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Flüchtlinge demonstrieren im August vor der deutschen Botschaft in Athen. Foto: Salinia Stroux

Tausende Menschen sitzen in Griechenland fest, obwohl sie einen Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung haben. PRO ASYL hatte angekündigt, juristisch gegen die bewusste Verschleppung vorzugehen – mit Erfolg. Das Bundesinnenministerium muss die illegale Praxis jetzt beenden!

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Wies­ba­den hat in einem ges­tern über­mit­tel­ten Beschluss das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) ver­pflich­tet, die in der Dub­lin-Ver­ord­nung gere­gel­ten Über­stel­lungs­fris­ten von 6 Mona­ten bei Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen ein­zu­hal­ten. In dem vor­lie­gen­den Fall hat  ein min­der­jäh­ri­ger Flücht­ling aus Syri­en geklagt. Im Wege der einst­wei­li­gen Anord­nung wird nun das Bun­des­amt ver­pflich­tet, zu gewähr­leis­ten, dass die Eltern und drei jün­ge­ren Geschwis­ter bis zum 30. Sep­tem­ber 2017 von Grie­chen­land nach Deutsch­land über­stellt werden.

Dies ist der ers­te Gerichts­be­schluss, der sich mit dem leid­vol­len The­ma der ver­schlepp­ten Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung aus Grie­chen­land befasst. Das Gericht folgt der Rechts­auf­fas­sung von PRO ASYL und zahl­rei­chen zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen aus Deutsch­land und Grie­chen­land: Das Recht auf  Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung im Rah­men der Dub­lin-Ver­ord­nung ist inner­halb der fest­ge­leg­ten 6‑Monatsfrist zu gewähr­leis­ten. Gegen den Beschluss kann das BAMF nicht mehr vor­ge­hen, er ist unanfechtbar.

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Demons­tra­ti­on für Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung vor der deut­schen Bot­schaft in Athen, August 2017. Foto: Sali­nia Stroux

Regierung hat Zusammenführung bewusst verschleppt

Im Mai 2017 war bekannt gewor­den, dass die Zahl der monat­li­chen Fami­li­en­zu­sam­men­füh­run­gen auf Druck des deut­schen Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums hin auf rund 70 Per­so­nen begrenzt wur­de. Ein am 4. Mai 2017 öffent­lich gewor­de­nes Schrei­ben des grie­chi­schen Migra­ti­ons­mi­nis­ter Ian­nis Mou­z­a­las an Bun­des­in­nen­mi­nis­ter de Mai­ziè­re belegt – ent­ge­gen der Anga­ben des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums – die­se Ver­ein­ba­rung, in der unmiss­ver­ständ­lich eine Decke­lung der Fami­li­en­zu­sam­men­füh­run­gen nach der Dub­lin III-Ver­ord­nung fest­ge­legt wurde.

Tausende warten ewig – trotz Rechtsanspruch

Aus der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Schrift­li­che Fra­ge der Lin­ken-Abge­ord­ne­ten Ulla Jelp­ke geht her­vor, dass das BAMF vom 1. Janu­ar bis 15. August 2017 ins­ge­samt 4.560 Zustim­mung zur Über­stel­lung nach Deutsch­land erteilt hat, jedoch davon bis Ende August nur 221 Schutz­su­chen­de nach Deutsch­land über­stellt wur­den. Bei den übri­gen Über­stel­lun­gen im lau­fen­den Jahr han­delt es sich offen­bar um bereits älte­re Anträge.

Gemäß den Zah­len har­ren 4.339 Schutz­su­chen­de mit einem Anrecht auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung immer noch in Grie­chen­land aus, sie stam­men zum größ­ten Teil aus Syri­en, Afgha­ni­stan und dem Irak, über 60 Pro­zent von ihnen sind minderjährig.

Dramatische Folgen von Familientrennung

Die mona­te­lan­ge Tren­nung von Fami­li­en hat­te in man­chen Fäl­len dra­ma­ti­sche Fol­gen. Der Pro­jekt­part­ner von PRO ASYL in Grie­chen­land, Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), doku­men­tier­te meh­re­re Fäl­le, in denen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge in der Zeit der Tren­nung ver­star­ben, weil ihnen die drin­gend benö­tig­te medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung, die nur in Deutsch­land erhält­lich gewe­sen wäre, ver­wehrt wurde.

Der »Deal« ist illegal

Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat nun mit Ver­weis auf die Recht­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­ho­fes fest­ge­stellt, dass Schutz­su­chen­de das sub­jek­ti­ve Recht auf Ein­hal­tung der Dub­lin-Fris­ten besit­zen. Ein spä­te­rer Über­stel­lungs­ter­min wür­de das Recht des Antrag­stel­lers auf recht­zei­ti­ge Über­stel­lung miss­ach­ten. »Eine Kon­tin­gen­tie­rung des Fami­li­en­nach­zugs sehen weder das deut­sche noch das euro­päi­sche Recht vor« so der Rechts­an­walt des Antrag­stel­lers, Jona­than Leuschner.

Wir for­dern: Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um muss die rechts­wid­ri­ge Pra­xis der Decke­lung der Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung nun umge­hend been­den. Der »Deal« zwi­schen dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um und dem grie­chi­schen Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um ist ille­gal, Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung muss zügig ermög­licht werden!

PRO ASYL hat für Anwält*innen Doku­men­te für Eil­an­trä­ge in ähn­li­chen Fäl­len zusammengestellt.

  1. Beschluss des Ver­wal­tungs­ge­richts Wies­ba­den vom 15. Sep­tem­ber 2017, der das Bun­des­amt dazu ver­pflich­tet, die in der Dub­lin-Ver­ord­nung gere­gel­ten Über­stel­lungs­fris­ten von 6 Mona­ten bei Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen einzuhalten
  2. Gele­ak­tes Schrei­ben des grie­chi­schen Migra­ti­ons­mi­nis­ter Ian­nis Mou­z­a­las an  Bun­des­in­nen­mi­nis­ter de Mai­ziè­re vom 4. Mai 2017 (Eng­lisch)
  3. Offe­ner Brief grie­chi­scher und deut­scher NGOs vom 26 Juli 2017 an zustän­di­ge Behör­den mit der Ant­wort der grie­chi­schen Asyl­be­hör­de bezüg­lich eines Fal­les von AITIMA (Eng­lisch)
  4. Bericht der grie­chi­schen Anwäl­tin Arte­mis Tsiak­ka »The Dub­lin fami­ly reuni­fi­ca­ti­on pro­ce­du­re from Greece to Ger­ma­ny« vom 2. August 2017 (Eng­lisch, zen­tra­le Pas­sa­gen sind markiert)
  5. Ant­wort des BAMF an eine deut­sche Anwäl­tin vom 26. Juli 2017 bezüg­lich eines Ein­zel­falls, der die Ein­fluss­nah­me des BAMF auf die Über­stel­lun­gen von Per­so­nen von Grie­chen­land nach Deutsch­land auf­zei­gen soll
  6. Offi­zi­el­le Stel­lung­nah­me des grie­chi­schen Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­ums vom 8. Juli 2018 (Grie­chisch)
  7. Offi­zi­el­le Stel­lung­nah­me des grie­chi­schen Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­ums vom 8. Juli 2018 (eige­ne Über­set­zung auf Eng­lisch, Ori­gi­nal auf Grie­chisch, zen­tra­le Pas­sa­gen sind markiert)
  8. Offi­zi­el­le Stel­lung­nah­me des grie­chi­schen Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­ums vom 8. Juli 2018 (deut­sche Über­set­zung, Ori­gi­nal auf Grie­chisch, zen­tra­le Pas­sa­gen sind markiert)
  9. Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung vom 31. Mai 2017 auf die Anfra­ge der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Ulla Jelp­ke (Druck­sa­che 18/12501, Fra­ge 10)
  10. Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung vom 28. Juli 2017 auf die Anfra­ge der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Ulla Jelp­ke (Druck­sa­che 18/12876, Fra­ge 27)
  11. Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung vom 22. August 2017 auf die Schrift­li­che Anfra­ge der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Ulla Jelp­ke vom 14. August 2017 (Monat August, Arbeits-Nr. 8/92)

(kk / mk)