04.05.2022
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Ein Vertreter der Frontex-Agentur, während einer Patrouille an Bord auf der griechischen Insel Lesbos. Foto: European Union, 2015

Geflüchtete werden in Ländern wie Griechenland und Kroatien häufig Opfer von rechtswidrigen Pushbacks. Heute wird eine von PRO ASYL mitherausgegebene Studie veröffentlicht, in der Wege für eine Kontrolle des Grenzschutzes an den EU-Außengrenzen vorgeschlagen werden. Markus Jaeger, Koordinator der Studie, erklärt, was dafür nötig ist.

An Euro­pas Außen­gren­zen wer­den durch Push­backs sys­te­ma­tisch die Men­schen­rech­te ver­letzt; zahl­rei­che Berich­te ver­deut­li­chen das. Nur: Die­se Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen wer­den kaum geahn­det, die Ver­ant­wort­li­chen nicht zur Rechen­schaft gezo­gen. Wor­an liegt das?

Der ers­te Grund für die schlech­te Behand­lung von Schutz­su­chen­den und die Straf­lo­sig­keit liegt dar­in, dass die Opfer nicht wohl­ge­lit­ten sind. Mit der Aus­nah­me von Men­schen aus der Ukrai­ne wer­den Flücht­lin­ge nicht gern gese­hen in Euro­pa. Des­halb ver­schlie­ßen Poli­ti­ker und vie­le Bür­ger die Augen davor, wenn Men­schen, die von weit her­kom­men, um bei uns Schutz zu fin­den, schlecht behan­delt wer­den von unse­ren Grenz­schüt­zern. Die­se Behand­lung wird ein­fach in Kauf genom­men, weil man Angst hat, über­rannt zu wer­den von »den Frem­den« – ein Nar­ra­tiv, das so man­chen poli­ti­schen Bewe­gun­gen als Leit­mo­tiv dient und von ihnen flei­ßig auf­ge­bauscht wird. Die­ses Angst­bild führt dazu, dass es vie­le Leu­te gar nicht stört, wenn an Euro­pas Außen­gren­zen kla­re recht­li­che Bestim­mun­gen ein­fach nicht ein­ge­hal­ten werden.

Es gibt der­zeit kei­ne von den Regie­run­gen unab­hän­gi­ge, andau­ern­de und funk­tio­nie­ren­de Kon­trol­le des­sen, was an den EU-Außen­gren­zen geschieht.

Und der zwei­te Grund?

Der zwei­te Grund für das rechts­wid­ri­ge Ver­hal­ten von Grenz­schüt­zern ist ein Man­gel an Über­wa­chung. Es gibt der­zeit kei­ne von den Regie­run­gen unab­hän­gi­ge, andau­ern­de und funk­tio­nie­ren­de Kon­trol­le des­sen, was an den EU-Außen­gren­zen geschieht. Das ist eine anor­ma­le und gefähr­li­che Situa­ti­on. Anor­mal, weil der gro­ßen Macht und den erheb­li­chen Mit­teln von unse­ren bewaff­ne­ten Grenz­schüt­zern kei­ne checks and balan­ces ent­ge­gen­ste­hen. Das ist ein Sys­tem­feh­ler. Und gefähr­lich, weil jemand, der Macht hat, aber selbst von nie­man­dem über­wacht wird, mehr oder min­der machen kann was er will. Unbe­straf­te, schwe­re Ver­stö­ße gegen den Rechts­staat, der Euro­pa nun ein­mal sein soll, wei­chen den Rechts­staat an sich auf. Das ist der Ansatz­punkt unse­rer Mach­bar­keits­stu­die, die über­prüft, wie man die­ses Pro­blem der Straf­lo­sig­keit euro­päi­scher Grenz­schüt­zer in den Griff bekom­men könnte.

Erzäh­len Sie uns von der Studie…

… erlau­ben Sie mir zunächst noch, einen per­sön­li­chen Aspekt hin­zu­zu­fü­gen: Was an unse­ren Außen­gren­zen pas­siert, ist nicht nur gefähr­lich und dumm, son­dern auch häss­lich! Das ers­te – und manch­mal ein­zi­ge – Bild von Euro­pa, das man den ankom­men­den Flücht­lin­gen bie­tet, ist nicht das eines Euro­pa, das ich schät­ze und auf das ich stolz sein möch­te. Es ist per­fi­de, Men­schen bru­tal zurück­zu­wei­sen und dar­auf spe­ku­lie­ren zu kön­nen, dass sich die­se Men­schen nicht ein­mal beschwe­ren wer­den. Denn sie haben in den meis­ten Fäl­len kei­nen Zugang zu unse­rem Rechts­sy­tem, weil sie eben nicht (mehr) in Euro­pa sind. Außer­dem sind sie meist mit­tel­los und haben schlicht­weg Angst. All das geht uns etwas an. Es ist unser Euro­pa, um das es geht. Es sind unse­re Grenz­schüt­zer. Und es ist unser Geld, mit dem die­se aus­ge­stat­tet und bezahlt wer­den. Des­halb soll­ten wir uns alle dafür inter­es­sie­ren, wie sie arbeiten.

All das geht uns etwas an. Es ist unser Euro­pa, um das es geht. Es sind unse­re Grenz­schüt­zer. Und es ist unser Geld, mit dem die­se aus­ge­stat­tet und bezahlt wer­den. Des­halb soll­ten wir uns alle dafür inter­es­sie­ren, wie sie arbeiten.

Sie haben die bereits erwähn­te Stu­die zum The­ma Bor­der­mo­ni­to­ring, deren Mit­her­aus­ge­ber die Stif­tung PRO ASYL ist, initi­iert und koor­di­niert. Kurz zusam­men­ge­fasst: Wor­um geht es dabei?

Die Stu­die stellt den Ist-Zustand fest und fragt, wie man die Pro­ble­me behe­ben kann. Dafür ist es zen­tral, dass das Ungleich­ge­wicht zwi­schen Grenz­schutz und Rechts­schutz ange­gan­gen wird. Es gibt natio­na­le Grenz­schüt­zer, die mit euro­päi­schem Geld aus­ge­stat­tet wer­den, und es gibt Fron­tex, die euro­päi­sche Grenz­schutz­agen­tur, die den natio­na­len Grenz­schüt­zern hilft. Ver­gan­ge­ne Woche ist Fron­tex-Chef Fabri­ce Leg­ge­ri zurück­ge­tre­ten, doch bei die­sem Schritt allein darf es nicht blei­ben. Denn die­ser soli­da­ri­sche euro­päi­sche Grenz­schutz ver­schlingt immer mehr Geld und wird immer grö­ßer und stär­ker. Fron­tex wird über rund zehn­tau­send Grenz­schüt­zer ver­fü­gen, hat eige­ne Schif­fe, Heli­ko­pter und Droh­nen zum Schutz unse­rer Gren­zen. Dort kom­men aber nicht nur Dro­gen- oder Waf­fen­händ­ler, son­dern auch schutz­su­chen­de Men­schen an. Der Rechts­schutz die­ser Men­schen ist im Ver­gleich zum Auf­wand für den Grenz­schutz extrem gering. Die­ses kras­se Ungleich­ge­wicht zwi­schen Grenz­schutz und Rechts­schutz ist besorg­nis­er­re­gend. Die Grenz­schüt­zer müs­sen end­lich einer funk­tio­nie­ren­den Kon­troll­in­stanz unter­ste­hen, damit sicher­ge­stellt ist, dass die Men­schen­rech­te an den Gren­zen geach­tet werden.

Schwebt Ihnen eine Art »Fron­tex der Men­schen­rech­te« vor?

Eher ein Pen­dant zu Fron­tex im Bereich der Men­schen­rech­te. Bei­den gemein­sam wäre die euro­päi­sche Soli­da­ri­tät. Ich stel­le nicht infra­ge, dass es Grenz­schutz braucht. Doch genau­so soli­da­risch und euro­pä­isch, wie die­ser gestal­tet wird, soll­te Euro­pa vor­ge­hen, um einen Rechts­schutz her­zu­stel­len. Es gibt zwar die EU-Grund­rech­te­agen­tur, die wich­tig ist und gute Arbeit leis­tet, doch dabei han­delt es sich eben um eine Agen­tur der EU, die nicht die nöti­ge Unab­hän­gig­keit hat, um Kol­le­gen von ande­ren EU-Agen­tu­ren wie zum Bei­spiel Fron­tex zu kontrollieren.

Sind also neue Gre­mi­en und Insti­tu­tio­nen nötig, um Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen auf­zu­de­cken und straf­recht­lich zu verfolgen?

Ins Leben geru­fen wer­den muss ein Gre­mi­um, das zwar von der EU finan­ziert, aber nicht von ihr auf­ge­baut und kon­trol­liert wird. Als Vor­bild und zur Ori­en­tie­rung die­nen bei­spiels­wei­se Ombuds­män­ner- und frau­en, die es schon in vie­len Mit­glied­staa­ten gibt, in Deutsch­land aller­dings nur in der mei­nes Erach­tens abge­schwäch­ten Form des Peti­ti­ons­aus­schuss des Bun­des­tags. Das Rad muss also nicht neu erfun­den wer­den: Es gibt in jedem EU-Land eine unab­hän­gi­ge, natio­na­le Men­schen­rechts­kom­mis­si­on (in Deutsch­land das Deut­sche Insti­tut für Men­schen­rech­te) und außer­dem natio­na­le Stel­len gegen Fol­ter. Unse­re Idee ist nun fol­gen­de: Die­se bestehen­den, natio­na­len, unab­hän­gi­gen Stel­len könn­ten zusam­men ein Kon­sor­ti­um grün­den und auf Grenz­schutz spe­zia­li­sier­te Men­schen­rechts­be­ob­ach­ter ein­stel­len und aus­bil­den. Die­se wür­den dann über­wa­chen, was an den EU-Außen­gren­zen pas­siert. Gemein­sam müss­ten sie Tag und Nacht die Gren­zen beob­ach­ten und dann an die kom­pe­ten­ten Auto­ri­tä­ten zurück­mel­den, was sie sehen.

An wel­che Stel­len wür­den sie das zurückmelden?

Ers­tens an die natio­na­le Men­schen­rechts­be­hör­de in dem jewei­li­gen Land, in dem sie unter­wegs sind, da die­se in ihrem Land feder­füh­rend bleibt. Zwei­tens an das Kon­sor­ti­um, in dem unab­hän­gi­ge Men­schen­rechts­schüt­zer aus ganz Euro­pa sit­zen. Und drit­tens ans Euro­päi­sche Par­la­ment und die Euro­päi­sche Kommission.

Wie soll das in der Pra­xis gestal­tet wer­den? Sol­len Teams von je 27 Men­schen – aus jedem EU-Land einer – zusam­men unter­wegs sein, um Men­schen­rechts­ver­stö­ße aufzudecken?

Das ist illu­so­risch, denn kei­ne natio­na­le Men­schen­rechts­kom­mis­si­on kann dazu gezwun­gen wer­den, Mit­ar­bei­ter für eine sol­che euro­päi­sche Mis­si­on abzu­stel­len. Das Deut­sche Insti­tut für Men­schen­rech­te etwa oder die Natio­na­le Stel­le gegen Fol­ter kön­nen über ihre Arbeit nur selbst ent­schei­den und sich frei­wil­lig dazu ent­schlie­ßen, Mit­glie­der des Kon­sor­ti­ums zu wer­den. Es wird also ver­mut­lich nicht gelin­gen, alle 27 Län­der dabei zu haben. Wün­schens­wert wäre aber, wenn in dem Kon­sor­ti­um Men­schen und Insti­tu­tio­nen aus mög­lichst vie­len EU-Län­dern ver­tre­ten sind. Eine brei­te Zusam­men­set­zung des Kon­sor­ti­ums dient auch dem Schutz der ein­zel­nen Mit­glie­der: Für muti­ge Ombuds­män­ner- und frau­en etwa aus Grie­chen­land oder Kroa­ti­en ist es sehr schwer, die Men­schen­rech­te von Geflüch­te­ten in ihren Län­dern zu ver­tei­di­gen, weil das unpo­pu­lär ist. Sind sie hin­ge­gen gemein­sam mit däni­schen, deut­schen, hol­län­di­schen Kol­le­gen unter­wegs und über­neh­men die­se eben­falls Ver­ant­wor­tung, ist es leich­ter, auch poli­tisch Druck zu erzeugen.

Und wie soll das finan­ziert werden?

Für Fron­tex ist 2027 ein Bud­get von 900 Mil­lio­nen Euro vor­ge­se­hen! Hin­zu kom­men die diver­sen Zah­lun­gen, mit denen die EU die Grenz­schüt­zer an den Außen­gren­zen unter­stützt. Die EU müss­te einen klei­nen Pro­zent­satz die­ser Kos­ten für den Grenz­schutz künf­tig für den Rechts­schutz ausgeben.

Nun bedeu­tet das Beob­ach­ten und Doku­men­tie­ren von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen noch nicht, dass dar­aus Kon­se­quen­zen gezo­gen wer­den. Wel­che Mög­lich­kei­ten gibt es laut der Stu­die, die Straf­lo­sig­keit euro­päi­scher Beam­ter an Euro­pas Außen­gren­zen zu beenden?

Es ist rich­tig, beob­ach­ten heißt noch nicht ahn­den, noch nicht unter­bin­den – aber es ist die Vor­be­din­gung dafür. Die Unab­hän­gig­keit und Glaub­wür­dig­keit eines Bor­der­mo­ni­to­ring-Sys­tems ist wich­tig, um der Straf­lo­sig­keit einen Rie­gel vor­zu­schie­ben. Zur Zeit sind NGOs und eini­ge Medi­en die wich­tigs­ten Infor­ma­ti­ons­quel­len, wenn es um Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den Gren­zen geht. Aber sie haben lei­der nicht das­sel­be Gewicht wie staat­li­che Stel­len, ihnen wird häu­fig eine gewis­se Ideo­lo­gie unter­stellt. Fak­ten kön­nen nicht mehr bestrit­ten wer­den, wenn sie von staat­li­chen Insti­tu­tio­nen wie Anti-Fol­ter­stel­len oder Men­schen­rechts­kom­mis­sio­nen stam­men. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te zum Bei­spiel ver­lässt sich auf die Fak­ten, die von sol­chen Instan­zen vor­ge­legt wer­den. Das Moni­to­ring, also das Über­wa­chen, ist in der Tat nur der ers­te Schritt. Aber je kom­pe­ten­ter, mas­si­ver und detail­lier­ter die Beob­ach­tun­gen von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen sind, des­to schwie­ri­ger wird es für die natio­na­len Regie­run­gen und die EU, aber auch für Staats­an­wäl­te und Rich­te­rin­nen, nicht dar­auf zu reagie­ren. Einen Ombuds­mann allei­ne kann man igno­rie­ren. Aber ein euro­päi­sches Kon­sor­ti­um von hoch­qua­li­fi­zier­ten, staat­li­chen Men­schen­rechts­be­ob­ach­tern kann schlecht igno­riert werden.

Was ist der zwei­te Schritt?

Im zwei­ten Schritt muss es um poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung und straf­recht­li­che Maß­nah­men gehen. Ver­ant­wor­tung tra­gen müss­ten die Natio­nal­staa­ten und die EU-Orga­ne, die Grenz­schutz durch­füh­ren bezie­hungs­wei­se finan­zi­ell unter­stüt­zen. Und natür­lich müs­sen auch indi­vi­du­el­le Grenz­schüt­zer für ihre Taten oder Unter­las­sun­gen recht­lich, gege­be­nen­falls straf­recht­lich, belangt wer­den können.

Nach den vie­len Vor­fäl­len der Gewalt an Flücht­lin­gen an Euro­pas Gren­zen hat man den Ein­druck, es fehlt ganz ein­fach der poli­ti­sche Wil­le, um die Men­schen­rech­te hoch­zu­hal­ten.  Wie wol­len Sie die Poli­tik davon über­zeu­gen, dass das sinn­voll ist?

Das bleibt eine wich­ti­ge Auf­ga­be – und ist das täg­li­che Brot von allen Men­schen­rechts­ver­tei­di­gern. Wich­tig ist es, die Schutz­be­dürf­tig­keit her­aus­zu­stel­len, etwa von beson­ders gefähr­de­ten Grup­pen wie schwan­ge­ren Frau­en und Kin­dern. So kann es gelin­gen, Empa­thie zu wecken. Denn man­geln­des Mit­ge­fühl ist das größ­te Pro­blem. Wir spre­chen da auch von einer com­pas­si­on fati­gue: Es tritt schnell Ermü­dung ein, wenn immer wie­der ähn­li­che Vor­fäl­le pas­sie­ren. Das wird eine der Her­aus­for­de­run­gen sein, wenn es zu einer Bor­der­mo­ni­to­ring-Mis­si­on kommt, wie sie uns – den Her­aus­ge­bern der Stu­die – vor­schwebt: Ich befürch­te, dass die Mit­glie­der des neu zu grün­den­den Men­schen­rechts­kon­sor­ti­ums auf so vie­le Miss­stän­de sto­ßen wer­den, dass bei vie­len Bür­ge­rin­nen und Bür­gern ein Gewöh­nungs­ef­fekt ein­tre­ten wird.  Ande­rer­seits erle­ben wir der­zeit im rus­si­schen Angriffs­krieg, dass nur weni­ge Tage nach der Ent­de­ckung der Mor­de an ukrai­ni­schen Zivi­lis­ten die ver­ant­wort­li­chen rus­si­schen Kom­man­dan­ten per­sön­lich iden­ti­fi­ziert wur­den. Das ging extrem schnell – so soll­te das in Zukunft immer lau­fen, auch an Euro­pas Außen­gren­zen. Wenn man belegt: »Die­ser Grenz­schüt­zer hat drei süße Kin­der – aber er hat ein klei­nes kur­di­sches Mäd­chen vor sei­nen Augen ertrin­ken las­sen, ohne die Hand aus­zu­stre­cken«, dann geht das unter die Haut. Wich­tig ist hier­bei die Zusam­men­ar­beit mit Medi­en und NGOs.

In der Stu­die wird ein Pilot­pro­jekt vor­ge­schla­gen? Wel­chem Ziel dient das?

Wir for­dern ein Pilot­pro­jekt der EU-Kom­mis­si­on an einer EU-Außen­gren­ze, von der beson­ders vie­le Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen berich­tet wer­den. Zwei Jah­re lang könn­te dort aus­pro­biert wer­den, was wir vor­schla­gen. Die men­schen­recht­li­che Beob­ach­tung muss stän­dig gewähr­leis­tet wer­den, Tag und Nacht. Dafür brau­chen wir eine Finan­zie­rung durch die EU-Kom­mis­si­on, etwa drei Mil­lio­nen Euro. Soll­te sich das Sys­tem bewäh­ren, könn­te und soll­te es ins euro­päi­sche Rechts­sys­tem ein­ge­baut und auf alle EU-Außen­gren­zen aus­ge­wei­tet werden.

Im ver­gan­ge­nen Jahr hat der Unter­su­chungs­aus­schuss des EU-Par­la­ments einen Bericht zu Fron­tex vor­ge­legt, in dem der Behör­de schwe­re Grund­rechts­ver­let­zun­gen vor­ge­wor­fen wer­den. Aber das hat­te zunächst kei­ne spür­ba­ren poli­ti­schen und juris­ti­schen Kon­se­quen­zen. War­um soll­te das bei einer neu­en Initia­ti­ve wie einer euro­päi­schen Bor­der­mo­ni­to­ring-Mis­si­on anders sein?

Der Bericht der soge­nann­ten Fron­tex Scru­ti­ny Group, die aus EU-Par­la­men­ta­ri­ern des Aus­schus­ses für bür­ger­li­che Frei­hei­ten, Jus­tiz und Inne­res (LIEBE) besteht, hat immer­hin dazu geführt, dass zwölf Pro­zent des Jah­res­haus­hal­tes von Fron­tex zurück­ge­hal­ten wur­den.  Das Glei­che schla­ge ich vor im Umgang mit den Mit­glied­staa­ten: Solan­ge Miss­stän­de mit Blick auf die Behand­lung von Geflüch­te­ten an den Gren­zen anhal­ten, bekom­men Mit­glieds­staa­ten weder Geld noch Fron­tex-Unter­stüt­zung für den Grenz­schutz. Die Gel­der zeit­wei­se ein­zu­frie­ren, ist kein Zau­ber­mit­tel, aber so könn­te ein gewis­ses Gleich­ge­wicht her­ge­stellt wer­den zwi­schen Grenz­schüt­zern und denen, die vor den Grenz­schüt­zern geschützt wer­den müs­sen. Noch­mal: Wir wol­len Fron­tex nicht abschaf­fen, wir akzep­tie­ren, dass Grenz­schutz not­wen­dig ist – aber er muss recht­mä­ßig aus­ge­führt werden.

Ist ein effek­ti­ver Grenz­schutz ohne Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen denn über­haupt möglich?

Eine schwie­ri­ge Fra­ge. Aber wenn Men­schen geschla­gen oder gede­mü­tigt wer­den, wenn Hun­de auf Kin­der los­ge­las­sen und Frau­en mit schar­fen Waf­fen bedroht und ein­ge­schüch­tert wer­den, wenn Boo­te mit Flücht­lin­gen zurück in die Höl­le von Liby­en geschickt wer­den, dann sind das defi­ni­tiv Prak­ti­ken, die nicht Teil des Grenz­schut­zes sein müs­sen und nicht sein dür­fen. Wenn nur die aller­schlimms­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen abge­stellt wür­den, wäre das schon viel wert.

Was stimmt Sie opti­mis­tisch, dass eine Grenz­be­ob­ach­tungs­mis­si­on, wie sie in der Stu­die vor­ge­schla­gen wird, auf Zustim­mung in Brüs­sel und den euro­päi­schen Haupt­städ­ten trifft?

Hel­fen könn­te der Anflug von Groß­her­zig­keit in Län­dern wie Polen, die bis­her als eher flücht­lings­feind­lich bekannt waren, was sich nun im Zuge des Krie­ges in der Ukrai­ne wan­delt. Ich hof­fe, dass die­se Groß­her­zig­keit andau­ert und aus­ge­wei­tet wird auch auf ande­re hilfs­be­dürf­ti­ge Men­schen. Es gibt in ganz Euro­pa mut­ma­chen­de Bei­spie­le: In Frank­reich war der Bür­ger­meis­ter von Béziers in den Schlag­zei­len, ein rech­ter Typ, der lan­ge Zeit gegen die Auf­nah­me von Asyl­su­chen­den gewet­tert hat. Die­ser Mann sagt nun: »Die Ukrai­ne-Kri­se hat mir die Augen geöff­net. Was ich jahr­zehn­te­lang ver­tre­ten habe, ist zynisch. Die Syrer haben das­sel­be erlebt wie die Ukrai­ner.« Viel­leicht wird auch die eine oder die ande­re Regie­rung erken­nen, dass sie sich schä­big ver­hal­ten hat gegen­über ande­ren Geflüch­te­ten. Das ist mei­ne Hoff­nung. Und dann ist da noch der Arbeits­kräf­te­man­gel, mit dem argu­men­tiert wer­den kann.

Die Alli­anz hin­ter der Stu­die ist breit: Sie wur­de finan­ziert nicht nur von PRO ASYL, son­dern auch vom Euro­pa­rat und von poli­ti­schen Frak­tio­nen im Euro­päi­schen Par­la­ment sowie von ein­zel­nen Euro­pa-Abge­ord­ne­ten aus drei der sie­ben poli­ti­schen Grup­pen. Dass so vie­len Men­schen mit ver­schie­de­nen poli­ti­schen Nei­gun­gen ein bes­se­rer Schutz der Men­schen­rech­te an Euro­pas Außen­gren­zen wich­tig ist, ist ermutigend.

(er)

Mar­kus Jae­ger ist Jurist und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler und hat lan­ge in ver­schie­de­nen Posi­tio­nen beim Euro­pa­rat gear­bei­tet, unter ande­rem als Lei­ter der Direk­ti­on für Migra­ti­on sowie als Stell­ver­tre­ter des Direk­tors im Kom­mis­sa­ri­at für Men­schen­rech­te. Er hat auch beruf­li­che Erfah­rung auf Sei­ten der Poli­zei, als Lei­ter der Rechts­ab­tei­lung von INTERPOL in den Jah­ren 2000 bis 2002.