14.07.2015
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Angeklagt, weil sie Familien mit Kindern einen Gewaltmarsch ersparen wollte: Dora T. vor dem Gerichtsgebäude in Mytilene. Foto: Pro Asyl

Auf den ägäischen Inseln kommen Tausende Schutzsuchende an – und landen obdachlos auf der Straße. Viele Bürgerinnen und Bürger solidarisieren sich mit ihnen und versorgen sie mit dem Nötigsten. Doch wer Flüchtlinge mit dem Auto mitnimmt, dem droht eine Anklage wegen „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt“. Die Studentin Dora T. stand deswegen letzte Woche in Mytilene vor Gericht – und das, obwohl das entsprechende Gesetz eben erst geändert wurde.

Ein Gerichts­saal in Myti­le­ne, Grie­chen­land: Drei Rich­te­rin­nen, ein Staats­an­walt und zwei Ver­tei­di­ger sind mit dem Fall von Dora T. befasst, auch meh­re­re Zeu­gen sind gela­den. Dora T. ist wegen „Bei­hil­fe zu ille­ga­lem Auf­ent­halt“ angeklagt.

Ihr Ver­ge­hen: Sie hat zwei Flücht­lings­fa­mi­li­en in ihrem Auto mit­ge­nom­men. Als Dora T. auf der Land­stra­ße irgend­wo zwi­schen Moria und Myti­le­ne aus dem Auto her­aus zwei Män­ner sah, die Klein­kin­der tru­gen, und zwei Frau­en, eine davon schwan­ger, mit Gepäck bepackt bei gro­ßer Hit­ze, hielt sie an.

Gewalt­mär­sche auf der Landstraße

Die Flücht­lin­ge frag­ten Dora T. nach der Poli­zei – offen­bar, um sich regis­trie­ren zu las­sen. Das müs­sen sie, denn ohne Regis­trie­rung dür­fen Flücht­lin­ge die Inseln nicht ver­las­sen – und auf den Inseln herrscht seit Wochen ein huma­ni­tä­rer Not­stand: Tau­sen­de Flücht­lin­ge cam­pie­ren im Frei­en oder in not­dürf­ti­gen Behau­sun­gen, oft ohne jede staat­li­che Ver­sor­gung. Vie­le über­le­ben nur, weil Anwoh­ne­rin­nen und Anwoh­ner sie mit Nah­rung versorgen.

Um sich regis­trie­ren zu las­sen, müs­sen Schutz­su­chen­de in Grie­chen­land oft Stre­cken zurück­le­gen, die zu Fuß in der Hit­ze nicht zu bewäl­ti­gen sind – manch­mal 40 Kilo­me­ter und mehr. Auf den Stra­ßen der Inseln sind daher zahl­rei­che ent­kräf­te­te Men­schen zu Fuß unter­wegs. Den zwei Fami­li­en woll­te Dora T. den gefähr­li­chen Gewalt­marsch ersparen.

Eine Nacht in Gewahrsam 

Dora T. hielt auf der Rou­te bei einem Wagen der Küs­ten­wa­che an und frag­te die Beam­ten, wohin sie die Flücht­lin­ge brin­gen soll­te – und wur­de dar­auf­hin fest­ge­nom­men und über Nacht in Gewahr­sam genom­men – wegen „Bei­hil­fe zu ille­ga­lem Auf­ent­halt“. Offen­bar hielt die Küs­ten­wa­che gezielt Aus­schau nach hilfs­be­rei­ten Men­schen wie Dora T. Obwohl schon da klar war, dass das Gesetz zur Kri­mi­na­li­sie­rung sol­cher Hil­fen in Kür­ze fal­len wür­de – was inzwi­schen erfolgt ist:  Mitt­ler­wei­le trat eine Geset­zes­än­de­rung in Kraft, die künf­tig ver­hin­dern soll, dass Men­schen, die aus Hilfs­be­reit­schaft her­aus Flücht­lin­ge trans­por­tie­ren, dafür bestraft werden.

Der Staats­an­walt plä­dier­te trotz allem auf schul­dig. Dora T. droh­te ein Jahr Haft. Dora T. ant­wor­te­te auf die Fra­ge des Gerichts, ob sie wie­der so han­deln wür­de, mit diplo­ma­ti­scher Umsicht: „Ich wür­de wie­der anhal­ten. Und war­ten, bis Hil­fe kommt“.  Dass Hil­fe kommt, ist ange­sichts der Situa­ti­on auf der Insel aller­dings sehr unwahr­schein­lich. Die Schutz­su­chen­den sind aktu­ell auf die Hil­fe der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ange­wie­sen – staat­li­che Unter­stüt­zung erfah­ren die Flücht­lin­ge so gut wie nicht.

Das Signal der Behör­den ist klar: Wer hilft, dem droht Strafe

Auf­grund der Umstän­de wird Dora T. am Ende des ein­ein­halb­stün­di­gen Pro­zes­ses, bei dem der PRO ASYL über das RSPA-Pro­jekt Anwalts­kos­ten der Beklag­ten über­nahm,  dann doch frei­ge­spro­chen. Aber die Tat­sa­che, dass es zu die­ser Ankla­ge und dem Pro­zess kam, ist Skan­dal genug –  auch vor dem Hin­ter­grund der jüngs­ten Geset­zes­än­de­rung, die dar­auf zielt, frei­wil­li­ge Hil­fe für Flücht­lin­ge zu ent­kri­mi­na­li­sie­ren.  Offen­bar woll­ten hier Anhän­ger der bru­ta­len Flücht­lings­ab­wehr der jüngs­ten grie­chi­schen Ver­gan­gen­heit  hier gegen­über den vie­len soli­da­ri­schen Bür­ge­rin­nen und Bür­gern noch ein­mal ein Exem­pel statuieren.

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