01.06.2016
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Ehrenamtliche Unterstützer*innen von »Moabit hilft« stellen im August 2015 Essen bereit, während Hunderte Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin auf einen Termin zur Registrierung warten. Foto: Björn Kietzmann

Im Sommer 2015 wurde u.a. in Deutschland eine breite Bewegung von Menschen wahrnehmbar, die ankommende Flüchtlinge praktisch unterstützte. Aus spontaner Unterstützung wurde - allen Schwierigkeiten zum Trotz - vielerorts langfristiges Engagement.

»Refu­gees Wel­co­me« hieß das Mot­to des Flücht­lings­tags 2015. Es war das Mot­to einer Viel­zahl von Men­schen, die ab 2014 und noch stär­ker ab Som­mer 2015 began­nen, in Euro­pa und in Deutsch­land ankom­men­de Flücht­lin­ge zu unter­stüt­zen. Die­se Bewe­gung ent­stand als spon­ta­ne Reak­ti­on auf ein vie­ler­orts fest­stell­ba­res staat­li­ches Ver­sa­gen bei der Unter­brin­gung und Ver­sor­gung von Flüchtlingen.

Die Enga­gier­ten, dar­un­ter zahl­rei­che »ehe­ma­li­ge« Flücht­lin­ge, fan­den ein schwie­ri­ges Umfeld vor: Unvor­be­rei­te­te oder unor­ga­ni­sier­te Kom­mu­nen, feh­len­de pro­fes­sio­nel­le Ansprech­part­ner, ein Man­gel an ele­men­ta­ren Sach- und Lebens­mit­teln. So wur­de von Frei­wil­li­gen wur­de getan, was offen­kun­dig getan wer­den muss­te: Ver­sor­gungs­ket­ten und Lot­sen­diens­te wur­den auf­ge­baut, Bera­tun­gen und Beglei­tun­gen zu Behör­den orga­ni­siert, pri­va­te Deutsch­kur­se aus der Tau­fe geho­ben und All­tags­un­ter­stüt­zung geleis­tet. Flücht­lin­ge wur­den an Bahn­hö­fen will­kom­men gehei­ßen und mit Lebens­mit­teln wie Infor­ma­tio­nen zu Auf­ent­halt und Wei­ter­rei­se ver­sorgt. Man­che Grup­pen mach­ten sich sogar auf, im Mit­tel­meer See­not­ret­tung zu betrei­ben oder Flücht­lin­ge auf der Bal­kan­rou­te mit Klei­dung und Essen zu ver­sor­gen. Das Signal war klar und ein­deu­tig: Wir schaf­fen das. Selbst­los, prag­ma­tisch, zupackend.

Breite Basis

Die­ses Bekennt­nis zur Flücht­lings­hil­fe ist kein Sze­ne­pro­jekt. Bin­nen Wochen ent­wi­ckel­te sich eine Viel­zahl loka­ler Netz­wer­ke und Koope­ra­tio­nen, Pro­jek­te und Ange­bo­te für Flücht­lin­ge von Men­schen aus den unter­schied­lichs­ten Berei­chen und Pro­fes­sio­nen, von enga­gier­ten Ein­zel­nen, klei­nen und gro­ßen Ver­ei­nen, sogar aus mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men her­aus bis hin zu Kon­zer­nen. Der Som­mer 2015 hat aller Welt ver­deut­licht, wie breit der gesell­schaft­li­che Kon­sens für eine offe­ne und soli­da­ri­sche Flücht­lings­po­li­tik in Deutsch­land sein kann.

Die prak­ti­sche Arbeit vor Ort war oft nicht ein­fach, nicht sel­ten wur­den frei­wil­li­gen Helfer*innen Stei­ne in den Weg gelegt. Man­cher Unter­kunfts­be­trei­ber ver­wei­ger­te ihnen den Zugang, andern­orts wur­den sie von den Ver­ant­wort­li­chen instru­men­ta­li­siert, etwa um als Streit­schlich­ter tätig zu wer­den, Woh­nun­gen zu möblie­ren oder ande­re staat­li­che Auf­ga­ben zu erfül­len.  Schließ­lich ging auch die gro­ße emo­tio­na­le Belas­tung der Geflüch­te­ten – ihre Geschich­ten, ihr Gesund­heits­zu­stand  und ihre Sor­gen – an den Helfer*innen nicht spur­los vorüber.

Vie­le Ehren­amt­li­che über­nah­men erheb­li­che Ver­ant­wor­tung – dabei ist immer klar gewe­sen: Die Grund­ver­sor­gung der Men­schen ist Auf­ga­be der Behör­den. Ehren­amt­li­che sind weder Ersatz noch Gehil­fen der Behör­den, sie han­deln nicht im staat­li­chen Auf­trag und nicht zwin­gend in der Sphä­re des staat­lich Gewünsch­ten. Sie leis­ten etwas Drit­tes, sehr Wert­vol­les: Sie sor­gen dafür, dass Flücht­lin­ge im All­tag ankom­men, Anschluss fin­den und in unse­re Gesell­schaft ein­be­zo­gen werden.

Durch das Anwach­sen der flücht­lings­feind­li­chen Stim­mung infol­ge der Ober­gren­zen­de­bat­te und der Aggres­si­on durch AfD, Pegi­da und ande­re schien die Flücht­lings­be­we­gung zeit­wei­se dis­kre­di­tiert: Die Medi­en berich­te­ten zuneh­mend über über­for­der­te Ehren­amt­li­che, unglück­li­che Anwohner*innen und Alarm schla­gen­de Bür­ger­meis­ter. Wer jedoch dar­auf war­te­te, dass mit fort­schrei­ten­der Zeit die staat­li­chen Struk­tu­ren und die Frei­wil­li­gen voll­ends zusam­men­bre­chen wür­den, sah sich getäuscht.

Langfristiges Engagement

Das Enga­ge­ment 2015 war kein Stroh­feu­er. Vie­le Enga­gier­te sind dabei geblie­ben und mitt­ler­wei­le in län­ger­fris­ti­gem Frei­zeit-Enga­ge­ment gebun­den. Nicht alles läuft gut, aber vie­les. Das Ange­bot umfasst zahl­lo­se sozia­le Treff­punk­te und Paten­schaf­ten, Stadt­plä­ne und Wel­co­me-Gui­des, Sport­an­ge­bo­te, Musik- und Thea­ter­pro­jek­te, Bil­dungs­an­ge­bo­te, die orga­ni­sier­te Ein­rich­tung von Inter­net­zu­gän­gen, kos­ten­freie Inter­net­deutsch­kur­se, freie Wör­ter­bü­cher und Han­dy-Apps, Wohn­raum- und Job­ver­mitt­lung und vie­les mehr.

Die neu­en Geset­ze indes erschwe­ren die Inte­gra­ti­on von Flücht­lin­gen eher, als dass sie sie för­dern. Die Stig­ma­ti­sie­rung bestimm­ter Flücht­lings­grup­pen und die Ver­schär­fung des Abschie­bungs­re­gimes empö­ren vie­le Unterstützer*innen, die die Lebens­ge­schich­ten der Flücht­lin­ge ken­nen und sich die Gren­zen ihres Enga­ge­ments nicht von den Behör­den vor­schrei­ben las­sen wollen.

Vie­le Ehren­amt­li­che sind in Kir­chen­ge­mein­den aktiv, die in Not­fäl­len auch Kir­chen­asyl gewäh­ren. Frü­her oder spä­ter wer­den die Frei­wil­li­gen über die All­tags­hil­fe hin­aus mit dra­ma­ti­schen Din­gen kon­fron­tiert wer­den: Ein abge­lehn­ter Asyl­an­trag, krank machen­de Zustän­de in der Mas­sen­un­ter­kunft, ein ver­hin­der­ter Fami­li­en­nach­zug. Das ver­langt von den Lai­en hohe emo­tio­na­le Kom­pe­tenz, unter Umstän­den die Aus­ein­an­der­set­zung mit kom­pli­zier­ten Rechts­fra­gen und nicht sel­ten auch prak­ti­schen und poli­ti­schen Widerspruchsgeist.

Auch wenn Flüchtlingsunterstützer*innen für Behör­den und Poli­tik oft unbe­quem sind: Sie tre­ten den prak­ti­schen Beweis dafür an, dass die­je­ni­gen nicht Recht behal­ten, die behaup­ten, die Gesell­schaft sei mit der Auf­nah­me von Flücht­lin­gen über­for­dert. Das brei­te zivil­ge­sell­schaft­li­che Enga­ge­ment ist im Gegen­teil eine gro­ße Chan­ce – für eine Demo­kra­tie, in der nicht Res­sen­ti­ments und Aus­gren­zung domi­nie­ren, son­dern geleb­te Soli­da­ri­tät und ein fried­li­ches Miteinander.

Andrea Kothen

(Die­ser Bei­trag erschien im Juni 2016 im Heft zum Tag des Flücht­lings 2016.)


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