Abschiebungshäftlinge werden in Deutschland oft wie Strafgefangene behandelt. Dies wird sich ändern müssen. Nach der sogenannten Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, die seit kurzem auch in Deutschland gilt, muss sich Abschiebungshaft deutlich von Strafhaft unterscheiden.
Der Vollzug von Abschiebungshaft ist in Deutschland Ländersache und nicht einheitlich geregelt. Dies führt dazu, dass die rechtlichen Grundlagen und die Haftbedingungen in den 16 Bundesländern sehr unterschiedlich sind.
Einen vergleichenden Einblick in die bisherige Praxis bietet eine jetzt veröffentlichte Dokumentation, die auf einer von der Martin-Niemöller-Stiftung und Pro Asyl in Auftrag gegeben Befragung beruht. Die Ergebnisse offenbaren eine bedrückende Realität: Noch immer werden Abschiebungshäftlinge im normalen Strafvollzug untergebracht.
Abschiebungshäftlinge haben oft nur zwei Stunden Hofgang, dürfen kaum Besuch empfangen, haben einen sehr eingeschränkten Zugang zu Telefonen und müssen teilweise Gefangenenkleidung tragen – obwohl Abschiebungshaft keine Strafe ist. Die restriktiven Haftbedingungen können durch Sicherheitsaspekte nicht gerechtfertigt werden. Obwohl Freiheitsentzug ein drastischer Grundrechtseingriff ist, gibt es nur in wenigen Haftanstalten unabhängige Beratung, von Beratung durch Fachanwälte ganz zu schweigen.
„Die extremen Unterschiede in der Vollzugspraxis sind nicht hinzunehmen. Auch in Haft bedürfen weitere Eingriffe in die persönliche Freiheit einer Rechtfertigung. In vielen Haftanstalten wird dies nicht berücksichtigt“, so Michael Karg, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung.
„Wenn Abschiebungshaft überhaupt vollzogen werden muss, dann müssen sich die Bedingungen dieser Haft deutlich von denen der Strafhaft unterscheiden“, stellt Bernd Mesovic von Pro Asyl klar. „Haftvermeidung und Alternativen zur Haft wären der weitaus größte Beitrag zur Verminderung des Elends“.
Neben der Übersicht über die Haftbedingungen präsentieren beide Organisationen eine kritische Kommentierung und Forderungen: Entsprechend der Rückführungsrichtlinie sind Straf- und Abschiebungshaft zu trennen. Im Haftbereich muss weitestgehend selbstbestimmtes Leben möglich sein. Unabhängige Beratungsstellen müssen ungehinderten Zugang zu Abschiebungshäftlingen erhalten. Den Inhaftierten ist unabhängige Rechtsberatung zur Verfügung zu stellen – diese muss vom Staat finanziert werden.
Mittellosen Abschiebungsgefangenen sollte analog zu Untersuchungshäftlingen ein Pflichtanwalt zur Seite gestellt werden. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Abschiebungsgefangene, die juristisch gegen ihre Haft vorgehen können, in etwa einem Drittel der Fälle aufgrund einer Gerichtsentscheidung freigelassen werden müssen. Demzufolge werden viele Menschen rechtwidrig in Abschiebungshaft genommen. Die Forderung nach unabhängiger Rechtsberatung ist deshalb besonders dringlich.
Die Dokumentation finden Sie hier.
Abschiebungshaft: Zu schnell, zu oft, zu lange (13.09.12)
Antifolterkomitee der Vereinten Nationen kritisiert deutsche Abschiebungshaft (29.11.11)
Landgericht Leipzig: Abschiebehaft zusammen mit Strafhäftlingen rechtswidrig (08.11.11)
Ein weiteres Opfer der Abschiebungshaft (15.09.10)
Bundesweiter Gedenktag für die Toten in Abschiebungshaft (30.08.10)
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