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Geflüchteten, die nach Syrien zurückkehren, droht oft Gewalt, Folter oder andere Menschenrechtsverletzungen. Foto: ©UNHCR/Andrew McConnell

Vor einem Jahr ließ die Innenministerkonferenz den bis dahin bestehenden Abschiebungsstopp nach Syrien auslaufen. Dies ignorierte schon damals die Menschenrechtsverletzungen durch das Assad-Regime und die daraus resultierende Gefahr für alle Rückkehrenden. Neue Berichte machen deutlich: ein Abschiebungsstopp ist menschenrechtlich geboten!

Von 2012 bis 2020 galt in Deutsch­land für Syri­en ein Abschie­bungs­stopp, der von der zustän­di­gen Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz regel­mä­ßig ver­län­gert wur­de. Mit Unter­stüt­zung des aktu­ell nur noch geschäfts­füh­ren­den Bun­des­in­nen­mi­nis­ters See­ho­fer stell­ten sich die Uni­ons-geführ­ten Bun­des­län­der bei der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz im Dezem­ber 2020 gegen die Ver­län­ge­rung – und so lief die Rege­lung aus.

Dabei geht dies an der Rea­li­tät in Syri­en vor­bei: Dort ist wei­ter­hin Dik­ta­tor Baschar al-Assad an der Macht, der mit unvor­stell­ba­rer Grau­sam­keit gegen sei­ne eige­ne Bevöl­ke­rung vor­geht. Dar­auf hat­te PRO ASYL immer wie­der gemein­sam mit Orga­ni­sa­tio­nen wie Adopt a Revo­lu­ti­on und den Flücht­lings­rä­ten ange­sichts der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­ren­zen hin­ge­wie­sen. Zur Herbst­kon­fe­renz 2020 hat­te sich ein brei­tes Bünd­nis deut­scher und syrisch-deut­scher Orga­ni­sa­tio­nen gegen das Aus­lau­fen gestellt.

Zu den fest­ge­stell­ten Ver­bre­chen an Rück­keh­ren­den gehö­ren will­kür­li­che Inhaf­tie­run­gen, Fol­ter und ande­re Miss­hand­lun­gen wie Ver­ge­wal­ti­gun­gen und sexu­el­le Gewalt sowie erzwun­ge­nes »Ver­schwin­den­las­sen«.

Neue Berichte belegen Gefahr für Rückkehrer*innen nach Syrien

Gleich zwei neue Berich­te unter­stüt­zen in die­sem Jahr die Kri­tik an dem Aus­lau­fen des Abschie­bungs­stopps, indem sie Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Rückkehrer*innen doku­men­tie­ren: Der Bericht »You’re going to your death« von Amnes­ty Inter­na­tio­nal (Sep­tem­ber 2021) und der Bericht »‘Our Lives Are Like Death’: Syri­an Refu­gee Returns from Leba­non and Jor­dan« von Human Rights Watch (Okto­ber 2021).

Keine Sicherheit in Damaskus oder anderswo in Syrien

Die Betrof­fe­nen wur­den meist auf­grund einer ver­meint­li­chen – oder tat­säch­li­chen frü­he­ren – Zuge­hö­rig­keit zur Oppo­si­ti­on Opfer die­ser Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Die­se Zuge­hö­rig­keit wur­de ihnen auf­grund des Auf­ent­halts in ande­ren Län­dern als Flücht­lin­ge von den syri­schen Behör­den zuge­schrie­ben. Män­ner, die sich dem ver­pflich­ten­den Mili­tär­dienst ent­zo­gen haben, droht Inhaf­tie­rung oder Zwangs­ein­satz in der Armee. Ein Drit­tel der doku­men­tier­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen von Amnes­ty Inter­na­tio­nal fand in Damas­kus oder der Gegend von Damas­kus statt – womit auch das Argu­ment, dass zumin­dest Damas­kus sicher sei, wider­legt ist. Wie die Berich­te der bei­den Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen zei­gen, sind auch Per­so­nen, die (inof­fi­zi­el­le) Sicher­heits­über­prü­fun­gen vor der Rück­kehr durch­lau­fen oder die ein soge­nann­tes »recon­ci­lia­ti­on« Doku­ment unter­schrei­ben, nicht vor Ver­fol­gung sicher.

Ein drit­tel

der doku­men­tier­ten Men­schen­rechts- ver­let­zun­gen von Amnes­ty Inter­na­tio­nal fand in Damas­kus oder der Gegend von Damas­kus statt

Amnes­ty Inter­na­tio­nal hat für den Bericht 66 Fäl­le von Män­nern, Frau­en und Kin­dern doku­men­tiert, die nach einer Rück­kehr nach Syri­en schwers­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen durch den syri­schen Geheim­dienst erfuh­ren. Human Rights Watch hat 65 sol­cher Fäl­le auf­ge­ar­bei­tet. Zu den fest­ge­stell­ten Ver­bre­chen an Rück­keh­ren­den gehö­ren will­kür­li­che Inhaf­tie­run­gen, Fol­ter und ande­re Miss­hand­lun­gen wie Ver­ge­wal­ti­gun­gen und sexu­el­le Gewalt sowie erzwun­ge­nes »Ver­schwin­den­las­sen«. Die Haft­um­stän­de in Syri­en sind wei­ter­hin kata­stro­phal, wie die Inter­views mit den Men­schen zei­gen, die nach ihrer Rück­kehr fest­ge­nom­men wur­den. Inhaf­tier­te wer­den kaum ver­sorgt und Fol­ter und sexu­el­le Gewalt sind an der Tagesordnung.

»This is to wel­co­me you to your coun­try. If you get out of Syria again and come back again, we will wel­co­me you even better.«

Aus­sa­ge von einem Mit­glied der syri­schen Sicher­heits­kräf­te, nach­dem er eine Frau nach ihrer Rück­kehr aus dem Liba­non vor den Augen ihrer Kin­der ver­ge­wal­tig­te (Bericht Amnes­ty Inter­na­tio­nal, Sei­te 23).
90%

der syri­schen Flücht­lin­ge kön­nen in den Auf­nah­me­län­dern ihre ele­men­tars­ten Bedürf­nis­se nicht sicherstellen.

Die Tat­sa­che, dass es syri­sche Flücht­lin­ge gibt, die »frei­wil­lig« nach Syri­en zurück­ge­hen, ist auch kein Beleg für eine ver­meint­li­che Sicher­heit – denn oft ste­hen hin­ter der »Frei­wil­lig­keit« tra­gi­sche fami­liä­re Grün­de oder öko­no­mi­sche Zwän­ge. Laut einer UNHCR Umfra­ge vom März 2021 kön­nen neun­zig Pro­zent der syri­schen Flücht­lin­ge in den Auf­nah­me­län­dern ihre ele­men­tars­ten Bedürf­nis­se nicht sicher­stel­len. In vie­len Auf­nah­me­län­dern ist die pre­kä­re wirt­schaft­li­che Lage von syri­schen Flücht­lin­gen durch die Covid-19 Pan­de­mie zusätz­lich ver­schärft worden.

Es braucht einen neuen Abschiebungsstopp für Syrien!

Die neu­en Recher­chen von Amnes­ty Inter­na­tio­nal und Human Rights Watch machen deut­lich, dass es in Deutsch­land wie­der ein Abschie­bungs­ver­bot für Syri­en geben muss. Zwar sind die meis­ten Syrer*innen durch ihren Schutz­sta­tus vor Abschie­bun­gen sicher (sie­he hier­zu auch unse­re News »Kein Grund zur Panik«), doch hat das Aus­lau­fen des Abschie­bungs­stopps zu einer tie­fen Ver­un­si­che­rung geführt. Auch das Deut­sche Insti­tut für Men­schen­rech­te stell­te in einer Ana­ly­se vom Juni 2021 fest:

»Abschie­bun­gen nach Syri­en sind der­zeit aus men­schen­recht­li­chen Erwä­gun­gen abzu­leh­nen. Solan­ge sich die Lage nicht lang­fris­tig und flä­chen­de­ckend ver­bes­sert, droht jeder Ein­zel­nen und jedem Ein­zel­nen eine Ver­let­zung von Art. 3 EMRK und damit ein Ver­stoß gegen das Refou­le­ment-Ver­bot. […] Wenn Abschie­bun­gen recht­lich nicht ver­tret­bar oder prak­tisch nicht durch­führ­bar sind, soll­te die­sen Ängs­ten durch einen gene­rel­len Abschie­bungs­stopp poli­tisch klar ent­ge­gen­ge­tre­ten werden.«

PRO ASYL for­dert von den Innenminister*innen und ‑sena­to­ren, ein Abschie­bungs­ver­bot für Syri­en zu erlas­sen (sie­he hier für unse­re gene­rel­len For­de­run­gen an die Innenministerkonferenz)!

 

(wj)