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Wie Deutschland Herkunftsländer von Geflüchteten wider besseres Wissen als sicher erklärt

Am 30. August 2023 wurde im Kabinett ein SPD-Gesetzentwurf beschlossen, in dem Georgien und die Republik Moldau als »sichere Herkunftsländer« eingestuft werden. Er geht nun durch das parlamentarische Verfahren im Bundestag und zur Abstimmung in den Bundesrat. PRO ASYL kritisiert sowohl die Einstufung als auch das Verfahren als hoch problematisch.
PRO ASYL lehnt das Konzept der »sicheren Herkunftsstaaten« grundsätzlich ab, denn es ist bereits im Kern mit dem individuellen Recht auf Asyl unvereinbar.
Kriterien zur Einstufung nicht erfüllt
Zudem ignoriert das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) im aktuellen Gesetzesentwurf schlichtweg rechtliche Vorschriften. Das BMI begründet die Initiative vor allem mit den geringen Anerkennungszahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von Asylsuchenden aus diesen beiden Ländern. Dies als Anhaltspunkt zu nehmen, um Herkunftsstaaten als sicher zu deklarieren, ist jedoch rechtlich fraglich. Denn laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können die Schutzquoten nur Indizien bezüglich der Sicherheit eines Herkunftslandes sein. Vom Bundesverfassungsgericht wird zudem ein EU-Vergleich angeregt, der zum Beispiel für Georgien in anderen europäischen Ländern Anerkennungsquoten von bis zu 40 Prozent aufweist.
Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1996 klare Kriterien formuliert, die für die Einstufung eines Herkunftslandes als sicher vorliegen müssen. Darin heißt es unter anderem, dass in dem Staat eine landesweite Sicherheit sowie eine Sicherheit für jegliche Gruppen innerhalb des Landes bestehen müssen. Zudem muss eine gewisse Stabilität und Kontinuität der Verhältnisse bestehen und eine Verbesserung der allgemeinen Situation in jüngerer Zeit zu sehen sein. Ebenso ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine gründliche Tatsachen- und Beweiswürdigung der verfügbaren Quellen vorzunehmen.
Diese verpflichtenden Kriterien können bezüglich der beiden Herkunftsstaaten Georgien und der Republik Moldau nicht erfüllt werden.
Die Einstufung hat für Geflüchtete aus sogenannten »sicheren Herkunftsstaaten« weitreichende Folgen. Sehr schnelle Verfahren, die große Schwierigkeiten bringen, rechtzeitig Beratung oder Anwält*innen zu finden, verkürzte Rechtsmittelfristen, Arbeitsverbote und der Ausschluss von Bleiberechtsregelungen sind einige davon. Die Basis des Asylrechts, nämlich die individuelle und vorbehaltlose Prüfung eines jeden Asylantrags, wird durch die gesetzliche Vermutung der Sicherheit kontaminiert.
Die deutsche Schutzquote für Asylsuchende aus Georgien ist im EU-Vergleich unterdurchschnittlich schlecht. Im Jahr 2022 lag die Schutzquote in der gesamten Europäischen Union bei rund 8 %, in Frankreich (mit den meisten Anträgen aus Georgien) lag sie bei 5 %, in Belgien bei 15 % und in Italien sogar bei 41 % (vgl. Eurostat, abgerufen am 20.07.2023). Die deutsche bereinigte Schutzquote für Georgien für das Jahr 2022 von knapp 0,5 % (vgl. BAMF, Asylgeschäftsstatistik 2022) ist damit äußerst kritisch zu sehen.
Beitrittsperspektive zur EU ist kein ausreichendes Argument
Als ein wichtiges Argument für eine Einstufung als »sicherer Herkunftsstaat« wird im Referentenentwurf angeführt, dass Georgien seit 2022 eine Beitrittsperspektive für die EU hat. Jedoch wurden im Zuge dessen grundlegende Reformen, insbesondere im Bereich der Justiz, angemahnt und Georgien gerade noch nicht als EU-Beitrittskandidat eingestuft. Dass selbst der Status des Beitrittskandidaten wenig über die tatsächlich demokratische und menschenrechtliche Entwicklung aussagt, zeigt, dass die Türkei seit 2005 diesen Status hat und sich die dortige Menschenrechtslage und die Situation des Rechtsstaats in den letzten Jahren stark verschlechtert hat.
Keine landesweite Sicherheit
In Georgien gibt es zudem keine landesweite Sicherheit. Die Regionen Abchasien und Südossetien sind unter russischer Kontrolle, der georgische Staat kann dort die Bürger*innen nicht schützen. Zusätzlich sind die beiden Regionen seit dem russischen Angriffskrieg neue Konfliktherde.
Keine Sicherheit für alle Gruppen
Die Situation von LGBTIQ+-Personen in Georgien ist äußerst schwierig, was in der Gesetzesbegründung nicht ausreichend berücksichtigt wird. Zudem bestätigen etliche Gerichtsurteile in Asylprozessen in Deutschland die fehlende Sicherheit für LGTBIQ+ in Georgien.
Auch Presse, Medienvertreter*innen, Kunst- und Kulturschaffende geraten in jüngster Zeit zunehmend unter Druck. Ebenso leidet die georgische Justiz unter der wachsenden Einflussnahme der nunmehr pro-russischen georgischen Regierung. Das Recht wird selektiv angewendet, es bestehen politisch motivierte Verfolgungen von Oppositionellen und kritischen Medien.
Belgien hat gerade wegen diesen Rückschritten bei der Sicherheitslage für LGBTIQ+-Personen Georgien erst kürzlich von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten gestrichen.
Verstärkter pro-russischer Kurs der Regierung
Anfang des Jahres 2023 versuchte die georgische Regierung ein Gesetz zu erlassen, nach welchem Medien und Nichtregierungsorganisationen zu »ausländischen Agent*innen« erklärt werden können. Das Gesetz orientierte sich dabei an seinem russischen Pendant. Das Gesetz scheiterte nur aufgrund erheblichen Protests seitens der Zivilbevölkerung und verdeutlicht den Druck, unter dem die Menschenrechte in Georgien stehen.
Keine landesweite Sicherheit
Das Kriterium der landesweiten Sicherheit, um einen Herkunftsstaat rechtskonform als sicher einstufen zu können, wird auch bei der Republik Moldau nicht erfüllt. So steht die Region Transnistrien unter russischem Einfluss, die Regierung Moldaus hat dort keine Kontrolle über die Bürger*innen. Der ohnehin schwelende Konflikt mit Russland in dieser Region verschlechterte sich zuletzt seit dem russischen Angriffskrieg. Russland beschuldigt die Ukraine derzeit ununterbrochen, eine militärische Provokation in der abtrünnigen Region Transnistrien durchführen zu wollen. Durch Putins Provokation wächst die Angst vor der Ausweitung des Krieges auch auf die Republik Moldau.
Keine Sicherheit für alle Gruppe
Viele der Asylantragstellenden aus der Republik Moldau sind Angehörige der Rom*nja-Minderheit. Rom*nja leben in Moldau unter äußerst prekären Verhältnissen und werden in allen Lebensbereichen größtenteils diskriminiert. Hinzu kommt die historische Verantwortung Deutschlands für Menschen dieser Gruppe, von denen Nazi-Deutschland eine halbe Million umbrachte. Entsprechend gerechtfertigt ist die Kritik des Antiziganismusbeauftragten der Bundesregierung Mehmet Daimagüler an der geplanten Einstufung von Moldau als »sicherer Herkunftsstaat«.
Verschlechterung der allgemeinen Situation
Laut Amnesty International hat es 2022 in Moldau keine Fortschritte bezüglich stattfindender Vorfälle von Folter und unmenschlicher Behandlung in Haft gegeben. Die Meldungen von häuslicher Gewalt gegen Frauen haben zugenommen, doch es gibt kaum Strafverfahren und wenn, dann münden sie in milden Strafen. Auch der schwelende Konflikt mit Russland führte in letzter Zeit zu einer Verschlechterung der allgemeinen Situation. Der Status eines EU-Beitrittskandidaten kann daran auch nichts ändern, zumal der Status an sich nichts über die Sicherheit im Land aussagt. Deutlich wird dies am Beispiel der Türkei, seit 2005 Beitrittskandidat, in der sich die menschenrechtliche Lage in den letzten Jahren extrem verschlechtert hat.
Üblicherweise werden bei Gesetzgebungsverfahren auch die Stellungnahmen von Verbänden angefragt (Verbändebeteiligung). Bereits unter Seehofer waren hierfür die gesetzten Fristen für die Abgabe einer Stellungnahme sehr kurz. In gleichbleibender Tradition betrug auch dieses Mal unter einem SPD-geführten Bundesinnenministerium die Frist weniger als 48 Stunden – außerdem wurde drei Tage nach der Abgabe der Stellungnahmen der Gesetzesentwurf im Kabinett bereits beschlossen. Weder die Verbände hatten genug Zeit, sich detailliert mit dem Gesetzesentwurf auseinanderzusetzen und eine fundierte Stellungnahme zu schreiben, noch war es den zuständigen Personen im Bundesinnenministerium innerhalb der kurzen Zeit bis zum Beschluss möglich, die Stellungnahmen zu lesen. So verkommt das an sich gute Instrument der Beteiligung von Expert*innen im Gesetzgebungsverfahren zur Farce.
Die Debatte um »sichere Herkunftsstaaten« als Folge flüchtlingsfeindlicher Diskurse
Der Gesetzesentwurf zur Einstufung Moldaus und Georgiens als sogenannte sichere Herkunftsstaaten kommt nicht von ungefähr. Er ist Teil eines großen politischen Abschreckungssystems, welches seit Jahrzehnten aufgebaut und seit einigen Monaten erschreckend erweitert und verstetigt wird. Auf überlastete Kommunen und volle Geflüchtetenunterkünfte reagieren die Länder sowie der Bund zu häufig mit Abwehr- und Abschreckungsinstrumenten. Mehr Abschiebungen, weitere Haftgründe für Geflüchtete, grundrechtswidrige Ausweitungen polizeilicher Kompetenzen und nun die Einstufung weiterer Herkunftsländer als vermeintlich sicher bietet aber den Kommunen keine Lösungen für Unterbringung und Integration von Schutzsuchenden an.
Der Diskurs über die neuerliche Einstufung Georgiens und der Republik Moldau als »sicheren Herkunftsstaaten« setzt sich zudem über höchstinstanzliche Rechtsprechung hinweg und ist gleichzeitig auch zu einer nicht auf Fakten basierenden Debatte geworden.
Dem angeblichen Abschiebungsvollzugsdefizit soll mit der Einstufung »sicherer Herkunftsstaaten« begegnet werden. Dies ist jedoch irreführend. Denn schon jetzt können Abschiebungen nach Georgien und in die Republik Moldau ohne Probleme durchgeführt werden, es bestehen dazu mit beiden Ländern bereits Abkommen. Dies wird in nicht unerheblicher Anzahl bereits getan, nach Moldau zum Beispiel finden monatliche Sammelabschiebungen statt. An diesen Zahlen wird sich auch nach der Einstufung kaum etwas ändern.
Somit führt die Bundesregierung eine politisch motivierte Debatte und keine faktenbasierte. PRO ASYL hat zum Gesetzesentwurf eine ausführliche Stellungnahme verfasst.
(ta,nb)