21.01.2013
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Sieht nicht nur von oben schön blau aus: Die Ägäis ist für viele Menschen ein Urlaubsparadies. Aufgrund der Abschottung Europas bedeutet sie für immer mehr Flüchtlinge den Tod. Foto: Nasa

Die Fluchtroute über die türkisch-griechische Landgrenze entlang des Evros-Flusses ist abgeriegelt. Seitdem sterben wieder mehr Flüchtlinge in der Ägäis. Das türkisch-griechische Netzwerk Kayiki ruft in einer Erklärung dazu auf, die tödliche Abschottungspolitik Europas zu bekämpfen.

„Trau­er allein reicht nicht, wir müs­sen han­deln und kämp­fen“, heißt es in einer Erklä­rung des Kay­i­ki-Netz­werks, die die letz­ten bekannt gewor­de­nen Boots­ka­ta­stro­phen in der Ägä­is auf­zählt: Am Sonn­tag, den 13. Janu­ar, wur­den auf der Insel Chi­os die Lei­chen von drei Flücht­lin­gen ange­spült. Am 15. Dezem­ber ken­ter­te ein Flücht­lings­boot vor Les­bos  – 28 Men­schen ertran­ken. Am 6. Sep­tem­ber star­ben 63 Men­schen vor Izmir beim Ver­such, nach Grie­chen­land zu gelan­gen – mehr als die Hälf­te von ihnen waren Kinder.

Euro­pa ver­schlie­ße ange­sichts der all­täg­li­chen Boots­ka­ta­stro­phen die Augen, heißt es in der auf Eng­lisch, Grie­chisch und Tür­kisch ver­öf­fent­lich­ten Erklä­rung. Ja mehr noch: „Die EU drängt auf die Durch­set­zung von Maß­nah­men, die das Risi­ko für Flücht­lin­ge, auf dem See­weg zu ster­ben, wei­ter erhöht,  indem sie Gren­zen her­me­tisch abrie­gelt und auf bru­ta­le Abschre­ckung setzt“. Die EU spie­le in die­sem „töd­li­chen Spiel“ eine Schlüs­sel­rol­le, so das Netz­werk, das sich für Flücht­lin­ge in Grie­chen­land und in der Tür­kei einsetzt.

Kein dau­er­haf­ter Flücht­lings­schutz in der Türkei

Für Flücht­lin­ge ist die Lage in bei­den Län­dern dra­ma­tisch. Auf der tür­ki­schen Sei­te der Ägä­is fin­den Flücht­lin­ge kei­nen dau­er­haf­ten Schutz. Nach wie vor hält die Tür­kei ihren soge­nann­ten „geo­gra­fi­schen Vor­be­halt“ zur Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on auf­recht, nach dem in der Tür­kei nur Asyl erhal­ten kann, wer aus Euro­pa kommt. Wenn­gleich die Tür­kei der­zeit über Hun­dert­tau­send syri­sche Kriegs­flücht­lin­ge und vie­le Schutz­su­chen­de aus ande­ren Län­dern beher­bergt, ist es den Betrof­fe­nen in der Tür­kei nicht mög­lich, einen dau­er­haf­ten Schutz­sta­tus zu erhal­ten und sich dort ein neu­es Leben auf­zu­bau­en. „Der Man­gel an einem stan­dar­di­sier­ten Asyl­ver­fah­ren trägt zur Ver­letz­lich­keit der Flücht­lin­ge bei und zwingt sie, ihre Flucht Rich­tung Grie­chen­land fort­zu­set­zen und damit in den Wel­len der Ägä­is oder in der Strö­mung des Evors-Grenz­flus­ses ihr Leben zu ris­kie­ren“, so Kayiki.

Ille­ga­le Push-Back-Ope­ra­tio­nen in der Ägäis

In Grie­chen­land tref­fen die Flücht­lin­ge auf eine von der Wirt­schafts­kri­se erschüt­ter­te Gesell­schaft, in der neo­fa­schis­ti­sche Par­tei­en erstar­ken, ras­sis­ti­sche Trupps Jagd auf Flücht­lin­ge und Migran­ten machen, Flücht­lin­ge und Migran­ten in Haft­la­ger gesperrt wer­den und ras­sis­ti­sche Poli­zei­ge­walt zum All­tag gehört.  Ein funk­tio­nie­ren­des Asyl­sys­tem gibt es nach wie vor nicht, Flücht­lin­ge wer­den an den Gren­zen ent­ge­gen allen flücht­lings­recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen zurück­ge­scho­ben. Nach Anga­ben von Kay­i­ki kommt es immer wie­der zu ille­ga­len Push-Back-Ope­ra­tio­nen auf See, bei denen die meist über­füll­ten Schlauch­boo­te der Flücht­lin­ge in tür­ki­sche Gewäs­ser zurück­ge­trie­ben wer­den. „Die­se Ope­ra­tio­nen wer­den in Zusam­men­ar­beit mit der Armee, mit Fron­tex und der Küs­ten­wa­che durch­ge­führt,“ so Kay­i­ki. Das Risi­ko, dass die klei­nen Flücht­lings­boo­te durch die ille­ga­len Zurück­wei­sun­gen in See­not gera­ten, wer­de dabei bewusst in Kauf genommen.

„Die Bootstra­gö­di­en sind ein unmit­tel­ba­res Resul­tat der Mili­ta­ri­sie­rung der Gren­zen und der Vor­stel­lung, man müs­se »die Fes­tung Euro­pa von einer Inva­si­on von Migran­ten schüt­zen«“, so Kay­i­ki. Das Netz­werk ruft die EU, die Tür­kei, die euro­päi­sche Öffent­lich­keit und Zivil­ge­sell­schaft auf, den Kampf gegen Migra­ti­on zu been­den und Flücht­lin­gen den recht­lich garan­tier­ten Schutz zu bieten.

Das Netz­werk Kay­i­ki geht aus einem 2008 gegrün­de­ten Zusam­men­schluss von Wis­sen­schaft­lern, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten und Künst­lern aus der Tür­kei, Grie­chen­land, Öster­reich und Deutsch­land zurück. Es dient vor allem der ver­bes­ser­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen grie­chi­schen und tür­ki­schen Men­schen­recht­ak­ti­vis­ten, um grenz­über­grei­fen­de juris­ti­sche und sozia­le Ein­zel­fall­hil­fe für Flücht­lin­ge zu erleich­tern und um über Flücht­lings­tra­gö­di­en in der Ägä­is auf­zu­klä­ren. Das Netz­werk wird finan­zi­ell im Rah­men des Tür­kei/­Grie­chen­land- Pro­jek­tes von PRO ASYL unterstützt.

Mehr Infor­ma­tio­nen:

PRO ASYL-Bericht „Über­le­ben im Tran­sit – Zur Lage von Flücht­lin­gen in der Türkei“

Walls of Shame – Bericht zur Situa­ti­on von Flücht­lin­gen in Grie­chen­land (engl.)

„I cam here for Peace“ – Bericht über ras­sis­ti­sche Poli­zei­ge­walt in Patras, Grie­chen­land (engl.)

 Spä­te Gerech­tig­keit – Mit­glie­der der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che wegen Fol­ter ver­ur­teilt (28.11.13)

 Dan­ke, Tote-Hosen-Fans! Wei­ter so! (28.08.13)

 Fes­tung Euro­pa abrüs­ten – Fron­tex-Ein­satz an der grie­chi­schen Gren­ze abbre­chen (10.12.12)

 „Scho­ckie­ren­de Orte“: UN-Son­der­be­richt­erstat­ter besucht grie­chi­sche Flücht­lings-Haft­la­ger (05.12.12)

 Grie­chen­land erhöht Haft­dau­er für Flücht­lin­ge auf 12 Mona­te  (12.11.12)