04.06.2018
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Keine Sicherheit in Sicht: Die Lage in Afghanistan bleibt äußerst schwierig, das bestätigt nun auch das Auswärtige Amt. Foto: flickr / DVIDSHUB / cc-by-2.0

Am 1. und 2. Juni wurde der Lagebericht bekannt. PRO ASYL erwartet eine Änderung der Entscheidungspraxis für Afghan*innen: Die pauschalisierte Ablehnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Verweis auf sogenannte inländische Schutzalternativen innerhalb Afghanistans lässt sich nicht mehr aufrechterhalten.

Die im Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amtes (AA) vom 31. Mai vor­ge­nom­me­ne Neu­be­wer­tung des soge­nann­ten »inter­nen Schut­zes« ist eine Annä­he­rung an die Rea­li­tät in Afgha­ni­stan. Mehr als ein Jahr hat PRO ASYL fun­dier­te Kri­tik geübt, Fak­ten zusam­men­ge­tra­gen und öffent­lich einen sach­ge­rech­ten Bericht gefor­dert. Nun muss eine Ände­rung der Ent­schei­dungs- und Aner­ken­nungs­pra­xis ein­tre­ten. PRO ASYL for­dert Neu­be­wer­tung aller in den letz­ten bei­den Jah­ren abge­lehn­ten afgha­ni­schen Asylanträge.

Tausende Afghan*innen zu unrecht abgelehnt

In den letz­ten bei­den Jah­ren ist die Ableh­nung afgha­ni­scher Asyl­su­chen­der rapi­de gestie­gen – in der Regel begrün­det mit dem Hin­weis,  Ver­folg­te hät­ten an einem ande­ren Ort in Afgha­ni­stan Schutz fin­den kön­nen (Aus­weich­mög­lich­keit).  Im Jah­re 2017 wur­den die Anträ­ge von 56.722 Afghan*innen abge­lehnt, vom 1. Janu­ar bis 30. April 2018 waren es 3.768.

Der Lage­be­richt ent­zieht allen Hard­li­nern, die eine här­te­re Abschie­be­pra­xis in das Kriegs- und Kri­sen­land for­dern, die Legitimation.

52,6 %

beträgt die Ableh­nungs­quo­te für Afghan*innen mitt­ler­wei­le. Obwohl sich die Lage im Land eher ver­schlech­tert, denn verbessert.

Die Ableh­nungs­quo­te stieg von 22,3 Pro­zent im Jah­re 2015 auf 39,4 Pro­zent im Jah­re 2016 und auf 52,6 Pro­zent im Jah­re 2017. Trotz vom Bun­des­amt fest­ge­stell­ter Ver­fol­gung wur­den Schutz­su­chen­de zu Tau­sen­den zu Unrecht abge­lehnt, denn die Aus­weich­mög­lich­keit inner­halb Afgha­ni­stans ist und war eine Fata Mor­ga­na und dem Wil­len zu »kon­se­quen­ter Abschie­bung« geschul­det. Der Lage­be­richt des AA macht das end­lich deut­lich und ent­zieht allen Hard­li­nern, die eine här­te­re Abschie­be­pra­xis in das Kriegs- und Kri­sen­land for­dern, die Legitimation.

Veralteter Bericht – viele Klagen 

Gerich­te wer­den über­las­tet, weil das BAMF basie­rend auf einer fal­schen Lage­be­ur­tei­lung Zehn­tau­sen­de zu Unrecht abge­lehnt hat. 71.342 aus 2017 stam­men­de Gerichts­ver­fah­ren zu Afgha­ni­stan sind anhän­gig (Bun­des­tag­druck­sa­che 19 /1371, S. 38). UNHCR, PRO ASYL und ande­re Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen haben seit Erschei­nen des, im Okto­ber 2016 ver­öf­fent­lich­ten und bis jetzt gül­ti­gen, Lage­be­richts fun­dier­te Kri­tik geübt. Schon damals war er ver­al­tet und ent­sprach nicht der Rea­li­tät in Afghanistan.

Sowohl die ableh­nen­den Asyl­be­schei­de als auch die Abschie­bungs­ent­schei­dun­gen sind auf­grund die­ser Neu­be­wer­tung der Lage haltlos.

Hunderttausende in Afghanistan auf der Flucht

Sowohl die ableh­nen­den Asyl­be­schei­de als auch die Abschie­bungs­ent­schei­dun­gen sind auf­grund die­ser Neu­be­wer­tung der Lage halt­los. Bis­lang wur­de pau­schal behaup­tet, jun­ge afgha­ni­sche Män­ner könn­ten zurück­keh­ren und in Groß­städ­ten am Ran­de des Exis­tenz­mi­ni­mums leben. Obwohl ver­folgt, wur­den sie im Asyl­ver­fah­ren abge­lehnt, die Abschie­bung ange­droht. Das AA spricht nun davon, dass die Absorp­ti­ons­fä­hig­keit der genutz­ten Aus­weich­mög­lich­kei­ten vor allem im Umfeld grö­ße­rer Städ­te durch die hohe Zahl der Bin­nen­ver­trie­be­nen und Rück­keh­rer aus dem Iran und Paki­stan bereits stark in Anspruch genom­men sei. Aus­weich­mög­lich­kei­ten hin­gen vom Grad der sozia­len Ver­wur­ze­lung, der Eth­nie, der finan­zi­el­len Lage ab.

»Ausweichmöglichkeiten« existieren nicht

Für eine Viel­zahl der nach Deutsch­land geflo­he­nen Afgha­nen gibt es des­halb nun auch regie­rungs­amt­lich fest­ge­stellt kei­ne Aus­weich­mög­lich­keit – weder in Kabul, dem Ziel­ort der Abschie­bun­gen, noch man­gels siche­rer Rei­se­we­ge in der Her­kunfts­re­gi­on oder anders­wo in Afgha­ni­stan.  Die soge­nann­ten »inlän­di­schen Aus­weich­mög­lich­kei­ten« gibt es  für die Betrof­fe­nen in der Rea­li­tät schlicht­weg nicht und sie wären auch nicht erreich­bar. Inlands­flü­ge exis­tie­ren zwar, sind aber für Abge­scho­be­nen nicht bezahl­bar, die Über­land­stra­ßen von den Tali­ban kon­trol­liert – was nun auch das AA ein­deu­tig feststellt.

Rückkehr für über Iran Geflüchtete kaum möglich

Erfreu­lich ist auch die rea­li­täts­nä­he­re Dar­stel­lung der Rück­keh­rer aus Iran oder Paki­stan. Vie­le Afghan*innen sind über den Iran nach Euro­pa geflo­hen. Das AA erkennt nun an, dass sie auf­grund der Spra­che erkenn­bar sein könn­ten und dass eine lan­ge Abwe­sen­heit auf­grund der feh­len­den Ver­traut­heit mit kul­tu­rel­len Beson­der­hei­ten und sozia­len Nor­men die Inte­gra­ti­on in Afgha­ni­stan erschwert. Sozia­le und fami­liä­re Netz­wer­ke sind für die Beur­tei­lung der Rück­kehr­mög­lich­keit ent­schei­dend. Wer die­se nicht hat – kann nicht zurück.

Rückkehrer haben schweren Stand

Der Bericht ver­weist auch auf Berich­te von EASO, die nahe­le­gen, dass Rück­keh­rer aus Euro­pa Geld hät­ten und des­halb ent­führt wer­den. Rück­keh­rer aus Euro­pa wer­den von der afgha­ni­schen Gesell­schaft miss­trau­isch wahr­ge­nom­men. Soweit im Lage­be­richt auf die frei­wil­li­ge Rück­kehr aus dem Iran und Paki­stan gewie­sen wird, han­delt es sich um Rück­kehr im Fami­li­en­ver­band an ange­stamm­te Orte, wo ein Leben gesi­chert erscheint. Für nach Euro­pa Geflo­he­ne heißt dies im Klar­text: Sie sind in einer kom­plett ande­ren Lebenssituation.