Image
Raus aus Moria, rein ins nächste Elend: Flüchtlinge hausen in Athen oft auf der Straße, selbst wenn sie einen Schutzstatus erhalten haben (picture alliance / ANE / Eurokinissi | Tatiana Bolari).

Anerkannten Flüchtlingen in Griechenland mangelt es an allem. Gleich zwei Oberverwaltungsgerichte haben deshalb entschieden: Niemand darf dorthin zurückgeschickt werden. Die Bundesregierung muss das anerkennen und darf Menschen nicht weiter dorthin abschieben.

Grie­chen­land zählt zu den belieb­tes­ten Urlaubs­zie­len der Deut­schen. Doch wäh­rend so man­che mit Blick auf die nahen­den Som­mer­fe­ri­en und die stei­gen­den Impf­zah­len von einem Urlaub in der Ägä­is, auf der Pelo­pon­nes oder der Halb­in­sel Chal­ki­di­ki träu­men, haben ande­re Men­schen pani­sche Angst davor, in einen Flie­ger Rich­tung Athen gesetzt zu wer­den. Denn Geflüch­te­te wis­sen: Dort erwar­tet sie das nack­te Elend.

Zu den Schutz­su­chen­den, die in Deutsch­land einen Asyl­an­trag stel­len, zäh­len auch Men­schen, die in Grie­chen­land bereits eine Aner­ken­nung als Flücht­ling erhal­ten haben. Die Bun­des­re­gie­rung wür­de sie am liebs­ten nach Grie­chen­land zurück­schi­cken. Seit meh­re­ren Jah­ren wei­sen wir von PRO ASYL und unser Team von »Refu­gee Sup­port Aege­an« (RSA) dar­auf hin, dass Schutz für aner­kann­te Flücht­lin­ge in Grie­chen­land nur auf dem Papier exis­tiert. In einer aktu­el­len Stel­lung­nah­me legen wir aus­führ­lich dar, dass sich die Situa­ti­on in Grie­chen­land für aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te wei­ter ver­schlech­tert hat. Es ist die pure Not, die die Men­schen zur Wei­ter­flucht drängt.

Anstatt zu ent­schei­den, dass die Betrof­fe­nen ange­sichts des­sen nicht nach Grie­chen­land zurück­ge­schickt wer­den dür­fen und ihnen hier in Deutsch­land inter­na­tio­na­ler Schutz zusteht, las­sen das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (BMI) und das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) die Men­schen im Unge­wis­sen. Ihre Asyl­ver­fah­ren sind seit Dezem­ber 2019 kom­plett auf Eis gelegt. Betrof­fen sind davon aktu­ell rund 13.000 Men­schen.

Gerichte entscheiden: Geflüchtete dürfen nicht von Deutschland nach Griechenland geschickt werden

13.000

Men­schen mit Schutz­sta­tus, die aus Grie­chen­land nach Deutsch­land gekom­men sind, war­ten noch immer auf eine Entscheidung

Wäh­rend die Behör­den die Men­schen seit Mona­ten in der Luft hän­gen las­sen, gab es in jüngs­ter Zeit gleich zwei Ober­ver­wal­tungs­ge­rich­te, die ein­deu­tig ent­schie­den haben: Aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te aus Grie­chen­land dür­fen grund­sätz­lich nicht zurück­ge­schickt wer­den, weil dort nicht ein­mal ele­men­tars­te Bedürf­nis­se (»Bett, Brot, Sei­fe«) befrie­digt wer­den kön­nen – selbst wenn sie allein­ste­hend, gesund und arbeits­fä­hig sind (OVG Nord­rhein-West­fa­len, Urtei­le vom 21. Janu­ar 2021, 11 A 1564/20.A und 11 A 2982/20.A; OVG Nie­der­sach­sen, Urtei­le vom 19. April 2021, 10LB 244/20 und 10 LB 245/20).

In der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung bestand zwar Einig­keit dar­in, dass beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Men­schen wie zum Bei­spiel Fami­li­en mit klei­nen Kin­dern nicht nach Grie­chen­land abge­scho­ben wer­den dür­fen. Unter Ver­weis auf ein Urteil vom Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Schles­wig von Ende 2019 (OVG Schles­wig, Urteil vom 6. Sep­tem­ber 2019, 4 LB 17/18) gab es jedoch ein­zel­ne Ver­wal­tungs­ge­rich­te, die die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die Situa­ti­on in Grie­chen­land zumin­dest für allein­ste­hen­de und arbeits­fä­hi­ge Schutz­be­rech­tig­te gera­de noch zumut­bar sei. Auch die­se Gerich­te stell­ten zwar in aller Regel fest, dass es in Grie­chen­land kei­ner­lei Unter­stüt­zung von staat­li­cher Sei­te gibt und die Leu­te bei der Suche nach einem Obdach und der Ver­sor­gung mit über­le­bens­not­wen­di­gen Din­gen kom­plett auf sich allein gestellt sind. Sie ver­wie­sen aber dar­auf, dass es eine Rei­he von Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Kir­chen gebe, mit deren Hil­fe die Betrof­fe­nen irgend­wie über die Run­den kom­men könnten.

Die ohne­hin schon pre­kä­re Unter­kunfts­si­tua­ti­on für aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te in Grie­chen­land hat sich wei­ter ver­schärft, die Men­schen wer­den mas­sen­haft obdachlos.

Dem schie­ben das OVG Nord­rhein-West­fa­len und das OVG Nie­der­sach­sen nun einen Rie­gel vor – auch unter Ver­weis auf die Berich­te von PRO ASYL und RSA.

Die bei­den Gerich­te prü­fen in ihren Ent­schei­dun­gen ein­ge­hend, ob es für Schutz­be­rech­tig­te bei einer etwa­igen Rück­kehr nach Grie­chen­land aller Vor­aus­sicht nach mög­lich sein wird, eine Unter­kunft zu fin­den und durch Erwerbs­tä­tig­keit oder ein Mini­mum an Sozi­al­leis­tun­gen zumin­dest die Ver­sor­gung mit den fürs Über­le­ben not­wen­di­gen Gütern zu sichern. Zudem prü­fen sie, ob Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Kir­chen die feh­len­de staat­li­che Für­sor­ge für aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te abfe­dern können.

Ergebnisse sind eindeutig: Massenhafte Obdachlosigkeit

Die Ergeb­nis­se, zu denen das OVG Nord­rhein-West­fa­len und das OVG Nie­der­sach­sen kom­men, sind ein­deu­tig. Zunächst bestä­ti­gen die Gerich­te, wor­auf PRO ASYL schon seit meh­re­ren Mona­ten hin­weist: Die ohne­hin schon pre­kä­re Unter­kunfts­si­tua­ti­on für aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te in Grie­chen­land hat sich wei­ter ver­schärft, die Men­schen wer­den mas­sen­haft obdach­los. Seit 2020 sind alle Schutz­be­rech­tig­ten in Grie­chen­land ver­pflich­tet, inner­halb von drei­ßig Tagen die Unter­künf­te zu ver­las­sen, in denen sie wäh­rend des Asyl­ver­fah­rens leb­ten. Gleich­zei­tig wer­den wegen beschleu­nig­ter Ver­fah­ren mehr Asyl­su­chen­de als zuvor aner­kannt. Die­se bei­den Tat­sa­chen füh­ren dazu, dass in den ver­gan­ge­nen Mona­ten tau­sen­de Geflüch­te­te ihr Obdach ver­lo­ren haben. Das OVG Nie­der­sach­sen stellt dazu fest: »Dass Obdach­lo­sig­keit [unter Flücht­lin­gen] kein augen­schein­li­ches Mas­sen­phä­no­men dar­stellt, trifft […] nicht mehr zu. Selbst in der deut­schen Pres­se wird umfäng­lich über obdach­lo­se aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te in Athen berich­tet.« (Rn. 50)

Vor die­sem Hin­ter­grund kom­men die bei­den Gerich­te zu dem Ergeb­nis, dass es für Schutz­be­rech­tig­te bei einer Rück­kehr nach Grie­chen­land  »mit sehr hoher Wahr­schein­lich­keit« (OVG NRW, 11 A 1564/20.A, Rn. 64) unmög­lich ist, an eine Unter­kunft zu kom­men. Weder wird von staat­li­cher Sei­te eine Unter­kunft zur Ver­fü­gung gestellt, noch ist es mög­lich, eine Woh­nung anzu­mie­ten, in einer Obdach­lo­sen­un­ter­kunft oder bei nicht-staat­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen unterzukommen.

Dass es Schutz­be­rech­tig­ten bei einer Rück­kehr nach Grie­chen­land gelin­gen könn­te, einen regu­lä­ren Job zu fin­den, um das eige­ne Über­le­ben zu sichern, hal­ten zwei Ober­ver­wal­tungs­ge­rich­te für »nahe­zu ausgeschlossen«

Die­se Ein­schät­zung deckt sich mit den Erfah­run­gen, die unse­re Kolleg*innen in Grie­chen­land machen. In den Fäl­len von aner­kann­ten Flücht­lin­gen, die aus Deutsch­land abge­scho­ben wur­den und von unse­rer Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on RSA in Grie­chen­land unter­stützt wer­den, sind die Men­schen auch meh­re­re Mona­te nach der Abschie­bung immer noch obdach­los. Auch Ade­el Khan (Name geän­dert), über deren Schick­sal wir im April berich­tet hat­ten, ist trotz Unter­stüt­zung von RSA bei der Suche nach einer Unter­kunft wei­ter­hin obdachlos.

Dass es Schutz­be­rech­tig­ten bei einer Rück­kehr nach Grie­chen­land gelin­gen könn­te, in Grie­chen­land einen regu­lä­ren Job zu fin­den, um das eige­ne Über­le­ben zu sichern, hal­ten die bei­den Gerich­te für »nahe­zu aus­ge­schlos­sen« (OVG NRW, 11 A 1564/20.A, Rn. 78). Ganz abge­se­hen von for­mel­len Hür­den hin­sicht­lich des Zugangs zum Arbeits­markt ver­zeich­net Grie­chen­land die höchs­te Arbeits­lo­sig­keit in der EU. Die Wirt­schaft ist infol­ge der Coro­na-Pan­de­mie mas­siv ein­ge­bro­chen. Zudem haben Schutz­be­rech­tig­te wegen feh­len­der Sprach- und Kul­tur­ken­nt­nis­se kaum eine Chan­ce auf einen regu­lä­ren Job.

Eben­so wenig sehen die OVGs eine rea­lis­ti­sche Mög­lich­keit für aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te, bei einer Rück­kehr nach Grie­chen­land staat­li­che Sozi­al­leis­tun­gen zu erhal­ten. Schließ­lich stel­len sie fest, dass auch Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Kir­chen nicht in der Lage sind, die Not von aner­kann­ten Schutz­be­rech­tig­ten in Grie­chen­land abzu­fan­gen und ihre ele­men­ta­ren Bedürf­nis­se zu befriedigen.

BAMF und BMI müssen die Konsequenzen aus den Urteilen ziehen und jetzt handeln

Ange­sichts des gut doku­men­tier­ten Elends von aner­kann­ten Schutz­be­rech­tig­ten in Grie­chen­land und der ein­deu­ti­gen Recht­spre­chung dür­fen das BMI und das BAMF kei­nen wei­te­ren Tag abwar­ten! Die Betrof­fe­nen in der Luft hän­gen zu las­sen, ist unver­ant­wort­lich und nicht ver­tret­bar. Erst kürz­lich hat das Ver­wal­tungs­ge­richt Osna­brück im Fall eines jun­gen und schwer behin­der­ten Man­nes aus Afgha­ni­stan, der in Grie­chen­land aner­kannt ist und seit über 18 Mona­ten auf eine Ent­schei­dung über sei­nen Asyl­an­trag in Deutsch­land war­tet, das BAMF ver­pflich­tet, zeit­nah über den Antrag zu ent­schei­den (Urteil vom 7. April 2021, 5 A 515/20).

Klar ist: Nach Grie­chen­land dür­fen die Betrof­fe­nen nicht zurück. Gleich­zei­tig wur­de ihr Schutz­be­darf in Grie­chen­land schon fest­ge­stellt. BMI und BAMF müs­sen des­halb ent­schei­den, dass ihnen auch hier in Deutsch­land inter­na­tio­na­ler Schutz zusteht. Nur so kön­nen die Betrof­fe­nen end­lich in Sicher­heit und Wür­de leben und die Rech­te, die ihnen als aner­kann­te Flücht­lin­ge zuste­hen, auch tat­säch­lich wahrnehmen.

Griechischer Migrationsminister fordert Bewegungsfreiheit für anerkannte Flüchtlinge

Mit der aktu­el­len Dis­kus­si­on um den soge­nann­ten Asyl und Migra­ti­ons­pakt der EU, den PRO ASYL scharf kri­ti­siert, könn­te immer­hin in die­sem Punkt Bewe­gung in die Sache kom­men. So äußer­te sich der grie­chi­sche Migra­ti­ons­mi­nis­ter Notis Mit­a­ra­kis Ende Mai im Aus­schuss für bür­ger­li­che Frei­hei­ten, Jus­tiz und Inne­res (LIBE) des Euro­päi­schen Par­la­ments zum The­ma. Er mach­te deut­lich, dass ein schnel­ler, unbü­ro­kra­ti­scher Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus zur Umsied­lung (Relo­ca­ti­on) von Asyl­su­chen­den inner­halb der EU höchs­te Prio­ri­tät habe. Eine gemein­sa­me euro­päi­sche Asyl­po­li­tik, um die die EU-Mit­glie­der seit Jah­ren rin­gen, müs­se außer­dem beinhal­ten, dass die Mit­glied­staa­ten Sta­tus­ent­schei­dun­gen gegen­sei­tig in vol­lem Umfang aner­ken­nen und aner­kann­te Flücht­lin­ge die vol­le Frei­zü­gig­keit genießen.

Damit greift Migra­ti­ons­mi­nis­ter Mit­a­ra­kis eine For­de­rung auf, die von PRO ASYL und dem euro­päi­schen Flücht­lings­rat ECRE bereits vor Jah­ren for­mu­liert wur­de. Aner­kann­te Schutz­be­rech­tig­te könn­ten so ab dem Tag ihrer Aner­ken­nung ihren Wohn­ort frei wäh­len, wie es EU-Bürger*innen eben­so zusteht. Sie könn­ten je nach Sprach­kennt­nis­sen, beruf­li­chen Qua­li­fi­zie­run­gen oder ver­wandt­schaft­li­chen Bezie­hun­gen ent­schei­den, in wel­chem Land sie die bes­ten Chan­cen haben. Wür­de sich die For­de­rung nach wech­sel­sei­ti­ger Aner­ken­nung und vol­ler Frei­zü­gig­keit auch in der Poli­tik durch­set­zen, hät­te das auf­wän­di­ge, büro­kra­ti­sche und men­schen­rechts­ver­let­zen­de Zurück­schi­cken Geflüch­te­ter von einem EU-Land in ein ande­res ein Ende.

(ame)