News
Union legt Hand an den Zugang zum individuellen Asylrecht

Das Wort »Obergrenze« kommt in den Plänen von CDU und CSU zu den bevorstehenden Sondierungsgesprächen zwar nicht vor – muss es aber auch nicht. Mit dem noch schärferen Kurs in der Flüchtlingspolitik werden Asyl- und Menschenrechte immer weiter beschnitten.
Am vergangenen Wochenende haben sich die Unionsparteien auf weitere Verschärfungen des Asylrechts in Deutschland und Europa geeinigt. Offenbar will die Union auch Hand an den Zugang zum individuellen Asylrecht an Europas Grenzen anlegen. Es liegt jetzt an den möglichen künftigen Koalitionspartnern FDP und Grüne, den Plänen der Union entgegenzutreten. Die Vorhaben von CDU und CSU im Einzelnen:
Union plant Obergrenze für Menschenrechte
Die Unionsparteien führen seit Monaten eine von der Realität losgelöste Phantomdiskussion um eine wie auch immer geartete Obergrenze, so als hätte es die zwei Jahre Abschottungspolitik und den Flüchtlingsdeal mit der Türkei nicht gegeben. So sieht das Maßnahmenpaket von CDU/CSU eine de-facto-Begrenzung der humanitären Einreise von Schutzsuchenden auf 200.000 im Jahr vor.
Darunter fallen Flüchtlinge, subsidiär Geschützte und der Familiennachzug, aber auch Resettlement und Relocation. Was mit der 200.001 Person geschieht, ist vollkommen unklar. Diese Begrenzung verstößt gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf.
Das Grundgesetz gilt auch für Flüchtlingsfamilien, nicht nur für Deutsche!
Auch das Recht, als Familie zusammenzuleben, ist mit einer Obergrenze nicht vereinbar. Die Festlegung auf eine Grenze ist reine Willkür und damit grundgesetzwidrig. Das Grundgesetz gilt auch für Flüchtlingsfamilien, nicht nur für Deutsche. Eine Auswahl von wenigen nach einer willkürlich festgelegten Zahl ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Hinter »Reform« steckt Angriff auf Asylrecht
Was von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird: Laut Kompromiss der Union soll das sogenannte Dublin-System und das Gemeinsame europäische Asylsystem (GEAS) reformiert werden. Unter dem neutralen Begriff »Reform« steckt ein Angriff auf den Zugang zum individuellen Asylrecht nach europäischem Recht. Denn die bereits in den Verhandlungen befindlichen Reformvorschläge sehen vor, dass der Zugang zum Asylverfahren und einer rechtstaatlichen Prüfung der Asylgründe immer weiter erschwert wird.
Mit Zulässigkeitsverfahren an den EU-Außengrenzen soll ein Grenzverfahren zum Standard werden, das als Schnellverfahren rechtstaatlich mehr als fragwürdig ist. Verschärfte Drittstaatenregelungen führen dazu, dass primär nur noch nach dem Reiseweg der Flüchtlinge und nicht nach den Fluchtgründen gefragt wird. Wie das Recht auf Beratung, anwaltliche Vertretung, eine rechtstaatliche Anhörung, das Recht auf effektiven Rechtsschutz unter diesen Bedingungen noch aufrecht erhalten bleiben soll, ist mehr als fraglich. Das individuelle Asylrecht, das mit einem Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren einhergeht, droht an den Außengrenzen Europas beerdigt zu werden.
Flüchtlingsschutz wird ausgelagert
Die Unionsparteien wollen zudem die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens ausweiten. Weiterhin soll es eine EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen sowie gemeinsame Rückführungen von dort geben. Damit wird die Politik der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes in die Herkunfts- und Krisenregionen und ein unsolidarischer Umgang mit den EU-Staaten an den EU-Außengrenzen weiter verfolgt.
Die Deals mit Staaten, wie etwa Libyen, die die Menschrechte von Flüchtlingen mit Füßen treten, dürfen keine Blaupause für die künftige Asylpolitik der EU sein. Die Europäische Union würde sich ansonsten vollständig ihrer Verantwortung für den internationalen Flüchtlingsschutz entziehen und zudem Beihilfe zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen leisten.
Isolierung, keine fairen Verfahren, schnelle Abschiebung
Geplant sind Entscheidungs- und Rückführungszentren für Neuankömmlinge nach dem bayerischen Modell. Neu ankommende Asylbewerber sollen in speziellen Aufenthaltszentren, sogenannten »Entscheidungs- und Rückführungszentren« bleiben, bis über ihre Verfahren entschieden ist. Die CSU-Desintegrations- und Abschreckungspolitik soll deutschlandweit zum Modell werden. Diese Politik der Kasernierung von Schutzsuchenden hat mit einer menschenwürdigen Aufnahme von Flüchtlingen nichts zu tun.
Die Dauerverwahrung von Asylbewerbern in Sammellagern dient allein der Abschreckung. Sie wird sich fatal auf die Integration der Betroffenen auswirken, da sie in sozialer Isolation gehalten werden und eine Integration in den Arbeitsmarkt und andere gesellschaftliche Bereiche verhindert. Es gibt dort keine sozialen Kontakte für Schutzsuchende, keinen Zugang zu Arbeit und Schule, keine Berücksichtigung des Kindeswohls.
Die CSU-Desintegrations- und Abschreckungspolitik soll deutschlandweit zum Modell werden.
Isoliert, ohne effektiven Zugang zu Beratungsstrukturen und Anwält*innen kann es kein faires Asylverfahren geben. Damit stehen Schutzsuchende sowohl im Asylverfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung da. Eine Begleitung bei Anhörungen kann so kaum stattfinden, der Zugang zu Rechtsbeistand wird erheblich erschwert. Petitionen oder die Inanspruchnahme der Härtefallkommission sind so schwer möglich.
Das Bundesverfassungsgericht hat für das sogenannte Flughafenverfahren am 14. Mai 1996 (2 BvR 1516/93) Mindeststandards eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie und Wahrung rechtlichen Gehörs definiert hat. Es ist mehr als fraglich, ob die vom Bundesverfassungsgericht definierten Mindeststandards in solchen Isolationszentren gewährleistet sein werden.
Abschiebungen aus den Lagern heraus werden in großem Stil nur möglich, wenn man den effektiven Rechtsschutz in den abgelegenen Einrichtungen leerlaufen lässt, weil Rechtsanwält*innen dort nicht alle vertreten können. Die Entscheidungsdauern bei den Verwaltungsgerichten werden auf absehbare Zeit so lang sein, dass im Fall der Einlegung von Rechtsmitteln Betroffene viele Monate, gar Jahre hinaus interniert werden. Hinzu kommt die Zeit der eigentlichen Abschiebungsvorbereitung. Durch Dauerinternierung und Sachleistungsgewährung in Verbindung mit einer großen Zahl von Untergebrachten ist Verelendung und Stigmatisierung vorprogrammiert.
Von wegen familienfreundlich
Der Familiennachzug von subsidiär Geschützten soll weiter ausgesetzt bleiben. Was als befristete Maßnahme durch das Asylpaket II 2016 beschlossen wurde, soll nun als Dauerregelung eingeführt werden. Für die Betroffenen bedeutet dies eine Familientrennung auf unabsehbare Wartezeit, in der sie von ihren Ehegatten, Eltern oder Kindern getrennt leben müssen. Dies stellt eine eklatante Missachtung des Schutzes der Familie dar. Nicht nur Art. 6 GG, sondern auch die EMRK und EU-Grundrechte-Charta garantieren den Schutz der Familie und des Kindeswohls.
Aussetzung trennt Familien auf Jahre
Eine Aussetzung oder mehrjährige Wartezeit ist bei subsidiär Geschützten, die z.B. wegen drohender Folter im Herkunftsland einen Schutzstatus haben, völlig unverhältnismäßig, da die Angehörigen in der Regel ebenfalls im Herkunftsland gefährdet sind oder prekär in Transitländern leben. Die Aussetzung des Familiennachzugs verhindert zudem, dass sich die Betroffenen gut integrieren können. Wer um das Leben seiner engsten Angehörigen bangen muss, kann sich auf die Herausforderungen, die ein Neuanfang in fremder Umgebung, bedeutet, nur schwer einlassen.
»Das ist ein menschenunwürdiges Geschachere bei dem der Öffentlichkeit gesichtswahrend auf Kosten der Schutzbedürftigen eine menschenrechtswidrige Lösung präsentiert wird.«
Maghreb-Staaten sind und bleiben nicht sicher!
Die Union gibt den Plan zur Einstufung von Maghreb-Staaten und anderen Staaten als sichere Herkunftsländer nicht auf. Die Liste der sicheren Herkunftsländer soll erweitert werden – mindestens um Marokko, Algerien und Tunesien. Dieses Projekt, das bereits von der bisherigen Großen Koalition beschlossen und im Bundesrat verhindert wurde, bleibt ein verfassungswidriges Vorhaben, das mit dem Asylrecht unvereinbar ist.
Denn in den genannten Ländern sind Menschenrechtsverletzungen nach wie vor an der Tagesordnung. Bereits 2016 hat PRO ASYL gemeinsam mit Amnesty International in einem offenen Brief kritisch hierzu Stellung genommen. Auch die jüngsten Anerkennungsquoten des Bundesamtes stehen der Einstufung der Länder als sichere Herkunftsländer fundamental entgegen. Die bereinigten Schutzquoten bei den Maghreb-Ländern liegen inzwischen bei 5,5 Prozent (Tunesien) bzw. 7,2 Prozent (Algerien) und 11,9 Prozent (Marokko).
Angesichts der geringen Zugangszahlen aus den Maghreb-Ländern wird um die Forderung nach ihrer Einstufung als »sicher« eine Scheindebatte geführt. Vielmehr versucht die Union, einen Fuß in die Tür zu bekommen, für weitere freihändige »Ernennungen« sicherer Herkunftsländer nach jeweils aktuellem Bedarf und politischem Kalkül und abseits jeder ernsthaften Prüfung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen.
Grenzkontrollen und Zuwanderungsgesetz
Die Unionsparteien sprechen sich zudem dafür aus, die Grenzkontrollen Deutschlands zu seinen europäischen Nachbarn weiter aufrecht zu erhalten. Damit wird die durch die EU gewährleistete ungehindert Reisefreiheit innerhalb der EU weiter außer Kraft gesetzt.
»Menschenrechte kennen keine Obergrenze, niemand darf in eine Situation in der Folter oder unmenschliche Behandlung droht, zurückgewiesen werden.«
Außerdem soll ein »Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz« eingeführt werden. Anders als es in der Öffentlichkeit dargestellt wird, bestehen auch schon heute gesetzliche Regelungen zur Einwanderung aus Erwerbszwecken. Eine Erweiterung von Einwanderungsmöglichkeiten ist sinnvoll. Zugleich sollten jedoch die hier bereits lebenden Asylsuchenden nicht von einer Integration in den Arbeitsmarkt abgehalten werden, indem Abschreckungsmaßnahmen – wie die oben beschriebene Dauerunterbringungen in Erstaufnahmeeinrichtungen – Maßnahmen zur Qualifizierung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt verhindern.
(akr)