Hintergrund
(Über)-Leben an der ungarischen Grenze
In Deutschland geht die Zahl der Asylanträge zwar zurück – aber weltweit sind immer mehr Menschen zur Flucht gezwungen. Und die humanitäre Krise, in der sich die Betroffenen befinden, findet immer noch auch mitten in Europa statt. Aktivist*innen berichten über die Situation von Flüchtenden an der europäischen Außengrenze in Serbien.
UNHCR zählte für Serbien in der zweiten Dezemberhälfte 2018 knapp 4500 Schutzsuchende. Der Großteil von ihnen sitzt in den offiziellen staatlichen Camps ohne jede Perspektive fest, da das wirtschaftlich schwache Serbien ihnen keinen Ausweg bietet. Auch gibt es aus den serbischen Camps gibt es Berichte von Gewalt und Diebstählen. Der Zugang zur EU bleibt den Menschen jedoch verwehrt. Manche geben in der Verzweiflung auf und geben sich ihrem Schicksal hin, andere versuchen mit aller Kraft den Grenzzaun in Richtung Ungarn zu passieren und anschließend nach Westeuropa weiterzureisen. Sie verlassen die offiziellen Unterkünfte und beziehen verlassene Gebäude in Grenznähe, wo sie unter unwürdigen Bedingungen leben müssen.
Immer noch sitzen Menschen an der Grenze fest
Während in den Sommermonaten vergangener Jahre zahlreiche solcher improvisierter und selbstorganisierter Unterkünfte in Nord-Serbien als Ausgangspunkte genutzt wurden, sind in Subotica und Umgebung in diesen Wintermonaten nur wenige solcher Orte übrig geblieben, die »Balkanroute« hat sich in Richtung der bosnisch-kroatischen Grenze verschoben.
»Im Camp in Horgoš war es schön zu sehen, wie sehr die Menschen trotz der Situation zusammen halten, gemeinsam kochen und sich gegenseitig unterstützen. Obendrein kümmern sie sich noch um mehrere Katzen und ein sechs Monate altes Reh, das ohne Mutter nach der Geburt gefunden wurde und mit der Flasche groß gezogen wird. Im Anbetracht der Umstände beeindruckte uns diese Fürsorge und Solidarität untereinander.«
Trotzdem harren derzeit immer noch 50 bis 60 Menschen in verfallenen Gebäuden auf dem Bahnhofsgelände der serbischen Kleinstadt aus und 30 bis 40 weitere Geflüchtete leben in verlassenen Scheunen nahe dem Grenzdorf Horgoš. Die meisten von ihnen sind junge Männer aus Afghanistan und zwischen 15 und 30 Jahre alt.
Bei Minusgraden und regelmäßigem Schneefall wärmen sich die Menschen in den Bahnhofsgebäuden am Feuer und klagen über schlaflose Nächte, weil Decken und Schlafsäcke in den zugigen Räumen nicht genügend wärmen. Trinkwasser muss mit Kanistern von einem öffentlichen Brunnen beschafft werden, Anschluss an die Stromversorgung gibt es keine.
Kaum Unterstützungsstrukturen vor Ort vorhanden
Der Mehrheit der Geflüchteten fehlt es an einer passenden Ausstattung für die extremen klimatischen Bedingungen. Sie tragen dünne Pullover und laufen in Badelatschen durch den Schnee. Vom überwiegenden Teil der lokalen Bevölkerung erhalten sie keine Unterstützung. Nur die kleine spanische NGO »Escuela Con Alma« ist mit ein paar Leuten vor Ort und hilft mit winterfester Kleidung, Schlafsäcken, Nahrungsmitteln und Autobatterien zum Laden der Handys.
Push-Back Erfahrungen bis kurz vor die österreichische Grenze
Während alle auf den nächsten passenden Moment für einen erneuten Aufbruch warten, haben sie die Bilder zu all den gescheiterten Versuchen im Kopf. Die Berichte einiger Geflüchteter zeigen deutlich mit welcher Konsequenz Ungarn seit Monaten die Praxis illegaler Zurückweisungen (sog. »Push-Backs«) verfolgt. Dabei konzentrieren sich die ungarischen Behörden nicht nur auf das unmittelbare ungarisch-serbische Grenzgebiet.
»Uns wurde erklärt, dass der Zaun überall mit Wärmebildkameras überwacht wird und über die gesamte Strecke Grenzpolizei in Autos steht. Bei Berührung des Zaunes bekommen die Menschen einen Stromschlag und durch Lautsprecher wird auf vier verschiedenen Sprachen dazu aufgefordert sich sofort zu entfernen.«
Der 20 jährige Khialay* berichtet, dass er erst 6 Kilometer vor der ungarisch-österreichischen Grenze von der ungarischen Polizei gefasst und trotzdem noch am selben Tag zurück nach Serbien abgeschoben wurde. Andere erzählen von kilometerweiten Fußmärschen ins Landesinnere. Doch auch sie wurden nach der Festnahme umgehend zurückgeschoben oder zunächst stundenlang auf Polizeistationen ohne Zugang zu Essen, Trinken und Sanitäranlagen festgehalten und dann nach Serbien zurückgewiesen. Manche mussten außerdem noch ihren Schlafsack an die ungarische Polizei abgeben.
Die Frage nach einem Bleiberecht und Asylverfahren wurde dabei stets durch die ungarischen Behörden verneint. Stattdessen berichten Geflüchtete zudem von Gewalt und Drohungen durch die Polizei. Sollten sie drei Mal erwischt werden, werde dies härtere Konsequenzen haben.
Illegale Praxis der ungarischen Polizei von EU geduldet
32 solcher Fälle in den Grenzregionen nahe Subotica und Horgoš werden in den Veröffentlichungen der Organisation »Border Violence Monitoring« dokumentiert. Berichte vieler Geflüchteter lassen jedoch auf eine große Dunkelziffer schließen, denn eine systematische und organisierte Erfassung der Vorfälle findet nicht statt. Erst vor wenigen Wochen wurden auch geheime Videoaufnahmen illegaler Zurückweisungen durch die kroatische Polizei an der kroatisch-bosnischen Grenze bekannt.
Die regelmäßigen Verstöße gegen die europäische Menschenrechtskonvention und Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention durch die ungarischen Behörden dürften auch in der restlichen EU mittlerweile bekannt sein und dennoch werden sie geduldet. Die Bundesregierung erfreut sich an der sinkenden Anzahl gestellter Asylanträge, obwohl sie diese Entwicklung u.a. illegalen Praktiken durch nationale Polizeieinheiten an den EU-Außengrenzen zu verdanken hat.
(Moritz von Galen und Leonie Krügener von escuela con alma)