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2016 sind über 5.000 Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa ertrunken. Nur die vielen zivilen Seenotretter verhinderten noch mehr Tote im Mittelmeer. Hier ist das Team von SOS Méditerranée unter widrigsten Bedingungen im Einsatz. Foto: Kevin McElvaney / SOS Méditerranée

Rund 64 Millionen Menschen waren laut UNHCR 2016 weltweit auf der Flucht. Die meisten von ihnen leben als Binnenvertriebene in ihrem Herkunftsland oder in Nachbarregionen. Nur knapp drei Prozent aller Flüchtlinge kommen überhaupt in die EU. Das liegt auch daran, dass Europa sich zunehmend abschottet und immer mehr Menschen auf der Flucht umkommen.

Cir­ca 321.000 Flücht­lin­ge wur­den 2016 im EASY-Sys­tem regis­triert. Damit haben deut­lich weni­ger Flücht­lin­ge Deutsch­land erreicht als im Vor­jahr. Doch auch die Flücht­lings­zahl für das Jahr 2015 muss­te die Bun­des­re­gie­rung nach unten kor­ri­gie­ren: Aus den kol­por­tier­ten 1,1 Mil­lio­nen wur­den nach Berei­ni­gung der Unge­nau­ig­kei­ten des EASY-Sys­tems 890.000 Schutzsuchende.

Vie­le der bereits 2015 Ein­ge­reis­ten konn­ten erst 2016 ihren Asyl­an­trag stel­len. Die Zahl der Anträ­ge ist 2016 daher deut­lich gestie­gen: Ins­ge­samt gab es rund 722.000 Neu- und cir­ca 23.000 Fol­ge­an­trä­ge. Ent­spre­chend erreich­te sowohl die Zahl der Asy­l­ent­schei­dun­gen (cir­ca 696.000) als auch die Zahl der noch lau­fen­den Asyl­ver­fah­ren einen Rekord­wert:  Knapp 434.000 Men­schen war­te­ten Ende 2016 auf die Ent­schei­dung über ihren Asylantrag.

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Woher stam­men die Flücht­lin­ge, die nach Deutsch­land gekom­men sind? Die Easy-Regis­trie­run­gen im Jahr 2016. Quel­le: BAMF Asyl­ge­schäfts­sta­tis­tik 12 / 2016, Gra­fik: PRO ASYL

Über ein Jahr von Einreise bis Entscheidung

Durch­schnitt­lich ver­geht über ein Jahr von der Ein­rei­se bis zur Ent­schei­dung über einen Asyl­an­trag. Je nach Her­kunfts­land war­ten die Betrof­fe­nen deut­lich län­ger. Die Bear­bei­tungs­zeit liegt im Schnitt bei sie­ben Mona­ten. Hin­zu kommt eine War­te­zeit von durch­schnitt­lich knapp sechs Mona­ten, bis über­haupt ein Asyl­an­trag gestellt wer­den kann.

Das sind nicht nur Jah­re quä­len­der Unsi­cher­heit, son­dern oft auch ver­lo­re­ne Jah­re für die Integration.

Ver­gleichs­wei­se schnel­ler erhiel­ten  syri­sche Flücht­lin­ge 2016 den dring­lich erwar­te­ten Bescheid des BAMF. Doch auch bei ihnen lagen zwi­schen Ein­rei­se und der Ent­schei­dung über ihren Asyl­an­trag in der Regel zehn Mona­te. Bei soma­li­schen Flücht­lin­gen dau­ert allein das Ver­fah­ren ein­ein­halb Jah­re, mit der War­te­zeit zur Antrags­stel­lung braucht es im Durch­schnitt mehr als zwei Jah­re bis zur Entscheidung.

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Dau­er der Asyl­ver­fah­ren 2016 (in Mona­ten). Quel­le: Bun­des­tags­druck­sa­che 18/11262, Gra­fik: PRO ASYL
> 50.000

Asyl­an­trä­ge, über die seit über 1,5 Jah­ren nicht ent­schie­den wur­de, gab es Ende 2016.

Ende 2016 gab es über 50.000 Asyl­an­trä­ge, bei denen nach über 1,5 Jah­ren immer noch kei­ne Ent­schei­dung getrof­fen wur­de. Bei knapp 35.000 davon sind sogar schon mehr als zwei Jah­re seit der Antrags­stel­lung ver­gan­gen. Das sind nicht nur zwei Jah­re quä­len­der Unsi­cher­heit, son­dern oft auch zwei ver­lo­re­ne Jah­re für die Inte­gra­ti­on der Neuankömmlinge.

Fast drei Viertel erhalten Schutz in Deutschland

Mit 65 Pro­zent kam der Groß­teil der Schutz­su­chen­den 2016 aus Syri­en, Afgha­ni­stan, Irak, Iran und Eri­trea und damit aus Län­dern, in denen Krieg herrscht oder poli­ti­sche Ver­fol­gung an der Tages­ord­nung ist. Zurück­ge­gan­gen ist die Zahl der Ein­rei­sen aus den Westbalkanstaaten.

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Ent­schei­dun­gen des Bun­des­am­tes (BAMF) 2016. Bear­bei­tet wur­den 695.733 Asyl­an­trä­ge. Quel­le: BAMF Schlüs­sel­zah­len Asyl 2016, Gra­fik: PRO ASYL

Die meis­ten Flücht­lin­ge erhiel­ten einen Schutz­sta­tus, sie blei­ben also für län­ge­re Zeit. Rech­net man die inhalt­lich nicht geprüf­ten Fäl­le her­aus, ergibt sich eine berei­nig­te Gesamt­schutz­quo­te von 71,4 Pro­zent (173.846 Ableh­nun­gen bei 607.766 inhalt­lich geprüf­ten Anträ­gen). Bei fast drei Vier­teln aller Flücht­lin­ge erkann­te das BAMF 2016 also an, dass es berech­tig­te Flucht­grün­de gab! 2015 lag die­ser Wert noch bei 60,4 Prozent.

Oft nur Schutz minderer Qualität 

Die ins­ge­samt hohe Schutz­quo­te darf über eines nicht hin­weg­täu­schen: Die Qua­li­tät des erteil­ten Schut­zes ist 2016 signi­fi­kant gesun­ken. Deut­lich häu­fi­ger wur­de nur sub­si­diä­rer Schutz erteilt. Beson­ders dras­tisch zeigt sich dies bei syri­schen Flücht­lin­gen. Über ein Vier­tel der Afghan*innen erhiel­ten 2016 nur ein Abschie­be­ver­bot und damit den schwächs­ten Schutzstatus.

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Sin­ken­de Schutz­qua­li­tät, mehr Ableh­nun­gen: Inhalt­li­che Ent­schei­dun­gen im Jah­res­ver­gleich 2015/2016. Quel­le: BAMF, Gra­fik: PRO ASYL

Hin­zu kommt eine noch här­te­re Gang­art bei bestimm­ten Her­kunfts­län­dern: Wäh­rend Asyl­be­geh­ren syri­scher und eri­tre­ischer Flücht­lin­ge kaum abge­lehnt wur­den, stieg der Anteil der Schutz­su­chen­den aus Iran, Irak und Afgha­ni­stan, denen jeg­li­cher Schutz ver­wehrt wur­de, dra­ma­tisch an.

Aus Afgha­ni­stan und dem Iran wur­de mehr als ein Drit­tel aller Anträ­ge als unbe­grün­det abge­lehnt und gut ein Fünf­tel der ira­ki­schen Flücht­lin­ge blieb 2016 schutz­los! Auch bei wei­te­ren Her­kunfts­län­dern mit signi­fi­kan­ten Flücht­lings­zah­len (Russ­land, Tür­kei, Ukrai­ne, Nige­ria, Äthio­pi­en, Paki­stan) ist die Ableh­nungs­quo­te teils deut­lich gestiegen.

Die Ent­schei­dungs­pra­xis ist damit im Jahr 2016 ins­ge­samt repres­si­ver gewor­den, obwohl sich die Situa­ti­on in den meis­ten Her­kunfts­län­dern nicht ver­bes­sert hat.

Familien auf Jahre getrennt

Kei­nes­falls sind es übri­gens, wie gern behaup­tet wird, »nur jun­ge, allein­ste­hen­de Män­ner«, die Asyl in Deutsch­land suchen. Mehr als ein Drit­tel der Schutz­su­chen­den ist weib­lich. Rund 36 Pro­zent sind min­der­jäh­rig, dar­un­ter vie­le Kin­der unter 12 Jah­ren. Unter den Män­nern sind zudem vie­le Fami­li­en­vä­ter. Häu­fig neh­men sie die gefähr­li­che Rei­se in der Hoff­nung auf sich, ihre Fami­lie spä­ter auf siche­rem Wege nach­ho­len zu können.

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Asyl­an­trä­ge nach Alters­grup­pen und Geschlecht 2016. Quel­le: BAMF Asyl­ge­schäfts­sta­tis­tik 2016, Gra­fik: PRO ASYL

Die­se Hoff­nung wird aller­dings immer öfter ent­täuscht, denn die ver­mehr­te Ertei­lung ledig­lich sub­si­diä­ren Schut­zes hat schwer­wie­gen­de Fol­gen. Mit dem Asyl­pa­ket II wur­de 2016 der Fami­li­en­nach­zug für Men­schen mit die­sem Schutz­sta­tus bis März 2018 aus­ge­setzt. Vie­le Flücht­lin­ge blei­ben so auf Jah­re von ihren Fami­li­en getrennt. Anzu­neh­men ist, dass hin­ter die­ser Geset­zes­än­de­rung auch ein poli­ti­sches Kal­kül zur Begren­zung der Gesamt­flücht­lings­zahl steckt.

Auch die Abschiebungen nehmen zu

Die ver­mehr­ten Ableh­nun­gen zei­gen Fol­gen: Die Zahl der Abschie­bun­gen aus Deutsch­land hat im Jahr 2016 im vier­ten Jahr in Fol­ge einen neu­en Höchst­stand erreicht. Von den über 25.000 Abschie­bun­gen betra­fen rund 75 Pro­zent die West­bal­kan­staa­ten, die zu »siche­ren Her­kunfts­län­dern« erklärt wurden.

25.000

Men­schen hat Deutsch­land 2016 abgeschoben.

Auch in die Maghreb-Staa­ten und nach Afgha­ni­stan wur­de 2016 deut­lich häu­fi­ger abge­scho­ben als im Vor­jahr, die abso­lu­ten Zah­len sind hier aller­dings noch gering, da erst zu Jah­res­en­de ver­stärkt damit begon­nen wur­de. Rund 55.000 Men­schen sind zudem »frei­wil­lig aus­ge­reist«, auch hier vor allem in die Westbalkanstaaten.

Europäische Flüchtlingspolitik? Funktioniert nicht.

Deutsch­land taucht 2016 erst­mals in den Top 10 der Auf­nah­me­län­der auf. In Deutsch­land wur­den mehr Asyl­an­trä­ge gestellt als in allen ande­ren EU-Staa­ten zusam­men. Auch bezo­gen auf die Ein­woh­ner­zahl lag Deutsch­land 2016 mit cir­ca 8 Asyl­an­trä­gen pro 1000 Ein­woh­ner in Euro­pa an ers­ter Stelle.

Eine gemein­sa­me euro­päi­sche Flücht­lings­po­li­tik exis­tiert de fac­to nicht. Effek­ti­ve Zusam­men­ar­beit gibt es aus­schließ­lich in Abschottungs‑, nicht aber in Auf­nah­me­fra­gen. Das Dub­lin-Sys­tem lässt die Staa­ten an der EU-Außen­gren­ze allein und sorgt für einen Wust an Büro­kra­tie. Gemes­sen an den Gesamt­zah­len hat es kaum Auswirkungen:

Das Dub­lin-Sys­tem lässt die Staa­ten an der EU-Außen­gren­ze allein und sorgt für einen Wust an Bürokratie.

4.000

Dub­lin-Abschie­bun­gen, aber auch

12.000

Über­stel­lun­gen nach Deutsch­land. Das Dub­lin-Sys­tem ist ein irr­sin­ni­ger Verschiebebahnhof.

2016 gab es aus Deutsch­land knapp 4.000 Dub­lin-Abschie­bun­gen in ande­re EU-Staa­ten, gleich­zei­tig wur­den rund 12.000 Flücht­lin­ge nach Deutsch­land über­stellt.  In knapp 40.000 Fäl­len hat Deutsch­land zudem sein Selbst­ein­tritts­recht aus­ge­übt und auf eine Dub­lin-Abschie­bung ver­zich­tet. Bedenk­lich ist, dass Deutsch­land Flücht­lin­ge auch in Staa­ten wie Bul­ga­ri­en oder Ungarn zurück­schickt, in denen sie kata­stro­pha­le Ver­hält­nis­se erwarten.

Um ins­be­son­de­re Grie­chen­land und Ita­li­en zu ent­las­ten, hat die Euro­päi­sche Uni­on schon im Sep­tem­ber 2015 einen Relo­ca­ti­on-Plan ver­kün­det. 160.000 Flücht­lin­ge soll­ten inner­halb von zwei Jah­ren umver­teilt wer­den. Die trau­ri­ge Bilanz: Gera­de mal 18.865 Men­schen wur­den bis Mit­te Mai 2017 in ande­re EU-Län­der aus­ge­flo­gen, 4.742 davon nach Deutsch­land. Däne­mark, Groß­bri­tan­ni­en, Island, Öster­reich, Polen und Ungarn haben bis­lang gar kei­ne Per­so­nen im Rah­men des Pro­gramms aufgenommen.

Das tödlichste Jahr im Mittelmeer

2016 war ein Jahr mit vie­len Rekord­wer­ten. Der trau­rigs­te bleibt aller­dings: Über 5.000 Men­schen sind auf der Flucht im Mit­tel­meer ertrun­ken, die Dun­kel­zif­fer dürf­te noch höher sein. Dazu kom­men Tau­sen­de, die ihr Leben bereits in den Grenz­ge­bie­ten im Nahen Osten oder in der Wüs­te Nord­afri­kas verlieren.

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Quel­le: UNHCR, Dead and miss­ing at sea, Gra­fik: PRO ASYL

Das ist auch ein Ergeb­nis des EU-Tür­kei-Deals, in des­sen Fol­ge die kür­ze­re und damit im Ver­gleich weni­ger gefähr­li­che Ägä­is-Rou­te qua­si geschlos­sen wur­de. Auf der zen­tra­len Mit­tel­meer­rou­te ist, Berech­nun­gen von Ärz­te ohne Gren­zen zufol­ge, im ver­gan­ge­nen Jahr etwa jeder 41.Flüchtling ums Leben gekommen

Die Flucht nach Euro­pa wird also immer lebens­ge­fähr­li­cher, auch weil die EU mehr und mehr auf Abschot­tung setzt. Und es muss befürch­tet wer­den, dass die­se schreck­li­che Situa­ti­on sich auch 2017 fort­setzt: Anfang Mai sind bereits wei­te­re 1.300 Men­schen auf dem Weg nach Euro­pa ertrunken.

Max Klöck­ner


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