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Lange gefordert, endlich da: Lagebericht zu Afghanistan
Am 1. und 2. Juni wurde der Lagebericht bekannt. PRO ASYL erwartet eine Änderung der Entscheidungspraxis für Afghan*innen: Die pauschalisierte Ablehnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Verweis auf sogenannte inländische Schutzalternativen innerhalb Afghanistans lässt sich nicht mehr aufrechterhalten.
Die im Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) vom 31. Mai vorgenommene Neubewertung des sogenannten »internen Schutzes« ist eine Annäherung an die Realität in Afghanistan. Mehr als ein Jahr hat PRO ASYL fundierte Kritik geübt, Fakten zusammengetragen und öffentlich einen sachgerechten Bericht gefordert. Nun muss eine Änderung der Entscheidungs- und Anerkennungspraxis eintreten. PRO ASYL fordert Neubewertung aller in den letzten beiden Jahren abgelehnten afghanischen Asylanträge.
Tausende Afghan*innen zu unrecht abgelehnt
In den letzten beiden Jahren ist die Ablehnung afghanischer Asylsuchender rapide gestiegen – in der Regel begründet mit dem Hinweis, Verfolgte hätten an einem anderen Ort in Afghanistan Schutz finden können (Ausweichmöglichkeit). Im Jahre 2017 wurden die Anträge von 56.722 Afghan*innen abgelehnt, vom 1. Januar bis 30. April 2018 waren es 3.768.
Der Lagebericht entzieht allen Hardlinern, die eine härtere Abschiebepraxis in das Kriegs- und Krisenland fordern, die Legitimation.
Die Ablehnungsquote stieg von 22,3 Prozent im Jahre 2015 auf 39,4 Prozent im Jahre 2016 und auf 52,6 Prozent im Jahre 2017. Trotz vom Bundesamt festgestellter Verfolgung wurden Schutzsuchende zu Tausenden zu Unrecht abgelehnt, denn die Ausweichmöglichkeit innerhalb Afghanistans ist und war eine Fata Morgana und dem Willen zu »konsequenter Abschiebung« geschuldet. Der Lagebericht des AA macht das endlich deutlich und entzieht allen Hardlinern, die eine härtere Abschiebepraxis in das Kriegs- und Krisenland fordern, die Legitimation.
Veralteter Bericht – viele Klagen
Gerichte werden überlastet, weil das BAMF basierend auf einer falschen Lagebeurteilung Zehntausende zu Unrecht abgelehnt hat. 71.342 aus 2017 stammende Gerichtsverfahren zu Afghanistan sind anhängig (Bundestagdrucksache 19 /1371, S. 38). UNHCR, PRO ASYL und andere Menschenrechtsorganisationen haben seit Erscheinen des, im Oktober 2016 veröffentlichten und bis jetzt gültigen, Lageberichts fundierte Kritik geübt. Schon damals war er veraltet und entsprach nicht der Realität in Afghanistan.
Sowohl die ablehnenden Asylbescheide als auch die Abschiebungsentscheidungen sind aufgrund dieser Neubewertung der Lage haltlos.
Hunderttausende in Afghanistan auf der Flucht
Sowohl die ablehnenden Asylbescheide als auch die Abschiebungsentscheidungen sind aufgrund dieser Neubewertung der Lage haltlos. Bislang wurde pauschal behauptet, junge afghanische Männer könnten zurückkehren und in Großstädten am Rande des Existenzminimums leben. Obwohl verfolgt, wurden sie im Asylverfahren abgelehnt, die Abschiebung angedroht. Das AA spricht nun davon, dass die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten vor allem im Umfeld größerer Städte durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen sei. Ausweichmöglichkeiten hingen vom Grad der sozialen Verwurzelung, der Ethnie, der finanziellen Lage ab.
»Ausweichmöglichkeiten« existieren nicht
Für eine Vielzahl der nach Deutschland geflohenen Afghanen gibt es deshalb nun auch regierungsamtlich festgestellt keine Ausweichmöglichkeit – weder in Kabul, dem Zielort der Abschiebungen, noch mangels sicherer Reisewege in der Herkunftsregion oder anderswo in Afghanistan. Die sogenannten »inländischen Ausweichmöglichkeiten« gibt es für die Betroffenen in der Realität schlichtweg nicht und sie wären auch nicht erreichbar. Inlandsflüge existieren zwar, sind aber für Abgeschobenen nicht bezahlbar, die Überlandstraßen von den Taliban kontrolliert – was nun auch das AA eindeutig feststellt.
Rückkehr für über Iran Geflüchtete kaum möglich
Erfreulich ist auch die realitätsnähere Darstellung der Rückkehrer aus Iran oder Pakistan. Viele Afghan*innen sind über den Iran nach Europa geflohen. Das AA erkennt nun an, dass sie aufgrund der Sprache erkennbar sein könnten und dass eine lange Abwesenheit aufgrund der fehlenden Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration in Afghanistan erschwert. Soziale und familiäre Netzwerke sind für die Beurteilung der Rückkehrmöglichkeit entscheidend. Wer diese nicht hat – kann nicht zurück.
Rückkehrer haben schweren Stand
Der Bericht verweist auch auf Berichte von EASO, die nahelegen, dass Rückkehrer aus Europa Geld hätten und deshalb entführt werden. Rückkehrer aus Europa werden von der afghanischen Gesellschaft misstrauisch wahrgenommen. Soweit im Lagebericht auf die freiwillige Rückkehr aus dem Iran und Pakistan gewiesen wird, handelt es sich um Rückkehr im Familienverband an angestammte Orte, wo ein Leben gesichert erscheint. Für nach Europa Geflohene heißt dies im Klartext: Sie sind in einer komplett anderen Lebenssituation.