05.03.2013
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Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muižnieks, beklagt den schmutzigen Deal auf dem Rücken der Roma zwischen Brüssel und den Ländern des westlichen Balkans. Bild: Saeima / Wikimedia Commons <a href="http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en">(CC BY-SA 2.0)</a>

Nils Muižnieks, Menschenrechtskommissar des Europarates, erhebt schwere Vorwürfe gegen die EU. Auf deren Drängen hin hindern Beitrittskandidaten wie Mazedonien und Serbien Menschen durch Kontrollen und den Entzug von Pässen an der Ausreise in die EU. Die Maßnahmen richten sich gezielt gegen Roma.

„Die maze­do­ni­schen Behör­den kon­fis­zie­ren Roma die Päs­se. Die­se Leu­te dafür zu bestra­fen, dass sie in der EU um Asyl ersucht haben, ist eine Men­schen­rechts­ver­let­zung“, erklär­te der Men­schen­rechts­kom­mis­sar am 21. Febru­ar nach sei­ner Rück­kehr aus Maze­do­ni­en vor Jour­na­lis­ten. Die Suche nach Asyl wer­de kri­mi­na­li­siert, zeig­te sich Muiž­nieks alarmiert.

Visa­frei­heit als Druckmittel

Der EU warf Muiž­nieks vor, die Visa­frei­heit als Druck­mit­tel ein­zu­set­zen: „Die Euro­päi­sche Uni­on über­lässt den Län­dern des west­li­chen Bal­kans die Drecks­ar­beit“, pol­ter­te der Amts­nach­fol­ger von Tho­mas Hamm­ar­berg. Jener hat­te bereits 2011 betont, dass die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on das Recht zum Ver­las­sen eines jeden Lan­des, ein­schließ­lich des eige­nen garan­tiert. Nie­mand soll­te bei der Aus­übung die­ses Rechts dis­kri­mi­niert wer­den. Aber genau dies tun die Bei­tritts­kan­di­da­ten Ser­bi­en und Maze­do­ni­en immer mas­si­ver, seit die EU die Visa­frei­heit für ihre Bür­ger ein­ge­führt hat – und zwar nicht nur unter den Augen, son­dern sogar auf Drän­gen der EU.

Men­schen­rechts­ver­let­zen­der Deal zwi­schen Brüs­sel und den Balkanstaaten 

Der Hin­ter­grund: Seit für die ehe­ma­li­gen jugo­sla­wi­schen Staa­ten Visa­frei­heit besteht, bean­tra­gen immer wie­der Men­schen aus die­sen Län­dern Asyl in EU-Staa­ten. Die­se Asyl­su­chen­den möch­te sich die Euro­päi­sche Uni­on mit allen Mit­teln vom Hals hal­ten. Dabei dro­hen EU-Poli­ti­ker immer wie­der mit dem Ent­zug der Visa­frei­heit. Für Ser­bi­en und Maze­do­ni­en stellt die­se eine wich­ti­ge Errun­gen­schaft dar, die man auf kei­nen Fall ver­lie­ren will. Die Romaor­ga­ni­sa­ti­on Cha­chi­pe e.V. hat die­sen men­schen­rechts­ver­let­zen­den Deal zwi­schen Brüs­sel und den Regie­run­gen der Bal­kan­staa­ten  zuletzt in ihrem Bericht „Sel­ec­ti­ve Free­dom“ ange­pran­gert, des­sen Ser­bi­en­teil im Okto­ber 2012 aktua­li­siert wurde.

Asyl­su­che kriminalisiert

Dass der Weg in die EU über die Kri­mi­na­li­sie­rung der Asyl­su­che führt, hat nicht nur Men­schen­rechts­kom­mis­sar Nils Muiž­nieks in Maze­do­ni­en beob­ach­tet: Recher­chen der Romaor­ga­ni­sa­ti­on Cha­chi­pe e.V. bele­gen dies auch für Ser­bi­en. Ende Dezem­ber 2012 wur­de das Straf­recht um einen Arti­kel erwei­tert, der Asyl­miss­brauch im Aus­land unter Stra­fe stellt. Der Para­graf rich­ten sich zwar gegen kom­mer­zi­el­le Flucht­hel­fer, ist aber so gum­mi­ar­tig for­mu­liert, dass Cha­chi­pe sei­ne Anwen­dung gegen Asyl­su­chen­de selbst befürchtet.

Pau­schal­ver­dacht gegen „Schein­asy­lan­ten“ 

Im Novem­ber 2012 hat­te Ser­bi­ens stell­ver­tre­ten­de Minis­te­rin für Euro­päi­sche Inte­gra­ti­on, Suz­a­na Grub­je­sić ihre Hoff­nung geäu­ßert, dass unbe­grün­de­te Asyl­su­che zum Straf­tat­be­stand erho­ben wird. Cha­chi­pe zufol­ge wer­den abge­scho­be­ne Asyl­be­wer­be­rin­nen und Asyl­be­wer­ber in Ser­bi­en bereits heu­te poli­zei­lich vor­ge­la­den und zu den Grün­den für ihren Asyl­an­trag im Aus­land befragt. Die stell­ver­tre­ten­de Minis­te­rin Grub­je­sić lob­te den Erfolg der EU-höri­gen Poli­tik: Ca. 5 000 ser­bi­sche Bür­ge­rIn­nen, die ver­sucht hät­ten, in West­eu­ro­pa Asyl zu suchen, sei­en dank der ver­schärf­ten Kon­trol­len an der Gren­ze zurück­ge­wie­sen wor­den.

Die­ses Schick­sal ereilt offen­bar auch Men­schen, die in den blo­ßen Ver­dacht gera­ten, so genann­te fal­sche oder „Schein­asy­lan­tin­nen“ oder “ –Asy­lan­ten“ (ser­bisch: laž­ni azi­lan­ti) zu sein. Haupt­be­trof­fe­ne die­ser Maß­nah­men sind Ange­hö­ri­ge der Romamin­der­hei­ten. Dass sie in allen Bal­kan­staa­ten einer umfas­sen­den Dis­kri­mi­nie­rung aus­ge­setzt sind, hat die EU-Kom­mis­si­on selbst festgestellt. 

Neue Ebe­ne der Dis­kri­mi­nie­rung gegen Roma

Mit den geziel­ten Aus­rei­se-Kon­trol­len gegen Roma nach Metho­den des „eth­nic pro­fil­ing“ und dem Ent­zug ihrer Päs­se wur­de nun eine neue Ebe­ne der Dis­kri­mi­nie­rung der Min­der­heit geschaf­fen. Fatal ist, dass in der öffent­li­chen Mei­nung in den Bal­kan­staa­ten Roma zu Sün­den­bö­cken dafür abge­stem­pelt wer­den, wenn die Visa­frei­heit wackelt. Die Debat­te um den angeb­li­chen Asyl­miss­brauch der Roma schürt auch in EU-Län­dern wie Deutsch­land Ras­sis­mus.

Update vom 15.4.12: Am 9. April 2013 hat Nils Muiž­nieks den Bericht sei­nes Besu­ches in Maze­do­ni­en vom 26. bis 29. Novem­ber 2012 vorgelegt.

Die  Schwei­ze­ri­sche Flücht­lings­hil­fe berich­tet, es sei mehr­fach doku­men­tiert, dass Päs­se von Ange­hö­ri­gen der Roma von Beam­ten mit zwei Lini­en oder den Buch­sta­ben „AZ“ (ver­mut­lich für maze­do­nisch: „Azi­lant“) gekenn­zeich­net wur­den. Per­so­nen mit mar­kier­ten Päs­sen wür­de die Aus­rei­se ver­wei­gert. Nach Anga­ben des US Depart­ment of Sta­te sei zwi­schen April 2011 und Okto­ber 2011 4000 maze­do­ni­schen  Staats­an­ge­hö­ri­gen die Aus­rei­se ver­wei­gert wor­den, weil sie poten­ti­el­le Asyl­su­chen­de in der EU seien.

Aus der EU nach Maze­do­ni­en abge­scho­be­ne Per­so­nen berich­te­ten der Schwei­ze­ri­schen Flücht­lings­hil­fe zufol­ge vom Ent­zug ihrer Päs­se an der Gren­ze und von Ein­schrän­kun­gen im Zugang zu Sozi­al­leis­tun­gen und Gesundheitsfürsorge. 

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