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Bett, Brot, Seife – Ein ferner Traum für Flüchtlinge in Griechenland
Anerkannten Flüchtlingen in Griechenland mangelt es an allem. Gleich zwei Oberverwaltungsgerichte haben deshalb entschieden: Niemand darf dorthin zurückgeschickt werden. Die Bundesregierung muss das anerkennen und darf Menschen nicht weiter dorthin abschieben.
Griechenland zählt zu den beliebtesten Urlaubszielen der Deutschen. Doch während so manche mit Blick auf die nahenden Sommerferien und die steigenden Impfzahlen von einem Urlaub in der Ägäis, auf der Peloponnes oder der Halbinsel Chalkidiki träumen, haben andere Menschen panische Angst davor, in einen Flieger Richtung Athen gesetzt zu werden. Denn Geflüchtete wissen: Dort erwartet sie das nackte Elend.
Zu den Schutzsuchenden, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, zählen auch Menschen, die in Griechenland bereits eine Anerkennung als Flüchtling erhalten haben. Die Bundesregierung würde sie am liebsten nach Griechenland zurückschicken. Seit mehreren Jahren weisen wir von PRO ASYL und unser Team von »Refugee Support Aegean« (RSA) darauf hin, dass Schutz für anerkannte Flüchtlinge in Griechenland nur auf dem Papier existiert. In einer aktuellen Stellungnahme legen wir ausführlich dar, dass sich die Situation in Griechenland für anerkannte Schutzberechtigte weiter verschlechtert hat. Es ist die pure Not, die die Menschen zur Weiterflucht drängt.
Anstatt zu entscheiden, dass die Betroffenen angesichts dessen nicht nach Griechenland zurückgeschickt werden dürfen und ihnen hier in Deutschland internationaler Schutz zusteht, lassen das Bundesinnenministerium (BMI) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Menschen im Ungewissen. Ihre Asylverfahren sind seit Dezember 2019 komplett auf Eis gelegt. Betroffen sind davon aktuell rund 13.000 Menschen.
Gerichte entscheiden: Geflüchtete dürfen nicht von Deutschland nach Griechenland geschickt werden
Während die Behörden die Menschen seit Monaten in der Luft hängen lassen, gab es in jüngster Zeit gleich zwei Oberverwaltungsgerichte, die eindeutig entschieden haben: Anerkannte Schutzberechtigte aus Griechenland dürfen grundsätzlich nicht zurückgeschickt werden, weil dort nicht einmal elementarste Bedürfnisse (»Bett, Brot, Seife«) befriedigt werden können – selbst wenn sie alleinstehend, gesund und arbeitsfähig sind (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 21. Januar 2021, 11 A 1564/20.A und 11 A 2982/20.A; OVG Niedersachsen, Urteile vom 19. April 2021, 10LB 244/20 und 10 LB 245/20).
In der bisherigen Rechtsprechung bestand zwar Einigkeit darin, dass besonders schutzbedürftige Menschen wie zum Beispiel Familien mit kleinen Kindern nicht nach Griechenland abgeschoben werden dürfen. Unter Verweis auf ein Urteil vom Oberverwaltungsgericht Schleswig von Ende 2019 (OVG Schleswig, Urteil vom 6. September 2019, 4 LB 17/18) gab es jedoch einzelne Verwaltungsgerichte, die die Auffassung vertreten, dass die Situation in Griechenland zumindest für alleinstehende und arbeitsfähige Schutzberechtigte gerade noch zumutbar sei. Auch diese Gerichte stellten zwar in aller Regel fest, dass es in Griechenland keinerlei Unterstützung von staatlicher Seite gibt und die Leute bei der Suche nach einem Obdach und der Versorgung mit überlebensnotwendigen Dingen komplett auf sich allein gestellt sind. Sie verwiesen aber darauf, dass es eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen gebe, mit deren Hilfe die Betroffenen irgendwie über die Runden kommen könnten.
Die ohnehin schon prekäre Unterkunftssituation für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland hat sich weiter verschärft, die Menschen werden massenhaft obdachlos.
Dem schieben das OVG Nordrhein-Westfalen und das OVG Niedersachsen nun einen Riegel vor – auch unter Verweis auf die Berichte von PRO ASYL und RSA.
Die beiden Gerichte prüfen in ihren Entscheidungen eingehend, ob es für Schutzberechtigte bei einer etwaigen Rückkehr nach Griechenland aller Voraussicht nach möglich sein wird, eine Unterkunft zu finden und durch Erwerbstätigkeit oder ein Minimum an Sozialleistungen zumindest die Versorgung mit den fürs Überleben notwendigen Gütern zu sichern. Zudem prüfen sie, ob Nichtregierungsorganisationen und Kirchen die fehlende staatliche Fürsorge für anerkannte Schutzberechtigte abfedern können.
Ergebnisse sind eindeutig: Massenhafte Obdachlosigkeit
Die Ergebnisse, zu denen das OVG Nordrhein-Westfalen und das OVG Niedersachsen kommen, sind eindeutig. Zunächst bestätigen die Gerichte, worauf PRO ASYL schon seit mehreren Monaten hinweist: Die ohnehin schon prekäre Unterkunftssituation für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland hat sich weiter verschärft, die Menschen werden massenhaft obdachlos. Seit 2020 sind alle Schutzberechtigten in Griechenland verpflichtet, innerhalb von dreißig Tagen die Unterkünfte zu verlassen, in denen sie während des Asylverfahrens lebten. Gleichzeitig werden wegen beschleunigter Verfahren mehr Asylsuchende als zuvor anerkannt. Diese beiden Tatsachen führen dazu, dass in den vergangenen Monaten tausende Geflüchtete ihr Obdach verloren haben. Das OVG Niedersachsen stellt dazu fest: »Dass Obdachlosigkeit [unter Flüchtlingen] kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, trifft […] nicht mehr zu. Selbst in der deutschen Presse wird umfänglich über obdachlose anerkannte Schutzberechtigte in Athen berichtet.« (Rn. 50)
Vor diesem Hintergrund kommen die beiden Gerichte zu dem Ergebnis, dass es für Schutzberechtigte bei einer Rückkehr nach Griechenland »mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit« (OVG NRW, 11 A 1564/20.A, Rn. 64) unmöglich ist, an eine Unterkunft zu kommen. Weder wird von staatlicher Seite eine Unterkunft zur Verfügung gestellt, noch ist es möglich, eine Wohnung anzumieten, in einer Obdachlosenunterkunft oder bei nicht-staatlichen Organisationen unterzukommen.
Dass es Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Griechenland gelingen könnte, einen regulären Job zu finden, um das eigene Überleben zu sichern, halten zwei Oberverwaltungsgerichte für »nahezu ausgeschlossen«
Diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen, die unsere Kolleg*innen in Griechenland machen. In den Fällen von anerkannten Flüchtlingen, die aus Deutschland abgeschoben wurden und von unserer Partnerorganisation RSA in Griechenland unterstützt werden, sind die Menschen auch mehrere Monate nach der Abschiebung immer noch obdachlos. Auch Adeel Khan (Name geändert), über deren Schicksal wir im April berichtet hatten, ist trotz Unterstützung von RSA bei der Suche nach einer Unterkunft weiterhin obdachlos.
Dass es Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Griechenland gelingen könnte, in Griechenland einen regulären Job zu finden, um das eigene Überleben zu sichern, halten die beiden Gerichte für »nahezu ausgeschlossen« (OVG NRW, 11 A 1564/20.A, Rn. 78). Ganz abgesehen von formellen Hürden hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt verzeichnet Griechenland die höchste Arbeitslosigkeit in der EU. Die Wirtschaft ist infolge der Corona-Pandemie massiv eingebrochen. Zudem haben Schutzberechtigte wegen fehlender Sprach- und Kulturkenntnisse kaum eine Chance auf einen regulären Job.
Ebenso wenig sehen die OVGs eine realistische Möglichkeit für anerkannte Schutzberechtigte, bei einer Rückkehr nach Griechenland staatliche Sozialleistungen zu erhalten. Schließlich stellen sie fest, dass auch Nichtregierungsorganisationen und Kirchen nicht in der Lage sind, die Not von anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland abzufangen und ihre elementaren Bedürfnisse zu befriedigen.
BAMF und BMI müssen die Konsequenzen aus den Urteilen ziehen und jetzt handeln
Angesichts des gut dokumentierten Elends von anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland und der eindeutigen Rechtsprechung dürfen das BMI und das BAMF keinen weiteren Tag abwarten! Die Betroffenen in der Luft hängen zu lassen, ist unverantwortlich und nicht vertretbar. Erst kürzlich hat das Verwaltungsgericht Osnabrück im Fall eines jungen und schwer behinderten Mannes aus Afghanistan, der in Griechenland anerkannt ist und seit über 18 Monaten auf eine Entscheidung über seinen Asylantrag in Deutschland wartet, das BAMF verpflichtet, zeitnah über den Antrag zu entscheiden (Urteil vom 7. April 2021, 5 A 515/20).
Klar ist: Nach Griechenland dürfen die Betroffenen nicht zurück. Gleichzeitig wurde ihr Schutzbedarf in Griechenland schon festgestellt. BMI und BAMF müssen deshalb entscheiden, dass ihnen auch hier in Deutschland internationaler Schutz zusteht. Nur so können die Betroffenen endlich in Sicherheit und Würde leben und die Rechte, die ihnen als anerkannte Flüchtlinge zustehen, auch tatsächlich wahrnehmen.
Griechischer Migrationsminister fordert Bewegungsfreiheit für anerkannte Flüchtlinge
Mit der aktuellen Diskussion um den sogenannten Asyl und Migrationspakt der EU, den PRO ASYL scharf kritisiert, könnte immerhin in diesem Punkt Bewegung in die Sache kommen. So äußerte sich der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis Ende Mai im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments zum Thema. Er machte deutlich, dass ein schneller, unbürokratischer Solidaritätsmechanismus zur Umsiedlung (Relocation) von Asylsuchenden innerhalb der EU höchste Priorität habe. Eine gemeinsame europäische Asylpolitik, um die die EU-Mitglieder seit Jahren ringen, müsse außerdem beinhalten, dass die Mitgliedstaaten Statusentscheidungen gegenseitig in vollem Umfang anerkennen und anerkannte Flüchtlinge die volle Freizügigkeit genießen.
Damit greift Migrationsminister Mitarakis eine Forderung auf, die von PRO ASYL und dem europäischen Flüchtlingsrat ECRE bereits vor Jahren formuliert wurde. Anerkannte Schutzberechtigte könnten so ab dem Tag ihrer Anerkennung ihren Wohnort frei wählen, wie es EU-Bürger*innen ebenso zusteht. Sie könnten je nach Sprachkenntnissen, beruflichen Qualifizierungen oder verwandtschaftlichen Beziehungen entscheiden, in welchem Land sie die besten Chancen haben. Würde sich die Forderung nach wechselseitiger Anerkennung und voller Freizügigkeit auch in der Politik durchsetzen, hätte das aufwändige, bürokratische und menschenrechtsverletzende Zurückschicken Geflüchteter von einem EU-Land in ein anderes ein Ende.
(ame)