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Immer wieder demonstrieren Bürger*innen in Ungarn gegen Orbáns umstrittene Gesetze, wie hier im Herbst 2018. Foto: Reuters / Bernadett Szabo

Im Visier der Orbán-Regierung stehen nicht nur Flüchtlinge. Angefeindet werden auch diejenigen, die für ihre Rechte kämpfen, wie das Hungarian Helsinki Committee (HHC). Anikó Bakonyi vom HHC berichtet, unter welchen Bedingungen Menschenrechtsaktivist*innen in Ungarn arbeiten müssen.

Die Anti-NGO-Geset­ze der ver­gan­ge­nen Jah­re zie­len auf die Arbeit von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen wie Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Com­mit­tee (HHC) ab. Wie hat das Eure Arbeit verändert? 

Wir machen immer noch Men­schen­rechts­ar­beit und haben kei­ne unse­rer Tätig­kei­ten auf­ge­ge­ben. Aller­dings gibt es Berei­che, in denen wir nicht mehr so arbei­ten kön­nen wie vor ein paar Jahren.

Im Som­mer 2017 haben die unga­ri­schen Behör­den die Koope­ra­ti­ons­ab­kom­men mit uns been­det. Die­se erlaub­ten uns, staat­li­che Ein­rich­tun­gen zu betre­ten und die Men­schen­rechts­la­ge in Gefäng­nis­sen und in den geschlos­se­nen und offe­nen Lagern für Flücht­lin­ge zu doku­men­tie­ren. Das ist jetzt nicht mehr möglich.

Wir kön­nen aber noch Asyl­su­chen­de ver­tre­ten, die in den Tran­sit­zo­nen waren. Wenn sie zustim­men, befra­gen wir sie auch zur Situa­ti­on vor Ort. Das ist natür­lich nicht das­sel­be wie es mit eige­nen Augen zu sehen. Aber den­noch bekom­men wir so zumin­dest einen ganz guten Einblick.

Nun kam es auch zu Vor­fäl­len, in denen poli­ti­sche Gegner*innen vor Eurem Büro­haus stan­den oder sich unge­be­ten Zugang zu Euren Büro­räu­men ver­schaff­ten. Wie geht Ihr damit um?

Ein rech­ter Fern­seh­sen­der fragt immer wie­der nach Inter­views mit uns. Auch wenn wir absa­gen – manch­mal kom­men sie trotz­dem. Es kommt vor, dass sie sich hin­ter unse­ren Klient*innen hin­ein­schlei­chen. Wir schi­cken sie wie­der raus, aber die Innen­auf­nah­men ver­wen­den sie hin­ter­her natür­lich. Sie erzäh­len immer die­sel­be Geschich­te: Migra­ti­on ist schlecht, die Regie­rung ver­tei­digt Ungarn. Es ist nicht all­zu kom­plex – und nicht sehr unter­halt­sam. Weil sie ein Fern­seh­sen­der sind, brau­chen sie die­se Bil­der für ihre Sendung.

Der Jugend­ver­band der Regie­rungs­par­tei Fidesz hat im April 2018 eine Pres­se­kon­fe­renz vor unse­rem Büro abge­hal­ten – und Sti­cker ange­bracht, auf denen steht, dass wir eine Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on sind, die Migra­ti­on unter­stützt. Die­se Sti­cker haben sie auch bei ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen genutzt. In ihrem Dis­kurs ist das eine Dele­gi­ti­mie­rung unse­rer Arbeit. Sie wol­len uns damit stigmatisieren.

Wir ver­su­chen jetzt, bes­ser zu kon­trol­lie­ren, wer in unser Büro kommt und wer nicht. Wir haben uns auch bera­ten las­sen, wie wir unse­re Cyber-Secu­ri­ty und Social-Media-Nut­zung ver­bes­sern können.

Mit den Geset­zes­än­de­run­gen wur­den neue Steu­ern auf Spen­den ein­ge­führt, Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen müs­sen sich in ein staat­li­ches Regis­ter ein­tra­gen, ver­schie­de­ne Akti­vi­tä­ten wur­den kri­mi­na­li­siert. Wel­che Aus­wir­kun­gen hat das auf die Zivil­ge­sell­schaft in Ungarn?

Die Regie­rung hat ein Kli­ma der Unter­drü­ckung geschaf­fen. Abwei­chen­de Mei­nun­gen sol­len nicht gehört wer­den. Vie­le Geset­ze wer­den zwar noch nicht voll­stän­dig ange­wen­det, ent­fal­ten aber eine abschre­cken­de Wir­kung. Vie­le NGOs füh­len sich bedroht oder müs­sen ihre Arbeit ein­stel­len, weil sie kei­ne Gel­der mehr zur Ver­fü­gung haben.

Für uns ist es wich­tig, trotz allem unse­re Arbeit zu machen. Denn das alles hat ja zum Ziel, zivil­ge­sell­schaft­li­che Akteur*innen zum Schwei­gen zu brin­gen. Den Gefal­len wol­len wir ihnen nicht tun.

»Die Regie­rung hat ein Kli­ma der Unter­drü­ckung geschaf­fen. Abwei­chen­de Mei­nun­gen sol­len nicht gehört werden.«

Man muss aber auch inner­halb der Zivil­ge­sell­schaft unter­schei­den. Wir sind ein »Human-Rights-Watch­dog«. Bei uns arbei­ten Anwält*innen und wir sind recht­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit dem Staat gewöhnt.

Ein­rich­tun­gen, die bei­spiels­wei­se auf dem Land psy­cho­so­zia­le Betreu­ung für Fol­ter­op­fer anbie­ten, sind ganz anders betrof­fen. Der Auf­wand, recht­lich gegen unge­rech­te Ent­schei­dun­gen der Regie­rung vor­zu­ge­hen, ist für sie viel größer.

Orga­ni­sa­tio­nen, die Asyl­su­chen­de und Flücht­lin­ge unter­stüt­zen, haben zudem gro­ße Finan­zie­rungs­pro­ble­me. Die Regie­rung hat auf­ge­hört, Mit­tel aus dem AMIF (Asyl‑, Migrations‑, Inte­gra­ti­ons­fonds der EU) aus­zu­schrei­ben. Das Innen­mi­nis­te­ri­um hat den letz­ten Auf­ruf zur Bewer­bung auf die­se Gel­der Anfang 2018 zurück­ge­zo­gen. Seit­dem gibt es kei­ne Aus­schrei­bun­gen mehr und damit kei­ne Mit­tel aus dem Fonds.

Genau­so hat im Übri­gen auch die pol­ni­sche Regie­rung NGOs in der Asyl- und Flücht­lings­ar­beit bereits vor drei Jah­ren finan­zi­ell ausgetrocknet.

Es gab Ende 2018 in Ungarn ja gro­ße Pro­tes­te gegen die neu­en Geset­ze zur wei­te­ren Dere­gu­lie­rung des Arbeits­markts. Der Wider­stand gegen die Angrif­fe auf die Zivil­ge­sell­schaft hielt sich dage­gen in Gren­zen. Wie ist Euer Ver­hält­nis zur unga­ri­schen Bevölkerung?

In Ungarn kann man ein Pro­zent sei­ner Steu­er an wohl­tä­ti­ge Orga­ni­sa­tio­nen spen­den. Davon hat­ten wir nie viel. Unse­re Kern­the­men wie die Unter­stüt­zung von Gefäng­nis­in­sas­sen, Migrant*innen und Flücht­lin­gen haben nie vie­le Ungar*innen inter­es­siert. Aber mitt­ler­wei­le sind wir in unse­rem Ein­satz für Men­schen­rech­te und Rechts­staat­lich­keit sicht­ba­rer gewor­den. Dadurch wächst die Unter­stüt­zung in der unga­ri­schen Bevöl­ke­rung. Wir haben letz­tes Jahr dop­pelt so vie­le sol­cher Spen­den von Steuerzahler*innen bekom­men wie 2017.

Und es gibt vie­le klei­ne Ges­ten der Unter­stüt­zung. Wir woll­ten zum Bei­spiel neue Schil­der für unser Büro kau­fen. Der Ver­käu­fer bestand dar­auf, sie uns kos­ten­los zu geben. Da ging es natür­lich nicht um viel Geld, aber sol­che Ges­ten freu­en uns sehr.

Wie schätzt Du die gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Ent­wick­lung in Ungarn in den nächs­ten Jah­ren ein?

All die­se Geset­zes­än­de­run­gen sind Angrif­fe auf den Rechts­staat. Die Anti-NGO-Geset­ze sind nur ein Teil davon. Allein die Ver­ab­schie­dung von Geset­zen von solch schlech­ter Qua­li­tät zeigt, wie weit der Abbau des Rechts­staats bereits fort­ge­schrit­ten ist.

Die Regie­rung hat nun ein Instru­men­ta­ri­um, um gegen uns vor­zu­ge­hen. Ich kann mir vor­stel­len, dass sie irgend­wann auch davon Gebrauch machen wird. Wozu wur­den sie schließ­lich ver­ab­schie­det? Wann und wie die Geset­ze ange­wen­det wer­den, das liegt allei­ne bei der Regie­rung. Das schwebt wie ein Damo­kles­schwert über der Zivilgesellschaft.

»Es wird auf die unga­ri­sche Zivil­ge­sell­schaft und die unga­ri­schen Bürger*innen ankom­men, wie weit sie dies zulassen.«

Wir hat­ten eine Kon­fe­renz mit Kolleg*innen aus Russ­land und Polen. Das hat uns gezeigt, wohin die Rei­se geht (lacht). Natür­lich ist die Situa­ti­on nicht wie in Russ­land. Aber die Ent­wick­lun­gen zei­gen in die­se Richtung.

Es wird auf die unga­ri­sche Zivil­ge­sell­schaft und die unga­ri­schen Bürger*innen ankom­men, wie weit sie dies zulassen.

Inter­view: dm