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Gut integriert zurück nach Somalia: Wie Hessen Omar F. in einen Krisenstaat abschiebt
Fast acht Jahre seines Lebens verbringt Omar F. in Deutschland. Er ist gut integriert, arbeitet seit drei Jahren in Vollzeit, wird geschätzt von Vorgesetzten & Kolleg*innen. Dann wird er in sein Herkunftsland Somalia abgeschoben – ein Staat, der seit Jahrzehnten von Bürgerkrieg, Terror und Hunger gekennzeichnet ist. Und das mitten in der Pandemie.
Seit dem 01.03.2021 gilt Somalia wieder als Land mit »guter Bleibeperspektive«, denn die Schutzquote für Menschen aus dem Land liegt bei über 50%, das gilt als einziges Kriterium für eine solche Einstufung und meint die unbereinigte Quote – bezieht also auch Verfahren mit ein, in denen beispielsweise ein anderer EU-Staat aufgrund der Dublin-Verordnung zuständig ist. 2019 wurde dem Land dieser Status entzogen, nur noch Eritrea und Syrien standen auf der Liste.
Nun ist die Schutzquote für somalische Asylsuchende jedoch wieder gestiegen. Die bereinigte Schutzquote (sonstige Verfahrensausgänge wie Dublin-Verfahren herausgerechnet) liegt aktuell bei 78%. Die meisten derer, die einen Schutzstatus erhalten, werden als Flüchtlinge anerkannt. Und das aus gutem Grund:
Naturkatastrophen, Terror & eine Regierung, die nicht mehr an der Macht sein sollte
Somalia steht auf dem traurigen zweiten Platz der weltweit fragilsten Staaten. Die letzten demokratischen Wahlen fanden vor 52 Jahren statt. Die Amtszeit des jetzigen Präsidenten ist eigentlich bereits abgelaufen, anstehende Wahlen wurden aber mehrfach verschoben. In der Hauptstadt Mogadischu – in die auch Omar F. abgeschoben wurde – ist es in der Folge schon zu Schießereien zwischen Armee und Milizen gekommen, die Todesopfer und viele Verletzte einfordern. Wie sich die politische Lage weiter entwickelt, bleibt abzuwarten.
Auch die islamistische Terrormiliz Al-Shabaab ruht nicht: Regelmäßig verübt sie tödliche Anschläge – mittlerweile auch wieder in Regionen, aus denen sie eigentlich vertrieben war. Mitte Februar kommt es wieder zu einer verheerenden Selbstmordattacke in der Hauptstadt, bei dem mehrere Menschen getötet werden.
Schon früher war ca. 1/3 der 15 Millionen Menschen in Somalia auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen, die Situation hat sich weiter verschärft.
Der Küstenstaat am Horn von Afrika bekommt seit Jahren auch die Folgen des Klimawandels zu spüren: Es kommt zu Überschwemmungen und Dürren, auf die Hungersnöte folgen. Seit letztem Jahr kämpft die gesamte Region zudem gegen eine Heuschreckenplage biblischen Ausmaßes. Schon früher war ca. ein Drittel der 15 Millionen Menschen in Somalia auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen, die Situation hat sich durch die aktuellen Katastrophen weiter verschärft.
Über allem schwebt das Coronavirus
Neben alldem kämpft die Bevölkerung auch dort gegen das Coronavirus. Somalia hat eines der prekärsten Gesundheitssysteme der Welt: Auf 1000 Einwohner*innen kommen 0,028 Ärzt*innen, es gibt im gesamten Land nur 25 Intensivbetten und ein einziges Beatmungsgerät. Expert*innen gehen wegen fehlenden Testkapazitäten von einer hohen Dunkelziffer bei den Infektionszahlen aus.
Abschiebungen lange ausgesetzt
Abschiebungen nach Somalia gab es in den letzten Jahren kaum. Vor 2018 waren sie sogar faktisch ausgesetzt – nicht zuletzt, weil Pässe aus Somalia schlicht nicht anerkannt werden. Somalier*innen in Deutschland haben aufgrund der bürokratischen Hürden enorme Schwierigkeiten, ihre Identität nachzuweisen – z.B. um den Führerschein zu machen oder zu heiraten.
Seit 2018 werden somalische Pässe zumindest für die Ausreise bzw. Abschiebung anerkannt. So wurden im selben Jahr insgesamt sieben, 2019 neun und im ersten Halbjahr 2020 vier Personen per Charterflug in das Krisenland abgeschoben. Grundsätzlich können alle ausreisepflichtigen Somalier*innen abgeschoben werden, bisher jedoch traf es nur als Straftäter und Gefährder kategorisierte Männer.
Angesichts der verheerenden Situation in Somalia, die sich durch die Pandemie nur weiter zugespitzt hat, sollte von Abschiebungen in das Land aktuell generell abgesehen werden. Doch Hessen ist nun mit einer skandalösen Abschiebung sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat den gut integrierten Omar F. abgeschoben.
Omars Abschiebung markiert einen klaren Tabubruch
Wie der Hessische Flüchtlingsrat berichtet, kommt Omar F. im November 2013 nach Deutschland und stellt einen Asylantrag, der im Jahr 2017 vom Bundesamt abgelehnt wird. Die Klage dagegen wird im März 2020 abgewiesen. In dieser Zeit war Omar nicht tatenlos, sondern hat hier Fuß gefasst: Er arbeitet seit drei Jahren in Vollzeit als Maschinenführer bei einem Recyclingbetrieb, ist sehr geschätzt bei Vorgesetzten und Kolleg*innen.
Aber als er am 15. Februar 2021 seine Duldung verlängern lassen will, wird er völlig überraschend auf der Ausländerbehörde verhaftet.
Aber als er am 15. Februar 2021 seine Duldung verlängern lassen will, wird er völlig überraschend auf der Ausländerbehörde verhaftet und in Abschiebungshaft in Darmstadt genommen. Und plötzlich geht alles ganz schnell: Zwei Tage später wird er per Linienflug mit Qatar Airways über Doha nach Mogadischu abgeschoben.
Umstände der Abschiebung werfen Fragen auf
Abschiebungshaft darf nur verhängt werden, wenn die betroffene Person flüchtig ist. Omar ist mit seinem festen Wohnsitz und seiner Vollzeitstelle alles andere als das.
Hinzu kommt, dass die Abschiebung erfolgt, kurz bevor er einen Anspruch auf sicheren Aufenthalt erlangt hätte. In wenigen Wochen hätte er Anspruch auf eine Beschäftigungsduldung gehabt, die gut integrierte Geduldete vor Abschiebung schützt. Voraussetzung dafür ist, dass man seit 18 Monaten in Vollzeit arbeitet und seit mindestens 12 Monaten geduldet ist. Dadurch, dass sich sein Asylverfahren so lange hingezogen hat, hatte Omar erst seit 10 Monaten die Duldung, davor hatte er noch eine Aufenthaltsgestattung, die aber für die Berechnung der Zeiten nicht mitzählt.
Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b des Aufenthaltsgesetzes kann man nach 8 Jahren in Deutschland bekommen, wenn man den Lebensunterhalt überwiegend sichern kann. Auch diese 8 Jahre hätte er in wenigen Monaten erreicht.
Eine Rückkehr ist fraglich
Omars Arbeitgeber hätte seinen Mitarbeiter gerne sofort wieder im Betrieb. Doch leider wird es fast unmöglich sein, ein Visum für die Rückkehr nach Deutschland zu erhalten. Für die Erteilung eines Arbeitsvisums gibt es keine rechtliche Grundlage, denn Omar hat eine »unqualifizierte Tätigkeit« ausgeübt. Arbeitsvisa jedoch werden nur für qualifizierte Beschäftigungen ausgestellt. Hinzu kommt, dass Omar eine mit der Abschiebung verhängte Wiedereinreisesperre abwarten muss. Auch die Kosten der Abschiebung müsste er für die Erteilung eines Visums abbezahlen.
PRO ASYL unterstützt in dem Fall weiterhin, bleibt mit der beauftragten Anwältin und dem Arbeitgeber in Kontakt, um die Umstände der Abschiebung und Omars Rückkehrmöglichkeit zu prüfen.
(jlr)