News
Pushbacks an der rumänisch-serbischen EU-Außengrenze
Die Aufrüstung an den Grenzen verschiebt kontinuierlich die Fluchtrouten auf der Balkanroute, doch überall wiederholt sich die Gewalt gegen Schutzsuchende. Seit Herbst 2020 kommt es an der rumänisch-serbischen EU-Außengrenze vermehrt zu illegalen Pushbacks. Ein Bericht der serbischen NGO klikAktiv dokumentiert die Menschenrechtsverletzungen.
Veränderungen der Fluchtwege auf der Balkanroute seit 2015
Serbien ist ein zentrales Transitland für Schutzsuchende, die aus der Türkei nach Bulgarien und Griechenland über die Balkanroute in ihre Zielländer in Europa flüchten. Der EU-Beitrittskandidat grenzt im Nord-Westen an die EU-Länder Kroatien, Ungarn und Rumänien.
In den vergangenen Jahren wurden viele Grenzen auf der Balkanroute hochgerüstet, sodass es immer wieder zu Routenverschiebungen kam:
Ungarn hat unter der Regierung Viktor Orbáns 2015 einen Grenzzaun zu Serbien errichten lassen und mittlerweile das Asylrecht de facto abgeschafft. Um einen Asylantrag in Ungarn stellen zu können, muss zunächst eine entsprechende Absichtserklärung bei der Botschaft in Belgrad gestellt werden. Dort wird entschieden, ob die Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nach Ungarn einreisen dürfen. Schutzsuchende, die eigenständig die Grenze nach Ungarn überqueren, erhalten keinen Zugang zum Asylverfahren, sondern werden an der Einreise gehindert oder zurück nach Serbien gebracht. Obwohl diese Pushbacks gegen EU-Recht verstoßen, finden sie weiterhin statt und werden von den ungarischen Behörden seit Jahren in offiziellen Zahlen veröffentlicht.
Seit Anfang 2018 versuchen Schutzsuchende vermehrt die kroatisch-bosnische Grenze zu überqueren. Mit extremer Brutalität führen Einheiten der kroatischen Grenzpolizei Pushbacks durch. Sogar Schutzsuchende, die es über Kroatien und Slowenien bis nach Italien schaffen, werden Opfer von Ketten-Pushbacks bis nach Bosnien.
Prekäre Lebensbedingungen und Konflikte mit der Polizei in der rumänisch-serbischen Grenzregion
Auch aufgrund dieser Entwicklungen nutzen Schutzsuchende seit Winter 2019/2020 die Route über die rumänisch-serbische Grenze. Wichtiger Ausgangspunkt sind dabei die Dörfer Majdan und Rabe, unmittelbar vor der rumänischen Grenze.
Zunächst gab es dort keine Berichte über Pushbacks durch die rumänische Polizei. Doch ein halbes Jahr später, im Juli 2020, sammelte das Team von klikAktiv erste Berichte über Pushbacks von Betroffenen. Waren Schutzsuchende zuvor nur wenige Tage in Serbien, bleiben Viele nun mehrere Monate hier hängen.
Im Zeitraum Juli 2020 bis November 2021 war klikAktiv regelmäßig an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien und hat dort Beratungen durchgeführt. In der Zeit sammelte die Organisation Erfahrungsberichte, die Pushbacks von über 3.700 Menschen an dieser Grenze belegen. Der Bericht »Illegale Push Backs From Romania to Serbia« baut auf diesen Schilderungen auf.
Da es an der Grenze keine offiziellen Unterbringungsstrukturen des serbischen Staats gibt, sind die Betroffenen auf sich alleine gestellt. Das bedeutet, sie müssen in verlassenen Gebäuden übernachten und sich selbst mit dem Nötigsten versorgen.
Die serbische Polizei ist vor Ort präsent. Doch anstatt die Schutzsuchenden über ihre Rechte aufzuklären und ihnen die Möglichkeit zu geben, in Serbien Asyl zu beantragen, dient ihr Einsatz der Beschwichtigung der lokalen Bevölkerung, die zunehmend feindselig gegenüber den Schutzsuchenden eingestellt ist, so klikAktiv. 2021 gab es mehrere Polizeirazzien, in denen Schutzsuchende in der Region von der Polizei aufgegriffen wurden und in eine verlassene Milchfabrik gebracht wurden, in der die Schutzsuchenden in Zelten leben müssen.
Pushbacks und Polizeigewalt an der rumänisch-serbischen Grenze
Die ersten Berichte über Pushbacks, die klikAktiv von Betroffenen aufnahm, enthielten keine Schilderungen über Gewaltanwendung seitens der rumänischen Polizei. Bereits im Herbst 2020 änderte sich dies. Betroffene berichteten, dass das Vorgehen der rumänischen Polizei nun dem der kroatischen und ungarischen Polizei glich: Schutzsuchende werden ausgeraubt, mit Schlagstöcken verprügelt, in den Rücken getreten, ins Gesicht geschlagen, von Polizeihunden angegriffen.
Die rumänische Polizei wendet zunehmend demütigende Methoden an. Manche Personen wurden gezwungen, sich bis auf die Unterhose auszuziehen und so zurück nach Serbien zu laufen. In einem Video, das klikAktiv mit Zustimmung der Betroffenen im Februar 2021 veröffentlicht hat, zeigen Schutzsuchende ihre Schuhe, deren Schnürsenkel zerschnitten wurden, weshalb sie barfuß zurück nach Serbien laufen mussten. Ein unbegleiteter, minderjähriger Geflüchteter aus Syrien berichtet davon, dass er und seine Gruppe gezwungen wurden, stundenlang am Straßenrand zu laufen, während zwei Polizeiautos sie begleiteten:
»Sie ließen uns stundenlang laufen. Es war sehr kalt, meine Füße waren eiskalt.«
»Sie ließen uns stundenlang laufen. Es war sehr kalt, meine Füße waren eiskalt. Ein Auto vor uns und das andere hinter uns. Wir waren eine Gruppe von fünf Personen. Als wir in der Nähe der serbischen Grenze waren, befahlen sie uns, in die Autos zu steigen. Sie fuhren uns irgendwo auf ein Feld und warfen uns dann raus. Sie sagten »Serbia, go!», also kamen wir zurück nach Serbien.»
Nach einiger Zeit kommen die »Männer in schwarz« an. Ein Schlägertrupp, der übler zuschlage als die Polizei. Nach der Gewalt fahren die Männer wieder weg. Der Pushback findet durch die Polizei statt.
Auch in Rumänien: »Männer mit schwarzen Masken«
Die Pushbacks werden nicht ausschließlich durch Polizeieinheiten in identifizierbaren Uniformen durchgeführt. Zwischen August und Oktober 2021 sammelte KlikAktiv insgesamt 30 Berichte, die die Zusammenarbeit der rumänischen Polizei mit nicht weiter zuzuordnenden, maskierten Einsatzkräften belegen. Auffällig dabei ist, dass die Berichte sich in der Regel auf das Wochenende beziehen.
Dabei ist der Ablauf der Zusammenarbeit stets derselbe: Nach Aufgriff durch die rumänische Polizei macht diese einen Telefonanruf. Nach einiger Zeit kommen die »Männer in schwarz« an. Ein Schlägertrupp, der übler zuschlage als die Polizei. Nach der Gewalt fahren die Männer wieder weg. Der Pushback findet durch die Polizei statt.
»Die Polizei nahm all unser Geld, wir hatten rund 130 EUR, zwei Handys und eine Powerbank. Sie haben uns für etwa 20 Minuten warten lassen, bevor diese Männer die Szenerie betraten. Sie haben uns so heftig getreten. Ich verstehe nicht, wie jemand einer Person so schlimme Schmerzen zufügen kann. Wie kannst du jemanden schlagen und treten, der dir nichts getan hat? Mein Bein war geschwollen von den Tritten und es tut immer noch weh, wenn ich laufe,« berichtet ein Mann.
»Wie kannst du jemanden schlagen und treten, der dir nichts getan hat?«
Journalistische Recherchen von Lighthouse Reports haben bereits im Oktober 2021 von der Beteiligung Maskierter ohne Uniform an Pushbacks in Rumänien berichtet. Ähnliche Einheiten sind auch von Pushback-Operationen in Griechenland und Kroatien bekannt.
Kein Zugang zu Asyl in Rumänien, in Serbien landen Pushback-Opfer in der Illegalität
Der Bericht belegt, dass viele Schutzsuchenden versuchen einen Antrag auf internationalen Schutz in Rumänien zu stellen und ihren Wunsch der Polizei vortragen. Doch diese ignoriert das Gesuch – ein klarer Verstoß gegen internationales und EU-Recht. Rumänische Polizist*innen werden mit den Worten »Du, geh zurück nach Serbien« oder »Hier gibt es kein Asyl« zitiert. Keiner der von KlikAktiv interviewten Personen hatte Zugang zu rechtlicher Vertretung oder Sprachmittler*innen.
In der Regel werden Schutzsuchende an der »grünen Grenze« nach Serbien zurück geschickt. Sie gehen dann wieder in die leerstehenden Gebäude und versuchen erneut über die rumänische Grenze zu gelangen.
Schutzsuchende, die während eines Pushbacks an die serbische Polizei übergeben werden oder von ihr aufgegriffen werden, wird ein Dokument ausgehändigt, in dem festgestellt wird, dass die Person Serbien ohne rechtliche Grundlage betreten hat und innerhalb von 30 Tagen ausreisen muss. Sie haben keine Möglichkeit mehr, Asyl in Serbien zu beantragen. Dieses polizeiliche Dokument kann als Grundlage für eine Abschiebung der Betroffenen dienen.
Anwendung von Rückübernahmeabkommen für Abschiebungen aus Rumänien nach Serbien
Neben unmittelbaren Pushbacks wird zur Abschiebung aus Rumänien nach Serbien häufig ein Rückübernahmeabkommen angewendet, das Serbien und die EU 2007 abgeschlossen haben. Die Anwendung dieses Rückübernahmeabkommens wird KlikAktiv in einem eigenen Bericht behandeln.
klikAktiv ist eine serbische NGO mit Sitz in Belgrad. Das Team bietet kostenlose und unabhängige Rechtsberatung und psychosoziale Unterstützung für Schutzsuchende in Serbien an. Das Team fährt regelmäßig an die serbischen EU-Grenzen und dokumentiert dort die menschenrechtliche Situation von Schutzsuchenden. Seit 2021 wird die Organisation durch die Stiftung PRO ASYL unterstützt.
(dm)