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Proteste gegen das Asylpaket II in Berlin. Foto: Björn Kietzmann

Seit dem 17. März 2016 gilt das sogenannte Gesetz zur „Einführung beschleunigter Asylverfahren“ – kurz Asylpaket II. PRO ASYL und zahlreiche andere Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen hatten das Gesetz vehement abgelehnt. Was wurde nun beschlossen? Was folgt aus dem „Asylpaket II“ für die Betroffenen? Ein Überblick.

Im Fol­gen­den fas­sen wir die wich­tigs­ten Neue­run­gen zusam­men, die ent­spre­chen­den Geset­zes­pa­ra­gra­phen fin­den sich Klam­mern. Das voll­stän­di­ge Gesetz fin­det sich als PDF auf der Sei­te des Bun­des­ge­setz­blatts.

Änderungen im Asylgesetz

Beschleu­nig­te Ver­fah­ren (§ 30a AsylG)

Durch das Paket wer­den neue beschleu­nig­te Asyl­ver­fah­ren ein­ge­führt. Sie sol­len in soge­nann­ten „beson­de­ren Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen“ statt­fin­den. Dort soll inner­halb einer Woche über einen Asyl­an­trag ent­schie­den wer­den, bei einer Ableh­nung erfolgt die Abschie­bung aus der Ein­rich­tung her­aus inner­halb von drei Wochen. Gelingt die Ver­fah­rens­be­ar­bei­tung nicht inner­halb die­ser Frist, wer­den regu­lä­re Asyl­ver­fah­ren durchgeführt.

Fol­gen­de Per­so­nen­grup­pen sind von den beschleu­nig­ten Ver­fah­ren betroffen:

  • Asyl­su­chen­de aus „siche­ren Herkunftsstaaten“,
  • Per­so­nen, die die Behör­den durch fal­sche Anga­ben oder Doku­men­te oder durch Ver­schwei­gen bzw. Zurück­hal­tung von Infor­ma­tio­nen offen­sicht­lich getäuscht haben,
  • Per­so­nen, die Iden­ti­täts­do­ku­men­te mut­wil­lig ver­nich­tet oder besei­tigt haben oder bei denen die Umstän­de die Ver­mu­tung hier­für nahelegen,
  • Folgeantragssteller/innen
  • Per­so­nen, die den Antrag nur zur Ver­zö­ge­rung oder Behin­de­rung einer bereits getrof­fe­nen Ent­schei­dung, die zur Abschie­bung füh­ren wür­de, gestellt haben,
  • Per­so­nen, die sich wei­gern ihre Fin­ger­ab­drü­cke für die EURO­DAC-Datei abzugeben
  • Per­so­nen, die aus Grün­den der öffent­li­chen Sicher­heit und Ord­nung aus­ge­wie­sen wurden.

Den Umstand, dass Asyl­su­chen­de ohne Rei­se­do­ku­men­te hier ankom­men, als Aus­schluss­grund vom regu­lä­ren Asyl­ver­fah­ren zu wer­ten, ist völ­lig unver­ant­wort­lich. Denn der über­wie­gen­de Teil der Asyl­su­chen­de ist gezwun­gen, ohne Päs­se nach Deutsch­land zu kom­men, weil sie von den Staa­ten, die sie ver­folgt haben, gar kei­ne Doku­men­te erhal­ten kön­nen. Die geplan­te Rege­lung ermög­licht es daher, das „beschleu­nig­te Asyl­ver­fah­ren“ zum Stan­dard­ver­fah­ren zu machen.

Nicht­be­trei­ben des Ver­fah­rens (§ 33 AsylG)

Wenn Asyl­su­chen­de ihr Ver­fah­ren nicht wei­ter­be­trei­ben, gilt der Asyl­an­trag als zurück­ge­nom­men. Dies wird nun auch dann ver­mu­tet, wenn Asyl­su­chen­de die beson­de­re Auf­nah­me­ein­rich­tung ohne Zustim­mung der zustän­di­gen Behör­de ver­las­sen. Eine Ver­let­zung der Resi­denz­pflicht kann des­halb zur Aus­set­zung des Asyl­ver­fah­rens füh­ren. Nur ein­mal ist es Betrof­fe­nen mög­lich, in die Auf­nah­me­ein­rich­tung zurück­zu­keh­ren und das Asyl­ver­fah­ren wie­der zu betrei­ben. Bei einem zwei­ten Ver­stoß ist eine Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens ausgeschlossen.

Die geplan­te Rege­lung ver­stößt den Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz, die Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und die Gen­fer Flüchtlingskonvention.

Ein sol­cher Aus­schluss vom Asyl­ver­fah­ren ist völ­lig unver­hält­nis­mä­ßig. Denn die Kon­se­quenz die­ser Rege­lung ist, dass  bei­spiels­wei­se Fol­gen­des pas­sie­ren kann: Wegen eines Besuchs von Freun­den in einem ande­ren Ort kommt es zum Aus­schluss vom Asyl­ver­fah­ren. Dem Betrof­fe­nen droht die Abschie­bung ins Her­kunfts­land, wo ihm womög­lich Fol­ter und ande­re schwe­ren Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen dro­hen. Die geplan­te Rege­lung ver­stößt nicht nur gegen den Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz, son­dern ist auch mit der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, die vor Abschie­bung in den Fol­ter­staat abso­lut schützt, und der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on nicht vereinbar.

Änderungen im Aufenthaltsgesetz

Aus­set­zung der Abschie­bung nur bei schwe­rer oder lebens­be­droh­li­cher Erkran­kung (§ 60 Abs. 7 AufenthG)

Von Abschie­bun­gen ist nach dem Auf­ent­halts­ge­setz abzu­se­hen, wenn dem Betrof­fe­nen eine kon­kre­te Gefahr droht. Durch das Asyl­pa­ket II wird der Begriff der „kon­kre­ten Gefahr“ defi­niert: Sie lie­ge nur bei einer lebens­be­droh­li­chen oder schwer­wie­gen­den Erkran­kung vor. Exis­tiert eine soge­nann­te „inlän­di­sche Gesund­heits­al­ter­na­ti­ve“, ist also die Behand­lung in min­des­tens einem Teil des Ziel­staats gewähr­leis­tet, darf abge­scho­ben werden.

Mit der Rea­li­tät hat dies nichts zu tun. In vie­len Staa­ten ist es nicht ein­fach so mög­lich, von einem Gebiet in das nächs­te zu gelan­gen und dort medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung in Anspruch zu nehmen.

In der Geset­zes­be­grün­dung wird zudem behaup­tet, dass Post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen (PTBS) nicht als schwer­wie­gen­de Erkran­kung anzu­se­hen sei­en und die­se damit kein Abschie­bungs­hin­der­nis dar­stel­len wür­den. Die Bun­des­psy­cho­the­ra­peu­ten­kam­mer hält dem ent­ge­gen, dass es sich bei PTBS sehr wohl regel­mä­ßig um eine schwer­wie­gen­de Erkran­kung han­deln wür­de. Die neu­en Rege­lun­gen sei­en „fach­lich nicht fun­diert, inhu­man und lebens­ge­fähr­dend.“ Aber nicht nur eine nicht behan­del­te PTBS kann im Her­kunfts­land im schlimms­ten Fall zum Sui­zid füh­ren – auch ande­re schwer­wie­gen­de Krank­hei­ten kön­nen unbe­han­delt lebens­be­droh­lich sein.

Neue Ver­mu­tungs­re­geln bei Abschie­bun­gen (§ 60a Abs. 2c und 2d AufenthG)

Es wird gesetz­lich ver­mu­tet, dass der Abschie­bung kei­ne gesund­heit­li­chen Grün­de ent­ge­gen­ste­hen. Der Amts­er­mitt­lungs­grund­satz der Behör­den wird damit aus­ge­he­belt und die Betrof­fe­nen müs­sen selbst der Abschie­bung ent­ge­gen­ste­hen­de Grün­de nach­wei­sen. Dies kann nur durch eine qua­li­fi­zier­te ärzt­li­che Beschei­ni­gung gesche­hen. Psy­cho­lo­gi­sche Gut­ach­ten sind expli­zit davon aus­ge­nom­men, stel­len also kein Gut­ach­ten dar, das gegen eine Abschie­bung spre­chen könn­te. Auch die Post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­rung (PTBS) ist nach dem Gesetz­ge­ber kein Hin­de­rungs­grund für eine Abschiebung.

Die Neu­re­ge­lung unter­gräbt das Grund­recht auf Leben und kör­per­li­che Unversehrtheit.

Zugleich müs­sen Betrof­fe­ne ärzt­li­che Beschei­ni­gun­gen unver­züg­lich vor­le­gen. Ver­letzt der Betrof­fe­ne die Pflicht zur unver­züg­li­chen Vor­le­gung des Attests, muss die Behör­de etwa­ige gesund­heit­li­che Pro­ble­me nicht mehr berücksichtigen.

In der Pra­xis wird es kaum mög­lich sein, der­art schnell ein qua­li­fi­zier­tes ärzt­li­ches Gut­ach­ten der Behör­de vor­zu­le­gen. Des­we­gen steht zu befürch­ten, dass Betrof­fe­ne ohne ärzt­li­che Unter­su­chung abge­scho­ben wer­den. Die Neu­re­ge­lung unter­gräbt das Grund­recht auf Leben und kör­per­li­che Unversehrtheit.

Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te (§ 104 AufenthG)

Der Fami­li­en­nach­zug für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te wird für zwei Jah­re voll­stän­dig aus­ge­setzt. Sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te sind jene Flücht­lin­ge, die nicht die Vor­aus­set­zun­gen der Flücht­lings­ei­gen­schaft nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on erfül­len, denen aber in ihrem Her­kunfts­staat eine ernst­haf­te Bedro­hung droht (Todes­stra­fe, Fol­ter, unmensch­li­che Behand­lung). Sie dür­fen daher nicht abge­scho­ben werden.

Es wird eine gene­rel­le War­te­frist von zwei Jah­ren ein­ge­führt, bevor ein Fami­li­en­nach­zug statt­fin­den kann. Dies wird de fac­to zu einer Fami­li­en­tren­nung von vier bis fünf Jah­ren füh­ren. Denn schon ohne die neue War­te­frist sind Fami­li­en auf­grund der Flucht oft­mals lan­ge getrennt. Die Dau­er des Asyl­ver­fah­rens in Deutsch­land beträgt z.B. für Afgha­nen oft­mals mehr als 12 Mona­te. Erst nach posi­ti­vem Asyl­be­scheid kann ein Antrag auf Fami­li­en­nach­zug gestellt wer­den. Das dann fol­gen­de Bot­schafts­ver­fah­ren dau­ert eben­falls rund ein Jahr.

Kommt es zu der nun geplan­ten War­te­frist von zwei Jah­ren wer­den Fami­li­en de fac­to auf Jah­re getrennt. Dies ist mit dem Grund­recht auf Schutz der Fami­lie (Art. 6 GG) nicht zu ver­ein­ba­ren. Für unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge ist die Ver­schär­fung am fol­gen­schwers­ten: Wer­den sie in den zwei Jah­ren voll­jäh­rig, haben sie den Anspruch auf Nach­zug ihrer Eltern ver­lo­ren. Sie sind also dau­er­haft von ihren nächs­ten Ange­hö­ri­gen getrennt.

Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz

Kür­zung des Barbetrags

Bis zu acht Euro wer­den Asyl­su­chen­den pau­schal vom Bar­geld­be­trag abge­zo­gen (§ 3 Abs. 1 S. 8 Asyl­blG). Die­ser wird für Inan­spruch­nah­me von Inte­gra­ti­ons­kur­sen ver­wen­det, obschon vie­le Asyl­su­chen­de von die­sen gesetz­lich aus­ge­schlos­sen sind.  Denn nur ein Bruch­teil der Asyl­su­chen­den hat aktu­ell Zugang zu einem Integrationskurs.

Das BAMF hat im Janu­ar mit­ge­teilt, dass von 30.000 Anträ­gen von Asyl­su­chen­den nur 15.000 einen Bescheid erhal­ten hät­ten, der ihnen den Zugang zu einem Sprach­kurs ermög­li­chen wür­de. Für alle ande­ren wird hier also eine Kür­zung vor­ge­nom­men, obwohl sie nicht an einem staat­lich geför­der­ten Sprach­kurs teilnehmen.

Neu­er Ankunftsnachweis

Das Daten­aus­tausch­ver­bes­se­rungs­ge­setz ist unab­hän­gig vom Asyl­pa­ket II ver­ab­schie­det wor­den. Kern war die Ein­füh­rung eines neu­en Ankunfts­nach­wei­ses. Die­sen erhal­ten Asyl­su­chen­de nun in der Zeit zwi­schen ihrer Regis­trie­rung und der Asyl­an­trags­stel­lung. Nur mit dem Ankunfts­nach­weis ist ihnen der Bezug von sozia­len Leis­tun­gen möglich.


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