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Covid-19 und Flüchtlingspolitik – was Deutschland jetzt machen muss
Angesichts der Verbreitung des Corona-Virus in Deutschland und weltweit braucht es einen sofortigen Abschiebungsstopp und die Freilassung von Menschen aus der Abschiebungshaft. Außerdem sollte das BAMF keine ablehnenden Bescheide mehr verschicken, da die Betroffenen aktuell keine Chance haben, innerhalb von zwei Wochen Klage einzureichen.
In Zeiten einer Pandemie ist gelebte Solidarität so wichtig wie nie und es gibt aktuell schöne Beispiele, wie die Nachbarschaftshilfe. Diese Solidarität muss überall und für alle gelten! Von den griechischen Inseln bis hin zum AnkER-Zentrum – viele geflüchtete Menschen leben aktuell in prekären Situationen und sind darauf angewiesen.
Unter ihnen sind, wie auch in der allgemeinen Bevölkerung, besonders gefährdete Menschen, oft müssen diese mit vielen anderen auf engem Raum leben. Aufgrund des Corona-Virus und der damit einhergehenden notwendigen Einschränkungen des öffentlichen Lebens brechen notwendige Unterstützungsstrukturen weg, die für die Menschen zwingend notwendig sind.
Angesichts von Covid-19 hat PRO ASYL folgende Forderungen an Bundesregierung, Bundesinnenministerium, Bundesländer und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF):
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Corona-Virus als eine Pandemie eingestuft, da dies ein neues Virus ist, das sich weltweit ausbreitet. Deswegen ist keine Panik angezeigt, aber alle Länder sollten ihren Beitrag dazu leisten, dass sich Covid-19 nicht weiter ausbreitet.
Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-Verordnung innerhalb der EU sowie von in anderen EU-Mitgliedstaaten Anerkannten müssen ausgesetzt werden. Bei Dublin-Rückführungen nach Italien ist dies bereits der Fall. Für die Rückführung in Italien anerkannter Flüchtlinge gilt dies bislang nicht offiziell, was angesichts der schwierigen Lage im Land aufgrund des Corona-Virus unverantwortlich ist. Die Ausbreitung des Virus in Europa ist aktuell volatil, zur Sicherheit aller Beteiligten sollten Rückführungen entsprechend nicht stattfinden.
Update 23.03.2020: Dublin-Überstellungen sind bis auf weiteres ausgesetzt. Bei Klageverfahren wird die Überstellungsfrist von Amts wegen ausgesetzt und damit unterbrochen. PRO ASYL fordert mindestens ein Weiterlaufen der Fristen, da die Betroffenen ansonsten noch länger als üblich in einem zermürbenden Schwebezustand bleiben. Am besten wäre es, wenn Deutschland das Selbsteintrittsrecht ausübt und die Asylverfahren hier durchgeführt werden.
PRO ASYL fordert eine Aussetzung aller Abschiebungen, damit der Virus nicht von Deutschland aus in andere Länder gebracht wird.
PRO ASYL fordert eine Aussetzung aller Abschiebungen, damit der Virus nicht von Deutschland aus in andere Länder gebracht wird. Die Zielländer von Abschiebungen haben oft weitaus schlechtere Gesundheitssysteme als Deutschland und können bzw. könnten eine rasante Ausbreitung der Erkrankung sowie eine Überlastung von Krankenhäusern kaum verhindern. Wenn es nicht die Ressourcen für Testkits gibt, gibt es auch keine zuverlässigen Aussagen über die aktuelle Verbreitung von Corona in den Ländern.
Bislang schiebt Deutschland zum Bespiel monatlich nach Afghanistan ab. Dort sind viele Krankenhäuser schon jetzt mit der Behandlung von Kriegs- und Anschlagsverletzten überlastet. Im Nachbarland Iran starben bereits 800 Menschen an dem Virus. Von dort kehren jetzt Zehntausende Afghan*innen aus Sorge vor dem Virus in ihr Heimatland zurück. Eine Ausbreitung des Corona-Virus in Afghanistan wäre wohl kaum zu stoppen. PRO ASYL unterstreicht deswegen erneut die Forderungen nach einem grundsätzlichen Abschiebungsstopp nach Afghanistan (siehe PRO ASYL zum letzten Abschiebungsflug).
In einer Antwort auf Nachfragen der Deutschen Welle lässt das Bundesinnenministerium durchblicken, dass de facto wohl bald keine Abschiebungen mehr durchführbar seien. Für alle Beteiligten (Behörden, Kanzleien, Gerichte) braucht es aber eine klare Regelung und insbesondere für die direkt betroffenen Personen braucht es Rechtssicherheit.
Schon allein aus Praktikabilitätsgründen ist aktuell von Abschiebungen abzusehen, da diese ohnehin nicht mehr gesichert durchgeführt werden können. Immer mehr internationale Flugverbindungen werden eingestellt und Länder entscheiden von einen Tag auf den anderen, Einreiseverbote zu erlassen. So hat Somalia jüngst einen Stopp internationaler Flüge verkündet, nachdem erste Corona-Fälle bekannt wurden. Der für den 24. März geplante Abschiebeflug nach Somalia musste entsprechend abgesagt werden. Auch wurde nach PRO ASYL Informationen die für die zweite Aprilwoche geplante Sammelabschiebung nach Afghanistan gecancelt.
Es darf nicht passieren, dass Menschen in Abschiebungshaft »vergessen« werden, weil sie nicht anwaltlich vertreten sind und Unterstützungsgruppen aktuell keinen Zugang zu Hafteinrichtungen mehr haben.
Aktuell in Abschiebungshaft festgehaltene Menschen sind zu entlassen. Im Gesetz steht: »Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann« (§ 62 Abs. 3 AufenthG). Dies ist aufgrund der schnellen und unvorhersehbaren Verbreitung des Corona-Virus der Fall. Die zuständigen Behörden, meist die Ausländerbehörde oder Bundespolizei, sollten ihre Haftanträge zurückziehen, um eine möglichst reibungslose Freilassung zu ermöglichen.
Es darf nicht passieren, dass Menschen in Abschiebungshaft »vergessen« werden, weil sie nicht anwaltlich vertreten sind und Unterstützungsgruppen aktuell keinen Zugang zu Hafteinrichtungen mehr haben. Zur Erinnerung: diese Menschen sitzen nicht wegen Straftaten in Haft, sondern allein zur Durchsetzung der Abschiebung. Niedersachsen geht hier in positiven Sinne voran, indem sie alle Personen aus der Abschiebungshafteinrichtung in Langenhagen entlassen.
Angesichts der aktuellen Lage sollten Asyl-Anhörungen grundsätzlich ausgesetzt werden. Anhörungen werden meist in kleinen Räumen durchgeführt, wodurch Ansteckungen nicht vermeidbar sind. Rechtsanwält*innen, die ihre Mandant*innen begleiten möchten, müssen zudem oft weitere Strecken zu den entsprechenden BAMF-Außenstellen zurück legen.
Update 20.03.2020: Das Bundesamt hat alle Anhörungen vorläufig ausgesetzt. Asylanträge werden im Regelfall schriftlich entgegennehmen, Antragstellende erhalten auf dieser Grundlage eine Aufenthaltsgestattung.
Während die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund des Corona-Virus anhalten, fordert PRO ASYL ein Moratorium für ablehnende BAMF-Bescheide.
Während die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund des Corona-Virus anhalten, fordert PRO ASYL ein Moratorium für ablehnende BAMF-Bescheide. Diese sollten vom BAMF nicht mehr verschickt werden. Denn wenn die Betroffenen diese erhalten, müssen sie innerhalb von zwei Wochen Klage einreichen. Dies wird für viele aktuell nicht möglich sein. Anwaltskanzleien sind zum Teil geschlossen bzw. der Kontakt zu Rechtsanwält*innen ist erschwert. Auch die übliche Beratungsstruktur ist aktuell ausgedünnt. Besonders für Personen, die noch nicht anwaltlich vertreten sind, wird es vermutlich nahezu unmöglich sein Rechtsanwält*innen zu finden, die in der aktuellen Situation neue Mandate annehmen. Damit ist kein effektiver Rechtsschutz mehr gewährleistet! Das erfordert das Moratorium.
»Social Distancing« ist das Schlagwort der Stunde. Alle in Deutschland sind dazu aufgerufen, mit möglichst wenig Menschen Kontakt zu haben und wenn es geht zu Hause zu bleiben. Veranstaltungen werden abgesagt.
Viele Geflüchtete leben in Deutschland aber in Massenunterkünften mit mehreren Hundert Bewohner*innen – jede dieser Einrichtungen ist eine »Großveranstaltung« und für die Menschen dort ein Risiko. »Social Distancing« ist für sie unmöglich.
Wie hoch problematisch der Ansatz der Lagerunterbringung ist, zeigt sich in der aktuellen Situation umso mehr.
PRO ASYL fordert von den Bundesländern, die für die Unterbringung von asylsuchenden Menschen zuständig sind, die Menschen sofort in dezentrale, kleinere Unterkünfte zu bringen. Die Verpflichtung in den meist sehr großen Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, wurde 2019 mit dem »Hau-Ab-Gesetz II« noch ausgeweitet. Im § 49 Abs. 2 Asylgesetz ist aber explizit vorgesehen, dass diese Verpflichtung »aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge« beendet werden kann. Ein solcher Grund liegt hier zweifelslos vor. Im Falle eines Infizierungsfalls kann eine Quarantäne leichter bei einer kleinen Gruppe umgesetzt werden und ist auch für diese erträglicher.
Die Kommunen sollten alle Möglichkeiten zur Unterbringung in kleineren Gruppen ausschöpfen. Dazu könnten auch Hotels und Hostels zählen, die aufgrund von Stornierungen aktuell viele freie Zimmer haben.
PRO ASYL kritisiert große Unterbringungseinrichtungen wie AnkER-Zentren und andere Erstaufnahmeeinrichtungen schon lange, da diese den Menschen kaum Privatsphäre bieten und ohne sozialen Anschluss am Rande von Ortschaften liegen. Wie hoch problematisch der Ansatz der Lagerunterbringung ist, zeigt sich in der aktuellen Situation umso mehr.
Termine bei Behörden bergen ein unabsehbares Infektionsrisiko, weil sich hier besonders viele Geflüchtete in engen Wartebereichen über längere Zeit aufhalten müssen. Deshalb müssen alle Termine bei BAMF, Ausländerbehörden, Sozialämtern und Verwaltungsgerichten abgesagt werden, um Infektionsgefahren zu minimieren.
Durch einen solchen Wegfall direkter Vorsprachen bei den Ausländerbehörden können Ausweispapiere ablaufen, die verlängert werden müssen. Aufenthaltsgestattungen, Aufenthaltserlaubnisse und Duldungen müssen vorübergehend unbürokratisch verlängert und, sofern nicht anders möglich, mit der Post zugestellt werden.
»»Corona macht keinen Unterschied nach Aufenthaltsstatus, Versicherungsstatus oder Wohnsituation – ein Gesundheitssystem kann es sich nicht leisten, diesen Unterschied zu machen««
Wie der Direktor von Ärzte der Welt Deutschland, François de Keersmaeker, richtigerweise feststellt: »Corona macht keinen Unterschied nach Aufenthaltsstatus, Versicherungsstatus oder Wohnsituation – ein Gesundheitssystem kann es sich nicht leisten, diesen Unterschied zu machen«. Doch genau das ist durch das Asylbewerberleistungsgesetz in Deutschland nicht der Fall. In der Regel muss zunächst ein Krankenschein beim Sozialamt beantragt werden.
Die Gesundheitsversorgung und die freie Arztwahl müssen für alle Geflüchtete gesichert sein. Eine ärztliche Behandlung darf nicht vom Vorliegen eines Krankenscheins nach dem Asylbewerberleistungsgesetz abhängig gemacht werden.
Das Medibüro Berlin weist auf seiner Homepage daraufhin hin: »Eine Krankenversicherung ist bei begründetem Verdacht (Atemwegssymptome und Kontakt zu einem nachgewiesen Infizierten/Rückkehr aus einem Risikogebiet) für einen Test auf das Corona-Virus sowie die Behandlung eines schweren Verlaufs der Krankheit nicht erforderlich! Die Kosten werden über §19 des Infektionsschutzgesetzes mit den Gesundheitsämtern abgerechnet.«
Noch problematischer ist die Situation für Personen, die nirgendwo gemeldet und damit illegalisiert sind. Viele haben Angst bei Ausländerbehörden oder der Polizei gemeldet zu werden, wenn sie sich beim Gesundheitsamt als krank melden. Gerade bei einer Pandemie kann es aber nicht im Sinne der Gesellschaft sein, dass kranke Menschen keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben
Im Rahmen von neu eingeführten Grenzkontrollen und der Verweigerung von Einreisen an deutschen Grenzen und Flughäfen darf es nicht zur Abweisung schutzbedürftiger Menschen kommen. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention gelten auch in Zeiten von Corona! Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung bislang Asylgesuche als Ausnahmetatbestand der neu eingeführten Regeln sieht. Dies muss in jedem Fall beibehalten werden.
Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention gelten auch in Zeiten von Corona!
Die griechischen Elendslager müssen sofort evakuiert werden. Die Gefahr durch das Corona-Virus und der fürchterliche Brand im Lager Moria, bei dem mindestens ein sechsjähriges Kind ums Leben gekommen ist, zeigen einmal mehr, dass die mehrfach überbelegten Lager auf den ägäischen Inseln so schnell wie möglich aufgelöst werden müssen.
Über 40.000 Menschen leben dort unter erbärmlichen Zuständen. Von ihnen sind über Zehntausend minderjährig. Die Schutzsuchenden müssen sofort evakuiert und auf eine Koalition aufnahmebereiter Staaten verteilt werden.
Über 40.000 Menschen leben dort unter erbärmlichen Zuständen.
Griechenland hat schon vor der großflächigen Ausbreitung der Corona-Pandemie in Europa systematisch internationales Recht missachtet. Menschen wurden unter Anwendung massiver Gewalt illegal in die Türkei zurückgeschleppt, das Recht auf Asyl vorläufig abgeschafft. Immer noch harren Schutzsuchende an der griechisch-türkischen Landgrenze in der Evros-Region aus. Auch sie müssen Zugang zu Schutz in Europa erhalten.
Die Bundesregierung und die EU dürfen die Entrechtung von Schutzsuchenden durch einen Mitgliedsstaat nicht weiter unterstützen. An den EU-Außengrenzen muss die Einhaltung von Menschenrechten gewährleistet werden. Schutzsuchende müssen Zugang zum Asylsystem erhalten und innerhalb Europas solidarisch verteilt werden.
Newsticker für Geflüchtete & Unterstützer*innen
Angesichts der dynamischen Entwicklungen um das Coronavirus sammeln wir fortlaufend Informationen, die für Schutzsuchende und Ihre Unterstützer*innen von Relevanz sind und veröffentlichen sie in einem Newsticker.
(wj)