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Innenministerkonferenz in Stuttgart: Abschiebungsstopp für Syrien jetzt!
Vor einem Jahr ließ die Innenministerkonferenz den bis dahin bestehenden Abschiebungsstopp nach Syrien auslaufen. Dies ignorierte schon damals die Menschenrechtsverletzungen durch das Assad-Regime und die daraus resultierende Gefahr für alle Rückkehrenden. Neue Berichte machen deutlich: ein Abschiebungsstopp ist menschenrechtlich geboten!
Von 2012 bis 2020 galt in Deutschland für Syrien ein Abschiebungsstopp, der von der zuständigen Innenministerkonferenz regelmäßig verlängert wurde. Mit Unterstützung des aktuell nur noch geschäftsführenden Bundesinnenministers Seehofer stellten sich die Unions-geführten Bundesländer bei der Innenministerkonferenz im Dezember 2020 gegen die Verlängerung – und so lief die Regelung aus.
Dabei geht dies an der Realität in Syrien vorbei: Dort ist weiterhin Diktator Baschar al-Assad an der Macht, der mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht. Darauf hatte PRO ASYL immer wieder gemeinsam mit Organisationen wie Adopt a Revolution und den Flüchtlingsräten angesichts der Innenministerkonferenzen hingewiesen. Zur Herbstkonferenz 2020 hatte sich ein breites Bündnis deutscher und syrisch-deutscher Organisationen gegen das Auslaufen gestellt.
Zu den festgestellten Verbrechen an Rückkehrenden gehören willkürliche Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen wie Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt sowie erzwungenes »Verschwindenlassen«.
Neue Berichte belegen Gefahr für Rückkehrer*innen nach Syrien
Gleich zwei neue Berichte unterstützen in diesem Jahr die Kritik an dem Auslaufen des Abschiebungsstopps, indem sie Menschenrechtsverletzungen an Rückkehrer*innen dokumentieren: Der Bericht »You’re going to your death« von Amnesty International (September 2021) und der Bericht »‘Our Lives Are Like Death’: Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan« von Human Rights Watch (Oktober 2021).
Keine Sicherheit in Damaskus oder anderswo in Syrien
Die Betroffenen wurden meist aufgrund einer vermeintlichen – oder tatsächlichen früheren – Zugehörigkeit zur Opposition Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen. Diese Zugehörigkeit wurde ihnen aufgrund des Aufenthalts in anderen Ländern als Flüchtlinge von den syrischen Behörden zugeschrieben. Männer, die sich dem verpflichtenden Militärdienst entzogen haben, droht Inhaftierung oder Zwangseinsatz in der Armee. Ein Drittel der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen von Amnesty International fand in Damaskus oder der Gegend von Damaskus statt – womit auch das Argument, dass zumindest Damaskus sicher sei, widerlegt ist. Wie die Berichte der beiden Menschenrechtsorganisationen zeigen, sind auch Personen, die (inoffizielle) Sicherheitsüberprüfungen vor der Rückkehr durchlaufen oder die ein sogenanntes »reconciliation« Dokument unterschreiben, nicht vor Verfolgung sicher.
Amnesty International hat für den Bericht 66 Fälle von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert, die nach einer Rückkehr nach Syrien schwerste Menschenrechtsverletzungen durch den syrischen Geheimdienst erfuhren. Human Rights Watch hat 65 solcher Fälle aufgearbeitet. Zu den festgestellten Verbrechen an Rückkehrenden gehören willkürliche Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen wie Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt sowie erzwungenes »Verschwindenlassen«. Die Haftumstände in Syrien sind weiterhin katastrophal, wie die Interviews mit den Menschen zeigen, die nach ihrer Rückkehr festgenommen wurden. Inhaftierte werden kaum versorgt und Folter und sexuelle Gewalt sind an der Tagesordnung.
»This is to welcome you to your country. If you get out of Syria again and come back again, we will welcome you even better.«
Die Tatsache, dass es syrische Flüchtlinge gibt, die »freiwillig« nach Syrien zurückgehen, ist auch kein Beleg für eine vermeintliche Sicherheit – denn oft stehen hinter der »Freiwilligkeit« tragische familiäre Gründe oder ökonomische Zwänge. Laut einer UNHCR Umfrage vom März 2021 können neunzig Prozent der syrischen Flüchtlinge in den Aufnahmeländern ihre elementarsten Bedürfnisse nicht sicherstellen. In vielen Aufnahmeländern ist die prekäre wirtschaftliche Lage von syrischen Flüchtlingen durch die Covid-19 Pandemie zusätzlich verschärft worden.
Es braucht einen neuen Abschiebungsstopp für Syrien!
Die neuen Recherchen von Amnesty International und Human Rights Watch machen deutlich, dass es in Deutschland wieder ein Abschiebungsverbot für Syrien geben muss. Zwar sind die meisten Syrer*innen durch ihren Schutzstatus vor Abschiebungen sicher (siehe hierzu auch unsere News »Kein Grund zur Panik«), doch hat das Auslaufen des Abschiebungsstopps zu einer tiefen Verunsicherung geführt. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte stellte in einer Analyse vom Juni 2021 fest:
»Abschiebungen nach Syrien sind derzeit aus menschenrechtlichen Erwägungen abzulehnen. Solange sich die Lage nicht langfristig und flächendeckend verbessert, droht jeder Einzelnen und jedem Einzelnen eine Verletzung von Art. 3 EMRK und damit ein Verstoß gegen das Refoulement-Verbot. […] Wenn Abschiebungen rechtlich nicht vertretbar oder praktisch nicht durchführbar sind, sollte diesen Ängsten durch einen generellen Abschiebungsstopp politisch klar entgegengetreten werden.«
PRO ASYL fordert von den Innenminister*innen und ‑senatoren, ein Abschiebungsverbot für Syrien zu erlassen (siehe hier für unsere generellen Forderungen an die Innenministerkonferenz)!
(wj)