News
»Seit der Machtergreifung der Taliban bin ich ihnen ausgeliefert«
Jahrelang haben sie sich in Afghanistan für Frauen- und Menschrechte engagiert – und werden dafür von den Taliban bedroht. Zarafschan wartet in der Illegalität auf Rettung, Subda hat es kürzlich nach Deutschland geschafft. Beide Frauen berichten von ihrem Kampf, von Drohungen, Ängsten und Hoffnungen.
Drei Fragen an Zarafschan B. (Name geändert):
Zarafschan B. hat sich in zivilgesellschaftlichen Organisationen, in politischen Gremien und in Regierungsstellen für die Rechte und den Schutz von Frauen, Menschenrechten und die Förderung von Demokratie eingesetzt. Zudem arbeitete sie in Projekten für mehrere internationale Institutionen.
Sie ist zudem Mitglied der Gruppe »United Voice of Women for Peace«, die 2019 vom afghanischen Friedensministerium gegründet wurde. Die Gruppe sollte Friedensverhandlungen der afghanischen Regierung mit den Taliban mit vorbereiten und begleiten. Besonders gefährdet ist sie auch deshalb, weil sie immer wieder in den Medien sprach und schrieb, an Frauenprotesten und ‑kundgebungen teilnahm.
Sie ist mit ihrem Mann und ihrer Familie nach Pakistan geflohen und wartet in der Illegalität auf Rettung. In Deutschland hat sie Verwandte.
Wie hat sich Ihr Leben seit August 2021 verändert? Wie leben Sie jetzt im März 2022?
Seit dem Zusammenbruch von Afghanistan und der Machtergreifung der Taliban lebe ich in Angst und Verzweiflung, so wie tausende afghanische Bürgerinnen und Bürger. Ich verlor meine Arbeit, mein Mann ebenfalls, unsere Kinder konnten nicht mehr zur Schule gehen. Ihre Zukunft ist ruiniert, da sie der Bildung beraubt wurden.
Die Taliban bedrohten uns und suchten auf alle möglichen Weisen nach uns, wir konnten unser Haus in unserer Provinz nicht mehr verlassen, waren dort eingesperrt und bedroht. Auf dem Höhepunkt von Angst und Verzweiflung mussten wir schließlich fliehen. Nun lebe ich ohne Zukunft und ohne Hoffnung in Pakistan unter erbärmlichen Bedingungen. Seit mehr als drei Monaten reagiert keine Institution in Deutschland auf unsere Hilferufe. Unser Aufenthaltsvisum ist abgelaufen, und es ist nicht klar, was mit uns passieren wird.
Weil ich eine Frau bin, darf ich in Afghanistan nicht mehr arbeiten, nicht mehr in der Öffentlichkeit auftreten, nicht mehr reisen – die Taliban verweigern uns Frauen alle Menschenrechte. Die Taliban sehen eine Frau nur als Sexsklavin, die die Pflicht hat, die sexuellen Bedürfnisse eines Mannes zu befriedigen.
Hunderte von Frauen, die gegen die Taliban protestierten, wurden verhaftet und eingesperrt und vegetieren unter schlimmsten Bedingungen in den Gefängnissen. Viele von ihnen wurden im Gefängnis vergewaltigt. All das zeigt, welches Schicksal Frauen seit August 2021 in Afghanistan ertragen.
»Hunderte von Frauen, die gegen die Taliban protestierten, wurden verhaftet und eingesperrt und vegetieren unter schlimmsten Bedingungen in den Gefängnissen.«
War Ihre Tätigkeit auch schon gefährlich, bevor die Taliban die Macht wieder an sich rissen?
Ja. Aber ich habe diese Gefahr bewusst in Kauf genommen, weil ich glaube, dass Gleichheit und soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft nicht ohne Opfer und Beharrlichkeit erreicht werden können. Ich kämpfe seit Jahrzehnten für die Menschenrechte und die Gleichberechtigung von Frau und Mann. Frieden und Gerechtigkeit sind die wichtigsten Werte in meinem Leben, weil ich glaube, dass eine Gesellschaft ohne soziale Gerechtigkeit, Frieden und Menschenrechte keinen Wohlstand, Gleichheit, Stabilität und Fortschritt erreichen wird.
Wurden Sie damals auch bedroht?
Ja, als ich schon vor mehr als 20 Jahren in die Dörfer meiner Heimatprovinz ging, um Mädchen und Frauen zu unterrichten, wurde ich wiederholt von Dschihad-Kommandanten, Stammesältesten und örtlichen Aufständischen bedroht. Aber da ich aus einer angesehenen Familie stamme, wagten es nur wenige Aufständische, mich direkt anzugreifen. Doch sie drohten mir so deutlich mit dem Tod, dass ich nach Kabul fliehen musste. Auch in der Hauptstadt wurde ich immer wieder bedroht, aber wegen der damaligen Ordnung und Verfassung konnten extremistische Gruppen ihre Drohungen gegen mich nicht umsetzen und mich nicht ermorden.
Dennoch bin ich auch später wieder in die Dörfer gegangen, habe Reden gehalten und über das Frauenwahlrecht und die Beteiligung der Frauen am politischen System gesprochen. Außerdem habe ich Mädchen ermutigt, in die Schule zu gehen, denn nichts ist wertvoller als Wissen für eine Gesellschaft.
Doch nun, seit der Machtergreifung der Taliban, bin ich ihnen ausgeliefert.
Drei Fragen an Subda A. (Name geändert):
Subda A. hat in Afghanistan als Journalistin gearbeitet, engagierte sich in politischen Gremien, war für Regierungsstellen tätig und in Frauengruppen aktiv.
Sie ist zudem Mitglied der Gruppe »United Voice of Women for Peace«, die 2019 vom afghanischen Friedensministerium gegründet wurde. Die Gruppe sollte Friedensverhandlungen der afghanischen Regierung mit den Taliban mit vorbereiten und begleiten. Besonders gefährdet ist sie auch, weil sie in den Medien sehr präsent war.
Anfang März konnte sie endlich nach Deutschland ausreisen, bis dahin lebte sie in unterschiedlichen Verstecken.
Wie hat sich Ihr Leben seit August 2021 verändert? Wie lebten Sie, bis Sie vor ein paar Tagen nach Deutschland ausreisen konnten?
Die Zeit seit der Machtergreifung durch die Taliban im August 2021 war sehr hart für mich. Ich konnte nichts mehr tun von dem, was ich vorher getan habe, mich nicht mehr für politische Teilhabe von Frauen, Meinungsfreiheit und Bildung engagieren und nicht mehr arbeiten. Ich war ständig unterwegs, weil ich mich immer wieder neu verstecken musste. Und nun muss ich in Deutschland ganz neu anfangen.
Zu Beginn der neuen Taliban-Ära hatte ich noch mit anderen Frauen zusammen lautstark und mit Transparenten auf der Straße protestiert, weil im neuen Taliban-Kabinett keine Frauen waren und weil Menschen zwangsvertrieben wurden. Danach umstellten die Taliban meine Wohnung und verhafteten mich.
»Deshalb kann ich auch jetzt, wo ich selbst in Sicherheit bin, meinen Namen nicht nennen, weil meine Familie weiterhin bedroht ist.«
Werden Sie bedroht?
Ja, nach meiner Verhaftung und Freilassung hatte ich in meinem Leben sehr viele Schwierigkeiten, weil sie mit ihren Drohungen nicht nachgelassen haben. Meine Präsenz in den sozialen Medien habe ich beendet, aber dennoch bekam ich weiter Drohungen. Mein Vater, der mein Engagement immer eher kritisch sah, hatte große Angst, dass ich nun doch noch für die Verteidigung der Menschenrechte und der Frauenrechte sterben könnte.
Und noch an dem Tag, an dem ich endlich in Deutschland ankam, standen Taliban-Kämpfer bei Verwandten von mir vor der Tür, haben das Haus durchwühlt und zum Beispiel das Auto mitgenommen. Deshalb kann ich auch jetzt, wo ich selbst in Sicherheit bin, meinen Namen nicht nennen, weil meine Familie weiterhin bedroht ist.
Meine Bitte an die Deutschen ist, die afghanischen Frauen und auch die Gruppe »United Voice of Women für Peace« nicht zu vergessen. Frauen und Kinder leiden besonders unter den Taliban, auch psychisch.
»Meine Bitte an die Deutschen ist, die afghanischen Frauen und auch die Gruppe »United Voice of Women für Peace« nicht zu vergessen.«
War Ihre Tätigkeit auch schon gefährlich, bevor die Taliban die Macht wieder an sich rissen?
Ja, ich wurde auch damals schon viele Male auf verschiedene Arten und Weisen bedroht. Aber das konnte mich zunächst nicht von meinen Aktivitäten abhalten. Schließlich musste ich aber doch im Jahr 2020 eine Stelle in einem Frauenprojekt kündigen, weil ich zu sehr bedroht wurde.
Ich habe als Journalistin gearbeitet, mich politisch engagiert und in Frauengruppen gearbeitet. Wichtig sind mir Freiheit, Bildung, politische und wirtschaftliche Teilhabe von Frauen, Meinungsfreiheit und die fortschrittliche Entwicklung der Gesellschaft.
(wr/aa)