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Kos / Griechenland: Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer verteilen Lebensmittel an Flüchtlinge. Foto: Christina Palitzsch

Die humanitäre Krise von Flüchtlingen in der Ägäis spitzt sich weiter zu – es fehlt am Nötigsten. Staatliche Hilfe gibt es kaum. Freiwillige versuchen, die Not der Schutzsuchenden zu lindern. Mitarbeiter von PRO ASYL machen sich aktuell ein Bild vor Ort.

68.000 Flücht­lin­ge sind allein in der ers­ten Hälf­te die­ses Jah­res in Grie­chen­land ange­kom­men. Mehr als 60 Pro­zent die­ser Men­schen sind aus Syri­en geflo­hen und haben Leib und Leben ris­kiert, um in Euro­pa Schutz zu fin­den – erst am Diens­tag ken­ter­te ein Flücht­lings­boot zwi­schen den grie­chi­schen Inseln Farm­a­ko­ni­si und Aga­tho­ni­si, offen­bar kamen 19 Men­schen ums Leben.

Wer die gefähr­li­che Flucht über­lebt, lan­det meist auf den grie­chi­schen Ägä­is Inseln an. Dort herrscht seit Wochen eine huma­ni­tä­re Kri­se. Auf­grund der wei­ter­hin stei­gen­den Ankunfts­zah­len und hohen Tem­pe­ra­tu­ren hat die Kri­se längst kata­stro­pha­le Aus­ma­ße ange­nom­men. Die weni­gen maro­den Auf­nah­me­- und Haft­ein­rich­tun­gen sind längst über­füllt, die Flücht­lin­ge cam­pie­ren in Zel­ten oder unter frei­em Him­mel, meist ohne sani­tä­re Ein­rich­tun­gen, ohne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung, ohne Ver­pfle­gung. Es kann bis zu 20 Tage dau­ern, bevor Neu­an­kom­men­de regis­triert wer­den. Solan­ge sit­zen sie auf den Inseln fest, bevor sie aufs Fest­land wei­ter­kön­nen. Die Wirt­schafts­kri­se in Grie­chen­land hat für die dort ankom­men­den Flücht­lin­ge lebens­be­droh­li­che Kon­se­quen­zen.

„Den Flücht­lin­gen fehlt es an allem – man­chen sogar an Essen und Trin­ken“, berich­tet Pro-Asyl-Geschäfts­füh­rer Gün­ter Burk­hard aus Grie­chen­land. „Wir befürch­ten, dass sich die Situa­ti­on wei­ter zuspitzt“.

Eine kurz­fris­ti­ge, koor­di­nier­te und umfas­sen­de Inter­ven­ti­on des grie­chi­schen Staa­tes ist ange­sichts der kata­stro­pha­len finan­zi­el­len Situa­ti­on und der fak­ti­schen Nicht-Exis­tenz rele­van­ter Struk­tu­ren nicht zu erwar­ten. Auch die EU bleibt taten­los und sieht der Eska­la­ti­on zu. Ange­sichts der Not­si­tua­ti­on muss vor Ort drin­gend Kata­stro­phen­hil­fe erfolgen.

Frei­wil­li­ge leis­ten Nothilfe

Es sind bis­lang vor allem Frei­wil­li­ge, Soli­da­ri­täts­in­itia­ti­ven und zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen, die auf den Inseln ver­su­chen, dem huma­ni­tä­ren Not­stand zu begeg­nen und den Schutz­su­chen­den zu hel­fen. Sie orga­ni­sie­ren Lebens­mit­tel, Medi­ka­men­te, Hygie­nemit­tel, Zel­te auf eige­ne Kosten.

Was die Initia­ti­ven vor Ort, Ärz­te ohne Gren­zen, Mit­ar­bei­ter von UNHCR und unse­re Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von RSPA hier auf den Inseln leis­ten ist bewun­derns­wert“ sagt PRO ASYL Europa­re­fe­rent Karl Kopp, der der­zeit zusam­men mit Gün­ter Burk­hardt vor Ort ist. „Es ist nicht aus­zu­den­ken wie es hier ohne das Enga­ge­ment und die Soli­da­ri­tät der Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner aus­se­hen würde.“

Auf Kos orga­ni­sie­ren Hel­fe­rin­nen und Hel­fer täg­lich die Aus­ga­be von 500 Mahl­zei­ten. Seit Ende Mai sam­meln sie Nah­rungs­mit­tel bei Hotels und Restau­rants ein, um sie an die Flücht­lin­ge zu ver­tei­len. Etli­che Frei­wil­li­ge, die sich in der Unter­stüt­zer­grup­pe „Kos Soli­da­ri­ty“ orga­ni­siert haben, stel­len so eine Not­ver­sor­gung sicher, um das Über­le­ben der Flücht­lin­ge auf der Insel zu ermög­li­chen. Auch Ärz­te ohne Gren­zen sind mit einem Team vor Ort und bie­ten medi­zi­ni­sche Erst­ver­sor­gung und ande­re Leis­tun­gen an. Auch auf ande­ren Inseln gibt es Grup­pen von Ehren­amt­li­chen, die ver­su­chen, Not­hil­fe für die gestran­de­ten Flücht­lin­ge zu leis­ten, auf Chi­os, auf Leros sowie in den Städ­ten Myti­le­ne und Moly­vos auf Lesbos

Geschlos­se­ne Ban­ken: Kein Geld für drin­gen­de Hil­fe abrufbar

Die Schlie­ßung der Ban­ken ver­schärft jedoch die aku­ten Ver­sor­gungs­eng­päs­sen, da Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zer nicht mehr an ihr Geld kom­men, um drin­gend benö­tig­te Lebens­mit­tel und Ver­sor­gungs­gü­ter kau­fen zu kön­nen. Auch die Flücht­lin­ge selbst kön­nen des­we­gen nicht ein­mal auf Not­über­wei­sun­gen von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen oder Freun­den zurück­grei­fen. Über­wei­sungs­diens­te wie Wes­tern Uni­on haben ihre Diens­te für Flücht­lin­ge eben­falls ausgesetzt.

Euro­pa lässt sei­ne Bür­ger mit der Bewäl­ti­gung einer huma­ni­tä­ren Kri­se allein und erschwert durch sei­ne Poli­tik deren Arbeits­be­din­gun­gen noch zusätz­lich. Die Innen­mi­nis­ter der EU Mit­glieds­staa­ten müs­sen heu­te end­lich reagie­ren, eine koor­di­nier­te Kri­sen­in­ter­ven­ti­on initi­ie­ren und vor allem lega­le Aus­rei­se­we­ge für Flücht­lin­ge in Grie­chen­land eröff­nen. Unter den gege­be­nen Umstän­den muss die EU drin­gend dafür sor­gen, dass die Betrof­fe­nen die grie­chi­schen Inseln ver­las­sen und in ande­re EU-Staa­ten wei­ter­rei­sen können.

„Die Situa­ti­on treibt eini­ge in den Wahn­sinn“ (31.07.15)

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