16.01.2013
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Wird der Entwurf der Aufnahmerichtlinie angenommen, droht Asylsuchenden jederzeit und überall in Europa die Inhaftierung.

Bei den Verhandlungen über die so genannte Aufnahmerichtlinie wollte offenbar kein Staat auf seine Haftgründe verzichten. So kam es dazu, dass der Entwurf sechs Haftgründe enthält, die es erlauben, Asylsuchende europaweit zu inhaftieren.

Dies zeigt die Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Klei­ne Anfra­ge der Bun­des­tags­frak­ti­on „Die Lin­ke“, die den „Stand der Ver­hand­lun­gen zur Neu­fas­sung der EU-Richt­li­ni­en im Asyl­recht und die Hal­tung der Bun­des­re­gie­rung“ zum The­ma hatte.

Die Ant­wort lis­tet flei­ßig auf, in wel­chen EU-Staa­ten wel­che Geset­zes­vor­schrif­ten zur Inhaf­tie­rung von Asyl­su­chen­den die­nen. Auch wenn die dar­ge­stell­ten Geset­ze der EU-Staa­ten sich nicht immer mit der jewei­li­gen Inhaf­tie­rungs­pra­xis decken, lässt sich der tabel­la­ri­schen Zusam­men­stel­lung ent­neh­men, wel­che Haft­grün­de in wel­chen Staa­ten bereits jetzt existieren.

Staa­ten mit den restrik­tivs­ten Rege­lun­gen gaben den Takt vor

Eigent­lich soll die künf­ti­ge EU-Auf­nah­me­richt­li­nie die sozia­le Aus­ge­stal­tung des Auf­ent­halts wäh­rend des Asyl­ver­fah­rens regeln. Doch der Ent­wurf ent­hält sechs Haft­grün­de, die es zusam­men­ge­nom­men erlau­ben, jeden Asyl­su­chen­den zu jeder Zeit an jedem Ort in Euro­pa ein­zu­sper­ren. „Die Mit­glied­staa­ten mit den restrik­tivs­ten Rege­lun­gen bei der Inhaf­tie­rung Asyl­su­chen­der haben den Takt bei der Abfas­sung der Auf­nah­me­richt­li­nie vor­ge­ge­ben. In zwölf von 26 EU-Staa­ten gibt es der­zeit Rege­lun­gen, die eine Inhaf­tie­rung wäh­rend des noch lau­fen­den Asyl­ver­fah­rens ermög­li­chen“, so die Abge­ord­ne­te Ulla Jelp­ke, die die Klei­ne Anfra­ge mit ver­fasst hat­te, in einer Pres­se­er­klä­rung.

Aus der Ant­wort wird offen­kun­dig: Bis jetzt hat kein ange­frag­ter EU-Mit­glied­staat bereits alle sechs in der Auf­nah­me­richt­li­nie vor­ge­se­he­nen Haft­grün­de (unge­klär­te Iden­ti­tät, Beweis­si­che­rung im Asyl­ver­fah­ren, Prü­fung des Ein­rei­se­rech­tes, ver­spä­te­te Asyl­an­trags­stel­lung, aus Grün­den der öffent­li­chen Sicher­heit und Ord­nung, Dub­lin­ver­fah­ren) im natio­nal­staat­li­chen Recht verankert.

Rol­le der Bun­des­re­gie­rung im Verhandlungsprozess

In ihrer Ant­wort auf die Klei­ne Anfra­ge der Lin­ken äußert sich die Bun­des­re­gie­rung auch zum Ver­hand­lungs­pro­zess: So habe Deutsch­land den Haft­grund „ver­spä­te­te Asyl­an­trags­stel­lung“ mit­ge­tra­gen. Auch auf den Arti­kel 8 Absatz 3f woll­te die Bun­des­re­gie­rung nicht ver­zich­ten, erlaubt die­ser doch,  Asyl­su­chen­de wäh­rend des so genann­ten „Dub­lin-Ver­fah­rens“ zu inhaf­tie­ren – in Deutsch­land schon bis­her mög­lich. Den Haft­grün­den Arti­kel 8 Absatz 3a, 3b und 3c stand die Bun­des­re­gie­rung „neu­tral“ gegen­über. Dass Schutz­su­chen­de künf­tig zum blo­ßen Zweck der Klä­rung ihrer Iden­ti­tät, der „Beweis­si­che­rung“ im Asyl­ver­fah­ren oder der Prü­fung ihres „Ein­rei­se­rechts“ inhaf­tiert wer­den, war dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um wohl gleich­gül­tig. Die Inhaf­tie­rung „aus Grün­den der öffent­li­chen Sicher­heit und Ord­nung“ ging selbst der deut­schen Ver­hand­lungs­de­le­ga­ti­on zu weit, aber sie konn­te eine Strei­chung nicht durchsetzen.

Zufrie­den zeigt sich die Bun­des­re­gie­rung auch mit der Inhaf­tie­rungs­re­ge­lung im aktu­el­len Ent­wurf der Dub­lin III-Ver­ord­nung, der ein beschleu­nig­tes Über­stel­lungs­ver­fah­ren für inhaf­tier­te Asyl­su­chen­de vor­sieht. Die­ses wur­de vom Euro­pa­par­la­ment in den Ent­wurf der Ver­ord­nung hin­ein ver­han­delt: Der ersu­chen­de Staat muss inner­halb eines Monats das Über­nah­me­ersu­chen stel­len, der ersuch­te Staat muss inner­halb von zwei Wochen ant­wor­ten, sonst gilt, „Wer schweigt, stimmt zu“. Für die Über­stel­lung bzw. Abschie­bung  blei­ben sechs Wochen Zeit.

PRO ASYL befürch­tet Aus­wei­tung der Inhaf­tie­rungs­pra­xis bei Dublinfällen 

Die Beschleu­ni­gung begrenzt zwar die Haft­dau­er bei Dub­lin­fäl­len auf drei Mona­te. Aus Sicht von PRO ASYL hat das beschleu­nig­te Ver­fah­ren jedoch fata­le Aus­wir­kun­gen: Eine zwei­wö­chi­ge Ant­wort­frist wird dazu füh­ren, dass Mit­glied­staa­ten die Frist ver­säu­men wer­den, sodass sie die Zustän­dig­keit durch Schwei­gen erlan­gen. – Die Erfah­rung zeigt, dass man­che Mit­glied­staa­ten mit ihren klei­nen Dub­lin-Abtei­lun­gen ohne­hin schon mit den Ver­fah­ren über­for­dert sind. Eine wei­te­re nega­ti­ve Fol­ge könn­te sein, dass die Zustän­dig­keit an Mit­glied­staa­ten über­geht, die über­haupt nicht zustän­dig sind, mit dra­ma­ti­schen Kon­se­quen­zen für die Schutzsuchenden.

PRO ASYL befürch­tet, dass die Mit­glied­staa­ten im Zen­trum der EU das beschleu­nig­te Ver­fah­ren für inhaf­tier­te „Dub­li­ners“ als Ein­la­dung anse­hen, noch schnel­ler und häu­fi­ger zu inhaftieren.

Der Richt­li­ni­en­ent­wurf in deut­scher Spra­che: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/12/st14/st14112-re01.de12.pdf

Bit­te betei­li­gen Sie sich an der Akti­on NEIN zur Inhaf­tie­rung von Flücht­lin­gen und bit­ten Sie die Abge­ord­ne­ten des Euro­päi­schen Par­la­ments, gegen die EU-Auf­nah­me­richt­li­nie zu stimmen!

 Euro­pa­par­la­ment ver­ab­schie­det Asyl­pa­ket (12.06.13)

 Euro­pa­par­la­ment ver­ab­schie­det so genann­tes Asyl­pa­ket  (12.06.13)

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 Welt­kin­der­tag 2012 – EU will Abschie­bungs­haft für Flücht­lings­kin­der (20.09.12)

 EU will Inhaf­tie­rung von Asyl­su­chen­den aus­wei­ten (13.06.12)

 Abschot­ten, Inhaf­tie­ren und Abschie­ben (25.04.12)