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Es braucht eine sinnvolle und lösungsorientierte Unterbringungspolitik.Foto: Danny Feng/ Unsplash

Unflexible Vorschriften und Wohnauflagen machen nicht nur den Schutzsuchenden das Leben schwer, sondern auch Kommunen und Kreisen. Deshalb müssen in der Unterbringungspolitik pragmatische und flexible Lösungen gefördert und mancher Paragraf geändert werden. Dabei sollte die Unterbringung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine als Vorbild dienen.

In Nord­horn zum Bei­spiel klappt es: Laut Medi­en­be­rich­ten ist es der nie­der­säch­si­schen Stadt gelun­gen, alle Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne dezen­tral, in pri­va­ten Woh­nun­gen, unter­zu­brin­gen. 854 Geflüch­te­te waren das bis Mit­te Febru­ar 2023, rund 1,5 Pro­zent der Bevöl­ke­rung. Sie leben über die gan­ze Stadt ver­teilt. Das sei, sag­te der Stadt­bau­rat Thi­mo Wei­tem­ei­er der taz, eine der wich­tigs­ten Lek­tio­nen aus 2015 und den Fol­ge­jah­ren: Die Las­ten auf mög­lichst vie­le Schul­tern zu ver­tei­len, sowohl in der Ver­wal­tung als auch in der Stadtgesellschaft.

Wohnen bei Verwandten statt in Turnhallen 

Auch Bie­le­felds Ober­bür­ger­meis­ter Pit Clau­sen berich­te­te der Deut­schen Wel­le, dass in sei­ner Stadt mehr als die Hälf­te der Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne bei Ver­wand­ten und Bekann­ten wohnt, nie­mand müs­se mehr in der Turn­hal­le leben.

Zwei Bei­spie­le dafür, wie es klap­pen kann, dass Schutz­su­chen­de gut und men­schen­wür­dig unter­kom­men ­– ohne Pro­tes­te von Bürger*innen gegen Unter­künf­te, alar­mis­ti­sche Hil­fe­ru­fe von Kommunalpolitiker*innen, Rufe nach Abschie­bun­gen oder aus­gren­zen­de Paro­len. Nötig dafür ist eine prag­ma­ti­sche, lösungs­ori­en­tier­te und fle­xi­ble Unter­brin­gungs­po­li­tik für alle Schutz­su­chen­den: für die Flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne eben­so wie für Schutz­su­chen­de aus Syri­en, Afgha­ni­stan, Irak und vie­len ande­ren Län­dern. Das heißt: Wohn­pflicht und Wohn­sitz­auf­la­gen für Schutz­su­chen­de soll­ten ent­schärft oder ganz abge­schafft wer­den, dabei kann das Bei­spiel der Unter­brin­gung der Ukrainer*innen als Vor­bild dienen.

Diskriminierende Unterschiede zwischen Flüchtlingsgruppen 

Denn in der Dis­kus­si­on müs­sen drei Strän­ge unter­schie­den wer­den: Ukrainer*innen genie­ßen mit dem vor­über­ge­hen­den Schutz in den EU-Län­dern weit­ge­hen­de Frei­zü­gig­keit und es gibt für sie kei­ne recht­li­che Ver­pflich­tung, in Sam­mel­un­ter­künf­ten zu woh­nen. Wenn sie Wohn­sitz­auf­la­gen erhal­ten, erstreckt sich die­se auf das gan­ze Bun­des­land, in dem sie leben. Unter den Vor­aus­set­zun­gen des § 12a Absatz 1 Satz 2 Auf­ent­halts­ge­setz sind sie von die­ser aus­ge­nom­men, wenn ein Fami­li­en­mit­glied durch eine sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäf­ti­gung ein gewis­ses Ein­kom­men erzielt oder eine Berufs­aus­bil­dung oder ein Stu­di­um auf­nimmt. Die Auf­la­ge wird auch dann auf­ge­ho­ben, wenn für ein Fami­li­en­mit­glied ein Inte­gra­ti­ons- oder Berufs­sprach­kurs oder eine Qua­li­fi­zie­rungs- oder Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­me »zeit­nah« zur Ver­fü­gung steht (sie­he hier­zu auch die Hin­wei­se für Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne von PRO ASYL).

Asyl­su­chen­de aus ande­ren Län­dern hin­ge­gen müs­sen zunächst bis zu 18 Mona­ten in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen leben. Per­so­nen aus soge­nann­ten siche­ren Her­kunfts­staa­ten sogar bis zu 24 Mona­ten (in eini­gen Bun­des­län­dern zudem auch Per­so­nen, die eine Ableh­nung als offen­sicht­lich unbe­grün­det erhal­ten haben oder deren Asyl­an­trag als unzu­läs­sig abge­lehnt wur­den). Meist unter­lie­gen sie auch spä­ter noch einer Wohn­pflicht in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten (§§ 47, 49 und 53 Asyl­ge­setz). Wenn sie schließ­lich ihre Ver­fah­ren durch­lau­fen haben und zum Bei­spiel als asyl­be­rech­tigt oder als sub­si­di­är schutz­be­rech­tigt aner­kannt sind, kann – wie für ukrai­ni­sche Geflüch­te­te mit dem vor­über­ge­hen­den Schutz – eine Wohn­sitz­auf­la­ge nach § 12a Auf­ent­halts­ge­setz gelten.

74 %

der Ukrainer*innen leben in pri­va­ten Haushalten

Studie zeigt: Drei Viertel der Ukrainer*innen leben in privaten Haushalten 

Dass eine über­wie­gend pri­va­te Unter­brin­gung funk­tio­niert, zeigt auch die reprä­sen­ta­ti­ve Stu­die »Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne in Deutsch­land, Flucht, Ankunft und Leben«, die im Dezem­ber 2022 unter ande­rem vom Insti­tut für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung (IAB) und dem BAMF ver­öf­fent­licht wur­de. Dem­nach leben 74 Pro­zent der befrag­ten Ukrainer*innen in pri­va­ten Haus­hal­ten, nur neun Pro­zent müs­sen in Gemein­schafts­un­ter­künf­te für Geflüch­te­te unter­ge­bracht wer­den. Dabei spie­len auch pri­va­te Netz­wer­ke eine gro­ße Rol­le: 25 Pro­zent der Befrag­ten leben bei in Deutsch­land woh­nen­den Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen, Freun­den und Bekann­ten und 15 Pro­zent bei ande­ren Per­so­nen. Die­se kön­nen ihnen bei allen Fra­gen des Ankom­mens und der Inte­gra­ti­on helfen.

Asyl­su­chen­de hin­ge­gen dür­fen nicht auf ihre pri­va­ten Netz­wer­ke oder ande­re pri­va­te Wohn­mög­lich­kei­ten zurück­grei­fen. Sie müs­sen bis zu 18 bzw. 24 Mona­te in oft abge­le­ge­nen Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen mit schlech­ter Ver­kehrs­an­bin­dung woh­nen, ohne Pri­vat­sphä­re, oft ohne funk­tio­nie­ren­des WLAN und ohne ein selbst­be­stimm­tes Leben. In den Gemein­schafts­un­ter­künf­ten und Lagern sind die Men­schen ana­log und digi­tal iso­liert, ent­rech­tet, ihrer Pri­vat­sphä­re beraubt und von Bera­tungs­struk­tu­ren und ande­ren Hil­fen abgeschnitten.

In Gemein­schafts­un­ter­künf­ten & Lagern sind Men­schen ana­log und digi­tal iso­liert, ent­rech­tet, ihrer Pri­vat­sphä­re beraubt, von Bera­tungs­struk­tu­ren & ande­ren Hil­fen abgeschnitten.

Länder sollen Wohnpflicht in Asylaufnahmeeinrichtungen aufheben

Wer jah­re­lang aus­ge­grenzt in einer Sam­mel­un­ter­kunft lebt, kann nicht in der deut­schen Gesell­schaft ankom­men. Dar­auf wei­sen PRO ASYL und zahl­rei­che ande­re Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen seit Jah­ren hin und for­dern unter ande­rem, die Zeit in einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung auf weni­ge Wochen, maxi­mal drei Mona­te, zu beschrän­ken – so wie es die Rechts­la­ge auch 2015 vor­ge­se­hen hat. In den Jah­ren danach wur­de die Wohn­pflicht durch die Gro­ße Koali­ti­on von CDU/CSU und SPD mehr­fach erhöht.

Des­halb muss § 47 Asyl­ge­setz, der die Wohn­ver­pflich­tung in den Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen regelt, geän­dert wer­den. Wobei die Bun­des­län­der schon jetzt han­deln könn­ten: nach § 49 Absatz 2 Asyl­ge­setz dür­fen sie die Asyl­su­chen­den von der Wohn­pflicht in Asyl­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen »ins­be­son­de­re zur Gewähr­leis­tung der Unter­brin­gung und Ver­tei­lung« befrei­en – wenn sie denn wol­len. Ber­lin hat die­se Mög­lich­keit genutzt und die Wohn­ver­pflich­tung für Asyl­su­chen­de Ende Janu­ar auf­ge­ho­ben. Wer eine Woh­nung oder ein Zim­mer wäh­rend des Asyl­ver­fah­rens fin­det, darf dort woh­nen. Das ist ein Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung, dem sich wei­te­re Bun­des­län­der anschlie­ßen sollten.

Private Netzwerke der Schutzsuchenden nutzen 

Pro­ble­ma­tisch ist auch § 53 Asyl­ge­setz, wonach die Men­schen, die noch im Asyl­ver­fah­ren sind, auch nach der Zeit in der Erst­auf­nah­me in Sam­mel­un­ter­künf­ten leben müs­sen. Auch sie soll­ten die Mög­lich­keit haben, woan­ders zu woh­nen. Dass vie­le das wol­len, zeigt sich zum Bei­spiel dar­in, dass sich beim Bera­tungs­team von PRO ASYL immer wie­der Asyl­su­chen­de aus Unter­künf­ten mel­den, die fra­gen, wie sie zu ihren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen zie­hen könnten.

Abge­schafft wer­den muss dann auch die Wohn­sitz­auf­la­ge für Aner­kann­te, § 12a Auf­ent­halts­ge­setz. Es ist absurd, wenn Kriegs­flücht­lin­ge und aner­kannt Schutz­be­rech­tig­te nicht jedes Woh­nungs­an­ge­bot anneh­men dür­fen, weil sie auf ein bestimm­tes Bun­des­land – oder in man­chen Fäl­len sogar durch Anord­nung der Aus­län­der­be­hör­de auf einen kon­kre­ten Wohn­ort – fest­ge­legt sind. Das kann bedeu­ten, dass ein Flücht­ling nicht eine freie Woh­nung in Bran­den­burg bezie­hen kann, wenn er oder sie eine Wohn­sitz­auf­la­ge für Ber­lin hat.

Wohnsitzauflage verringert Chancen auf dem Arbeitsmarkt 

Sol­che Zwän­ge belas­ten die Men­schen nicht nur psy­chisch, sie hin­dern sie auch dar­an, zum Bei­spiel eine Arbeit zu fin­den. So stellt auch die erwähn­te Stu­die zu den ukrai­ni­schen Kriegs­flücht­lin­gen fest, dass eine Wohn­sitz­auf­la­ge die Chan­cen auf dem Arbeits­markt verringere.

Nicht ziel­füh­rend ist es hin­ge­gen, die Schwie­rig­kei­ten bei der Unter­brin­gung für eine Debat­te über Abschie­bun­gen zu nut­zen. Damit befeu­ern die Ver­ant­wort­li­chen nur eine flücht­lings­feind­li­che und ras­sis­ti­sche Stim­mung. Deutsch­land hat kei­ne Flücht­lings­kri­se, son­dern eine von der Poli­tik und ande­ren Ver­ant­wort­li­chen ver­ur­sach­te Unter­brin­gungs­kri­se. Und die­se besteht seit Jah­ren. Dass es zu weni­ge bezahl­ba­re Woh­nun­gen gibt, ist ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem, das nichts mit Geflüch­te­ten zu tun hat.

Nicht ziel­füh­rend ist es hin­ge­gen, die Schwie­rig­kei­ten bei der Unter­brin­gung für eine Debat­te über Abschie­bun­gen zu nutzen.

Städtisches Hausmeisterteam hilft privaten Vermietern 

Nord­horn und ande­re Kom­mu­nen hin­ge­gen set­zen auf eine posi­ti­ve Stim­mung gegen­über Geflüch­te­ten, prag­ma­ti­sche Lösun­gen und die Zusam­men­ar­beit mit ehren­amt­li­chen Helfer*innen und Wohl­fahrts­ver­bän­den. Auf der Home­page schreibt Bür­ger­meis­ter Tho­mas Ber­ling: »Für uns als Part­ner des Bünd­nis­ses siche­rer Häfen für Geflüch­te­te ist es selbst­ver­ständ­lich, dass wir Men­schen in einer sol­chen Situa­ti­on hilfs­be­reit auf­neh­men.«  Dazu gehört auch Trans­pa­renz für Bürger*innen, zum Bei­spiel aus­führ­li­che Infor­ma­tio­nen, dass und war­um das Jugend­zen­trum kurz­fris­tig in eine Sam­mel­un­ter­kunft umge­wan­delt wur­de (was aber schnell rück­gän­gig gemacht wer­den konnte).

Der Wunsch der Stadt an die Ver­ant­wort­li­chen: Mehr Vor­lauf, mehr Plan­bar­keit, lie­ber einen ste­ti­gen Zustrom an Neu­an­kömm­lin­gen als schub­wei­se Wel­len­be­we­gun­gen. Und Bie­le­felds Ober­bür­ger­meis­ter Pit Clau­sen geht laut der Deut­schen Wel­le noch wei­ter: Nicht nur bei der Unter­brin­gung soll­ten Kriegs­flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne und ande­re Flücht­lin­ge gleich­ge­stellt wer­den, son­dern auch auf ande­ren Fel­dern: Dazu gehö­re auch, lang­wie­ri­ge büro­kra­ti­sche Ver­fah­ren in den Aus­län­der­be­hör­den zu ent­schla­cken. Das, so Clau­sen, wür­de nicht nur die Kom­mu­nen deut­lich ent­las­ten. Alle Sei­ten wür­den profitieren.

(wr/wj/pva)