02.03.2021
Image
Februar 2021: Eine Autobombe explodiert in der Nähe eines Checkpoints zum somalischen Parlament. Foto: picture alliance / AA / Sadak Mohamed

Fast acht Jahre seines Lebens verbringt Omar F. in Deutschland. Er ist gut integriert, arbeitet seit drei Jahren in Vollzeit, wird geschätzt von Vorgesetzten & Kolleg*innen. Dann wird er in sein Herkunftsland Somalia abgeschoben – ein Staat, der seit Jahrzehnten von Bürgerkrieg, Terror und Hunger gekennzeichnet ist. Und das mitten in der Pandemie.

Seit dem 01.03.2021 gilt Soma­lia wie­der als Land mit »guter Blei­be­per­spek­ti­ve«, denn die Schutz­quo­te für Men­schen aus dem Land liegt bei über 50%, das gilt als ein­zi­ges Kri­te­ri­um für eine sol­che Ein­stu­fung und meint die unbe­rei­nig­te Quo­te – bezieht also auch Ver­fah­ren  mit ein, in denen bei­spiels­wei­se ein ande­rer EU-Staat auf­grund der Dub­lin-Ver­ord­nung zustän­dig ist. 2019 wur­de dem Land die­ser Sta­tus ent­zo­gen, nur noch Eri­trea und Syri­en stan­den auf der Liste.

Nun ist die Schutz­quo­te für soma­li­sche Asyl­su­chen­de jedoch wie­der gestie­gen. Die berei­nig­te Schutz­quo­te (sons­ti­ge Ver­fah­rens­aus­gän­ge wie Dub­lin-Ver­fah­ren her­aus­ge­rech­net) liegt aktu­ell bei 78%.  Die meis­ten derer, die einen Schutz­sta­tus erhal­ten, wer­den als Flücht­lin­ge aner­kannt. Und das aus gutem Grund:

Naturkatastrophen, Terror & eine Regierung, die nicht mehr an der Macht sein sollte

Soma­lia steht auf dem trau­ri­gen zwei­ten Platz der welt­weit fra­gils­ten Staa­ten. Die letz­ten demo­kra­ti­schen Wah­len fan­den vor 52 Jah­ren statt. Die Amts­zeit des jet­zi­gen Prä­si­den­ten ist eigent­lich bereits abge­lau­fen, anste­hen­de Wah­len wur­den aber mehr­fach ver­scho­ben. In der Haupt­stadt Moga­di­schu – in die auch Omar F. abge­scho­ben wur­de – ist es in der Fol­ge schon zu Schie­ße­rei­en zwi­schen Armee und Mili­zen gekom­men, die Todes­op­fer und vie­le Ver­letz­te ein­for­dern. Wie sich die poli­ti­sche Lage wei­ter ent­wi­ckelt, bleibt abzuwarten.

Auch die isla­mis­ti­sche Ter­ror­mi­liz Al-Shaba­ab ruht nicht: Regel­mä­ßig ver­übt sie töd­li­che Anschlä­ge – mitt­ler­wei­le auch wie­der in Regio­nen, aus denen sie eigent­lich ver­trie­ben war. Mit­te Febru­ar kommt es wie­der zu einer ver­hee­ren­den Selbst­mord­at­ta­cke in der Haupt­stadt, bei dem meh­re­re Men­schen getö­tet werden.

Schon frü­her war ca. 1/3 der 15 Mil­lio­nen Men­schen in Soma­lia auf Nah­rungs­mit­tel­hil­fen ange­wie­sen, die Situa­ti­on hat sich wei­ter verschärft.

Der Küs­ten­staat am Horn von Afri­ka bekommt seit Jah­ren auch die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels zu spü­ren: Es kommt zu Über­schwem­mun­gen und Dür­ren, auf die Hun­gers­nö­te fol­gen. Seit letz­tem Jahr kämpft die gesam­te Regi­on zudem gegen eine Heu­schre­cken­pla­ge bibli­schen Aus­ma­ßes. Schon frü­her war ca. ein Drit­tel der 15 Mil­lio­nen Men­schen in Soma­lia auf Nah­rungs­mit­tel­hil­fen ange­wie­sen, die Situa­ti­on hat sich durch die aktu­el­len Kata­stro­phen wei­ter verschärft.

Über allem schwebt das Coronavirus

Neben all­dem kämpft die Bevöl­ke­rung auch dort gegen das Coro­na­vi­rus. Soma­lia hat eines der pre­kärs­ten Gesund­heits­sys­te­me der Welt: Auf 1000 Einwohner*innen kom­men 0,028 Ärzt*innen, es gibt im gesam­ten Land nur 25 Inten­siv­bet­ten und ein ein­zi­ges Beatmungs­ge­rät. Expert*innen gehen wegen feh­len­den Test­ka­pa­zi­tä­ten von einer hohen Dun­kel­zif­fer bei den Infek­ti­ons­zah­len aus.

Abschiebungen lange ausgesetzt

Abschie­bun­gen nach Soma­lia gab es in den letz­ten Jah­ren kaum. Vor 2018 waren sie sogar fak­tisch aus­ge­setzt – nicht zuletzt, weil Päs­se aus Soma­lia schlicht nicht aner­kannt wer­den. Somalier*innen in Deutsch­land haben auf­grund der büro­kra­ti­schen Hür­den enor­me Schwie­rig­kei­ten, ihre Iden­ti­tät nach­zu­wei­sen – z.B. um den Füh­rer­schein zu machen oder zu heiraten.

Seit 2018 wer­den soma­li­sche Päs­se zumin­dest für die Aus­rei­se bzw. Abschie­bung aner­kannt. So wur­den im sel­ben Jahr ins­ge­samt sie­ben, 2019 neun und im ers­ten Halb­jahr 2020 vier Per­so­nen per Char­ter­flug in das Kri­sen­land abge­scho­ben. Grund­sätz­lich kön­nen alle aus­rei­se­pflich­ti­gen Somalier*innen abge­scho­ben wer­den, bis­her jedoch traf es nur als Straf­tä­ter und Gefähr­der kate­go­ri­sier­te Männer.

Ange­sichts der ver­hee­ren­den Situa­ti­on in Soma­lia, die sich durch die Pan­de­mie nur wei­ter zuge­spitzt hat, soll­te von Abschie­bun­gen in das Land aktu­ell gene­rell abge­se­hen wer­den. Doch Hes­sen ist nun mit einer skan­da­lö­sen Abschie­bung sogar noch einen Schritt wei­ter gegan­gen und hat den gut inte­grier­ten Omar F. abgeschoben.

Omars Abschiebung markiert einen klaren Tabubruch 

Wie der Hes­si­sche Flücht­lings­rat berich­tet, kommt Omar F. im Novem­ber 2013 nach Deutsch­land und stellt einen Asyl­an­trag, der im Jahr 2017 vom Bun­des­amt abge­lehnt wird. Die Kla­ge dage­gen wird im März 2020 abge­wie­sen. In die­ser Zeit war Omar nicht taten­los, son­dern hat hier Fuß gefasst: Er arbei­tet seit drei Jah­ren in Voll­zeit als Maschi­nen­füh­rer bei einem Recy­cling­be­trieb, ist sehr geschätzt bei Vor­ge­setz­ten und Kolleg*innen.

Aber als er am 15. Febru­ar 2021 sei­ne Dul­dung ver­län­gern las­sen will, wird er völ­lig über­ra­schend auf der Aus­län­der­be­hör­de verhaftet.

Aber als er am 15. Febru­ar 2021 sei­ne Dul­dung ver­län­gern las­sen will, wird er völ­lig über­ra­schend auf der Aus­län­der­be­hör­de ver­haf­tet und in Abschie­bungs­haft in Darm­stadt genom­men.  Und plötz­lich geht alles ganz schnell: Zwei Tage spä­ter wird er per Lini­en­flug mit Qatar Air­ways über Doha nach Moga­di­schu abgeschoben.

Umstände der Abschiebung werfen Fragen auf

Abschie­bungs­haft darf nur ver­hängt wer­den, wenn die betrof­fe­ne Per­son flüch­tig ist. Omar ist mit sei­nem fes­ten Wohn­sitz und sei­ner Voll­zeit­stel­le alles ande­re als das.

Hin­zu kommt, dass die Abschie­bung erfolgt, kurz bevor er einen Anspruch auf siche­ren Auf­ent­halt erlangt hät­te. In weni­gen Wochen hät­te er Anspruch auf eine Beschäf­ti­gungs­dul­dung gehabt, die gut inte­grier­te Gedul­de­te vor Abschie­bung schützt. Vor­aus­set­zung dafür ist, dass man seit 18 Mona­ten in Voll­zeit arbei­tet und seit min­des­tens 12 Mona­ten gedul­det ist. Dadurch, dass sich sein Asyl­ver­fah­ren so lan­ge hin­ge­zo­gen hat, hat­te Omar erst seit 10 Mona­ten die Dul­dung, davor hat­te er noch eine Auf­ent­halts­ge­stat­tung, die aber für die Berech­nung der Zei­ten nicht mitzählt.

Eine Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25b des Auf­ent­halts­ge­set­zes kann man nach 8 Jah­ren in Deutsch­land bekom­men, wenn man den Lebens­un­ter­halt über­wie­gend sichern kann. Auch die­se 8 Jah­re hät­te er in weni­gen Mona­ten erreicht.

Eine Rückkehr ist fraglich

Omars Arbeit­ge­ber hät­te sei­nen Mit­ar­bei­ter ger­ne sofort wie­der im Betrieb. Doch lei­der wird es fast unmög­lich sein, ein Visum für die Rück­kehr nach Deutsch­land zu erhal­ten. Für die Ertei­lung eines Arbeits­vi­sums gibt es kei­ne recht­li­che Grund­la­ge, denn Omar hat eine »unqua­li­fi­zier­te Tätig­keit« aus­ge­übt. Arbeits­vi­sa jedoch wer­den nur für qua­li­fi­zier­te Beschäf­ti­gun­gen aus­ge­stellt. Hin­zu kommt, dass Omar eine mit der Abschie­bung ver­häng­te Wie­der­ein­rei­se­sper­re abwar­ten muss. Auch die Kos­ten der Abschie­bung müss­te er für die Ertei­lung eines Visums abbezahlen.

PRO ASYL unter­stützt in dem Fall wei­ter­hin, bleibt mit der beauf­trag­ten Anwäl­tin und dem Arbeit­ge­ber in Kon­takt, um die Umstän­de der Abschie­bung und Omars Rück­kehr­mög­lich­keit zu prüfen.

(jlr)