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Ungarn: Menschenrechte und NGOs unter Druck
Am 29.5.2018 legte die ungarische Regierung die dritte Version des sogenannten »Stop Soros «-Gesetzespakets dem Parlament vor. Es handelt sich dabei um einen scharfen Angriff auf die ungarische Zivilgesellschaft. Verteidiger von Menschen- und Flüchtlingsrechten müssten aufgrund ihrer Arbeit mit Inhaftierungen rechnen.
Die Möglichkeit, in Ungarn Asyl zu beantragen, wurde bereits massiv eingeschränkt. Im September 2015 errichtete Ungarn einen Zaun an seiner Grenze zu Serbien und Kroatien. In die dort eingebauten Transitzonen wird seit Januar 2018 pro Tag nur eine Person eingelassen. Im Februar 2018 wurden 56 Asylanträge registriert. Völkerrechtswidrige Zurückweisungen wurden legalisiert. Alleine in 2017 wurden 20.100 Menschen zurückgewiesen oder ihnen wurde der Zutritt zu ungarischem Territorium verwehrt.
Das »Hungarian Helsinki Committee« (HHC) stellt die einzige kostenlose Rechtsvertretung für Asylsuchende in Ungarn. Ihre Arbeit wurde im letzten Jahr bereits durch die ungarischen Behörden massiv erschwert. So dürfen sie die Transitzonen nur noch betreten, wenn ein Asylsuchender dies explizit fordert. Die Möglichkeit die menschenrechtliche Situation in den Transitzonen zu beobachten, wurde stark erschwert. Mit dem Gesetzentwurf geht die ungarische Regierung einen Schritt weiter: Die Beobachtung der Menschenrechtssituation soll mit einer Gefängnisstrafe belegt werden.
Angriff auf den Rechtsstaat
Dieses Gesetzespaket ist ein Angriff auf den ungarischen Rechtsstaat und alle Personen, die sich für grundlegende Menschenrechte einsetzen. Es überschreitet die roten Linien, die von Orbáns konservativen Partnern in der EU gezogen wurden.
Das Hungarian Helsinki Committee erklärt in einer ersten Stellungnahme die möglichen Auswirkungen des Gesetzespakets und fordert die ungarischen Parlamentsabgeordneten dazu auf, dagegen zu stimmen. Hier unsere Übersetzung ins Deutsche:
Mit dem Gesetzentwurf Nr. T/333 »zur Änderung bestimmter Gesetze in Bezug auf die illegale Einwanderung« droht Personen, die sich auf legalem Wege für die Einhaltung der ungarischen Menschenrechtsverpflichtungen einsetzen, eine Inhaftierung. Tätigkeiten wie die Unterstützung eines Asylsuchenden bei der Einreichung eines Asylantrags, Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen durch den ungarischen Grenzschutz, das Veröffentlichen oder Verteilen von Informationsbroschüren zum Asylverfahren oder das Vernetzen in Netzwerken (z.B. von Fachanwält*innen) werden mit dem Gesetzentwurf zu Aktivitäten zu »Erleichterung der illegalen Migration« kriminalisiert und sollen künftig strafrechtlich verfolgt werden.
Aller internationalen Kritik zum Trotz hat die ungarische Regierung den Gesetzentwurf in seiner mittlerweile dritten Überarbeitung noch einmal verschärft!
Aller internationalen Kritik zum Trotz hat die ungarische Regierung den Gesetzentwurf in seiner mittlerweile dritten Überarbeitung noch einmal verschärft: Statt der willkürlichen Praxis der Lizenzgenehmigungen für NGOs und der 25%-igen Besteuerung von Spendengeldern, die aus dem Ausland stammen, drohen Menschenrechtsanwält*innen und Mitarbeiter*innen von NGOs künftig Inhaftierungen.
Mit diesem neuen Kapitel in den Plänen der ungarischen Regierung, die unabhängige Zivilgesellschaft und die Rechtsstaatlichkeit einzudämmen, ist eine neue beispiellose Ära der Angst zu befürchten, wie es sie in Ungarn seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft nicht gegeben hat. Kosmetische Änderungen am Gesetzentwurf werden nichts daran ändern – das gesamte Gesetzesvorhaben muss fallengelassen werden. Mit jeder Zustimmung sendet das ungarische Parlament das Signal aus, diejenigen ins Gefängnis zu stecken, die Menschen in Not helfen und alle kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen.
In einer ersten Reaktion nimmt das HHC zum Gesetzentwurf Stellung:
- Die Regierung droht mit strafrechtlichen Sanktionen gegen Personen, die sich mutig für die Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf ein ordentliches Verfahren, einsetzen. Sie droht mit der Inhaftierung derjenigen, die schutzbedürftigen Menschen lebenswichtige Hilfe leisten und sie vor nationalen Behörden und Gerichten vertreten, und verstößt gegen alles, was wir als Rechtsstaat oder europäische Werte definieren.
Asyl zu beantragen ist ein Menschenrecht, kein Verbrechen.
- Asyl zu beantragen ist ein Menschenrecht, kein Verbrechen. Nach EU- und ungarischem Recht haben Menschen, die von Krieg, Folter und Verfolgung bedroht sind, das Recht, ihr Leben zu retten und Schutz zu suchen. Personen, die Asylsuchende in Not beraten und informieren, handeln auf der klaren Grundlage des EU-Rechts und begehen keine Straftaten. Die Bestrafung von Personen mit Freiheitsstrafe, die einem Asylsuchenden Rechtsbeistand leisten oder eine Informationsbroschüre herausgeben, verstößt gegen das EU- und Völkerrecht und höhlt das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren aus.
- Ungarische Behörden, gestatten Asylsuchenden die Einreise in das ungarische Hoheitsgebiet, indem sie sie in die Transitzonen an der Südgrenze einreisen lassen. Das EU-Recht sieht eindeutig vor, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens das Recht haben, sich im Land aufzuhalten. Ebenso ist es das ungarische Einwanderungs- und Asylamt, das Aufenthaltsgenehmigungen erteilt, nicht Einzelpersonen oder Nichtregierungsorganisationen.
- Das Ungarische Helsinki-Komitee, seine Mitarbeiter und Vertragsanwält*innen leisten kostenlose Rechtshilfe für Personen, die bereits einen Asylantrag gestellt haben und nach Ungarn einreisen durften. Diese Tätigkeit in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz.
Update um 18:23 Uhr: Das HHC hat eine inoffizielle englische Übersetzung des Gesetzentwurfs veröffentlicht.