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Abschiebungen nach Afghanistan: Bleibeperspektiven nutzen
69 – mit dieser Zahl prahlte Bundesinnenminister Seehofer nach der jüngsten Abschiebung nach Kabul. Allein 51 Betroffene kamen aus Bayern, dem Bundesland, das von den vermeintlichen Abschiebungsmöglichkeiten besonders weit Gebrauch macht. Potentiell Betroffene und ihre Unterstützer*innen sollten dringend mögliche Bleibeperspektiven prüfen.
Auf dem Flieger nach Kabul vom 3. Juli 2018 saßen vermehrt gut integrierte Afghanen, die schon mehrere Jahre in Deutschland lebten. Dies ist das Ergebnis der neuen Abschiebepraxis: Seit dem neuen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) und der politisch verkündeten Möglichkeit, neben Straftätern, Gefährdern und vermeintlich hartnäckigen Identitätsverweigerern auch andere Personen in das Kriegs- und Krisengebiet abzuschieben, hat Bayern die Ausweitung der Personengruppen umgesetzt. Auch Sachsen verzichtet auf die Beschränkung. In Mecklenburg-Vorpommern ist unklar, wie es sich künftig verhält: Der Fall des rechtswidrig Abgeschobenen, der nun wieder nach Deutschland einreisen soll, scheint ebenfalls nicht unter die bisherigen drei Kategorien zu fallen. Immerhin gibt es aus den anderen Bundesländern noch keine solche Informationen.
Für die Betroffenen gilt es jetzt, Möglichkeiten für ein Bleiberecht auszuschöpfen. Es gibt rechtliche und humanitäre Möglichkeiten des Bleibens – im asyl- und im aufenthaltsrechtlichen Bereich. Afghanische Staatsangehörige beispielsweise, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die nun mit einer Duldung in Deutschland leben, sollten mit Unterstützung einer Flüchtlingsberatungsstelle oder einem Rechtsbeistand ihre rechtliche Situation prüfen.
Eine Arbeitsstelle ist hilfreich für den Nachweis einer gelungenen Integration und hat Auswirkungen auf Härtefallanträge und ein Bleiberecht.
Möglichkeiten des Bleibens: Ausbildung, Bleiberecht, Härtefallantrag
Ausbildungsduldung: Für die Dauer der Ausbildung kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Duldung erteilt werden, sodass keine Abschiebung vollzogen werden darf (§ 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG). Dabei werden die Regeln – trotz Anspruchs – je nach Bundesland unterschiedlich umgesetzt. Im Anschluss der Ausbildung besteht die Möglichkeit eines Aufenthaltstitels für weitere zwei Jahre nach § 18a Abs. 1a AufenthG (sog. »3+2«-Regelung).
Arbeit allein schützt zwar nicht vor Abschiebung. Eine Arbeitsstelle ist jedoch hilfreich für den Nachweis einer gelungenen Integration und hat Auswirkungen auf Härtefallanträge und ein Bleiberecht.
Aufenthaltserlaubnis nach längerem Aufenthalt: Wenn minderjährige oder junge volljährige Geduldete zwischen 14 und 20 Jahren seit vier Jahren in Deutschland leben und erfolgreich eine Schule besuchen, können sie in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG bekommen. Wer 21 Jahre oder älter ist, kann grundsätzlich nach sechs bzw. acht Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG bekommen, wenn der Lebensunterhalt überwiegend gesichert ist.
Der Gang vor einen Petitionsausschuss oder die Härtefall-
kommission kann sich lohnen!
Petitionsausschuss und Härtefallkommission: Wenn besondere Härten vorliegen, kann sich der Gang vor einen Petitionsausschuss oder die Härtefallkommission lohnen. Diese gibt es in jedem Bundesland, die jeweiligen Flüchtlingsräte können dazu informieren. Dabei spielt auch eine Rolle, ob die Betroffenen gut integriert sind und eine Arbeitsstelle haben.
Medizinische Abschiebungshindernisse: Erhöhte Anforderungen
Das Schicksal des 23jährigen Abgeschobenen, der sich in Kabul das Leben genommen hat, zeigt die dramatischen Folgen, wenn medizinische Hindernisse vor Abschiebung nicht erkannt werden. Grundsätzlich wird bei Abschiebung vermutet, dass dieser Maßnahme keine gesundheitlichen Gründe entgegenstehen. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig im Falle von Erkrankungen gerade auch in psychischer Hinsicht die erforderlichen Nachweise einzuholen. Erforderlich ist eine »qualifizierte ärztliche Bescheinigung« nach § 60a Abs. 2c AufenthG.
Auch wenn sich die Lebenssituation der Betroffenen verändert hat, z.B. durch Heirat mit einer Person, die hier einen Aufenthaltstitel hat, oder durch die Geburt eines Kindes, kann dies im Einzelfall günstige Auswirkungen für einen Verbleib in Deutschland haben.
Viele neue Hinweise ergeben sich auch aus dem neuen
Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan.
Folgeantrag: Auf die Einzelfallprüfung kommt es an
Wenn der Asylantrag bereits abgelehnt wurde, aber neue Gründe für eine Schutzberechtigung vorliegen, kann ein Folgeantrag gestellt werden (§ 71 AsylG). Die Sicherheitslage verschlechtert sich stetig, laut UN-Angaben ist die Zahl der getöteten Zivilisten mit 1692 Toten auf Höchststand. Die Anschläge in Kabul nehmen kein Ende.
Viele neue Hinweise ergeben sich auch aus dem neuen Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan, der nun als »neues Beweismittel« vorgebracht werden kann. Dies gilt unter anderem auch für Afghan*innen, die nicht in Afghanistan geboren oder aufgewachsen sind, da sie beispielsweise früh nach Iran geflohen sind. Dabei muss allerdings stets der Einzelfallbezug hergestellt werden und dargelegt werden, welche Folgen diese Veränderungen für den Betroffenen haben.
Nicht aufgeben!
Bei einer Ablehnung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sollte man bei Afghan*innen noch einmal besonders drauf schauen. Laut aktueller Quartalsstatistik erklären die Gerichte mehr als 60 Prozent aller inhaltlich geprüften BAMF-Bescheide für rechtswidrig (im Vorjahr: circa 61 Prozent).
Andere Gerichte wiederum wollen erst die aktuellen Erkenntnisse sorgfältig auswerten. So will beispielsweise der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof vorerst nicht mehr über den Aufenthaltsstatus junger alleinstehender Afghanen entscheiden, bis Erkenntnisse des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) analysiert sind.
Eine nochmalige Überprüfung des »eigenen Falles« lohnt sich also genau und sollte jetzt so früh wie möglich erfolgen.
(beb)