30.08.2010
  • Nach einem Bericht der Ber­li­ner Zei­tung haben Anfang 2010 inner­halb eines ein­zi­gen Tages drei Abschie­be­häft­lin­ge in der Haft­an­stalt Köpe­nick ver­sucht sich das Leben zu neh­men. Einer trank eine Sham­poo­fla­sche leer, einer schnitt sich mit der Rasier­klin­ge den gan­zen Kör­per auf und blu­te­te so stark, dass ein Ret­tungs­hub­schrau­ber geru­fen wer­den muss­te. Ein Drit­ter ver­such­te sich in der Zel­le zu erhängen.
  • Am 7. März 2010 erhäng­te sich ein jun­ger geor­gi­scher Abschie­bungs­häft­ling im Zen­tral­kran­ken­haus für Häft­lin­ge in Ham­burg. Anstalts­psy­cho­lo­gen hat­ten mit dem Häft­ling, dem die Zurück­schie­bung nach Polen droh­te, Gesprä­che geführt und eine Sui­zid­ge­fahr nicht aus­ge­schlos­sen. Er erhäng­te sich in der video­über­wach­ten Krankenzelle.
  • Nach acht­wö­chi­ger Abschie­bungs­haft erhäng­te sich am 16. April 2010 die 34 Jah­re alte indo­ne­si­sche Staats­bür­ge­rin Yeni P. in der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt Hahn­öfer­sand in Ham­burg. Der für die Ham­bur­ger Haft­an­stal­ten zustän­di­ge Sena­tor ist inzwi­schen Ers­ter Bür­ger­meis­ter Hamburgs.
  • Am 2. Juli 2010 nahm sich der 58-jäh­ri­ge Sla­wik C. in der Abschie­be­haft­an­stalt Han­no­ver-Lan­gen­ha­gen das Leben. Fünf Tage vor sei­ner geplan­ten Abschie­bung nach Arme­ni­en erhäng­te er sich mit dem Kabel eines Was­ser­ko­chers. Von Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen wer­den hef­ti­ge Vor­wür­fe gegen die nie­der­säch­si­schen Behör­den erho­ben. Die Inhaf­tie­rung habe kei­ne Rechts­grund­la­ge gehabt und die Aus­län­der­be­hör­de fal­sche Iden­ti­fi­ka­ti­ons­da­ten zur Beschaf­fung von Pass­ersatz­pa­pie­ren benutzt. Zudem sei Sla­wik C. trotz Anzei­chen für einen mög­li­chen Sui­zid nicht über­wacht worden.

Völ­lig unan­nehm­bar ist es zudem, dass in deut­schen Haft­an­stal­ten, die­sen Orten der Ver­zweif­lung, Min­der­jäh­ri­ge unter­ge­bracht wer­den. Zwi­schen 2005 und 2007 wur­den bun­des­weit in 377 Fäl­len unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge in Abschie­bungs­haft genom­men. Auch seit­dem sind immer wie­der neue Fäl­le bekannt gewor­den. PRO ASYL und der Inter­kul­tu­rel­le Rat sehen hier­in eine Ver­let­zung der UN-Kinderrechts-konvention.
Die Kon­se­quen­zen, die aus der unmensch­li­chen Voll­zugs­pra­xis der Abschie­bungs­haft in Deutsch­land erge­ben müs­sen, sind offen­sicht­lich. PRO ASYL und der Inter­kul­tu­rel­le Rat fordern,

  • Abschie­bungs­haft für Min­der­jäh­ri­ge kate­go­risch auszuschließen
  • in jedem Ein­zel­fall Alter­na­ti­ven zur Ver­hän­gung der Abschie­bungs­haft umfas­send zu prü­fen und berücksichtigen;
  • die Betrof­fe­nen kon­se­quent getrennt von Straf­ge­fan­ge­nen unterzubringen;
  • ver­bind­li­che Min­dest­stan­dards für Abschie­bungs­haft­an­stal­ten zu schaf­fen. Die­se müs­sen die Bewe­gungs­frei­heit inner­halb der Ein­rich­tung gewähr­leis­ten, ange­mes­se­ne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung sicher­stel­len und kos­ten­lo­sen Zugang zu recht­li­cher Bera­tung und Ver­tre­tung ermög­li­chen. 

 
Zum Hin­ter­grund des Gedenk­ta­ges am 30. August: 

  • Am 30. August 1983 starb Kemal Alt­un, ein 23-jäh­ri­ger Asyl­su­chen­der aus der Tür­kei, durch einen Sprung aus dem Fens­ter des West­ber­li­ner Ver­wal­tungs­ge­richts. Wäh­rend eines von der Tür­kei in Gang gesetz­ten Aus­lie­fe­rungs­ver­fah­rens saß Alt­un 13 Mona­te lang in Auslieferungshaft.
  • Am 30. August 1994 erstick­te der Nige­ria­ner Kola Ban­ko­le an Bord einer Luft­han­sama­schi­ne wäh­rend der Abschie­bung, gekne­belt, an Hän­den und Füßen gefes­selt, mit Psy­cho­phar­ma­ka „ruhig gespritzt“.
  • Am 30. August 1999 starb Rach­id Sbaai in einer Arrest­zel­le der JVA Büren, wo er die Matrat­ze sei­ner Ein­zel­haft­zel­le in Brand gesetzt haben soll.
  • Am 30. August 2000 stürz­te der 28-jäh­ri­ge Mon­go­le Altan­kou Dag­wa­sound­el beim Ver­such, sich wäh­rend eines Kran­ken­haus­auf­ent­hal­tes der Abschie­bungs­haft in Ber­lin-Köpe­nick zu ent­zie­hen, in den Tod. Beim Ver­such, sich aus dem Fens­ter des über­wach­ten Kran­ken­zim­mers abzu­sei­len, stürz­te er ab.

Initia­ti­ven gegen die Abschie­bungs­haft sowie Initia­ti­ven, die Gefan­ge­ne in Abschie­bungs­haft­an­stal­ten bera­ten und betreu­en, erin­nern zum 30. August eines jeden Jah­res an die Toten in Abschiebungshaft.

Gedenk­kund­ge­bung zum 30. Todes­tag des poli­ti­schen Flücht­lings Cemal Kemal Alt­un (27.08.13)

Abschie­bungs­haft ist und darf kei­ne Stra­fe sein (15.02.12)

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