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Türen auf für syrische Flüchtlinge! – Warum Trippelschritte nicht ausreichen

Seit Ausbruch des Krieges 2011 versuchen in Deutschland lebende Syrerinnen und Syrer verzweifelt, Angehörige, die auf der Flucht nur notdürftig überleben, nach Deutschland zu holen. Doch die Möglichkeiten sind gering, zeigt der Fall von Familie O.
Rund 64.000 syrische Staatsangehörige leben in Deutschland, hinzu kommt eine unbekannte Zahl deutscher Staatsbürger/innen syrischer Herkunft sowie kurdischer und palästinensischer Staatenloser aus Syrien. Sie sorgen sich täglich um ihre Angehörigen auf der Flucht vor dem Krieg. In das Bewusstsein der politisch Verantwortlichen in Deutschland dringt die Dramatik der syrischen Flüchtlingskatastrophe jedoch nur langsam.
Die strengen Regelungen zum Familiennachzug wurden für syrische Flüchtlinge nur leicht gelockert, die Chancen für Flüchtlinge, bei den deutschen Botschaften in den Nachbarländern Syriens auch nur einen Termin zur Visavergabe, geschweige denn ein Visum zu erhalten, blieben aber gering. Im Frühjahr 2013 verkündeten die Innenminister von Bund und Ländern endlich, dass sie zur Unterstützung bereit sind. Doch zwischen den Worten der Hilfsbereitschaft und der Realität liegen Welten. Ab Mai 2013 sollen 5.000 Flüchtlinge aus Syrien einreisen dürfen – ein Tropfen auf den heißen Stein. Schnell zeigen sich die Grenzen des Aufnahmeprogramms. Seither haben Bund und Länder mehrere Aufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge folgen lassen. Doch der Hürden gibt es viele.
Das erste Kontingent: 5.000 aus Millionen
Viele scheitern an den Voraussetzungen der Aufnahmeprogramme. Beispielhaft wird dies am Fall der Familie O. deutlich. Viele Jahre lebt die Familie schon in Baden-Württemberg, Herr O. ist deutscher Staatsbürger und arbeitet als Angestellter. Bereits im Frühjahr 2013 tritt Frau O.mit der dringenden Bitte um Hilfe an die Beratungsabteilung von PRO ASYL heran. Ihr Schwager ist mit seiner Frau und fünf kleinen Kindern auf der Flucht, seit ihr Stadtteil bombardiert wurde. Seit Monaten schon sucht Frau O. verzweifelt nach einer Möglichkeit, die Familie nach Deutschland zu holen und hofft auf ein Aufnahmeprogramm. Eines der Kinder ist chronisch krank, ein anderes wurde beim Einsturz des Wohnhauses der Familie verletzt. Vier Monate lebte die Familie ohne Unterkunft in Damaskus, dann gelang die Flucht nach Jordanien.
Im dortigen Flüchtlingslager erhalten die Kinder jedoch nicht die notwendige medizinische Versorgung, beklagt Frau O. Im Mai 2013 wird die Flüchtlingsfamilie in Jordanien als Flüchtlinge von UNHCR registriert. Kurz darauf beschließt der Bund endlich ein Aufnahmeprogramm. Doch dann die Enttäuschung: Das Bundesprogramm gilt nur für 5.000 Menschen. Unter anderem sieht es vor, dass die Flüchtlinge sich im Libanon registriert haben mussten – keine Chance für Familie O.
Länder handeln humanitär – aber nur, wenn es sie nichts kostet
Ab Spätsommer 2013 beschließen die Bundesländer eigene »humanitäre« Aufnahmeprogramme – so auch das grün-rot regierte Baden-Württemberg. Herr und Frau O. schöpfen neue Hoffnung. Auch die örtliche Ausländerbehörde unterstützt die Familie. Doch die Regelung des Landes sieht vor, dass die hier lebenden Familienangehörigen per Verpflichtungserklärung den vollständigen Lebensunterhalt der aufzunehmenden Flüchtlingsfamilie sicherstellen und zudem im Krankheitsfall sämtliche Kosten übernehmen müssten.
Familie O. kratzt alle Einkünfte zusammen, auch der Vater von Frau O., der in Schleswig-Holstein lebt, sagt finanzielle Unterstützung zu. Aber so hohe Einkünfte, dass Unterhaltszahlungen für eine siebenköpfige Familie möglich sind, hat die Familie nicht. Damit ist ein Aufnahmeantrag nach der Landesregelung Baden-Württembergs aussichtslos. Von der Hilfe Deutschlands bitter enttäuscht, resigniert die Familie.
Die Situation der in Jordanien ausharrenden Angehörigen ist derweil äußerst schwierig. Zweimal fliegt Frau O. nach Jordanien und versorgt die beiden kranken Kinder mit Medikamenten und Verbandszeug. Als sie wiederkommt, berichtet sie erschüttert vom Leiden vieler hundert Kinder im jordanischen Flüchtlingslager. Auch die psychischen Folgen der traumatisierenden Kriegserlebnisse wiegen schwer.
Verpflichtungserklärung als kaum erfüllbare Bedingung
Das Miterleben der Gewalt, die vielen Verletzten, der Verlust enger Familienangehöriger machen den Flüchtlingen schwer zu schaffen. Unermüdlich wendet sich Frau O. an die örtlichen Behörden, an das BAMF, nach Berlin und an den zuständigen Innenminister: »Ich bitte Sie eindringlich, uns dabei zu helfen, die Angehörigen meines Mannes aus dieser ausweglosen Lage zu retten.« Doch ihre Hoffnung wird nicht erfüllt.
Kurz vor Weihnachten 2013 gibt es erneut einen Lichtblick für Familie O.: Am 23. Dezember erlässt der Bundesinnenminister eine neue Aufnahmeanordnung für weitere 5.000 syrische Flüchtlinge. Prinzipiell sind syrische Flüchtlinge in allen Anrainerstaaten aufnahmeberechtigt, die Lebensunterhaltssicherung ist nicht mehr zwingende Voraussetzung. Aber: »Vorrangig« sollen Personen aufgenommen werden, für die eine Verpflichtungserklärung abgegeben oder bei Unterbringung und Lebensunterhaltssicherung ein Beitrag geleistet wird.
Erneut rechnet Familie O. alle Einkünfte zusammen und erklärt ihre finanzielle Unterstützung in dem ihr möglichen Rahmen. Der Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde ist gutwillig und leitet den Antrag an den Bund weiter. Seither wartet Familie O. – zwischen Hoffen und Bangen – auf eine Antwort vom Bundesamt. Bereits wenige Wochen nach dem Beschluss des Bundes zeigt sich, dass auch dieses neue 5.000er-Kontingent unzureichend ist. Die Anträge übersteigen die Plätze bei Weitem – schlechte Karten für Normalverdiener wie Familie O.?
Familie Os Kampf um die Aufnahme der Angehörigen dauert schon zwei Jahre
Die traurige Realität ist, seit zwei Jahren kämpft eine in Deutschland verwurzelte Familie verzweifelt darum, dass dringend hilfsbedürftige Angehörige hierher kommen können. Von dem Geld, das sie nach Jordanien schicken, bezahlt die Familie dort inzwischen ein einziges Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft, zu siebt schlafen sie in dem kleinen Raum. Seit zwei Jahren gehen die Kinder nicht mehr zur Schule, suchen nach dem Verlust ihrer Heimat neue Sicherheit – bislang vergeblich.
Wann das Leiden von Familie O. ein Ende hat, ist noch offen. Werden sie erneut an der Erwartung einer Verpflichtungserklärung scheitern? Die Angehörigen in Deutschland für sämtliche Kosten inklusive der persönlichen Absicherung von Krankheitsrisiken haftbar zu machen, ist eine Überforderung. Eines ist überdies klar: Bei rund 64.000 in Deutschland lebenden Menschen syrischer Herkunft kann eine enge Begrenzung auf ein Kontingent für den Nachzug von Angehörigen nicht funktionieren. Den Bundesländern liegen für das 2. Bundesprogramm zur Aufnahme von Syrien-Flüchtlingen Anträge für 76.000 Menschen vor, für die in Deutschland lebende Angehörige um Einreiseerlaubnis bitten.
Es ist menschlich verständlich und müsste in einer Einwanderungsgesellschaft Normalität sein, dass in einer Krisensituation Familienangehörige nach Deutschland einreisen dürfen. Hier fehlt der politische Wille. Erforderlich ist es, das Verfahren zu entbürokratisieren und den Nachzug im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes zu ermöglichen.
Nachzug der Angehörigen wäre rechtlich möglich
Möglich wäre es: Nach § 36 Abs. 2 AufenthG kann – über Ehegatten und Kinder hinaus – den »sonstigen« Angehörigen der Nachzug ermöglicht werden, wenn eine außergewöhnliche Härte vorliegt. Der Begriff der außergewöhnlichen Härte ist Auslegungssache: Bestehen enge familiäre Bindungen nach Deutschland, ist das Haus der Familie in Syrien zerstört und bieten die Nachbarstaaten keine Lebensperspektive?
Sind die Flüchtlinge verfolgt oder als Angehörige einer Minderheit gefährdet? Bei Anerkennung dieser und anderer Probleme als »außergewöhnliche Härte« wäre die Erteilung von Einreiseerlaubnissen möglich. Es braucht noch viel politischen Druck auf Bundestagsabgeordnete, auf Länderregierungen und die Bundesebene, damit endlich wirklich humanitär gehandelt wird.
Text: Günter Burkhardt
Informationen zu den Aufnahmeprogrammen des Bundes und der Länder für syrische Flüchtlinge
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