14.08.2023
Image
Nach Plänen der Union und der SPD soll die Bundespolizei zukünftig noch mehr Befugnisse bei Abschiebungen erhalten. Foto: picture alliance / dpa /Uli Deck

Mit einem Diskussionsentwurf für Gesetzesverschärfungen hat Innenministerin Faeser mal wieder eine Diskussion über Abschiebungen entfacht. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die meisten Menschen, die nach Deutschland kommen, ein Recht auf Schutz haben. Auf ihre Unterbringung und ihr Ankommen sollte sich konzentriert werden.

Ange­sichts stei­gen­der Flücht­lings­zah­len wird seit Wochen über die »Ein­däm­mung ille­ga­ler Migra­ti­on«, Kon­trol­len an den deut­schen Gren­zen und mehr Abschie­bun­gen dis­ku­tiert. Der Dis­kus­si­ons­ent­wurf des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums zu här­te­ren Abschie­be­re­geln ist eine Reak­ti­on auf die­se Debat­ten und ent­facht sie zusätz­lich. Weit­ge­hend unbe­merkt von der Öffent­lich­keit ver­öf­fent­lich­te das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) vor weni­gen Tagen aktu­el­le Asyl­zah­len, die eine gänz­lich ande­re Spra­che spre­chen: 71 % der Men­schen, deren Asyl­grün­de vom BAMF geprüft wer­den, erhal­ten Schutz in Deutschland.

Die Quo­te liegt damit auf Rekord­ni­veau. Aber den­noch wird wei­ter über Abschie­bun­gen dis­ku­tiert, obwohl der aller­größ­te Teil der Men­schen, die nach Deutsch­land kom­men und bei uns Schutz sucht, sehr gute Asyl­grün­de hat.

Viele Geflüchtete mit Schutzbedarf, aber an Unterstützung soll gespart werden

Statt an ver­meint­li­chen Stim­mun­gen, soll­ten sich die Debat­ten mehr an der Rea­li­tät ori­en­tie­ren. Es soll­te weni­ger über die viel beklag­te ver­meint­li­che »ille­ga­le Migra­ti­on« gere­det wer­den, wenn die meis­ten Men­schen schutz­be­rech­tigt sind und dau­er­haft in Deutsch­land blei­ben wer­den, und mehr dar­über, wie wir aus­rei­chend Unter­künf­te schaf­fen, wie wir Plät­ze und Per­so­nal für Sprach­kur­se orga­ni­sie­ren, wie wir die Men­schen in die Gesell­schaft und in den Arbeits­markt inte­grie­ren kön­nen. Die­se Fra­gen stel­len sich aktu­ell beson­ders akut, da die Bera­tungs­struk­tu­ren für Geflüch­te­te sowie ihre psy­cho­lo­gi­sche und the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung durch star­ke Haus­halts­ein­spa­run­gen bedroht sind.

Sol­che Dis­kus­sio­nen wären für die teil­wei­se über­for­der­ten Kom­mu­nen ziel­füh­ren­der, als Dis­kus­sio­nen über här­te­re Abschie­be­re­geln, die zu vor allem mehr Rechts­ver­let­zun­gen füh­ren wer­den, aber nicht zu wesent­lich mehr Abschie­bun­gen und weni­ger Aus­rei­se­pflich­ti­gen, wie sug­ge­riert. Schon jetzt ist laut Erfah­rung von Rechtsanwält*innen jede zwei­te Abschie­bungs­haft rechts­wid­rig, nächt­li­che über­fall­ar­ti­ge Abschie­bun­gen sind an der Tages­ord­nung und selbst kran­ke oder trau­ma­ti­sier­te Men­schen wer­den abge­scho­ben (sie­he hier für Ein­zel­fäl­le aus 2022).

Viele Geduldete können aus guten Gründen nicht abgeschoben werden

Ja, es gibt sie, die Aus­rei­se­pflich­ti­gen. Ende 2022 leb­ten knapp 250.000 Men­schen mit einer Dul­dung in Deutsch­land und waren aus­rei­se­pflich­tig. Aller­dings wird in den Debat­ten sel­ten erzählt, um wen es dabei eigent­lich geht. Vie­le der Aus­rei­se­pflich­ti­gen kön­nen über­haupt nicht abge­scho­ben wer­den, egal wie sehr die Poli­tik das ger­ne möch­te: Rund 3.000 Gedul­de­te kön­nen wegen schwer­wie­gen­der »medi­zi­ni­scher Grün­de« nicht abge­scho­ben wer­den. In 25.000 Fäl­len wur­den Dul­dun­gen wegen »fami­liä­rer Bin­dun­gen« erteilt, die eine Abschie­bung nicht zulas­sen. Auch eine Berufs­aus­bil­dung führt in Deutsch­land nicht zur Auf­ent­halts­er­laub­nis, son­dern die Men­schen blei­ben in der Dul­dung und damit wei­ter­hin aus­rei­se­pflich­tig. Über 6.000 Men­schen waren Ende 2022 als Aus­zu­bil­den­de davon betroffen.

Über­dies wird von Aus­rei­se­pflich­ti­gen gespro­chen, als wären alle abge­lehn­te Asylbewerber*innen, wes­halb man die »ille­ga­le Migra­ti­on« ein­däm­men müs­se. Tat­säch­lich sind nur etwas mehr als die Hälf­te der Aus­rei­se­pflich­ti­gen abge­lehn­te Asylbewerber*innen. Die ande­re Hälf­te der Aus­rei­se­pflich­ti­gen ist nicht als asyl­su­chend, son­dern oft­mals sogar legal ein­ge­reist, bspw. per Besuchs­vi­sum, als Stu­die­ren­de oder zum Ehegattennachzug.

Unter den Gedul­de­ten fan­den sich Ende letz­ten Jah­res 32.000 Men­schen aus dem Irak, 21.000 aus Afgha­ni­stan, 16.000 aus Nige­ria, 14.000 aus der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on und 11.000 aus dem Iran. In die­se Staa­ten fin­den aktu­ell aus guten Grün­den nur weni­ge oder sogar über­haupt kei­ne Abschie­bun­gen statt. Allein der Blick auf die Top 5 der Her­kunfts­län­der der Gedul­de­ten und auf die Grö­ßen­ord­nung der Zah­len zeigt damit, wie rea­li­täts­fern die Debat­ten um Aus­rei­se­pflich­ti­ge und angeb­lich zu weni­ge Abschie­bun­gen sind. Wo sol­len 32.000 Men­schen im Irak hin? Selbst wenn man alle abschie­ben könn­te und woll­te, wür­de das neue Flucht­be­we­gun­gen in ganz ande­rer Grö­ßen­ord­nung auslösen.

Bleiberechtsmöglichkeiten besser nutzen, statt Abschiebungen forcieren!

Eine nahe­lie­gen­de Lösung für eine deut­li­che Ver­rin­ge­rung der Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen taucht in den Debat­ten kaum auf: eine groß­zü­gi­ge Anwen­dung des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts sowie ande­rer auf­ent­halts­recht­li­cher Rege­lun­gen. Laut Pres­se­mel­dun­gen ist die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen und Gedul­de­ten zum ers­ten Mal seit vie­len Jah­ren gesun­ken, und zwar mit rund 25.000 sehr deut­lich und das bin­nen eines hal­ben Jah­res. Wor­an das liegt, ist schwie­rig zu beur­tei­len, ohne kon­kre­te­re Zah­len zu ken­nen. Knapp 8.000 Rück­füh­run­gen wer­den in dem Zei­tungs­ar­ti­kel genannt. Hin­zu kommt die Zahl der »frei­wil­li­gen Aus­rei­sen«, die erfah­rungs­ge­mäß deut­lich dar­über liegt (2022 mehr als dop­pelt so hoch) und die für den Rück­gang ver­ant­wort­lich sein könnte.

Der Haupt­grund für den erst­ma­li­gen Rück­gang der Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen nach vie­len Jah­ren des Anstiegs dürf­te im Chan­cen-Auf­ent­halts­recht lie­gen, das zu Jah­res­be­ginn ein­ge­führt wur­de: Pres­se­mit­tei­lun­gen zufol­ge erhiel­ten bereits rund 17.000 Men­schen die­se Auf­ent­halts­er­laub­nis, d.h. die­se Men­schen sind nicht mehr aus­rei­se­pflich­tig. Da der weit über­wie­gen­de Teil der Anträ­ge noch gar nicht bear­bei­tet ist, ist ein wei­te­res deut­li­ches Absin­ken der Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen zu erwar­ten, sofern das neue Recht nicht über­wie­gend restrik­tiv ange­wandt wird.

Die Tat­sa­che, dass Ende 2022 mit 136.000 mehr als die Hälf­te aller Gedul­de­ten seit mehr als 5 Jah­ren in Deutsch­land leb­te, spricht neben den genann­ten Haupt­her­kunfts­län­dern, in die Abschie­bun­gen nicht oder kaum mög­lich sind, dafür, dass die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen selbst mit här­tes­ten Abschie­be­re­geln nicht in grö­ße­rem Umfang zu sen­ken sind. Im Gegen­teil: Sie spricht dafür, den Men­schen end­lich eine Per­spek­ti­ve zu geben, um nach jah­re­lan­gem Auf­ent­halt in Deutsch­land und häu­fig guter Inte­gra­ti­on end­lich dau­er­haft hier Fuß fas­sen zu kön­nen und bei­spiels­wei­se auf dem Arbeits- und Woh­nungs­markt bes­se­re Chan­cen zu haben. Dadurch wür­den die Kom­mu­nen mehr ent­las­tet, als durch popu­lis­ti­sche und rea­li­täts­fer­ne Debatten.

(dmo/wj)