News
Prügel, Hundebisse, Pushbacks: Alltag von Geflüchteten an der serbisch-ungarischen Grenze
Ein zwei Meter hoher Zaun mit Stacheldraht, dahinter ein zweiter elektrischer Zaun – so sieht die Grenze zwischen Serbien und dem EU-Land Ungarn aus. Wer hier in die EU will, um Schutz zu finden, muss ein brutales Katz-und-Maus-Spiel spielen - »the game«, wie es genannt wird. Wiebke Judith von PRO ASYL war vor Ort und berichtet von ihrem Eindruck.
Mit András Léderer vom Ungarischen Helsinki Komitee, einer ungarischen Nichtregierungsorganisation, die 2018 den Menschenrechtspreis der Stiftung PRO ASYL erhielt und für ihre Arbeit zu Pushbacks von PRO ASYL unterstützt wird, fahre ich von Budapest aus nach Serbien. Wir passieren die Grenze in Röskze. Im Niemandsland zwischen zwei Grenzposten sieht man die mittlerweile leere Transitzone: Metallcontainer und Stacheldraht. Laut András werden die Transitzonen seit kurzem wieder für Pushbacks genutzt: die Menschen werden hierhergebracht und zurück auf die serbische Seite gezwungen. Über die gesamte Länge des Grenzzauns gibt es immer wieder Türen, durch die die Menschen auf die andere Seite geschickt werden – wo außer Wiese nichts ist. Gewaltfrei läuft das nicht ab, wie wir später erfahren werden. Laut András wurden im Winter sogar Menschen gezwungen, ihre Kleidung auszuziehen. Handys werden den Schutzsuchenden regelmäßig von Grenzbeamten abgenommen oder zerstört.
Asylrecht in Ungarn? Abgeschafft!
Ungarn hat die wohl schärfste Abschottungspolitik in der EU und verstößt damit gegen europäisches und internationales Recht. Seit 2016 gibt es ein Gesetz, das Pushbacks an der Grenze nationalrechtlich erlaubt, 2017 wurde es auf das ganze Land ausgeweitet. Seit der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Mai 2020 in einem wichtigen Urteil festgestellt hat, dass das Festhalten von Menschen in den Transitzonen am Grenzübergang Röszke rechtswidrige Haft war, hat Ungarn zwar die Transitzonen geschlossen – aber auch das Asylrecht faktisch abgeschafft. Asylsuchende können im Land keinen Asylantrag mehr stellen, sondern müssen dies zunächst in Belgrad oder – mittlerweile besonders absurd – in Kiew tun. Kurze Zeit später, im Dezember 2020, stellte der EuGH außerdem die Rechtswidrigkeit des Pushback-Gesetzes fest. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte 2021, dass solche Pushbacks gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Doch die Regierung von Viktor Orbán ignoriert die Urteile. Jede Person – egal mit welcher Fluchtgeschichte, egal ob Frau, Mann oder Kind – wird weiterhin nach Serbien gebracht, wenn sie in Ungarn von der Polizei aufgegriffen wird und keinen gültigen Aufenthaltstitel hat oder versucht, einen Asylantrag zu stellen. Die ungarische Polizei stellt die Pushbacks sogar Stolz zur Schau und veröffentlicht eigene Zahlen. Laut diesen wurden allein von Januar bis März 2022 19.283 Pushbacks durchgeführt.
Wartestation Serbien
Auf dem Gelände einer verlassenen Farm zwischen der Grenze und dem serbischen Ort Subotica stoßen wir auf eine Gruppe von acht Männern aus Afghanistan und Pakistan. Sie sind erst seit kurzem in Serbien – haben aber zum Teil schon leidvolle Erfahrungen mit der europäischen Abschottungspolitik gemacht. Ein junger Mann aus Afghanistan, der gutes Englisch spricht, erzählt, dass er neun Monate in Xanthi, im nördlichen Griechenland, inhaftiert war. Mit drei anderen aus der Gruppe machte er sich dann von Griechenland aus auf den Weg über Nordmazedonien nach Serbien – wofür sie acht Anläufe zur Grenzüberquerung brauchten. Nur einer von ihnen hat bereits mehrfach versucht, nach Ungarn zu kommen – und wurde dabei fünf Mal aufgegriffen und zurückgebracht.
Gemeinsam will die Gruppe es nun wieder versuchen. Sie wissen, dass viele zehn Mal oder noch häufiger »das Spiel« mitmachen müssen, bis sie es durch Ungarn in ein Land schaffen, das ihnen eventuell Schutz bietet.
Ungestört verlief das Gespräch nicht, denn nach nur fünf Minuten tauchte die serbische Polizei auf. Schon zuvor hatten die Männer berichtet, dass die serbische Polizei bereits am Tag zuvor da gewesen war, es aber keine Probleme gegeben hätte. Auch dieses Mal scheinen sie freundlich, checken unsere Pässe und fahren weiter. Doch von Aktivist*innen, die wir zuvor in Subotica getroffen haben, wissen wir, dass das auch anders aussehen kann. In den letzten Wochen – mit dem wärmer werdenden Wetter – sind ihrem Eindruck nach wieder deutlich mehr Menschen gekommen, die versuchen wollen, nach Ungarn zu gelangen.
Auch das Vorgehen der serbischen Polizei sei rabiater geworden. Immer wieder würden sie Orte wie die verlassene Farm räumen und dabei oft die wenigen Gegenstände der Menschen zerstören. Wenn aus ihrer Sicht zu viele Menschen in der Grenzregion auf ihre Chance warten, werden sie eingesammelt und mit Bussen zu Camps an der mazedonischen Grenze gebracht – oder auch gleich dahin gepusht. Das ist laut den Aktivist*innen wohl auch mit den Geflüchteten passiert, die sich vor der Gruppe, die wir getroffen haben, in der verlassenen Farm aufgehalten haben. Die acht Männer, mit denen wir sprachen, wissen davon nichts. Sie bereiten sich auf ihren ersten Versuch vor, den Grenzzaun zu überwinden und der ungarischen Polizei zu entgehen.
Pushback bedeutet oft Prügel oder sogar Hundebisse
Wie unangenehm und gefährlich es sein kann, der ungarischen Grenzpolizei in die Hände zu geraten, wird bei unserem nächsten Stopp deutlich. Wir fahren nach Sombor in der Grenzregion Kroatien-Serbien-Ungarn. Hier gibt es ein größeres Lager und ein weiteres inoffizielles Lager. In das offizielle Lager dürfen wir nicht hinein; wir werden vom Sicherheitsdienst direkt weggeschickt, als wir beginnen, vor dem Eingang mit einem jungen Mann aus Marokko zu sprechen.
Zufällig treffe ich vor dem Lager, wo sich viele Menschen aufhalten, in Gruppen sitzen und zum Teil dort wohl auch die Nächte verbringen, einen Syrer, der gut Deutsch spricht. Er habe in Syrien Deutsch studiert, erzählt er. Im Gegensatz zu der Gruppe bei der verlassenen Farm haben er und seine Freunde schon mehrfach versucht, nach Ungarn zu kommen. Seit ungefähr 15 Tagen sind sie vor Ort. Sie berichten, von den ungarischen Beamten geschlagen worden zu sein. Auch von aggressiven Hunden ist die Rede. Kurz bevor wir wieder los müssen, holen sie einen Jungen, der einen Verband an seinem Unterschenkel abnimmt – der ganze Unterschenkel ist voller Bisswunden. Er sieht noch sehr jung aus; auf Rückfrage wird bestätigt: er ist erst 15 Jahre alt.
Leben im »jungle«: keine Option zu bleiben
Auch wenn wir das Lager selbst nicht betreten können, wird deutlich, dass zumindest drumherum die Lebensbedingungen schlecht sind. Eine kurdische Frau aus Syrien, die das Kleinkind ihres Bruders auf dem Arm hält, führt uns in den »jungle« zu ihrem kleinen Zelt – eine der wenigen Frauen, die wir sehen. Dort wohnt sie mit ihrem Bruder und dessen drei Kindern. Die Mutter, so macht sie mit ein paar Brocken Englisch und mit Gesten deutlich, ist verschwunden und sie wissen nicht, wo sie ist. Es riecht nach Kot und Urin, denn sanitäre Anlagen scheint es in dem Teil des Lagers nicht zu geben. Das ist definitiv kein Ort für Kleinkinder, Minderjährige – ja für niemanden! Für uns bleibt die große Frage, wie sie mit den Kindern den Grenzzaun überwinden wollen. Doch dass sie dort nicht bleiben können, ist ebenso klar.
Erst auf dem Rückweg nach Ungarn sehen wir den Grenzzaun selbst. Während wir unkompliziert mit unseren Pässen die Grenze passieren können, bereiten sich die Menschen, die wir getroffen haben, auf eine neue gefährliche Runde des »game« vor.
(wj)