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Die Lage der Flüchtlinge in Griechenland ist nach wie vor desolat: Es gibt kein funktionierendes Aufnahme- und Asylsystem. Völlig erschöpft warten Familien im „Hot Spot“ Moria auf ihre Registrierung. Foto: Salinia Stroux / PRO ASYL RSPA - Projekt

Am 18. und 19. Februar treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Im Vorfeld sind Dokumente der EU-Kommission bekannt geworden, die die argumentative Basis für die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs bei diesem Gipfel liefern sollen. Die EU-Kommission drängt demnach darauf, Dublin-Abschiebungen nach Griechenland wieder aufzunehmen und die Türkei als „sicheren Drittstaat“ einzustufen.

Für Grie­chen­land hat der Euro­päi­sche Gerichts­hof 2011 ein Abschie­bungs­ver­bot erlas­sen, das bis heu­te mehr­mals erneu­ert wur­de. Und das aus gutem Grund, denn das Land ver­fügt wei­ter­hin über kein men­schen­rechts­kon­for­mes Schutz- und Auf­nah­me­sys­tem für Asyl­su­chen­de. Gegen­wär­tig kom­men Zehn­tau­sen­de von Schutz­su­chen­den in Grie­chen­land an – allein im Janu­ar waren es UNHCR-Anga­ben zufol­ge mehr als 65.000. Das Land ist mit der Auf­nah­me und der Ver­sor­gung der Flücht­lin­ge heil­los überfordert.

EU-Kom­mis­si­on for­dert Abschie­bun­gen nach Griechenland

Den­noch for­dert die EU-Kom­mis­si­on jetzt die „Wie­der­auf­nah­me der Über­stel­lun­gen auf der Grund­la­ge der Dub­lin-Ver­ord­nung nach Grie­chen­land“. Dafür sol­len so schnell wie mög­lich die Vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen wer­den. Zu die­sem Zweck hat man der grie­chi­schen Regie­rung einen Maß­nah­men­ka­ta­log über­mit­telt: Dar­in gehe es ins­be­son­de­re um die Auf­nah­me­ka­pa­zi­tä­ten und ‑bedin­gun­gen, den Zugang zum Asyl­ver­fah­ren, Rechts­be­hel­fe und Rechts­bei­stand. In der Emp­feh­lung wird Grie­chen­land auf­ge­for­dert, im März Bericht über die erziel­ten Fort­schrit­te zu erstat­ten – dann wer­de erneut geprüft.

Lage in Grie­chen­land wei­ter desolat

Dass die Bedin­gun­gen für Schutz­su­chen­de in Grie­chen­land nach wie vor mise­ra­bel sind, bewei­sen zahl­rei­che Berich­te. Das räumt selbst die EU-Kom­mis­si­on in ihrem eige­nen Bericht ein. Nach wie vor errei­chen täg­lich rund 2.000 Schutz­su­chen­de die grie­chi­schen Inseln. Die Auf­nah­me­si­tua­ti­on im Land bleibt deso­lat. Die Wie­der­auf­nah­me von Über­stel­lun­gen aus ande­ren EU-Staa­ten nach Grie­chen­land wür­de die sich anbah­nen­de huma­ni­tä­re Kata­stro­phe ver­schär­fen. Anstatt Schutz­su­chen­den die lega­le Aus­rei­se in ande­re EU-Staa­ten zu ermög­li­chen, setzt die EU-Kom­mis­si­on Grie­chen­land mas­siv unter Druck. Das Ziel: Flücht­lin­ge sol­len in die Tür­kei zurück­ge­scho­ben werden.

Flücht­lings­recht wird verbogen

In ihrem Bericht ver­sucht die EU-Kom­mis­si­on den Weg zu berei­ten, um die Tür­kei als „siche­ren Dritt­staat“ ein­zu­stu­fen und damit die Zurück­schie­bung dort­hin zu legi­ti­mie­ren. Dabei ver­biegt sie fun­da­men­ta­les Flücht­lings­recht bis zur Unkennt­lich­keit. An der ent­schei­den­den Stel­le (Sei­te 18) heißt es, das Kon­zept des siche­ren Dritt­staats ver­lan­ge zwar die Mög­lich­keit zur Erlan­gung eines Schut­zes nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK). „Aber es ver­langt nicht, dass der siche­re Dritt­staat die Kon­ven­ti­on ohne geo­gra­phi­schen Vor­be­halt rati­fi­ziert hat“, so die Kom­mis­si­on. In der Tür­kei besteht der geo­gra­phi­sche Vor­be­halt; das bedeu­tet, dass dort nur Staats­an­ge­hö­ri­ge aus Län­dern des EU-Rates Flücht­lings­sta­tus erhal­ten kön­nen. Schutz­su­chen­den aus Kri­sen­ge­bie­ten wie Syri­en, Afgha­ni­stan oder Irak bleibt er verwehrt.

Flücht­lings­schutz? Fehlanzeige!

Das ohne­hin pro­ble­ma­ti­sche Kon­zept des „siche­ren Dritt­staats“ wird damit voll­kom­men ad absur­dum geführt. Denn: Ent­schei­dend ist nicht nur die Rati­fi­ka­ti­on der GFK und die Beach­tung des Refou­le­ment-Schut­zes (Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) RL 2013/32/EU). Es muss auch die Mög­lich­keit gewähr­leis­tet sein, die Aner­ken­nung als Flücht­ling nach der GFK zu erlan­gen (Art. 38 Abs. 1 Buchst. e) RL 2013/32/EU). Da in der Tür­kei der geo­gra­phi­sche Vor­be­halt besteht und die GFK nicht unein­ge­schränkt gilt, erfüllt die Tür­kei die­se Bedin­gung nicht.

Tür­kei: Kein siche­rer Drittstaat

Flücht­lin­gen dro­hen in der Tür­kei Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und sogar die Abschie­bung in Kri­sen­re­gio­nen wie Syri­en oder Irak. Seit der Ver­ab­schie­dung des Akti­ons­plans von Euro­päi­scher Uni­on und tür­ki­scher Regie­rung am 29. Novem­ber 2015 gibt es Berich­te über will­kür­li­che Inhaf­tie­run­gen von Flücht­lin­gen und Miss­hand­lun­gen in Haft­an­stal­ten. Mit­te Dezem­ber ver­öf­fent­lich­te Amnes­ty Inter­na­tio­nal (AI) den Bericht „Europe´s Gate­kee­per. Unlawful detenti­on and depor­ta­ti­on of refu­gees from Tur­key“. Der Doku­men­ta­ti­on zufol­ge began­nen tür­ki­sche Beam­te bereits im Sep­tem­ber 2015 damit, Schutz­su­chen­de abzu­fan­gen, die von der Tür­kei aus in Rich­tung Grie­chen­land auf­bre­chen woll­ten. Vie­le der Betrof­fe­nen kom­men aus Syri­en und dem Irak. Die Beam­ten ver­brach­ten sie in die Haft­zen­tren Düzi­ci in Osma­ni­ye oder in das Abschie­be­zen­trum in Askale/Erzurum.

Mas­si­ve Völkerrechtsverstöße

Auch ille­ga­le Abschie­bun­gen und Zurück­wei­sun­gen nach Syri­en und in den Irak wur­den doku­men­tiert. Ende Okto­ber hat­te Human Rights Watch 51 syri­sche Flücht­lin­ge inter­viewt, die erst kürz­lich in die Tür­kei ein­ge­reist waren. Die Flücht­lin­ge beschrie­ben, wie sie selbst oder ande­re Opfer ille­ga­ler Rück­schie­bun­gen nach Syri­en wur­den, teils unter Ein­satz bru­ta­ler Gewalt. Die Berich­te zei­gen: Es lie­gen kla­re Ver­stö­ße gegen das Zurück­wei­sungs­ver­bot der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on vor. Auch das ARD-Maga­zin Moni­tor (14.1.2016) hat vor Ort gedreht und schil­dert will­kür­li­che Inhaf­tie­run­gen und Abschie­bun­gen nach Syri­en. Die Tür­kei ver­stößt damit mas­siv gegen tür­ki­sches und inter­na­tio­na­les Recht.

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