würde auch dazu führen, dass Bundesländer die Möglichkeit bekämen, ebenso Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien in Deutschland Asyl suchen, zeitlich unbegrenzt in Erstaufnahmeeinrichtungen unterzubringen. Damit wäre zum Beispiel einer großen Zahl von Kindern dauerhaft der Zugang zu Schulen verwehrt, befürchten PRO ASYL, UNICEF, BumF und weitere Organisationen.
Ausweitung des Ausreisegewahrsams auf bis zu zehn Tage. Mit dem Ausreisegewahrsam wird ohne die übliche rechtsstaatliche Prüfung einzelner Haftgründe eine Abschiebungshaft angeordnet. Nach der EU-Rückführungsrichtlinie ist Fluchtgefahr der wesentliche Grund, aus dem ein Drittstaatsangehöriger zur Sicherung der Abschiebung inhaftiert werden darf (Art. 15 Abs. 1). Unter welchen Umständen von Fluchtgefahr ausgegangen werden kann, muss aber gesetzlich klar definiert sein. Wichtig ist dabei, dass Auffangtatbestände nach der Rückführungsrichtlinie nicht erlaubt sind (Art. 3 Nr. 7). Der Ausreisegewahrsam stellt einen solchen nicht definierten Haftgrund dar, der jetzt auch noch auf zehn Tage ausgeweitet wird. Eine derart lange Dauer ist überdies unverhältnismäßig und daher sowohl verfassungs- als auch europarechtlich unzulässig.
Abschiebungshaft. Ein neuer Abschiebungshaftgrund soll eingeführt werden, um Personen, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, in Abschiebungshaft zu nehmen. Doch was unter sog. Gefährdern zu verstehen ist, ist auch strafrechtlich höchst umstritten. Eine präventive Inhaftierung von Personen ohne hinreichenden Grund ist rechtsstaatlich unzulässig. Zudem werden Ausländerrecht und Strafrecht hier vermischt. Die Abschiebehaft darf nur zur Sicherstellung des Vollzugs der Abschiebung angeordnet werden. Die Abschiebehaft ist keine effektive und rechtlich zulässige Maßnahme zur Abwehr terroristische Gefahren. Diesen muss mit Mitteln der Strafverfolgung und des Strafrechts begegnet werden.
»Freiwillige Ausreise«. Systematischer Druck wird auf Asylsuchende aufgebaut zur Rücknahme des Asylantrags und des Verzichts auf Rechtsmittel mit dem Ziel der »freiwilligen Ausreise«. Diese Maßnahme soll die rechtlichen Änderungen begleiten.