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Deutschland hat mal wieder eine Abschiebungsdebatte…
Mit einem Diskussionsentwurf für Gesetzesverschärfungen hat Innenministerin Faeser mal wieder eine Diskussion über Abschiebungen entfacht. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die meisten Menschen, die nach Deutschland kommen, ein Recht auf Schutz haben. Auf ihre Unterbringung und ihr Ankommen sollte sich konzentriert werden.
Angesichts steigender Flüchtlingszahlen wird seit Wochen über die »Eindämmung illegaler Migration«, Kontrollen an den deutschen Grenzen und mehr Abschiebungen diskutiert. Der Diskussionsentwurf des Bundesinnenministeriums zu härteren Abschieberegeln ist eine Reaktion auf diese Debatten und entfacht sie zusätzlich. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit veröffentlichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vor wenigen Tagen aktuelle Asylzahlen, die eine gänzlich andere Sprache sprechen: 71 % der Menschen, deren Asylgründe vom BAMF geprüft werden, erhalten Schutz in Deutschland.
Die Quote liegt damit auf Rekordniveau. Aber dennoch wird weiter über Abschiebungen diskutiert, obwohl der allergrößte Teil der Menschen, die nach Deutschland kommen und bei uns Schutz sucht, sehr gute Asylgründe hat.
Viele Geflüchtete mit Schutzbedarf, aber an Unterstützung soll gespart werden
Statt an vermeintlichen Stimmungen, sollten sich die Debatten mehr an der Realität orientieren. Es sollte weniger über die viel beklagte vermeintliche »illegale Migration« geredet werden, wenn die meisten Menschen schutzberechtigt sind und dauerhaft in Deutschland bleiben werden, und mehr darüber, wie wir ausreichend Unterkünfte schaffen, wie wir Plätze und Personal für Sprachkurse organisieren, wie wir die Menschen in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt integrieren können. Diese Fragen stellen sich aktuell besonders akut, da die Beratungsstrukturen für Geflüchtete sowie ihre psychologische und therapeutische Unterstützung durch starke Haushaltseinsparungen bedroht sind.
Solche Diskussionen wären für die teilweise überforderten Kommunen zielführender, als Diskussionen über härtere Abschieberegeln, die zu vor allem mehr Rechtsverletzungen führen werden, aber nicht zu wesentlich mehr Abschiebungen und weniger Ausreisepflichtigen, wie suggeriert. Schon jetzt ist laut Erfahrung von Rechtsanwält*innen jede zweite Abschiebungshaft rechtswidrig, nächtliche überfallartige Abschiebungen sind an der Tagesordnung und selbst kranke oder traumatisierte Menschen werden abgeschoben (siehe hier für Einzelfälle aus 2022).
Viele Geduldete können aus guten Gründen nicht abgeschoben werden
Ja, es gibt sie, die Ausreisepflichtigen. Ende 2022 lebten knapp 250.000 Menschen mit einer Duldung in Deutschland und waren ausreisepflichtig. Allerdings wird in den Debatten selten erzählt, um wen es dabei eigentlich geht. Viele der Ausreisepflichtigen können überhaupt nicht abgeschoben werden, egal wie sehr die Politik das gerne möchte: Rund 3.000 Geduldete können wegen schwerwiegender »medizinischer Gründe« nicht abgeschoben werden. In 25.000 Fällen wurden Duldungen wegen »familiärer Bindungen« erteilt, die eine Abschiebung nicht zulassen. Auch eine Berufsausbildung führt in Deutschland nicht zur Aufenthaltserlaubnis, sondern die Menschen bleiben in der Duldung und damit weiterhin ausreisepflichtig. Über 6.000 Menschen waren Ende 2022 als Auszubildende davon betroffen.
Überdies wird von Ausreisepflichtigen gesprochen, als wären alle abgelehnte Asylbewerber*innen, weshalb man die »illegale Migration« eindämmen müsse. Tatsächlich sind nur etwas mehr als die Hälfte der Ausreisepflichtigen abgelehnte Asylbewerber*innen. Die andere Hälfte der Ausreisepflichtigen ist nicht als asylsuchend, sondern oftmals sogar legal eingereist, bspw. per Besuchsvisum, als Studierende oder zum Ehegattennachzug.
Unter den Geduldeten fanden sich Ende letzten Jahres 32.000 Menschen aus dem Irak, 21.000 aus Afghanistan, 16.000 aus Nigeria, 14.000 aus der Russischen Föderation und 11.000 aus dem Iran. In diese Staaten finden aktuell aus guten Gründen nur wenige oder sogar überhaupt keine Abschiebungen statt. Allein der Blick auf die Top 5 der Herkunftsländer der Geduldeten und auf die Größenordnung der Zahlen zeigt damit, wie realitätsfern die Debatten um Ausreisepflichtige und angeblich zu wenige Abschiebungen sind. Wo sollen 32.000 Menschen im Irak hin? Selbst wenn man alle abschieben könnte und wollte, würde das neue Fluchtbewegungen in ganz anderer Größenordnung auslösen.
Bleiberechtsmöglichkeiten besser nutzen, statt Abschiebungen forcieren!
Eine naheliegende Lösung für eine deutliche Verringerung der Zahl der Ausreisepflichtigen taucht in den Debatten kaum auf: eine großzügige Anwendung des Chancen-Aufenthaltsrechts sowie anderer aufenthaltsrechtlicher Regelungen. Laut Pressemeldungen ist die Zahl der Ausreisepflichtigen und Geduldeten zum ersten Mal seit vielen Jahren gesunken, und zwar mit rund 25.000 sehr deutlich und das binnen eines halben Jahres. Woran das liegt, ist schwierig zu beurteilen, ohne konkretere Zahlen zu kennen. Knapp 8.000 Rückführungen werden in dem Zeitungsartikel genannt. Hinzu kommt die Zahl der »freiwilligen Ausreisen«, die erfahrungsgemäß deutlich darüber liegt (2022 mehr als doppelt so hoch) und die für den Rückgang verantwortlich sein könnte.
Der Hauptgrund für den erstmaligen Rückgang der Zahl der Ausreisepflichtigen nach vielen Jahren des Anstiegs dürfte im Chancen-Aufenthaltsrecht liegen, das zu Jahresbeginn eingeführt wurde: Pressemitteilungen zufolge erhielten bereits rund 17.000 Menschen diese Aufenthaltserlaubnis, d.h. diese Menschen sind nicht mehr ausreisepflichtig. Da der weit überwiegende Teil der Anträge noch gar nicht bearbeitet ist, ist ein weiteres deutliches Absinken der Zahl der Ausreisepflichtigen zu erwarten, sofern das neue Recht nicht überwiegend restriktiv angewandt wird.
Die Tatsache, dass Ende 2022 mit 136.000 mehr als die Hälfte aller Geduldeten seit mehr als 5 Jahren in Deutschland lebte, spricht neben den genannten Hauptherkunftsländern, in die Abschiebungen nicht oder kaum möglich sind, dafür, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen selbst mit härtesten Abschieberegeln nicht in größerem Umfang zu senken sind. Im Gegenteil: Sie spricht dafür, den Menschen endlich eine Perspektive zu geben, um nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland und häufig guter Integration endlich dauerhaft hier Fuß fassen zu können und beispielsweise auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bessere Chancen zu haben. Dadurch würden die Kommunen mehr entlastet, als durch populistische und realitätsferne Debatten.
(dmo/wj)