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»Den Gefallen, aufzugeben, wollen wir ihnen nicht tun« – Menschenrechtsarbeit in Ungarn
Im Visier der Orbán-Regierung stehen nicht nur Flüchtlinge. Angefeindet werden auch diejenigen, die für ihre Rechte kämpfen, wie das Hungarian Helsinki Committee (HHC). Anikó Bakonyi vom HHC berichtet, unter welchen Bedingungen Menschenrechtsaktivist*innen in Ungarn arbeiten müssen.
Die Anti-NGO-Gesetze der vergangenen Jahre zielen auf die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Hungarian Helsinki Committee (HHC) ab. Wie hat das Eure Arbeit verändert?
Wir machen immer noch Menschenrechtsarbeit und haben keine unserer Tätigkeiten aufgegeben. Allerdings gibt es Bereiche, in denen wir nicht mehr so arbeiten können wie vor ein paar Jahren.
Im Sommer 2017 haben die ungarischen Behörden die Kooperationsabkommen mit uns beendet. Diese erlaubten uns, staatliche Einrichtungen zu betreten und die Menschenrechtslage in Gefängnissen und in den geschlossenen und offenen Lagern für Flüchtlinge zu dokumentieren. Das ist jetzt nicht mehr möglich.
Wir können aber noch Asylsuchende vertreten, die in den Transitzonen waren. Wenn sie zustimmen, befragen wir sie auch zur Situation vor Ort. Das ist natürlich nicht dasselbe wie es mit eigenen Augen zu sehen. Aber dennoch bekommen wir so zumindest einen ganz guten Einblick.
Nun kam es auch zu Vorfällen, in denen politische Gegner*innen vor Eurem Bürohaus standen oder sich ungebeten Zugang zu Euren Büroräumen verschafften. Wie geht Ihr damit um?
Ein rechter Fernsehsender fragt immer wieder nach Interviews mit uns. Auch wenn wir absagen – manchmal kommen sie trotzdem. Es kommt vor, dass sie sich hinter unseren Klient*innen hineinschleichen. Wir schicken sie wieder raus, aber die Innenaufnahmen verwenden sie hinterher natürlich. Sie erzählen immer dieselbe Geschichte: Migration ist schlecht, die Regierung verteidigt Ungarn. Es ist nicht allzu komplex – und nicht sehr unterhaltsam. Weil sie ein Fernsehsender sind, brauchen sie diese Bilder für ihre Sendung.
Der Jugendverband der Regierungspartei Fidesz hat im April 2018 eine Pressekonferenz vor unserem Büro abgehalten – und Sticker angebracht, auf denen steht, dass wir eine Nichtregierungsorganisation sind, die Migration unterstützt. Diese Sticker haben sie auch bei anderen Organisationen genutzt. In ihrem Diskurs ist das eine Delegitimierung unserer Arbeit. Sie wollen uns damit stigmatisieren.
Wir versuchen jetzt, besser zu kontrollieren, wer in unser Büro kommt und wer nicht. Wir haben uns auch beraten lassen, wie wir unsere Cyber-Security und Social-Media-Nutzung verbessern können.
Mit den Gesetzesänderungen wurden neue Steuern auf Spenden eingeführt, Nichtregierungsorganisationen müssen sich in ein staatliches Register eintragen, verschiedene Aktivitäten wurden kriminalisiert. Welche Auswirkungen hat das auf die Zivilgesellschaft in Ungarn?
Die Regierung hat ein Klima der Unterdrückung geschaffen. Abweichende Meinungen sollen nicht gehört werden. Viele Gesetze werden zwar noch nicht vollständig angewendet, entfalten aber eine abschreckende Wirkung. Viele NGOs fühlen sich bedroht oder müssen ihre Arbeit einstellen, weil sie keine Gelder mehr zur Verfügung haben.
Für uns ist es wichtig, trotz allem unsere Arbeit zu machen. Denn das alles hat ja zum Ziel, zivilgesellschaftliche Akteur*innen zum Schweigen zu bringen. Den Gefallen wollen wir ihnen nicht tun.
»Die Regierung hat ein Klima der Unterdrückung geschaffen. Abweichende Meinungen sollen nicht gehört werden.«
Man muss aber auch innerhalb der Zivilgesellschaft unterscheiden. Wir sind ein »Human-Rights-Watchdog«. Bei uns arbeiten Anwält*innen und wir sind rechtliche Auseinandersetzungen mit dem Staat gewöhnt.
Einrichtungen, die beispielsweise auf dem Land psychosoziale Betreuung für Folteropfer anbieten, sind ganz anders betroffen. Der Aufwand, rechtlich gegen ungerechte Entscheidungen der Regierung vorzugehen, ist für sie viel größer.
Organisationen, die Asylsuchende und Flüchtlinge unterstützen, haben zudem große Finanzierungsprobleme. Die Regierung hat aufgehört, Mittel aus dem AMIF (Asyl‑, Migrations‑, Integrationsfonds der EU) auszuschreiben. Das Innenministerium hat den letzten Aufruf zur Bewerbung auf diese Gelder Anfang 2018 zurückgezogen. Seitdem gibt es keine Ausschreibungen mehr und damit keine Mittel aus dem Fonds.
Genauso hat im Übrigen auch die polnische Regierung NGOs in der Asyl- und Flüchtlingsarbeit bereits vor drei Jahren finanziell ausgetrocknet.
Es gab Ende 2018 in Ungarn ja große Proteste gegen die neuen Gesetze zur weiteren Deregulierung des Arbeitsmarkts. Der Widerstand gegen die Angriffe auf die Zivilgesellschaft hielt sich dagegen in Grenzen. Wie ist Euer Verhältnis zur ungarischen Bevölkerung?
In Ungarn kann man ein Prozent seiner Steuer an wohltätige Organisationen spenden. Davon hatten wir nie viel. Unsere Kernthemen wie die Unterstützung von Gefängnisinsassen, Migrant*innen und Flüchtlingen haben nie viele Ungar*innen interessiert. Aber mittlerweile sind wir in unserem Einsatz für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sichtbarer geworden. Dadurch wächst die Unterstützung in der ungarischen Bevölkerung. Wir haben letztes Jahr doppelt so viele solcher Spenden von Steuerzahler*innen bekommen wie 2017.
Und es gibt viele kleine Gesten der Unterstützung. Wir wollten zum Beispiel neue Schilder für unser Büro kaufen. Der Verkäufer bestand darauf, sie uns kostenlos zu geben. Da ging es natürlich nicht um viel Geld, aber solche Gesten freuen uns sehr.
Wie schätzt Du die gesellschaftliche und politische Entwicklung in Ungarn in den nächsten Jahren ein?
All diese Gesetzesänderungen sind Angriffe auf den Rechtsstaat. Die Anti-NGO-Gesetze sind nur ein Teil davon. Allein die Verabschiedung von Gesetzen von solch schlechter Qualität zeigt, wie weit der Abbau des Rechtsstaats bereits fortgeschritten ist.
Die Regierung hat nun ein Instrumentarium, um gegen uns vorzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass sie irgendwann auch davon Gebrauch machen wird. Wozu wurden sie schließlich verabschiedet? Wann und wie die Gesetze angewendet werden, das liegt alleine bei der Regierung. Das schwebt wie ein Damoklesschwert über der Zivilgesellschaft.
»Es wird auf die ungarische Zivilgesellschaft und die ungarischen Bürger*innen ankommen, wie weit sie dies zulassen.«
Wir hatten eine Konferenz mit Kolleg*innen aus Russland und Polen. Das hat uns gezeigt, wohin die Reise geht (lacht). Natürlich ist die Situation nicht wie in Russland. Aber die Entwicklungen zeigen in diese Richtung.
Es wird auf die ungarische Zivilgesellschaft und die ungarischen Bürger*innen ankommen, wie weit sie dies zulassen.
Interview: dm