06.10.2021

Am 7. Okto­ber wird bei einem High-level Resett­le­ment Forum der Euro­päi­schen Uni­on über die zukünf­ti­ge Auf­nah­me aus Afgha­ni­stan bera­ten. Nur ver­hält­nis­mä­ßig weni­ge Orts­kräf­te und ande­re gefähr­de­te Per­so­nen konn­ten bis­lang über die Eva­ku­ie­run­gen geret­tet wer­den. PRO ASYL for­dert die Bun­des­re­gie­rung auf, sich für groß­zü­gi­ge Auf­nah­me­pro­gram­me der EU-Staa­ten einzusetzen. 

Beim mor­gen statt­fin­den­den, vir­tu­el­len EU-Forum, zu dem EU-Innen­kom­mis­sa­rin Ylva Johans­son und der Außen­be­auf­trag­te Josep Bor­rell gela­den hat­ten, wer­den Außenminister*innen der EU, Innenminister*innen, Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te sowie Vertreter*innen von UNHCR und IOM teil­neh­men. Mit Blick auf die Auf­nah­men gefähr­de­ter Afghan*innen kri­ti­siert PRO ASYL die har­te Hal­tung von EU-Staa­ten wie Öster­reich und for­dert die Bun­des­re­gie­rung auf, mit groß­zü­gi­gen Auf­nah­me­zu­sa­gen vor­an­zu­ge­hen. „Gefähr­de­te Men­schen in Afgha­ni­stan, bei denen jeden Tag die Tali­ban vor der Tür ste­hen könn­ten, kön­nen nicht auf lang­wie­ri­ge Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen in Deutsch­land war­ten. Es braucht sofort ein Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm und Noch-Innen­mi­nis­ter Horst See­ho­fer muss sei­ne Blo­cka­de­hal­tung gegen­über Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­men auf­ge­ben“, erklärt Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Fol­gen­de Schrit­te zur Auf­nah­me sind nötig: 

  1. Bun­des­auf­nah­me­pro­gram­me für beson­ders gefähr­de­te Verteidiger*innen von Demo­kra­tie und Men­schen­rech­ten aus Afgha­ni­stan müs­sen rea­li­siert werden. 

Dies ist eine Auf­ga­be für die noch amtie­ren­de Bun­des­re­gie­rung, denn es kommt auf jeden ein­zel­nen Tag an. Die Eva­ku­ie­rungs­lis­te des Bun­des, für die sich bedroh­te Menschenrechtsaktivist*innen bin­nen weni­ger Wochen regis­trie­ren konn­ten und die Ende August über­ra­schend geschlos­sen wur­de, muss wie­der geöff­net wer­den. PRO ASYL begrüßt die Ankün­di­gung der Bun­des­re­gie­rung, in den kom­men­den Mona­ten zwei­hun­dert gefähr­de­te Afgha­nen pro Woche über Paki­stan eva­ku­ie­ren zu wol­len, kri­ti­siert aber die viel zu nied­ri­ge Zahl. „Die Auf­nah­me von 200 Men­schen pro Woche ist ange­sichts der kata­stro­pha­len und lebens­be­dro­hen­den Lage für vie­le Afghan*innen völ­lig unzu­rei­chend“, sagt Burk­hardt. „Wenn 200 Men­schen pro Woche aus­ge­flo­gen wer­den, wür­de allein die Aus­rei­se der bis­her vor­ge­se­he­nen 10.000 Afghan*innen 50 Wochen dau­ern – also fast ein Jahr. Deren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge sind da noch gar nicht mit­ein­be­zo­gen.“ Das Aus­wär­ti­ge Amt nann­te Ende August eine Zahl von rund 40.000 Men­schen (inklu­si­ve Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge), was PRO ASYL für zu nied­rig bemes­sen hält. Hin­zu kommt, dass selbst die Aus­rei­se von 200 Men­schen pro Woche der­zeit unrea­lis­tisch scheint, da Paki­stan die Gren­ze dicht gemacht hat. „Des­halb ist es jetzt wich­tig, dass die EU mit Paki­stan und ande­ren Nach­bar­staa­ten Ver­hand­lun­gen führt mit dem Ziel, dass sie bedroh­te Afghan*innen ein­rei­sen las­sen und ihnen dann Aus­rei­se­ge­neh­mi­gun­gen ertei­len“, erklärt Burkhardt.

  1. Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me für Afghan*innen, die einen Bezug zu Deutsch­land haben, müs­sen vom Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um end­lich geneh­migt werden. 

Gefähr­de­te Afghan*innen, die Ver­wand­te in Deutsch­land haben, soll­ten von den ent­spre­chen­den Bun­des­län­dern unbü­ro­kra­tisch auf­ge­nom­men wer­den. Hier­zu muss das Innen­mi­nis­te­ri­um sein OK geben. „Statt die Auf­nah­me aller Gefähr­de­ten effek­tiv zu orga­ni­sie­ren, über­bie­ten sich die EU-Staa­ten dar­in, die Zahl der Gefähr­de­ten klein­zu­re­den“, kri­ti­siert Burk­hardt. Statt die­sen Kurs fort­zu­set­zen, müs­sen die Bun­des­län­der und die Regio­nen in Euro­pa stär­ker ein­ge­bun­den werden.

  1. Der Fami­li­en­nach­zug zu in Deutsch­land leben­den Afghan*innen muss beschleu­nigt und ver­ein­facht wer­den, um die Men­schen sicher zu ihren Ver­wand­ten zu holen.

„Bis­her über­haupt nicht berück­sich­tigt wur­den gefähr­de­te Fami­li­en, deren enge Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge in Deutsch­land leben und denen der Fami­li­en­nach­zug recht­lich zusteht. Uns sind allein 4000 unbe­ar­bei­te­te Anträ­ge auf Fami­li­en­nach­zug aus Afgha­ni­stan bekannt“, sagt Burk­hardt. Der Fami­li­en­nach­zug stockt seit Jah­ren. Die Kapa­zi­tä­ten zur Bear­bei­tung der Visa­an­trä­ge müs­sen gestei­gert wer­den. Ange­sichts der dra­ma­ti­schen Lage in Afgha­ni­stan muss jeder Spiel­raum genutzt wer­den. Außer­dem dür­fen beim Fami­li­en­nach­zug ledi­ge erwach­se­ne Töch­ter und Söh­ne, die allei­ne zurück­blei­bend oft stark gefähr­det wären, nicht außen vor blei­ben. Über den § 36 Abs. 2 Auf­enthG kön­nen auch Fami­li­en­mit­glie­der außer­halb der Kern­fa­mi­lie auf­ge­nom­men wer­den. Dies muss aktiv genutzt wer­den, denn „die Tali­ban inter­es­sie­ren sich nicht für deut­sche Defi­ni­tio­nen von Kern­fa­mi­lie“, so Burkhardt.

  1. Resett­le­ment aus der gesam­ten Regi­on muss als lang­fris­ti­ge Kom­po­nen­te gestärkt wer­den. Hier­für braucht es ver­bind­li­che Zusa­gen und eine ambi­tio­nier­te Haltung. 

Zusa­gen spe­zi­ell zu Afgha­ni­stan dür­fen nicht mit vor­he­ri­gen Zusa­gen ver­rech­net wer­den. Sie müs­sen eine deut­li­che Erwei­te­rung des Resett­le­ment­pro­gramms sein. Das ist ins­be­son­de­re auch für Erst­auf­nah­me­län­der ein wich­ti­ges Signal. Im ver­gan­ge­nen Jahr war die Zahl der über Resett­le­ment umge­sie­del­ten Flücht­lin­ge mit rund 15.000 (welt­weit) auf einem Rekord­tief. Die stell­ver­tre­ten­de UN-Flücht­lings­hoch­kom­mis­sa­rin Gil­li­an Triggs sprach von „einer der nied­rigs­ten Resett­le­ment-Raten seit fast zwei Jahr­zehn­ten“ und sag­te: „Dies ist ein Schlag für den Flücht­lings­schutz und für die Fähig­keit, Leben zu ret­ten und die am meis­ten gefähr­de­ten Men­schen zu schüt­zen.“ Gün­ter Burk­hardt sagt: „Die Plät­ze für Resett­le­ment, die EU-Staa­ten bereit stel­len, sind beschä­mend nied­rig.“ 2020 wur­den nur 8314 Flücht­lin­ge in EU-Staa­ten umgesiedelt.

Hin­ter­grund:

Für die Auf­nah­me­pro­gram­me spie­len die Nach­bar­län­der eine zen­tra­le Rol­le. Sie haben nicht nur die meis­ten geflo­he­nen Afghan*innen auf­ge­nom­men, ihnen kommt auch für die Abwick­lung der Auf­nah­me­pro­gram­me gro­ße Bedeu­tung zu. Län­der wie Usbe­ki­stan, Paki­stan und Iran machen jedoch ihre Gren­zen dicht und ver­sper­ren damit den Weg raus aus Afgha­ni­stan – auch das ist eine Fol­ge der EU-Abschottung.

PRO ASYL hat hier und hier anhand kon­kre­ter Ein­zel­fäl­le zusam­men­ge­fasst, wel­che Men­schen bis­lang durch’s Ras­ter der deut­schen Afgha­ni­stan-Auf­nah­me­pro­gram­me fie­len. 56 zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen haben in einem gemein­sa­men Auf­ruf mehr Auf­nah­me­plät­ze von Bund und Län­dern gefordert.

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